Wer kennt Cees Nooteboom: In den niederländischen Bergen?

Es gibt 8 Antworten in diesem Thema, welches 3.116 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Gronauer.

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    Ich bin heute über diesen Titel gestolpert und da ich in den niederländischen Bergen wohne ( im Sauerland ;-)) würde bin ich daran hängen geblieben. Kann mir jemand etwas darüber erzählen?


    Mit Gruß


    von Fatschbum Didelzong


    [size=6pt]EDIT: Amazonlink eingefügt. LG, Saltanah[/size]

    ____<br /><br />Äh.. ja? :kaffee:

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()

  • Hallo,


    spontan ist mir nur das gleichnamige Lied eingefallen, der Buchtitel sagt mir leider nichts :redface:


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Das Buch heißt im Original "in Nederland", falls dass Sauerland nicht in den letzten paar Jahren den Niederländern zugesprochen wurde, wohnst du nicht in den "niederländischen Bergen" :zwinker:
    In den Beschreibung, die ich so schnell gefunden habe, geht es auch um den Süden der Niederlande, für niederländische Verhältnisse ist die Gegend um Maastricht ja auch schon sehr hügelig!
    Ich habe hier mal einen Link zu einer Rezension eingefügt.
    http://www.bsz-bw.de/cgi-bin/ekz.cgi?SWB02932894


    Gruß
    Bibse

    Wear the old coat and buy the new book (Austin Phelps)

  • Immerhin kommen sie zum Skifahren her und bevölkern die Straßengräben, sobald es ein paar Schneeflocken gibt :elch:


    Ich hatte mir schon gedacht, daß mit den Bergen der Niederlande nicht unbedingt Winterberg gemeint ist, hatte aber mit einer Metapher gerechnet, einem Nimmerland wie ... einem brandenburger Allgäu oder einem Ruhpott Niederbayerns... :zwinker:


    Hab' auf jeden fall vielen Dank für den Link. Die Rezension kann als Warnung verstanden werden, die ich mir erst mal zu Herzen nehme.

    ____<br /><br />Äh.. ja? :kaffee:

  • Hallo,


    das Buch ist eine moderne Version von der Schneekönigin. Der Erzähler sitzt in einer Schulbank und schreibt eine Geschichte über Kai und Lucia, dabei in der Befürchtung, die Schulkinder könnten ihn hier überraschen, den vom Alter Infizierten, „der vielleicht schon ein bisschen nach Tod riecht“ und der gerade deshalb in einer Welt leben will, „in der die gemeinen Regeln der Älteren noch nicht gelten, in der das Dasein noch keine Geschichte ist, die stimmt, eine Welt, in der alles noch geschehen muss“.


    Über die Gegend sagt er:

    Zitat

    Das Land ist flach, was zu einer extremen Sichtbarkeit der Menschen führt, (…)


    Nooteboom ist eigentlich immer schön zu lesen.
    Ich kann das Buch empfehlen.


    Liebe Grüße
    PessoA

  • Das Sauerland ist definitiv nicht "die niederländischen Berge"! :breitgrins:
    Grüße aus Aachen, Westzipfel-City, der Stadt am deutschen Rand der besagten Berge. :smile:


    Und Nooteboom ist immer gut! :smile:

  • Nachdem Myriel mich so höflich darum bat, hier mein Eindruck nach einer darüber geschlafenen Nacht (sieht komisch aus, dieser Satz, nicht?):


    Ein spanischer Straßenbauingenieur und Gelegenheitsschriftsteller sitzt in der hochsommerlichen Hitze in einem Klassenzimmer einer Grundschule in Zaragoza und schreibt das Märchen von Kai und Lucia nieder, das den Kern dieses kurzen Romans bildet. Kai und Lucia sind ein junges Schaustellerpaar, das eine Telepathie-Nummer praktiziert (allerdings, und da hat die Märchenhaftigkeit ihre Grenzen, mit einem Trick, den der Erzähler verrät). Kai und Lucia verfügen über vollendete Schönheit und genießen vollendetes Glück, auch als Paar – bis der Niedergang des Zirkusbetriebs sie dazu zwingt, vom wohlhabenden und geordneten, flachen, aber auch steifen Norden der Niederlande in einen fiktiven, seltsamen und balkanesken Süden des Landes zu wechseln, der irgendwo südöstlich von Locarno beginnt, gebirgig ist und von Armut, Korruption, labiler Ordnung geprägt ist, wo eine etwas andere Sprache gesprochen wird, aber auch intensiver gelebt zu werden scheint. Kai fällt einer Entführung zum Opfer, Lucia macht sich mit einer als Clown auftretenden Frau auf die Suche und wird ihn wiederfinden. Bis dahin allerdings sind beide während der Trennung unterschiedlichen Verführungen erlegen, und über das Schicksal des wiedervereinigten Paares erfährt der Leser nichts mehr. Der Erzähler stellt unterdessen in Zwischenrufen immer wieder Überlegungen an, die das Märchen und seine Entstehung reflektieren und kommentieren.


    Selten habe ich ein Buch gelesen, das so entspannt daherkommt und dabei so vielschichtig ist. Über die Sprache brauche ich kein Wort mehr zu verlieren, sie ist makellos schlicht und schön.. Aber was darin alles verpackt ist, stellt enorme Ansprüche.


    Zuerst zur Erzähltechnik: Wer bereits andere Bücher von Nooteboom gelesen hat, erkennt bestimmte erzählerische Formen wieder: die kommentierenden Zwischenrufe tauchen z.B. ein paar Jahre später als Chor in „Allerseelen“ wieder auf. Besonders auffallend ist aber die Methode der Doppelungen, die in den „Ritualen“ perfektioniert ist. In dem vorliegenden Buch sind es


    der Dualismus Kai/Lucia, in dem die Idee der individuellen und gepaarten Vollkommenheit verkörpert wird,


    der Dualismus Nord- und Südniederlande mit unterschiedlicher Topografie,


    der Dualismus der Kulturen und Temperamente im Norden und Süden, die an Nietzsches Gegenüberstellung von apollonischem und dionysischem Prinzip erinnern,


    der Dualismus in der männlichen Clownsfigur, die von einer Frau namens Anna verkörpert wird und damit auch in der eigenen Person Zweideutigkeiten spiegelt,


    der Dualismus der Verführungen, denen Kai und Lucia in der Zeit ihrer Trennung erliegen: Kai erlebt die eisig-gläserne distanzierte Verführung durch die „Schneekönigin“, eine besitzergreifende Art Räuberhauptfrau, Lucia gibt sich dem satyrhaften ekstatischen Anführer der „Screemer“-Gemeinde, einer obskuren Bacchantenschar, hin.


    Alles an der Märchenfabel ist hoch allegorisch, man kann die Fülle der Anspielungen kaum verarbeiten.


    Auf der Ebene des reflektierenden Erzählers werden religiöse, philosophische und poetologische Grundfragen erörtert, semantische Feinheiten der niederländischen Sprache werden ausgebreitet, und es geht gedanklich bis hinauf auf die Höhe der platonischen Dialoge, es wird die Frage nach den Unterschieden von Mythos, Märchen und Roman angesprochen, und einen drolligen Dualismus gibt es hier auch: so wie der Erzähler sich beschreibt, dick, schwitzend und kettenrauchend, gibt er sich als äußerlichen Gegensatz zu den beiden idealischen Helden seines Märchens zu erkennen.


    Was ist von diesem Roman zu halten? Der geringe Umfang von ca. 150 Seiten sollte nicht dazu verleiten, das Buch zu schnell und im Vertrauen auf die Eingängigkeit der Sprache durchzulesen, dabei ginge zu viel verloren. Ein Einwand ist sicher berechtigt: das Buch ist extrem kopflastig und setzt, wenn man es auch nur teilweise nachvollziehen will, viel voraus. Dabei werden viel mehr Fragen gestellt als beantwortet, das Buch lässt fast alle Ideen, die hier versammelt sind, als offenes Thema stehen. Wer auf diesem Niveau noch mithalten kann, wird über die Anregungen entzückt sein, ansonsten kann sich an dieser Stelle auch eine gewisse Enttäuschung über das Fehlen einer handfesten Position breitmachen.


    Fazit: ein bei aller Poesie sehr intellektuelles Vergnügen für den, der so etwas mag.

    Einmal editiert, zuletzt von Gronauer ()

  • Hallo Gronauer,


    vielen Dank für deine Eindrücke. :smile: Soweit klingt das Buch ganz gut, aber das hier stört mich etwas:



    Der Erzähler stellt unterdessen in Zwischenrufen immer wieder Überlegungen an, die das Märchen und seine Entstehung reflektieren und kommentieren.


    Ich komme mit Erzählern, die sich in den Vordergrund drängen oder sogar selbst an den Leser wenden, nicht sonderlich gut klar. Wie aufdringlich ist denn der Erzähler hier?


    LG Myriel :winken:

  • Wirklich aufdringlich ist bei Nooteboom, wie gewohnt, nichts. Aber die Kommentierungen nehmen hier schon einen beträchtlichen Teil des Buches ein, ich schätze mal ein gutes Drittel. Sie sind aber wichtig, weil der Vorgang des Erzählens einer Geschichte hier mindestens die Bedeutung des erzählten Märchens selbst hat. Das ist auch ein Aspekt der Kopflastigkeit, die ich meinte. Vorbilder für so etwas gibt es in der Literatur ja genug: Sterne (Tristram Shandy), Jean Paul (praktisch alle großen Romane), Thelen (Die Insel des zweiten Gesichts) fallen mir auf Anhieb ein.