Philip Roth: Exit Ghost

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  • Philip Roth: Exit Ghost. Hanser Verlag, 296 Seiten, 19,90 EUR.


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    Endzeitstimmung bei Roth. Nach seinem großartigen Roman "Jedermann" geht es in der nun veröffentlichten Geschichte um den 71jährigen Schriftsteller Nathan Zuckerman, der mit den Problemen der Inkontinenz und Impotenz zu kämpfen hat. Dennoch sind seine s.e.x.uellen Begierden nicht erloschen und so verliebt er sich in eine für ihn unerreichbare 35jährige Frau. Der Themenrahmen ist damit abgesteckt (S.e.x., Alter, Krankheit, Tod), hinzu kommen literaturwissenschaftliche Erörterungen - natürlich erfolgen diese ausschließlich auf unterhaltsame Weise - und zwar darüber, was Literatur leisten kann, wie sie funktioniert, welche Rolle das Feuilleton spielt und welche Rolle Biografen einnehmen. Ein Buch, welches auch zu anderen Büchern führt, ausführlich wird Conrads "Schattenlinie" diskutiert und sogar zitiert. Der zeitliche Rahmen ist um die Wahl des US-Präsidenten des Jahres 2004 herum, die George Bush noch einmal gewinnt. Auch dieses Thema wird mit den daraus sich ergebenden verbundenen Frustrationen der Nebenfiguren behandelt.


    Ein Buch von Philip Roth muss man eigentlich nicht rezensieren, der Roth-Leser wird es ohnehin lesen, alle anderen sollten eher mit einem anderen Werk beginnen. Die Geschichte nimmt den Leser auch diesmal gefangen, großartig ist er bei den Themen Alter, Krankheit und Tod. Hier erschafft er Sätze, die nachdenklich stimmen und die Endlichkeit des Lebens vor Augen führen. Weniger interessant zumindest für den deutschen Leser sind die politischen Ausführungen, das ist nicht sonderlich originell. Diese Passagen nehmen dem Buch etwas von seiner ewigen "Gültigkeit", sein vorheriges Werk "Jedermann" verzichtet auf derartige Themen. Nach Roths Tod werden die Biografen dieses Buch noch einmal herholen und die Ausführungen zur Literatur wohl dem Autor zuschreiben.


    4ratten


    Gruß,
    Thomas

  • Hallo,


    Lange noch bei den Rosen
    bleibt er stehen, sehnt sich nach Ruh.
    Langsam tut er die (großen)
    müdgewordenen Augen zu.


    Richard Strauß, Vier letzte Lieder (Textausschnitt aus „September“ von Hermann Hesse)



    „Exit Ghost“ ist der endgültige Abschied von Nathan Zuckerman, der in zahlreichen Romanen von Philip Roth auftritt, der z.B. in Roth`s Roman „Die Anatomiestunde“ in eine schriftstellerische Krise gerät, unter Schmerzen leidet, in seinem Leid zum Wodka und zu den Frauen greift. Nun ist er alt, einundsiebzig Jahre, lebt gewollt einsam auf dem Lande, weit ab vom Trubel New Yorks. In dieser Ruhe ist er vor den Frauen sicher, oder die Frauen vor ihm. Mit einem Paukenschlag beginnt der Roman. Vor elf Jahren wurde seine Prostata entfernt – Krebs. Infolgedessen setzte ein Lebenswandel ein, er zog sich aus der großen Welt zurück, spürte eine innere Dürre.


    „Den Impuls, in dieser Welt zu sein und zu ihr zu gehören, hatte ich längst abgetötet.“


    In der Einsamkeit hat er seine sexuellen Begierden unter Kontrolle. Keine Versuchungen, außerdem ist er inkontinent und impotent. Groß ist Roth wenn er Zuckermans Gebrechen und die Konsequenzen daraus schildert. Detailliert, bis es sich ins Mark und Bein des Lesers festsetzt. Er entwirft Bilder, die nicht mehr aus dem Kopf gehen.


    In New York verliebt er sich wieder. Dorthin muss er nämlich zu einer Nachbehandlung hin, die ihm aber schließlich nichts einbringt, aber er lernt Jamie Logan kennen.


    „Die Wucht der sexuellen Anziehungskraft lässt keinen Raum für Resignation – nur für die Gier des Begehrens.“


    Hier können wir auch sagen, der Geist ist willig, der Körper aber massakriert. Nach jeder Begegnung mit Jamie, macht sich Zuckerman Notizen, denn die Angst der Vergesslichkeit sitz ihm in den Gehirnwindungen. In den Zwiegesprächen, die Zuckerman schriftlich festhält, kann er sich in seinen Fantasien ausleben. Das gefällt mir sehr, weil er im Gedächtnis sowieso nicht alles behalten kann. Das Alter schlägt auch auf den Geist und gipfelt sehr bizarr, Amy habe einen Teil ihres Gehirns eingebüßt. Im Zusammenhang mit der Schwäche des Geistes, werden auch die Folgen für einen Schriftsteller erörtert. Hervorragend finde ich übrigens Zuckermans Kritik über den Gebrauch von Handys in unserer Gesellschaft.


    Trotz einiger Höhepunkte, die ich sehr schätze, muss ich aber auch sagen, dieser Roman gehört nicht zu den besten, die Philip Roth zu Papier gebracht hat. „Das sterbende Tier“ und „Jedermann“ waren komprimiertere Romane über das Alter und stringent sprachlich auf literarischem Höhenpflug, in „Exit Ghost“ nur teilweise. Es werden vielerlei Themen angesprochen: literarische, journalistische und politische, jüdische. Die Angst vor Bush's Wiederwahl im Jahre 2004 haben auch viele Europäer gespürt, doch ich meine, Roth lässt sich hier viel zu bunt darüber aus, er kaut gleich vier oder fünfmal darüber.


    Herrlich integriert sind Strauss' Vier letzte Lieder über Tod, Abschied und Verlust. „Der Komponist“, so lesen wir, "lässt alle Masken fallen und steht, mit zweiundachtzig Jahren, nackt vor einem. Und man zerfließt."


    Im Angesicht des Todes steht der menschliche schwache Körper.


    Liebe Grüße vom Amerika-Roth-Fan :smile:
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • "Ein Buch von Philip Roth muss man eigentlich nicht rezensieren, der Roth-Leser wird es ohnehin lesen" Klassikfreund, so ist es. Danke für die Rezi!
    Klara