Karen Duve - Regenroman

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    Karen Duve - Regenroman


    Inhalt


    Der Schriftsteller Leon zieht mit in seiner frisch angetrauten, jungen Frau Martina in die Nähe einer kleinen, ostdeutschen Ortschaft. In der Abgeschiedenheit des Moorgebiets will er sich ganz seiner neuen Aufgabe, der Fertigstellung einer Kietzgrößen- Biografie, widmen. Ihre einzigen Nachbarn dort sind die merkwürdigen Schwestern Kay und Isadora Schlei. Doch das erhoffte Idyll heißt das Paar nicht freundlich willkommen. Vielmehr wartet der Sumpf mit allen erdenklichen Widrigkeiten des Lebens auf die Eheleute. Es kommt zu Problemen mit Leons Auftragsgeber, eigenartige Begegnungen mit den geheimnisvollen Schwestern ereignen sich und der nicht enden wollende Regen nagt unaufhörlich an dem neuen Heim...


    Meine Meinung


    Der Regenroman ist in erster Linie nass und in zweiter eklig. Oder doch umgekehrt? Auf jeden Fall: nass und eklig. Kaum eine Abscheulichkeit bleibt dem unbedarften Leser erspart: verquollene Wasserleichen, Exkremente, ganze Heerscharen von Nacktschnecken, glitschiges, giftiges Getier, Erbrochenes, Schimmel – all das fühlt sich im Regenroman heimisch. Auch an Grausamkeit, Perversion und Abartigem mangelt es hier nicht. Das reicht von Tierquälerei bis hin zu Vergewaltigung (und zwar von Frauen und Männern). Ein schönes Buch ist er also schon mal nicht, dieser Regenroman.


    Die vorkommenden Figuren tragen ebenfalls nicht gerade zu seiner Zierde bei. Leon, eigentlich schon ein Unsympath par excellence, wird doch tatsächlich noch von zwei weiteren Gesellen in seiner Widerlichkeit übertroffen. Die genügsame Martina, die viel zu spät aufwacht, ist auch nicht sonderlich erfreulich. Einen kleinen Lichtblick mögen da noch die Schlei Schwestern bietet. Die burschikose, stille Kay, an der es nun wirklich nichts auszusetzen gibt und die durchgeknallte, lüsterne Isadora, die zumindest mit ein bisschen Abwechslung und Mysterium aufzuwarten weiß. Am angenehmsten sind die Hunde, besonders der introvertierte, biblische Noah. Gut gefallen haben mir die gelungenen Einblicke in Leons armselige Gedankenwelt. Wenn ich mir auch mitunter wünschen will, sie wären mir erspart geblieben.


    Wie erwähnt, es ist ein nasses Buch. Dem Titel gemäß regnet es unentwegt. Nun, nach dieser Lektüre weiß ich, wie es ist, in einem durchfeuchtet Haus zu leben. Wie Schimmel riecht, wie schwer es ist, die sich stur abrollenden Tapeten wieder zu befestigen, wie schmierig der Putz sich anfühlt, nachdem ihn die Nässe von den Wänden gewischt hat. Wie es ist, wenn einem der Sumpf den Schuh von den Füßen saugt und Modder durch die Socken sickert. Ich kenne das Quietschen von durchrosten Wasserleitung und eine funktionstüchtige, warme Dusche schätze ich inzwischen als etwas ganz Besonderes.


    Ungewöhnlich am Regenroman ist, dass eigentlich eine knallharte, ungeschönte Realität gezeigt wird, vielleicht ein bisschen überzogen, aber durchaus noch vorstellbar. Trotzdem trifft man auch auf Absurdität. Nach und nach erscheint eine Art dunkle Märchenwelt, die Rätsel aufwirft und gleichermaßen geheimnisvoll und abstoßend anmutet. Ein bisschen zauberhaft, aber eben nicht schön.


    Die Sprache in Regenroman hat mir eigentlich ganz gut gefallen. Sie ist klar und passend. Unschön daran fand ich die teilweise sehr vulgären Ausdrücke, sobald sich auch nur ein Anflug von Sexualität wittern ließ. Nicht, dass mich dies schockiert hätte, eher das Gegenteil ist der Fall. Auf mich wirkte es einfach nicht mehr zeitgemäß, unpassend und deplaziert. Was bei einem Bukowski noch für gesellschaftlichen Anstoß gesorgt haben mag, traue ich Heute nur noch verklemmten, pubertätsgeplagten Jungs zu. Das hat mich nicht sonderlich angesprochen.


    Gelesen habe ich dieses Buch, weil ich Regen liebe. Nichts lag da näher, als dem Ruf des bloßen Titels zu folgen. Was hier geschildert wird, ist die Geschichte eines Verfalls. Alles was schön sein müsste, ist hässlich. Alles wird durchweicht, zerrissen und hinweggespült.


    Schlussendlich denke ich, dass das der Regenroman stark polarisiert. Das Buch nicht zu mögen liegt eigentlich nah und ich verstehe jeden, dem es so ergeht. Deshalb würde ich es auch nicht unbedingt empfehlen. Verleihen ja, verschenken nein. Der Regenroman vermag aber auch auf seine ganz eigentümliche Art mächtig zu beeindrucken. So ist es mir ergangen. Deshalb das Ende in kürze: Regenroman hat mir ziemlich gut gefallen - ein außergewöhnliches Buch!


    4ratten


    @all
    Aufgefallen ist mir die Häufigkeit mit der die Farbe Gelb vorkommt: der gelbe Wildlederrock, der gelbe Audi, der gelbe Sessel, die gelbe Bettwäsche usw., usw.. Bei dieser Auffälligkeit drängt sich mir die Vermutung auf, dass hier eventuell bewusst ein Stilmittel eingesetzt wurde. Doch welches? Mein erster Gedanke war: Gelb ist frisch und sonnig (Frühlingsblumen, Ostern, Eigelb, plüschige Küken, Zitronen, Sonne, Gold, Kornfelder), es steht hier wahrscheinlich als Gegensatz zu dem ganzen graubraunen Modder, der den Leser ansonsten durchweg umwabern. Aber gelb ist auch die Farbe des Neids und der Eifersucht. In anderen Sprachen wird Gelb sogar mit Feigheit assoziiert (was gut zu Leon passen würde). Beim Lesen habe ich mir nie ein fröhlich freundliches Gelb vorstellen können. Eher Gelb als etwas infizierendes, ansteckendes, entzündliches, Eiter vielleicht. Ein schmutziges, ungesundes, grünstichiges Gelb – was dann doch wieder gut passt. Vielleicht ging es darum? Das eigentlich schöne, ein junges Paar bezieht ein gemeinsames Heim, wird beschmutzt, entstellt und letztendlich zerstört.


    Mich würde interessieren, ob das anderen Lesern auch aufgefallen ist und wenn ja, was Eure Gedanken dazu waren?


    Liebe Grüße
    Tia


    edit 23.02.08: da ich eben einem anderen, weniger gelungenen Buch 3,5 Ratten gegeben habe, habe ich meine Bewertung hier von 3,5 in 4 Ratten geändert. Das trifft meine Meinung doch besser.

    Einmal editiert, zuletzt von Tia ()

  • Ich gehöre zur Anti-Fraktion - das Buch hat mich so gar nicht angesprochen, weder stilistisch noch inhaltlich, die Protagonisten fand ich alle total unsympathisch und habe irgendwann nach der ersten Bulimie-Brech-Szene abgebrochen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Du hast eine wirklich tolle Rezension geschrieben, die das Buch sehr treffend charakterisiert. Nur mit Deiner Bewertung von lediglich 3,5 Punkten wäre ich nicht einverstanden für dieses wahrlich außergewöhnliche Buch. Der Autorin gelingt es allein durch die Sprache zu vermitteln, wie sich Regen anfühlt, der Matsch, die quietschenden Wasserleitungen, du hast es oben alles richtig beschrieben.


    Das finde ich stilistisch großartig, zudem lässt sich das Buch spannend lesen. Ich bewerte ein Buch nicht danach, ob Protagonisten sympathisch oder unsympathisch sind, sondern wie authentisch sie dargestellt werden. Ich finde, das ist hier ebenfalls gelungen.


    Bei mir ist die Lektüre zwar schon einige Jahre her, aber von mir erhält das Buch eine klare Leseempfehlung!


    Gruß, Thomas

  • Hallo Thomas,


    ich finde auch, dass die Prothagonisten authentisch dargestellt werden. Das ist hier wirklich hervorragend gelungen. Dass sie mir nicht sympathisch waren, hatte keinen Einfluss auf meine Bewertung. Ich wollte damit lediglich zum Ausdruck bringen, dass man es hier nicht mit einem netten, freundlichen Buch zu tun hat, und dass auch die beschriebene Charaktere nicht viel Erheiterung bringen. Das meinte ich aber keinesfalls negativ.


    Bei der Bewertung mit Ratten habe ich mich ein bisschen schwer getan. Für fünf Ratten hat es mich, gemessen an anderem, doch nicht genug vom Hocker gerissen. Ich war hin und hergerissen zwischen drei und vier Ratten. Drei fand ich zu wenig, bei vier war ich mir nicht ganz sicher, ob es wirklich das trifft, was ich dabei empfinde. Deshalb die 3,5. Aber es ist schon ein gutes Buch. Ohne Frage. Stilistisch fand ich es ebenfalls gelungen. Nur hat es mich eben nicht ganz so sehr angesprochen, wie manch anderes Werk.


    Schöne Grüße
    Tia


    edit: ich habe meine Bewertung doch noch in 4 Ratten geändert. Mit etwas Abstand erscheint mir das passender. Zumal ich ansonsten auch Schwierigkeiten bekommen würde, andere Bücher im Vergleich angemessen zu bewerten.

    Einmal editiert, zuletzt von Tia ()

  • Hallo Tia,


    wenn ich bei diesem Buch vier oder sogar fünf Ratten vergeben würde, dann muss man natürlich zum einen berücksichtigen, dass meine lang zurückliegende Lektüre das Bild auch etwas verfälschen könnte (ich hätte das Buch damals mit 5 Ratten bewertet, daran erinnere ich mich, aber ob es dem Qualitätsurteil HEUTE standhalten würde, nachdem ich so viel andere Lektüre kenne, weiß ich natürlich ohne Wiederektüre nicht).


    Zum anderen ist die Rattenzahl hier aber auch nicht vergleichbar mit einem "Klassiker", der fünf Punkte erhält. Deutschsprachige Gegenwartsliteratur ist für mich in ganz vielen Fällen, möglicherweise zu unrecht, immer noch damit verhaftet, dass Autoren um sich selbst kreisen. Duve durchbricht dieses Schema und ich fand das ausgesprochen spritzig. Verbunden mit dem nicht alltäglichen Thema, dem passenden Stil gibt es von mir eine deutlich bessere Bewertung.


    Karen Duve ist übrigens auch eine der Autorinnen, die in Rainer Moritz' Überlebensbibliothek aufgenommen wurde, und zwar mit dem Titel: Weihnachten mit Thomas Müller, der sich auch sehr interessant anhört.


    Schöne Grüße,
    Thomas


  • Karen Duve ist übrigens auch eine der Autorinnen, die in Rainer Moritz' Überlebensbibliothek aufgenommen wurde, und zwar mit dem Titel: Weihnachten mit Thomas Müller, der sich auch sehr interessant anhört.


    Ich habe eben mal nachgesehen. Das klingt wirklich nach einer sehr interessanten Weihnachtsgeschichte, die ich sicherlich aller spätestens zum Ende dieses Jahres einmal lesen werde :smile:. Danke für den Hinweis!


  • Wie erwähnt, es ist ein nasses Buch.


    Ja, der Regen, der Schlamm (samt Schnecken), der Schimmel, diese Nässe, die sich durch das Buch zog, war wirklich regelrecht zu spüren und zu riechen. Ich finde auch, dass es der Autorin sehr gut gelungen ist, den Leser diese feuchte Atmosphäre miterleben zu lassen. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, kann ich die Stimmung noch nachempfinden, allerdings auch das Derbe und Abstoßende. Und diese Stellen haben mir bei der Lektüre nicht gerade gefallen. Teilweise war es einfach eklig und ich wollte auch das ein oder andere Mal abbrechen, gleichzeitig aber auch wissen, wohin sich das alles noch entwickelt.


    Aber insgesamt hat es mich wohl doch sehr beschäftigt und vor allem einen bleibenden Eindruck hinterlassen, denn, obwohl es schon ein paar Jahre her ist, dass ich den Roman gelesen habe, kann ich mich noch an Inhalt und vor allem diese modrige Stimmung gut erinnern.

  • Der Regenroman, bei dem der Titel gleich einen Gattungsbegriff beinhaltet, ist weit mehr als ein realistischer Roman, weswegen eine identifikatorische Lektüre an der Qualität dieses Buches scheitern muss. Für mich ist der Regenroman eines der besten Büchern der jüngeren Autorinnenliga der BRD (zu der ich noch Tanja Dückers zählen würde). Karen Duve schafft es, in einer knappen, präzisen Sprache eine Story so weit voranzutreiben, dass sie zunehmend mythische, symbolische und trashige Aspekte für die Literatur wiedergewinnt, die in der sogenannten "authentischen" oder "realistischen" Literatur, all diesem Beziehungsgesülze beliebiger Art, verlorengegangen sind.
    Als Deutschlehrer, ehemaliger, habe ich als es noch möglich war, ein Atiturthema in Deutsch zum Regenroman entwickelt, dass von der übergeordneten Behörde leider abgelehnt wurde. Den Schülern hat die Lektüre jedenfalls mehr zugesagt als die heute doch etwas bräsig dahinschleichende Effi Briest mit ihrem Ehebruch, der verglichen mit dem der Emma Bovary oder der Anna Karenina doch eher die Ausführung für Senioren abgibt.
    Ich habe bisher, bis auf den Fantasy-Roman fast alles von Karen Duve gelesen und warte gespannt auf ihre weiteren Veröffentlichungen. Sie sollte allerdings, nach dem Fantasyroman, die symbolischen Qualtiäten ihres Schreibens besser wieder etwas präziser auf die Realität beziehen, ohne in der wie in einem Sumpf, dem des Ostens, zu versinken. Denn der Regenroman ist ja auch ein Roman über die Ost-West-Beziehung, aber hier jetzt keine Interpretation - wie jedes gute Buch sind viele möglich. Aber bitte, beurteilt ein solches Buch nicht nur danach, welche Typen euch symphathisch, welche euch unsympathisch sind usw (identifikatorische Lektüre). Damit muss man beim Regenroman im Sumpf der eigenen Befindlichkeiten versinken.


    verregnete Grüße


    geronemo