(Meine Meinung bezieht sich auf die englische Ausgabe.)
Inhalt:
Für Bellis Coldwine ist New Crobuzon nicht mehr sicher. Sie heuert als Dolmetscherin auf einem Schiff an, das sie in die Kolonie Nova Esperium befördern soll, wo sie für einige Zeit untertauchen will. Mit auf dem Schiff befinden sich, neben anderen Reisenden, die aus verschiedenen Gründen New Crobuzon den Rücken kehren, auch sogenannte „Remade“, Menschen, die zur Strafe auf meist bizarre und grausame Weise verändert wurden, sei es dass man ihnen Tentakel einpflanzte, oder sie zu Hälfte in dampfbetriebene Maschinen umwandelte und die nun in der Kolonie als Sklaven dienen sollten.
Doch das Schiff wird überfallen, die Führungsoffiziere ermordet und Besatzung und Passagiere nach Armada transportiert, einer aus Schiffen erbauten, schwimmenden Piratenstadt. Bellis will sich nicht damit abfinden, den Rest ihres Lebens auf Armada zu verbringen und gerät so in den Sog der Pläne und Intrigen ihrer Anführer...
Meine Meinung:
The Scar ist eine Art Nachfolger zu Perdido Street Station (dt: Die Falter, Der Weber), insofern, als dass der Anlass für Bellis' Flucht aus New Crobuzon mit den Ereignissen von Perdido Street Station zu tun hat. Für den Rest der Geschichte sind diese jedoch nicht relevant, so dass man The Scar ohne weiteres ohne Kenntnis des Vorgänger lesen kann.
Zu meinen ersten Eindrücken beim Lesen von The Scar gehörte, dass die Welt (Bas Lag) diesmal ganz anders wirkte, als ich sie aus Perdido Street Station in Erinnerung hatte. Zwar sind beide Bücher, vom Stand der Technik her, Steampunk, doch New Crobuzon verströmte in PSS immer eine nicht nur sehr düstere, sondern auch etwas an Science-Fiction erinnernde Atmosphäre, während The Scar ganz eindeutig und nur Steampunk ist, weniger düster wirkt und eher Piraten- und Seefahrts-Atmosphäre verströmt, mit Schiffen, U-Booten, und auch Luftschiffen. Es braucht eine Weile, bis sich diese beiden beiden Bildern zu einem ganzen zusammengefügt hatte, aber im Endeffekt passt es, denn warum sollte eine über die Ozeane treibende Piratenstadt die gleiche Wirkung haben, wie der Moloch New Crobuzon? Insgesamt gefällt mir das Setting von The Scar sogar fast besser, als das von PSS, zumindest hat es genau meine derzeitige Stimmung getroffen.
Allerdings zeigt auch Armada im Laufe der Zeit seine dunkleren und bizarren Seiten.
Schon der Prolog hat mich sofort in seinen Bann gezogen, so wie überhaupt die kurzen Zwischenkapitel, die sich am Ende eines jeden Abschnitts befinden, besonder gelungen und intensiv sind, vor allem wenn es sich dabei um innere Monologe handelt, denn die kann Miéville meiner Meinung nach besonders gut. Sein Stil gefällt mir auch insgesamt sehr gut, ist aber aufgrund seines Vokabulars nicht optimal für Leser, die sich ihrer Englischkenntnisse noch nicht so sicher sind.
Bellis ist eine sehr verschlossene Hauptfigur. die mir gut gefällt, zu der aber vielleicht nicht jeder gleich Zugang findet. Was sie jedoch nicht ist, ist eine Heldin, wie auch die anderen wichtigeren Figuren keine klassische, zusammengewürfelte Fantasy-Heldentruppe ergeben, sondern jeder für sich in die Ereignisse hineingeworfen wird, seine eigenen Ziele verfolgt und keineswegs auf Abenteuer aus ist. Auch gibt es keine charakterliche Schwarz-Weiß-Malerei, da die „Helden“ eben keine sind, man bei anderen Charakteren lange nicht weiß, woran man ist, wer wen manipuliert und es auch keine „Bösen“ gibt, sondern eben nur Personen, die ihrer eigenen Ziele verfolgen und nicht immer Rücksicht auf andere nehmen. Zudem schien mir der Fokus in diesem Buch stärker auf den Charakteren zu liegen, als in Perdido Street Station oder Un Lon Dun, wo ganz eindeutig die jeweilige Stadt im Vordergrund steht.
Die üblichen Fantasy-Rassen findet man bei Miéville nicht, zwar gibt es Menschen und eine Art Vampire, aber der Rest sind Remade, Khepri (Meschenkörper, Käfer als Kopf), Scabmettler (Rüstungen aus eigenem Blut), Cactacae (Kakteen)...; ebenso wie Bas Lag immer wieder mit mit neuen interessanten oder bizarren Gegenden (und ihren Bewohner) aufwarten kann.
Die Handlung bleibt, durch die Charaktere, die einander widerstrebenden Interessen aller Beteiligten und die daraus entstehenden Intrigen und Geheimnisse, durchweg spannend.
Das Ende... passt zu Miéville und zum Buch.
Und um nicht nur von Begeisterungsanfall zu nächsten zu stolpern: Es gab ein zwei oder drei Kleinigkeiten im Verlauf der Handlung, die eventuell nicht ganz stimmig waren.
Fazit: Spätestens jetzt hat Miéville einen Fan mehr. (Weshalb meine Meinung mit Sicherheit kein bisschen objektiv ist, aber ich fand das Buch schlicht und einfach toll. )
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