Der Literaturschock-Fortsetzungsroman

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  • Kapitel 46


    Amazonius ließ sich geschafft und enttäuscht in seinen Sessel fallen. Das diesjährige Büchermarktschreiervereinstreffen war wieder mal äußerst anstrengend und wenig ergiebig gewesen. Heuer waren für die doppelte Zahl von Ständen deutlich weniger Fackeln verteilt worden als früher, so das man die Leute besser hören als sehen konnte. Na gut, bei manchen war es auch besser, über die Ware den Mantel des Schweigens zu hüllen. Jedes Jahr wurden mehr Bücher angeboten. Nur konnte man sich fragen, ob im selben Maße wie die Quantität die Qualität anstieg. Amazonius hatte sich jedenfalls die Füße wundgelaufen und nur ein oder zwei wirklich überraschende Neuentdeckungen gemacht. Den Rest würde er kaum bei seiner Kundschaft loswerden können. Etwas enttäuscht war er, das auch dieses Jahr wieder kein Vertreter des Lischofor-Meister-Verlages anwesend gewesen war. In letzter Zeit hatte sich der Lischofor ausgezeichnet verkauft, und er hätte gern mit den Leuten über die Wünsche seiner Kunden geredet und mehr über die Planung für die Zukunft erfahren. Naja, vielleicht im nächsten Jahr.
    Auf dem Heimweg, bei seiner Rast in der Schenke "Zum verbogenen Wagenrad", hatte er gehört, das wieder mal die Entscheidung für den Pompös-Preis von der Jury im Suff getroffen worden war. Morgen würde er mal im Lager nachsehen, ob er ein paar von diesen Ladenhütern noch rumliegen hatte. Wenn sie nicht allzusehr von den Ratten angenagt wären, würde er sie für ein paar Tage neben die Tür legen. Nach so einer Preis-Vergabe kamen doch eine Zeit lang Leute und fragten nach den Werken dieser Herrschaften. Aber das hält meist nicht lange an.
    Aber das war morgen, jetzt würde er erst einmal auf eine Tasse guten Tees zu den Appetenzlern gehen.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 47


    Ein dämmriger Raum. Siebzehn Männer sitzen im Kreis um einen kleinen Tisch. Auf dem Tisch stehen Teetassen und ein wenig Gebäck. Plötzlich hebt einer von ihnen an zu sprechen: "Hallo! Mein Name ist Medusius Phöhn. Ich bin Herrenfrisör. Und ich habe zu viel Lust." Die umsitzenden Männer nicken verständnisvoll und antworten: "Hallo Medusius!" Amazonius schlägt ihm kumpelhaft auf die Schulter: "Willkommen bei den Anonymen Appetenzlern, Leidensgenosse. Erzähle uns doch ein wenig mehr über Dich und Deine Lust." Medusius rutscht ein wenig unentschlossen auf seinem Stuhl hin und her. "Naja, ich weiß gar nicht so recht, was ich erzählen soll. Ich bin, wie ich schon sagte, Herrenfrisör. Ich liebe es, in langem, lockigen Männerhaar zu wühlen. Und genau das hat mich schon oft in unangenehme Situationen mit meiner Kundschaft gebracht. Es ist oft stärker als ich. Und was es noch schlimmer macht ist, daß ich vor kurzem einen Autor entdeckt habe, der viel über Piraten schreibt. Es gibt da ausführliche Szenen, wie das Haar der Piraten im Wind flattert, wie sie es bürsten und pflegen. Über dem Bett habe ich ein großes Plakat von einem mächtigen schwarzhaarigen Piraten mit einer Schampooflasche zwischen den Zähnen, wie er ein anderes Schiff entert. Es ist grauenhaft! Ich verliere immer mehr meiner Kundschaft. Was kann ich nur tun?" Ein tiefes Schluchzen entrinnt seiner Kehle. "Wir verstehen Dich sehr gut.", sagt Amazonius, "Du bist bei uns genau richtig. Höre Dir nur erst einmal die Geschichten der anderen an. Dann wirst Du sehen, das Du nicht allein bist. Und das es nichts Schlimmes ist, Lust zu haben." Amazonius blickt in die Runde: "Wer erzählt als nächstes unserem neuen Bruder Medusius seine Geschichte?"
    Einer nach dem anderen erzählte nun von seinen Problemen. Es wurde spät. Aber Medusius hatte auf dem Weg nach Hause das Gefühl, endlich nicht mehr allein zu sein. Jemanden gefunden zu haben, der ihn versteht.
    Und außerdem hatte er sechzehn neue Kunden.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 48


    Kaarl winkte in Richtung Theke: "He, Chef, noch 'ne Runde!" Als der Wirt das Bestellte zwischen Kaarl und Earl abstellte, meinte er gähnend: "So, das ist die letzte Runde für heute." Earl murrte: "Och, die Sonne ist noch nicht mal aufgegangen." "Ich will jetzt Feierabend machen. Wenn ihr noch weitersaufen wollt, müßt ihr woanders hingehen. Bei mir ist Schluß! Ich bin müde und will ins Bett."
    Wenig später stehen die beiden aneinandergelehnt vor der Schenke. "Als Du die Destille noch hattest, ging es uns besser.", maulte Earl. "Apropos, Destille. Solltest Du Gärtners Vermögen nicht als Schadenersatz bekommen? Wieviel ist es denn und wann bekommst Du es endlich?" Kaarl guckte Earl traurig an: "Schadenersatz? Vermögen? Das ich nicht lache. Die letzten Kreuzer davon hast Du gerade die Kehle hinabrinnen lassen." Earl war plötzlich hellwach. "Wir haben jetzt also alles versoffen, was Du noch hattest?" "Ja!" "Mmh, davor hatten wir schon alles versoffen, was ich noch hatte." "Stimmt!" "Ich glaube, das heißt, jetzt wir sind pleite. Und was nun?" Aus Earl war plötzlich die Luft raus und ersetzte sich auf die Straße. Kaarl war schon ein paar Schritte weitergewankt. "He, Earl, komm mal her! Schnell!" "Wozu? Ich kann mich auch hier prima Elend fühlen." "Ich glaube, das ist die Lösung." Dabei zeigte Kaarl auf ein großes Pappplakat, das da hing. Während Earl langsam näher kam, las Kaarl laut vor: "Kein Geld? Keine Lust zu arbeiten? Keine Ahnung , wie es weiter gehen soll? Dann komm zu uns. Du wirst in ferne Länder reisen und fremde Menschen kennenlernen. Von uns bekommst Du dafür tolle, strapazierfähige Anzüge, leckeres Essen und auch noch viel Geld." Earl war nun heran. Beide lasen zusammen die letzte Zeile: "Die Fremdenlegion - dein bester Kumpel. Wir sind für Dich da!"

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

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  • Kapitel 49


    "So schnell sieht man sich wieder." Brösecke grinste Amazonius an. "Sie wissen doch, warum sie vorgeladen wurden, oder?" Amazonius sah verwirrt zu ihm auf: "Nein, eigentlich nicht. Ich bekam Ihre Vorladung aus heiterem Himmel." "Sie behaupten also, nichts von der Anzeige gegen Sie zu wissen?" "Nein. Wer sollte mich angezeigt haben und vor allem warum?" Brösecke nahm ein Blatt von seinem Tisch. "Wir haben vor drei Tagen eine anonyme Anzeige gegen Sie erhalten. Der Verdacht lautet auf Vertrieb von pornographischem Material." Amazonius war entsetzt. "Womit soll ich handeln? Können Sie das belegen?" Brösecke las daraufhin aus der Anzeige vor: "... ist in dem besagtem Buch dreimal das Wort 'nackt' zu finden. Einmal sogar in der Zusammensetzung 'nacktes Bein', was als besonders schwerer Verstoß gegen das sittliche Empfinden der Leser gewertet werden muß..." Amazonius mußte sich ein Grinsen verkneifen. "Auf welches anrüchige Buch bezieht sich denn die Anzeige?", fragte er amüsiert. Brösecke sah nochmal in die Anzeige: "Ähm, hier steht 'So machten es die Alten'. Wenn ich mir es recht überlege, klingt der Titel schon sehr verdächtig." Nun konnte sich Amazonius nicht mehr zurückhalten. Er lachte aus voller Kehle. "'So machten es die Alten' ist ein medizinischer Ratgeber, der sich auf das medizinische Wissen unserer Vorväter beruft. Und ich denke, daß es auch Ihnen nicht entgangen ist, daß bei manchen Behandlungen der eine oder andere Körperteil, also auch mal ein Bein, nackt zu sein hat. Da ist nichts Pornografisches, nicht mal etwas Anstößiges. Ihre anonyme Person sollte angezeigt werden, wenn sie bei so einem harmlosen Buch solchen Unsinn verzapft. Darf ich jetzt gehen?" Brösecke war recht unwohl zumute. Wieder mal war eine Untersuchung daneben gegangen. "Natürlich. Und ich hoffe Sie verstehen mich und nehmen mir das nicht persönlich übel? Ich muß jeder Anzeige nachgehen, das ist mein Job." Amazonius winkte nur ab und ging.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 49+1


    "Earl Edward Dietleib von Friesenbroich zu Würgingen!" Earl schreckte hoch. Diese Stimme kannte er doch. Nein, das war unmöglich, hierher konnte sie ihm nicht gefolgt sein. "Du denkst wohl, Du kannst Dich hier vor mir verstecken." "Mutter?" "Ja, ich bin es, Deine Mutter. Steht gefälligst auf, wenn ich mit Dir rede!" Earl zuckte hoch und versuchte sich gerade zu halten. Wie ist sie nur hier hereingekommen. "Ja, mein Sohn. Du denkst wohl, Deine schmierigen Kumpels können MICH aufhalten, eine von Friesenbroich! Was hast Du Dir nur wieder dabei gedacht, bei diesen verlausten, heruntergekommenen Individuen Unterschlupf zu suchen?" "Aber Mutter, das ist die Fremdenlegion. Wir kämpfen für die Unterdrückten und Gepei ..." "Papperlapapp. Halt den Mund, wenn ich Rede! Wie siehst Du überhaupt aus? Unrasiert, das Haar nicht gewaschen. Und diese Lumpen, die Du trägst. Du kommst sofort mit mir mit nach Schloß Bücklingen. Da werden wir wieder einen richtigen Menschen aus Dir machen." "Aber Mutter, ich kann doch hier nicht einfach so gehen.", bäumt Earl sich ein letztes Mal auf. "Doch, kannst Du. Ich hatte ein sehr nettes Gespräch mit Deinem Hauptmann. Und jetzt los!" Dabei packte sie seinen Arm und zerrte ihn aus der Baracke. Earl warf noch einen sehnsüchtigen Blick zurück.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel LI


    "Äggschn, hör mir auf mit Äggschn!", ereiferte sich Amazonius. "Die jungen Leute haben einfach keine Ahnung von gehaltvoller Literatur. Ständig kommen mir irgendwelche pubertierenden Knaben ins Geschäft und fragen nach einem Buch mit viel Äggschn. Und wenn ich sie dann beraten will, auch mal andere Sujets in Betracht zu ziehen, sind sie eingeschnappt, pöbeln rum und gehen zu Büchermäckes, dem Anbieter von schneller, leichter und vollkommen niveauloser Literatur. Also rede in meiner Gegenwart bitte nie wieder von Äggschn!" Amazonius ließ sein Gegenüber grummelnd stehen, ging in sein Büro, machte sich einen schönen heißen Tee und las das neueste Groschenheft von der Postkutschenstation.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel LII


    "Mac Geiwer, auf die Knie und schruppen. Die Fremdenlegion ist weltweit für ihre Sauberkeit bekannt. Bevor wir Dich Dreckfink überhaupt in die Welt hinaus schicken können, mußt Du noch Einiges lernen. Und mit der Reinigung des Appellplatzes fangen wir gleich mal an." Kaarl stöhnte und faßte die Bürste fester. Der Platz war etwa hundert Meter lang und hundert Meter breit. Wenn er pro Quadratmeter eine Minute bräuchte, hätte er den Platz bei ununterbrochener Arbeit schon in einer Woche fertig. Prima!
    Fünf Quadratmeter später stockte er kurz. Irgendwas lief hier schief. Nach weiteren zwei Quadratmetern wußte er auch was. Er schruppte mit einer winzigen Bürste auf Knien einen riesigen Platz. Was sollte das? Er war Kaarl Mac Geiwer. Er war schon aus mehr Kneipen rausgeflogen, als dieser windige Hauptmann je in seinem Leben besuchen würde, und kannte mehr dreckige Flüche, als der kleine Trompeter der Kompanie.
    OK, da stand er nun mit der Bürste mitten auf dem Platz. Was sollte er jetzt tun? Seine Mutter würde ihn wohl nicht rausholen, wie die von Earl es getan hatte. Die brachte bestimmt gerade irgendwo einen alten Knacker unter die Erde um ihn zu beerben. Sein Bruder würde ihm wohl auch nicht helfen. Aber halt mal? Bruder, Fremdenlegion, Sauberkeit? Da ließe sich doch was machen!
    Er rannte zur Schreibstube hinüber. "Herr Hauptmann! Darf ich zwischendurch wenigstens meinem schwulen Freund schreiben, das es mir hier gut geht, und ich viel Spaß mit den Jungs habe?" "Schwuler Freund?" Der Hauptmann schaute ihn entsetzt an. Man hörte förmlich die Dienstvorschrift in seinem Kopf rascheln. "Schwul?" Es war eine dicke Dienstvorschrift. "Schwuuul?" Und er war nicht der Schnellste. "Schwul!" Aber jetzt hatte er es. "Sie wollten wohl die Moral der Truppe untergraben? Verschwinden Sie mir aus meinen Augen!" "Aber der Appellplatz, Herr Hauptmann", sagte Kaarl ganz unterwürfig. Der Hauptmann lief rot an. "Raus! Den kann auch ein anderer Idiot putzen. Holen Sie Ihren Kram, und dann will ich Sie nie wieder sehen."
    Als Kaarl aus der Baracke zum Tor lief, scheuchte gerade Oberst von Krachloider den Hauptmann mit Putzzeug über den Appellplatz. Kaarl bewunderte die Effizient der Fremdenlegion. Idioten fand man hier an jeder Ecke.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel LIII


    "Uuuuaaaaah!" Kaarl schreckte entsetzt hoch. Von allen Seiten knurrte es, ein paar leere Flaschen landeten in seiner Nähe. "Verhalte Dich ruhig, sonst fliegste raus!", sagte der Kerl neben ihm und boxte ihm in die Rippen. Kaarl fand nur langsam seine Orientierung wieder.
    Er hatte gestern Abend auf seine wiedergewonnene Freiheit angestoßen. Dabei hatte er wohl etwas zu tief ins Glas geguckt. Als alle Kneipen geschlossen waren, wußte er nicht wohin. Einer seiner Zechkumpanen hatte ihn da wohl in dieses "Etablissement" mitgeschleift. Soviel er mitbekommen hatte, muß wohl die Stadt diese Räume zur Verfügung stellen, damit die Penner und Säufer nachts nicht auf den Straßen rumlungern. Nun lag er hier zwischen einigen Dutzend schnarchenden und stinkenden Gestalten. Er quälte sich langsam hoch und versuchte im Dunkeln über Körper stolpernd und fluchend bis zur Tür zu kommen. Vor der Tür schlug ihm die kalte Luft wie ein Hammer gegen den Kopf. Und er erinnerte sich an den Traum, von dem er hochgeschreckt war.
    Er hatte von einer fremden Welt geträumt. In dieser Welt wurden Männer wie Haustiere gehalten. Es gab sogenannten Männerhäuser, in denen man die alten, nutzlosen Männer, und die, die niemand mehr haben wollte, abgeben konnte. Männerfänger strichen durch die Straßen, fingen alle Männer ohne Frauchen oder Halsband weg und brachten sie ins Männerhaus. Da saßen sie den ganzen Tag in Käfigen und wurden einmal am Tag gefüttert oder gewaschen. Es gab in dieser Gesellschaft besonders großherzige Frauen, die selbst zwei oder drei Männer zu Hause hielten und trotzdem noch etwas für die Männer im Heim übrig hatten. Diese kamen ab und zu, holten einen von ihnen aus dem Käfig, kämmten ihn, gingen mit ihm spazieren oder sogar ins Kino. Ab und zu wurde mal einer von einer Frau für immer mit nach Hause genommen. Aber das Glück hatten nur die jungen, gesunden. Die alten saßen den ganzen Tag nur rum, starrten eine Wand an und heulten ein wenig vor sich hin. Sie verschwanden dann irgendwann auf nimmer Wiedersehen.
    Kaarl schüttelte sich bei dem Gedanken an diese Welt. Was für ein Alptraum! Während er noch darüber grübelte, hatte er plötzlich ein komisches Gefühl. Sein Bein wurde naß! Er sah an sich runter. Da war ein räudiger alter Kläffer, der ihm gerade ans Bein pinkelte. Er trat ihn zur Seite, murmelte was von Tierheim und latschte in Richtung Sonnenaufgang.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel LIV


    "Hallo Amazonius! Kann ich Sie kurz stören?" Amazonius blickte von seinen Listen auf zu Kriemhild. "Aber sicher, Mylady! Was kann ich für Sie tun?" "Eine Freundin hat mir von so einer neuen Literatur-Gazette vorgeschwärmt. Mit Buchvorstellungen, Prominenten-Interviews, Fortsetzungsroman und einem Rätsel. Und Sie wissen doch, ich liebe Rätsel. Aber meine Freundin wollte mir ihr Exemplar leider nicht leihen. Nun wollte ich Sie fragen, ob man auch bei Ihnen diese Gazette erwerben könnte." "Aber sicher, Mylady. Sie wissen doch, gute Literatur und alles was damit zu tun hat, bekommen Sie garantiert bei mir. Wenn Sie möchten, kann ich Sie auch auf die Abonennten-Liste für diese Gazette setzen. Dann bekommen Sie sie automatisch und verpassen kein einziges Rätsel mehr." "Ja, machen Sie es so. Vielen Dank!"
    Mit der aktuellen Ausgabe der Literatur-Gazette in der Hand verließ Kriemhild Amazonius' Laden. In der Kutsche begann sie gleich darin zu lesen. Und Amazonius wendet sich wieder den Listen zu, an denen er arbeitete, als Kriemhild hereinkam. Er erwartete für die nächsten Wochen einen Ansturm auf sein Nackenbeißer-Regal und wollte darauf adäquat vorbereitet sein. Also hieß es, die Vorräte entsprechend aufzustocken.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 55


    "Käpt'n, kommen Sie schnell auf die Brücke! Die bipeden, flüssigkeitsgefüllten Hautsäcke des Planeten, den wir zur Zeit umkreisen, haben gerade begonnen, uns mit primitiven Raketen zu beschießen. Was sollen wir tun?" "Keine Sorge, Männer, ich bin gleich bei Euch." Als Käpt'n Ah'b die Brücke erreichte, erglühten rund um das Schiff die Feuerbälle der Explosionen. Mit so einem Angriff hatten sie wirklich nicht gerechnet. Zu primitiv waren ihnen die einheimischen Arten erschienen. Die Fehleinschätzung sollte ihnen jetzt teuer zu stehen kommen. "Wir können hier nichts mehr anrichten. Durchstarten!", rief der Käpt'n. Im selben Moment krachte es im Heck des Schiffes. Das Schiff geriet ins Trudeln. Der Käpt'n übermittelte noch mit einer letzten Funkbotschaft an seine Heimatwelt eine Warnung vor diesem Planeten. – - -
    "Papi, da schau mal. Ein Raumschiff." "Peter, komm her und laß diesen Müll da liegen. Was andere weggeworfen haben, heben wir nicht auf. Komm, Du darfst auch den nächsten Böller anzünden."…

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 56


    "Also dieses Probebuch, das Sie mir gestern gegeben haben, ist mir vollkommen unverständlich. Was ist ein Raumschiff? Was sind Raketen? Sowas möchte ich nicht mehr lesen." Kriemhild gab das Buch Amazonius zurück. "Schade, Mylady! Mir wurde gesagt, das das ein sehr interessantes neues Genre wäre. Die jungen Leute sind recht begeistert davon. Wie kann ich Ihnen denn heute stattdessen helfen?" Kriemhild winkte ab. "Danke, aber ich habe im Moment genügend Bücher. Ich versuche dieses Jahr an einem Wettbewerb teilzunehmen, bei dem man mehr Bücher lesen als kaufen soll." "Das klingt aber sehr interessant, Mylady. Darf ich ihnen dazu diesen Ratgeber empfehlen 'Ohne Buchkauf entspannt durch den Tag'?" Kriemhild war schon auf dem Weg zur Tür. "Amazonius! Sie wissen doch, daß ich schnell schwach werde. Also führen Sie mich bitte nicht in Versuchung." "Ich werde es versuchen, Mylady. Aber ich möchte Ihnen dieses Exemplar des Ratgebers als Neujahrsgabe schenken." Kriemhild verließ seufzend und um ein Buch reicher Amazonius Geschäft. "Ob ich mein Ziel wohl dieses Jahr schaffen werde?"

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel a) 32, b) 56 oder c) 147?


    "Mylady, kommen Sie bitte zum Portal. Da steht eine komische Gestalt in einem weiten, zerknitterten Mantel und einem großen, spitzen Hut und meint, er müsse Sie unbedingt sprechen." Kriemhild eilte die Treppe hinab und war wenig später am Tor. "Ja, Sie wünschen?" "Danke, Gnädigste, daß Sie sich die Zeit für mich nehmen. Ich habe Ihnen Wichtiges über Ihre Zukunft zu berichten. Ich bin ein weit gereister und äußerst erfahrener Magier und kann aus den Eingeweiden der Tiere die Zukunft vorhersagen. Sehen Sie zum Beispiel hier diesen Spatzen. In seinen Gedärmen sehe ich das Geschehen der nächsten zehn Stunden. Mit Hilfe eines Hühnchens könnte ich zwei Tage in die Zukunft sehen, und wenn Sie mir gar ein Wildschwein geben würden, so verspreche ich Ihnen, erfahren Sie, was das nächste Jahr für Sie bringt." Kriemhild mußte grinsen. Zu Beginn eines jeden Jahres kamen immer irgendwelche komischen Gestalten, und wollten ihr ihre Zukunft vorhersagen. Natürlich ganz umsonst, nur um die Deckung ihrer Kosten bemüht. Dieser hier war offensichtlich ganz gerissen. Der Blick in die Zukunft lieferte ihm gleichzeitig seine nächste Mahlzeit. "Nein danke, ich bin nicht an Ihren Künsten interessiert. Aber ich kann Ihnen Ihre Zukunft vorhersagen." Der Magier schaute äußerst verdutzt. "Sie haben auch Erfahrungen in der weißen Magie?" "Nein, aber ich weiß, das Sie von dem Spatzen nicht satt werden." Und schlug dabei das Tor zu.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 58


    Der Haushofmeister klopfte vorsichtig an die Tür der Bibliothek. "Kommen Sie herein!", kam es von drinnen. "Ah, mein lieber Pippinow. Was wünschen Sie?" Kriemhild sah ihn erwartungsvoll an. "Naja, also, ähm, ich habe eine nicht so gute Nachricht zu überbringen.", wand der Haushofmeister sich. "Immer heraus damit!", forderte Kriemhild ihn auf. "Also,", holte Pippinow Schwung, "wir brauchen einen neuen Oberforstrat." Dann atmete er hörbar aus. Kriemhild sah ihn gelassen an. "Ist der auch wieder von den Borkenkäfern befallen worden wie sein Vorgänger?" "Nein, Mylady." "Ah!", Kriemhild stand auf, "hatte ich also doch recht, und die Lackierung war hautunverträglich. Lasse er mir den Apotheker rufen, der mir diese angeblich borkenkäferabweisende Hautversiegelung verkauft hat." "Nein, nein, Mylady. Der Lack war es auch nicht." "Na, was denn dann?" Kriemhild wurde langsam ungeduldig. "Bei der Durchsuchung seines Hauses fand man heraus, das der Oberforstrat Holzschnaps heimlich selbst gebrannt hat. Die letzte Charge war offensichtlich so aggressiv, das man nur noch seine lackierte Haut gefunden hat. Sie saß, noch mit dem Glas in der Hand, in seinem Keller. Er sah wie eine flüssigkeitsgefüllte Glaspuppe aus, hat man mir gesagt." "Halt!", rief Kriemhild, "Das reicht! Sie müssen nicht noch mehr ins Detail gehen. Sie wissen doch, das ich einen empfindlichen Magen habe. Also suchen Sie so schnell wie möglich einen neuen Forstrat. Diesmal möglichst einen Abstinenzler." "Und was sollen wir mit den Resten vom alten Forstrat machen?" "Spenden Sie die diesem Herrn H.A. Gens, der diese komische Leichenwanderschau hat, die vor kurzen hier in der Gegend war. Und den Holzschnaps können Sie ja an den Apotheker als Lösungsmittel verkaufen."

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 59


    "Was ist denn hier los? Ich kann doch nicht so viel dicker geworden sein in letzter Zeit." Irgendwie war Kriemhilds Leibchen nicht mehr so groß, das Kriemhild in ihrer Gänze hineingepaßt hätte. Und das gerade bei ihrem Lieblingsleibchen. "Zofe! Komme Sie sofort her!" Kriemhilds Zofe war schnell zur Stelle. Als sie Kriemhild da so halb bekleidet stehen sah, mußte sie sich ein Grinsen verkneifen. "Kann Sie mir erklären, was mit meiner Leibwäsche passiert ist?" Der Zofe schwante Schlimmes. "Mylady, Eure Wäscherei hat eine neue Trocknerin angestellt. Ein ganz junges Mägdelein. Ich befürchte, sie hat Eure Leibwäsche zu lange in der Sonne trocknen lassen. Dabei muß sie wohl eingegangen sein." Kriemhild gab einen erleichterten Seufzer von sich. War sie also doch nicht dicker geworden. Der Nachmittagskuchen war gerettet! "So bringe Sie mir etwas von der neuen Wäsche, die ich letzte Woche in der Stadt gekauft habe." Die Zofe wurde rot. "Entschuldigen Sie Mylady. Diese habe ich gleich, nachdem Sie sie gekauft hatten, auch erst einmal in die Wäscherei gegeben. Man weiß ja nicht, ob sich die Schneider vor ihrer Arbeit die Hände ordentlich waschen. Nur leider ist in der Wäscherei der Stein kaputt gegangen. Jetzt wartet man erst noch auf den Ersatz." "Ja soll ich denn ohne Leibwäsche durch die Gegend laufen?" Die Zofe zuckte die Schultern. "Ich weiß es nicht, Mylady." Da kam Kriemhild die richtige Idee. "Gut, dann bleibe ich heute den ganzen Tag im Bett. Bitte bringe Sie mir meine Lektüre und ein Glas Tee in mein Schlafzimmer. Und kümmere Sie sich, das ich wenigstens Morgen etwas zum Anziehen haben werde." "Jawohl, Mylady."

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

    Einmal editiert, zuletzt von BigBen ()

  • Kapitel 60


    Fräulein von Roorstokks Stimme war nur noch ein raues Flüstern. Jeder, der sie kannte, wußte, das es jetzt am Besten wäre, mindestens im nächsten Ort zu sein, noch besser wäre der übernächste. Der Mann vor ihr auch. Aber was sollte er machen. Sie war seine Chefin, und er wollte etwas von ihr.
    "Sie haben also von Zahlen die Nase voll, Herr von Monoriez? Verstehe ich Sie richtig?" "Ähm, also", er schluckte einen großen Kloß hinunter, "wenn Sie es so formulieren wollen, und ich es mir noch einmal so recht überlege, und bei der Berücksichtigung aller Umstände, wenn man alle Eventualitäten einbezieht..." "Kommen Sie auf den Punkt!" Die Falte zwischen Fräulein von Roorstokks Augen wurde noch etwas tiefer. Herr von Monoriez holte tief Luft und stieß heraus:" Ja, ich will nichts mehr mit Zahlen zu tun haben!" "Und wie stellen Sie sich das vor? Was sollte ich da machen können?" "Naja, ich weiß ja auch nicht so recht.", wand er sich auf dem Stuhl. "Sie sind der Oberlehrer für Mathematik dieser Einrichtung! Mathematik ohne Zahlen. Wollen Sie mich veralbern?" Eine kurze Pause entstand. "Nein, ich meinte ja nicht Mathematik ohne Zahlen. Aber könnte ich nicht was ganz anderes machen? Gar keine Mathematik mehr."
    Fräulein von Roorstokk lehnte sich in ihrem Thron zurück. Und überlegte kurz. "Gut. Mir ist im Augenblick eine Lehrkraft für Literatur ausgefallen. Für die nächste Zeit können sie das übernehmen." Von Monoriez atmete auf. "Geben Sie sich aber keinen falschen Hoffnungen hin. Sie sind und bleiben Mathematiker. Das ist nur eine Pause." Von Monoriez sackte wieder zusammen.
    "Sie können jetzt gehen. Und überlegen Sie sich, ob Zahlen wirklich das eigentliche Problem sind."
    Als von Monoriez das Zimmer verließ, sah er noch wie Fräulein von Roorstokk sich seufzend über die monatlichen Schulstatistiken beugte.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 61


    "Verstehe ich sie richtig? Sie wollen herausgefunden haben, daß sie mit Buchstaben auch mehr nicht zurechtkommen?" Fräulein von Roorstokk blickte Herrn von Monoriez tief in die Augen. "Dann bleibt ja wohl nicht mehr viel übrig.", sagte sie mit einem gewissen Sarkasmus in der Stimme. "Keine Zahlen mehr, keine Buchstaben mehr. Kann es sein, daß sie auf meinen Job spekulieren?" fauchte sie. Herr von Monoriez zuckte kurz zusammen, schaute dann aber eher verdutzt. Als er nach einigem Räuspern seine Stimme wiedergefunden hatte, meinte er so unterwürfig, wie er nur konnte: "Nein, natürlich nicht. Niemand kann diese Einrichtung so wie sie leiten." Er schluckte noch einen Kloß hinunter. "Eigentlich schwebte mir da was ganz anderes vor. Und mit Schweben bin ich schon beim Thema. Ich würde gerne die Ballettklasse übernehmen." Damit war es heraus! Und es zeigte sich, daß auch Fräulein von Roorstokk verdutzt gucken konnte. "Sie im rosa Fummel? Das meinen sie doch nicht ernst?" "Doch, doch. Ich habe mir sogar schon alles besorgt, was ich für den Unterricht bräuchte. Bitte, geben sie mir eine Chance!" Die Stille lastete schwer zwischen ihnen. "Na gut, ich gebe ihnen eine Chance. Aber vermasseln sie es nicht. Sonst können sie bei mir vortanzen." Fräulein von Roorstokks Grinsen ließ keinen Spielraum für Interpretationen.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Das Kapitel, das nicht Kapitel 62 sein wollte


    "Suchen Sie etwas vor meiner Tür? Ist ihnen etwas heruntergefallen?" Fräulein von Roorstokk war nicht sehr erfreut, Herrn von Monoriez schon wieder zu sehen. "Nein, nein. Ich habe nur ein Problem mit meinem Rücken und kann mich nicht mehr richtig aufrichten." "Aber deswegen kommen sie wohl doch nicht zu mir?" "Indirekt schon", antwortete Herr von Monoriez. "In meiner ersten Ballettstunde probten wir den sterbenden Schwan. Alles lief anfangs recht gut. Aber dann hat ein 120-Kilo-Schwan meinem Rücken den Rest gegeben." Fräulein von Roorstokk grinste schadenfroh. "Aha, und was hat das mit ihrem Hiersein zu tun?" "Ich wollte sie bitten, mich wieder als Lehrer für Mathematik einzusetzen. Das ist wohl meine Berufung." Der Fatalismus in der Stimme des Herrn von Monoritz war nicht zu überhören. "Das muß ich mir noch einmal in Ruhe überlegen. In letzter Zeit waren sie mir etwas zu sprunghaft und wetterwendisch." Herr von Monoriez schaute sie flehend an. "Bitte, geben sie mir noch ein einziges Mal eine Chance. Ich werde sie nicht enttäuschen." Fräulein von Roorstokk ließ lange auf eine Antwort warten. Diesmal kam er ihr nicht so billig davon. Endlich kam ihr der richtige Gedanke. "Na gut. Aber ich habe gleich ein mathematisches Problem für sie." Herr von Monoriez konnte sein Glück kaum fassen. Ungeduldig fragte er: "Welches schwierige Problem kann ich für sie lösen?" "Es geht um eine Halbierung." "Halbierung?", frage Herr von Monoriez etwas dümmlich dreinschauend. "Ja, eine Halbierung. Machen sie aus dem 120-Kilo-Schwan einen 60-Kilo-Schwan."

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Das Kapitel, das gerne Kapitel 62 geworden wäre, aber zu spät kam


    "Mylady, warten sie, bitte. Bevor sie gehen, muß ich ihnen noch diese Unterlagen hier übergeben." Mit diesen Worten hielt Amazonius Kriemhild einen Stapel Papier entgegen, hinter dem er vollständig verschwand. "Was soll ich damit?", fragte Kriemhild irritiert. Amazonius antwortete, da der Stapel langsam schwer wurde, stöhnend: "Das sind die eidesstattlichen Erklärungen der Autoren und Verlage der Bücher, die sie in letzter Zeit gekauft haben, daß jegliche Art von Humor und Ironie in diesen Werken unbeabsichtigt war, und somit nicht den neuen Bestimmungen der zentralen Kontrollinstanz unterliegt." Kriemhild schaute ziemlich irritiert. "Eidesstattliche Erklärungen? Kontrollinstanz? Ich verstehe kein Wort." Amazonius ließ den Stapel einfach fallen. Nachdem sich die letzten Blätter dieses Papiertornados gelegt hatten, sagte er: "Ich habe mir das nicht ausgedacht. Aber ich muß jetzt jedem Buch, das ich verkaufe, die entsprechende Erklärung beilegen, damit ich später, falls der Leser schmunzelnd, grinsend oder gar lachend angetroffen wird, nicht zu Rechenschaft gezogen werde." Kriemhild griff sich eines der am Boden liegenden Blätter und fragte: "Und was geschieht, wenn man über die eidesstattliche Erklärung selbst lachen muß?" Amazonius sah sie ratlos an.

    Eidesstattliche Erklärung des Autors: Dieser Text ist vollkommen ernst gemeint. Jede Form von Ironie oder Humor war nicht beabsichtigt und entsteht, falls sie doch auftritt, erst durch die Verarbeitung des Textes durch den Leser in dessen Kopf und kann somit dem Autor nicht zur Last gelegt werden.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Das Kapitel, das die Probleme von Kapitel 62 und 63 nicht verstehen kann, da es gern Kapitel 64 ist


    Endlich! Der Aufwasch war geschafft, das Silber poliert und der Herd geputzt. Luise trocknete sich die Hände an ihrer Schürze ab und schaute dabei aus dem Fenster auf den Hof. Da stand er wieder. Der neue Knecht. Ein Bild von einem Mann. Mit freiem Oberkörper war er gerade dabei, Holz für den Winter zu zerkleinern. Sein rotes, langes Haar wehte im Wind und die Sonne spielte auf seinen Muskeln. Wie gern würde Luise einmal in diesen starken Armen einschlafen. Aber wie sollte sie es nur anstellen, das er auf sie aufmerksam würde? Gedankenverloren wischte sie die saubere Arbeitsplatte noch einmal sauber. Da kam ihr die Idee. Sie schnappte sich einen Krug, füllte ihn mit frischem, klaren Wasser und stürmte auf den Hof. An der Schwelle zögerte sie, als sie der Mut verließ. Aber er hatte sie schon gesehen. Sein sanftes Lächeln legte sich wie ein seidenes Tuch um sie, und seine blauen, strahlenden Augen zogen sie magisch an. Wortlos stand sie vor ihm und reichte ihm verlegen zu Seite blickend den Krug. Endlich griff er zu. Seine kräftigen Hände legten sich um ihre Hüften. Erschrocken ließ sie den Krug fallen. Sie wollte davon, um seinen Bannkreis zu verlassen. Doch es war zu spät. Sie war Wachs in seinen Händen. Sanft strich er eine Locke hinter ihr Ohr und schaute ihr dabei tief in die Augen. Seine weichen Lippen suchten ihren Mund. Als ihre Knie nachgaben, war sie sein. Er sollte sie haben, sie besitzen.
    "Was für ein Unfug!" Kriemhild legte das Buch zur Seite und griff nach ihrer Teetasse. Frauen sind doch keine muskelfixierten Dummchen, spottete sie leise vor sich hin. Komisch war dabei nur, das sie plötzlich an Earl denken mußte. Wie lange hatte sie schon kein Mann mehr in seine starken Arme genommen. Kriemhild seufzte und spielte gedankenverloren mit dem Medaillon, das Earls Bild enthielt. Dabei fiel ihr Blick aus dem Fenster...

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 65


    Eine Bewegung am Horizont hatte Kriemhilds Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Nach einigen Augenblicken konnte sie einen Reiter erkennen. Er kam schnell näher. Als er an der Mauer ihres Schlosses vorbeiritt, konnte sie erkennen, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Es war das lange, rote Haar des Reiters, das im Wind flatterte. Das mußte wohl der junge Graf sein, über den alle sprachen. Er soll vor kurzem das verfallene Schloß von Lord Redstone gekauft haben. Red, rot, rotes Haar. Kriemhild war ganz in seinem Anblick versunken.
    "Mylady!" Kriemhild schreckte hoch, als ihre Zofe sie ansprach. "Was gibt es?" Kriemhild versuchte sich zu sammeln, aber ein wenig Sehnsucht war noch um ihre Augen zu erkennen. "Ich wollte nur fragen, wie Ihnen das Buch gefällt, das ich Ihnen geliehen habe?" "Ach ja, das Buch.", Kriemhild war wieder ganz in der Realität angekommen. "Das Buch erscheint mir sehr unrealistisch. Ich denke, ich werde es Dir gleich zurückgeben." "Aber Mylady, lassen Sie sich nicht vom Anfang täuschen. Es enthält einige unerwartete Wendungen." "Na gut, ich gebe ihm noch eine Chance. Aber nur Dir zu liebe." Die Zofe knickste dankend und fragte: "Soll ich Ihnen noch etwas frischen Tee bringen?" "Nein, ich brauche vorerst nichts weiter. Du kannst gehen." Kriemhild griff wieder zu dem Buch und versuchte die Stelle wiederzufinden, an der sie aufgehört hatte zu lesen.
    Er sollte sie haben, sie besitzen. Da lockerte sich sein Griff...

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001