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    Aus der Amazon.de-Redaktion
    Ada ist mit 12 Jahren auf erschreckende Weise erwachsen geworden. Vor zwei Jahren nämlich hat die hochintelligente Schülerin, neu am Bonner Ernst-Bloch-Gymnasium und im Unterricht gern in die Rolle der Lehrerin schlüpfend, beschlossen, alles als „gleich gültig“ anzusehen. Nur der Sport- und Deutschlehrer Smutek und Höfi, der Geschichtslehrer, können ihr Paroli bieten. Aber dann kommt der ebenso attraktive wie kluge Halbägypter Alev ins Spiel, dem alle „Prinzessinnen“ der Schule zu Füßen liegen. Ada und Alev scheinen wie geschaffen für ein Experiment jenseits moralischer Konventionen, bei dem es vor allem um die gleichberechtigten Startanlagen der Teilnehmer geht. Das intellektuelle Kräftemessen beginnt -- und weitet sich bald zu einer Obsession. Aber wer hält die Fäden in der Hand? Wie kann man Realität und Fiktion auseinanderhalten? Und: Gibt es eine Möglichkeit auszusteigen?


    Ada, so hieß schon einmal die (12-jährige) Heldin eines Buchs, in dem es um Spieltriebe in Internatsumgebung ging: um erotische Spiele, aber auch um solche mit Form und Inhalt. Ada oder Das Verlangen heißt dieses Buch, und der Meister adoleszenter Erotik, Vladmir Nabokov, hat es Ende der sechziger Jahre geschrieben. Ada erscheint darin als „anmutiger Computer“, dem der „Wortzirkus“ das größte Vergnügen bereitet. Und tatsächlich ist ADA ja auch der Name einer raffinierten, zur Strukturprüfung anderer Programme verwendeten Programmiersprache: unbewusst durchschauend und „intelligent dumm“ wie die Protagonistin von Zehs Spieltrieb eben. Auf beide Traditionen spielt Zehs Roman mehr als deutlich an: auch dies Teil einer intertextuellen Strategie, die das Buch um eine weitere Nuance bereichert.


    All diese Ebenen hat Zeh auf eine faszinierend konsequente, atmosphärisch überaus dichte Weise zu einer philosophischen Pubertätsgeschichte mit Liebes- und Krimielementen miteinander verwoben. Und sie hat dies so spielerisch leicht getan, das ihr faszinierender Roman auf hohem Niveau bestens, teils sogar vergnüglich lesbar geblieben ist. --Thomas Köster --


    Kurzbeschreibung
    Die atemberaubende Geschichte einer obsessiven Abhängigkeit zwischen einer Schülerin und einem Schüler, Ada und Alev, aus der sich erst die Bereitschaft, dann der Zwang zu Taten ergibt, die alle Grenzen der Moral, des menschlichen Mitgefühls und des vorhersehbaren Verhaltens überschreiten. Die beiden jungen Menschen wählen sich ihren Lehrer Smutek als Ziel einer ausgeklügelten Erpressung. Sie beginnen ein perfides Spiel um S.e.x., Verführung, Macht.


    „Bewundernswert.
    Ulrich Greiner, Die Zeit


    "Juli Zehs Roman ist in einer erschreckend genauen, an Robert Musil geschulten Sprache geschrieben."
    Der Spiegel


    "Ein abgründiger Pubertätsroman, eine subtile Zerstörungsgeschichte, eine Studie über die Versuchungen des Nihilismus in den Zeiten der Postmoderne."
    ORF


    Über den Autor
    Julia Zeh, 1974 in Bonn geboren, Jurastudium in Passau und Leipzig, Studium des Europa- und Völkerrechts. Längere Aufenthalte in New York und Krakau. Inzwischen vielfach preisgekrönt, lebt Juli Zeh heute in Leipzig.



    [edit 11.09.06]
    hab das Buch nun gelesen. Meinung etc. zur Vervollständigung der Rezi habe ich unten beigefügt

    :leserin: Ozzy Osbourne - I Am Ozzy<br /><br /><br /><br />Never trust anything that can think for itself, if you can&#39;t see where it keeps its brain

    Einmal editiert, zuletzt von read_myself_into_paradise ()

  • Magst Du auch noch kurz Deine eigenen Eindrücke dazu schildern?


    Das Buch hat mich schon öfter angelacht, bisher habe ich es aber noch nicht in die Finger bekommen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • ich hab es erst neulich bestellt, hab es leider noch nicht gelesen.
    eine lehrerin von mir hat es mal erwähnt, weil sie auf einer lesung war.

    :leserin: Ozzy Osbourne - I Am Ozzy<br /><br /><br /><br />Never trust anything that can think for itself, if you can&#39;t see where it keeps its brain

  • Hallo,


    Juli Zehs Einstiegsroman "Adler und Engel" hat mich einfach vom Hocker gerissen, eine absolute fesselnde Geschichte, die Abgründe der menschlichen Seele zeigt.


    Mit diesen Erwartungen habe ich mir "Spieltrieb" zur Brust genommen, das Buch ist nicht schlecht, es liest sich flüssig und wirft Gedanken auf. Für mich alles in allem dennoch etwas enttäuschend. An manchen stellen einfach zu flach und für meinen Geschmack zu vorhersehbar.


    LG Juni

  • Hallo allerseits,


    Adler und Engel war echt ein Hammer, da sind die Erwartungen beim Nachleger halt ziemlich hoch.
    Aber Spieltrieb ist auch nicht schlecht, halt nicht so paranoid wie Adler & Engel, etwas kühler, aber durchaus lesenswert.
    Juni: Ich fand auch, dass es zwischendurch etwas "hing".


    Von Juli Zeh gibt es übrigens ein weiteres Buch, zeitlich zwischen den zweien, es heißt: Die Stille ist ein Geräusch. Eine Fahrt durch Bosnien.
    Auch sehr interessant, aber eher dokumentarisch.
    http://www.stille-ist-geraeusch.de/


    Grüße von Mrs. Dalloway :winken: [/i]

  • Da ich Adler und Engel auch sehr gut fand, steht Spieltrieb schon länger auf meiner Wunschliste. Wollte nur noch auf die TB-Ausgabe warten, die - wie ich sehe - diesen Monat endlich erschienen ist. Und da eure Kritiken doch recht gut ausfallen, wird es wohl bald den Weg in mein Bücherregal finden. :breitgrins:


    @ Mrs. Dalloway
    Was genau kann ich mir denn unter Die Stille ist ein Geräusch vorstellen? Bisher hat mich die Tatsache, dass es scheinbar kein "richtiger" Roman ist, vom Kauf abgehalten. Vielleicht kannst du mich da etwas aufklären.

  • Buch noch nicht gelesen, aber ich war gestern in Tampere, Finnland auf einer Lesung von Juli Zeh.. Sie las aus Spieltrieb und hat mich total verzaubert! :breitgrins:
    Total sympathische Frau mit tollen Ansichten und einer wunderbaren Stimme, ich hätte ihr tagelang zuhören können!
    Das Buch habe ich zufällig nach Finnland mitgenommen und werde es bald lesen, sie hat mich gestern total von sich überzeugt.

  • Habe das Buch nun gelesen, hier die Vervollständigung meiner Rezi:


    Meine Meinung:
    Nun, was soll ich sagen, das Buch hat mich von Anfang an gepackt. Zuerst wollte ich es gar nicht lesen, weil es mir im Moment zu dick erschien und ich glaubte, keinen Nerv für ca. 600 Seiten zu haben, aber dann hab ich angefangen und es nicht bereut. Der einzige Nachteil bei solch dicken Büchern: Man kann sie nicht immer in einem Rutsch durchlesen.
    Spieltrieb verkörpert für mich nicht unbedingt einen Jugendroman, wie man anfangs vielleicht annehmen könnte, da es um Jugendliche geht. An manchen Stellen "hing" es ein bisschen, weil mir die Beschreibungen zu lange dauerten, aber ansonsten war ich restlos begeistert. Mir fehlen auch nach wie vor irgendwie die Worte dafür. Es regt auf jeden Fall zum Nachdenken an und hinterlässt ein Gefühl, alles, was gesagt wurde, verstanden zu haben und doch gleichzeitig keine Ahnung zu haben, um was es tatsächlich ging. Ein sehr seltsames Buch, seltsam im positiven Sinne. Für mich hat sich die Anschaffung wie auch die hineingesteckte Lesezeit wirklich gelohnt und ich fand es schade, dass es nach ca. 600 Seiten "schon" zu Ende war.


    Meine Lieblingszitate:
    - Die Fremdheit der Menschen ist allumfassend
    - Die Gegenwart ist nichts als zukünftige Vergangenheit
    - Wir müssen glücklich sein. Wir sind aufs Glück verpflichtet, es steht in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu unseren Geburtsurkunden


    Meine Wertung:
    5ratten

    :leserin: Ozzy Osbourne - I Am Ozzy<br /><br /><br /><br />Never trust anything that can think for itself, if you can&#39;t see where it keeps its brain

  • Ich war total begeistert von dem Buch.In dem Moment, als ich den letzten Satz las wusste ich, dass ich das Buch noch ein zweites und drittes Mal lesen werde. Ganz sicher! Weil es auf jeden Fall seltsam ist und genau wie schon beschrieben wurde, man weiß alles - versteht aber wahrscheinlich nicht mal die Hälfte ganz genau! Zusätzlich ist die sprache von Juli Zeh einfach der Hammer. Ich habe auch schon nur ihren Sprachstil genossen. Genau zutreffende Metaphern - die waren klasse!


    Ich habe erst danach Adler und Engel gelesen, welches mir auch sehr sehr gut gefallen hat. Aber ich finde außer dieser Grundlage der Bücher der skurilen Persönlichkeiten sind die Geschichten an sich nicht miteinander vergleichbar!
    Ich bin schon nach Spieltrieb ein Juli Zeh Fan geworden!! Auch wenn ich nach zwei hintereinander gelesenen J.Z. Romanen erstmal eine kleine Abwechslung, leichte Lektüre zum Abschalten gebraucht habe!


    Doch, für mich eine Top Schriftstellerin!

    &quot;Lesen war ein Zustand, in dem die Zeit verstrich, weil sie nicht anders konnte, während Adas Verstand in Nahrung eingelegt wurde, so dass seine hektische Gier in ein gleichmäßiges Einsaugen und Verwe

  • Den folgenden, etwas umfangreicheren Artikel habe ich geschrieben nach einer Besprechung des Romans "Spieltrieb" von Julie Zeh. Die Lektüre des Romans hat mich geärgert, und ich habe den Artikel an Ulrich Greiner geschickt, der meinte, ja, man könnte das so sehen, in der Süddeutschen habe Ähnliches gestanden, aber er halte das Buch für bedeutsam. Als nun meine Tochter auch von der Buch zu schwärmen anfing, fasste mich gelinde gesagt das Grauen. Gerade nach der Lektüre eines wirklich gut geschriebenen Romans wie Jan Siebelinks "Im Garten des Vaters" (eine Rezension habe ich in das Forum gestellt) fallen die Schwächen des Spieltriebs ins Auge. Was ich geschrieben habe ist, gewiss auch überzeichnet und zum Teil recht unsachich, ein Verriss. Inzwischen gibt es ein neues Buch von Frau Zeh, das ich mir aber, nach der Lektüre der ersten Seite in der Buchhandlung, nicht kaufen werde.


    "Der Criticus tut sich nicht als Weltenrichter auf. Er haßt, was ihn wurmt. Er liebt, was ihn lockt. Und sagt es."
    Alfred Kerr



    Erweiterte Fassung für die ZEIT (wurde nicht abgedruckt)[/u]



    In dem neuen „Reclam Buch der deutschen Literatur“ von Volker Meid, aus dem auch das obige Zitat von Alfred Kerr stammt, wird der Literaturkritik die Funktion der Vermittlung zwischen Literatur und Leser sowie der Orientierung des letzteren auf dem „höchst unübersichtlichem Markt“ angeraten. Allein um dem im Sinne einer eingebildeten Öffentlichkeit gerecht zu werden, bedürfte es eines gut gepolsterten Größenwahns, einer nicht haltbaren Objektivierung dessen, was als ein primär Subjektives sich nur mit Gewalt versachlichen ließe oder einer Dreistigkeit im Dekretieren dessen, was gut oder weniger gut lesbar sei, dass mir als im Dienst an der Literatur grau gewordenen Liebhaber derselben jene Kritik am bekömmlichsten erscheint, die der je eigenen Verfallenheit oder Abgestoßenheit des sie produzierenden vom Objekt der durch Lektüre zu befriedigenden Begierde gar nicht erst zu entkommen trachtet. Das war noch mal ein Satz, der das Kurzzeitgedächtnis fordert. Die Fetischisierung der einer historischen Lebenswelt geschuldeten Beziehung zwischen Ich und Du, zwischen Autor und Leser vermittelt über symbolische Formen (Ernst Cassirer) im Werk führt zu jener Härte und Kälte, die noch jedem Kanon von Klassikern, die zu Monumenten erstarrten, anhaftet.
    Es geht beim Kritisieren um Leidenschaften wie Hass und Liebe, aber nicht, wie wir sehen werden, um jene sanfte rosarote Lieeeehhbe, die es mit der Zärtlichkeit und Sanftheit hat (pervers wie Kuschelrock), bei der die Säfte aufhören zu fließen, die Gegensätze sich verwischen, so dass ich sie schlicht als fades Gesülze oder romantisches Geseiche bezeichnen möchte.
    Für die Sprache des Kritikers lässt sich daraus die Forderung nach einer persönlichen, das rauhe (das h lasse ich mir nicht von der Reform wegverordnen) Wort der Umgangssprache nicht meidendenden Diktion ableiten, denn nichts ist der Leidenschaft eines Liebhabers abträglicher als jenes vernünftige journalistische Geschwätz mit seiner vorgeblich abgeklärten Nüchternheit, das die Feuilletons so langweilig und die „literaturen“ so zahnlos macht. Die Logik der Schwiegermütter in spe ging noch selten mit derjenigen der Liebhaber kondom. (Ein Wort, bei dem Lektoren zuschlagen) Hinter den Journalisten und Journalistinnen, denen in den Jahren ihrer Praxis jede persönliche Note ausgetrieben wurde, stehen Redakteure, die, im Wissen um die mittlere Geschmackslage der Kulturnation, einer Fiktion, an der sie verbissen festhalten, jede peinliche oder anstößige Äußerung eines Schreibenden raussäubern. Wieweit die Zensur (das Wort stammt wie auch das Wort Rezension von lat. censere: begutachten, schätzen, taxieren) des guten Geschmacks, der verordneten Distanz zu dem, was die Leidenschaften ja durchaus erhitzen soll, bereits wirkt, ist mir klar geworden, bei dem Beispiel, an dem ich im Folgenden das Versagen der gegenwärtigen Literaturkritik erhärten möchte: an meinen Ausfällen der unfeinen Art gegen Julie Zehs von Ulrich Greiner in der ZEIT hochgelobten Roman „Spieltrieb“.
    Dass ein Autor, ohne von dem oder den Kritikern im Rahmen ihrer Möglichkeiten deutlich vernehmbar verdonnert zu werden, einen Roman über den Tod eines Kritikers schreibt, verweist auf die Zahnlosigkeit der Kritiker und die Macht und Arroganz von Autoren, die es nicht mehr nötig haben, um die Gunst der Verlage und Leser zu buhlen. Dem altgedienten Großkritiker mögen einige Fehlurteile unterlaufen sein – was ihn aber von vielen Rezensenten unterscheidet ist die Leidenschaftlichkeit mit der er die Illusion bekämpfte, es ließe sich emotionslos über schleche Literatur schreiben. Eine Literaturkritik, die es kaum noch zu Verrissen bringt, gerät in den Verdacht der Kumpanei mit den Verlagen oder Produzenten.


    Was ich vermisse, sind die Verrisse!


    Die einzelnen Fassungen meiner Attacken, in der ersten Rage über den Stil des Buches der Zeh sicher überzogen, befinden sich noch auf der Festplatte, und es wird mir beim Wiederlesen klar, wie sehr ich im Sinne einer Selbstzensur mich daran gemacht habe, die Aggressivität des ersten Entwurfs nach und nach zu entschärfen. Die Leidenschaft, das, was mich an dem Buch abstieß, was mich so sehr wurmte, dass ich es zeitweise nicht mehr lesen konnte und es in die Ecke feuern wollte, verflüchtigte sich bis hin zu dem, was Sie gerade gelesen haben. Denn die schalen, bekömmlichen Weisheiten sind nichts anderes als der verschnörkelte Rahmen, in dem sich die Wildsau als Schweinchen Schlau veredeln möchte auf dem Weg zum röhrenden Hirsch überm Bett des Ehepaares, dem der gute Fick (Wie bitte?) nur noch Erinnerung ist. Ähnlich gestaltet sich auch das Verhältnis, was ja immerhin mehr ist als eine „Beziehung“ zwischen Kritiker und Leser. In Frieden ruhen sie beieinander.
    Wo das Gerede über gute und schlechte Bücher zu abgeklärt und vernünftig wird, wird es unverünftig und verschleiert mehr als es enthüllt. „Ein anregendes Buch – eine Speise, die hungrig macht“ Diesem Aphorismus der als Erzählerin viel zu wenig geschätzten Marie von Ebner-Eschenbach hätte der junge Brecht in seinem Kampf gegen die kulinarische Kritik von Alfred Kerr gewiss widersprochen.
    Doch nun meine Auslassungen zum Spieltrieb in einer mittleren Fassung. Inzwischen hat mich jemand darauf hingewiesen, dass es auch weniger positive Äußerungen über den Zeh-Roman als die von Ulrich Greiner, die ja bei mir zum Kauf des Buches führten, gäbe. Für das Folgende jedenfalls spielten sie keine Rolle. Hier geht es darum, sich abzureagieren:





    Literatur der Generation Pisa


    Immer wieder, aber mit zunehmendem Alter seltener, fällt der eifrige Leser auf Rezensionen herein, die ihn dazu veranlassen, sich ein neu erschienenes Buch zu kaufen, anstatt auf die Zeit zu setzen, mit deren Vergehen viel momentan hochgerühmtes wieder verschwindet oder als Taschenbuch oder im Ramsch sich zu bewähren hat. Den letzten großen Reinfall verschaffte mir die im Zeitgeist dahindümpelnde ZEIT mit einem Artikel von Ulrich Greiner über den neuen Roman „Spieltrieb“ von Julie Zeh. Bevor ich auf dieses kaum lesbare Schwachwerk näher eingehe, möchte ich lieber über bessere Bücher schreiben und auf drei geschätzte Autoren hinweisen, die zu Unrecht vergessen wurden und deren Bücher kaum noch erhältlich sind.
    Wie viele Bücher gibt es, die es offiziell nicht gibt? Grad lese ich in dem intelligenten Roman „Candit und die Anarchisten“ von Bernd Grashoff, in dem es um die Entführung von FJS (Franz Joseph Strauß) geht. Ein Privatdruck nur für den Freundeskreis der davids drucke, limitierte, nummerierte (mein Buch hat die Nummer 274) Ausgabe. Nicht im Buchhandel! Nicht zitierfähig! Das hat es gegeben im Jahr 1978 in Göttingen. Dem Internet entnehme ich, dass Grashoff in den letzten Jahrzehnten vor allem Hörspiele veröffentlicht hat. In den Literaturgeschichten der BRD taucht er nicht auf. Weder in der „Gegenwartsliteratur seit 1969“ herausgegeben von Klaus Briegleb und Siegrid Weigel noch in Ralf Schnells „Geschichte der deutschsprachigen Literatur seit 1945“ wird er erwähnt. Ebenso ergeht es Wolf Klaussner, dessen Riesenroman immer noch nicht erhältlich ist und Gert Müller-Fehn, dessen Ödipus nur antiquarisch in der Ausgabe des Moorburg Verlages nur mühselig noch zu erstehen ist.
    Derweil unterschreibt der großdeutsche Opferautor in Gemeinschaft mit Bonzen von Unternehmensverbänden, dass er, obwohl bereits Nobelpreisträger, doch auch noch irgendwie, wie das andere Gesocks auch, zum Volk, zum Volk, zum deutschen Volke gehöre. Der Schlag soll das Pack allesamt gerichtlich nicht verwertbar beim, na ja, eben dabei treffen.
    Den Candit hatte ich also beendet, ein vortrefflich geschriebenes Buch.
    Da ich beschlossen habe, mich aufgrund der Weltenlage immer fester und inniger um den letzten noch verbliebenen Verstand zu lesen, wird jetzt stracks weiter gelesen. Zunächst das gute Buch von Yoram Kaniuk („Der letzte Jude“, in dem auch einiges über einen deutschen Großschriftsteller zu erfahren ist). Dann die Julie Zeh, danach der W.G. Sebald („Austerlitz“) (auch ein maßlos überschätztes recht langweiliges Buch) und die neue Biographie über den großen kleinen Friedrich. Das sind die Freuden der Altersteilzeit.
    Friedrich der Kleine wurde geputzt. (Beim Trampen in früher Jugend fuhr ich mal mit zwei Kerlen in einem alten Benz, Leute vom Rummel, die Bier absoffen und bei jedem Wagen, an dem sie vorbeischmirgelten, mit den Fingern schnipsten: GEPUTZT!) Geputzt also die solide Biographie von Kunisch. Ein Unsympath ersten Ranges, dieser Friedrich, aber wie alle schon früh traumatisierten ein Mensch mit etwas, was hierzulande immer als das Faszinosum schlechthin gilt: einem enormen „unerbittlichen“ Willen zur Rücksichtslosigkeit gegenüber den Gefühlen der Mitmenschen.
    Nach dem preußischen Souverän, der wenig souverän starb, nun die Lektüre der laut Ulrich Greiner in der ZEIT angeblich lesenswert erzählenden Julie Zeh. Dies auch der allererste Eindruck nach der Lektüre der ersten Seite, noch bemüht aufrechterhalten, dann aber, weiterlesend, erschlägt einen ein aufgesetzter Stil , eine krampfhaft aufgeblähte Sprache mit der die allwissend sich gebärdende Erzählerin den Leser hilflos und dreist zugleich von einem verquasten Vergleich zum nächsten schleppt, bis die Monotonie dieser ständigen Vergleicherei unerträglich wird.
    Pubertierenden wäre das Geschreibsel über den verquasten Zynismus, Nihilismus sowie die Philosophiererei auf Grundkursniveau nicht zu gönnen. Was aber hier als herrschende Sprachnorm sich geschwätzig, bildungshubernd und pseudophilosophierend, der Mensch dies, die Menschheit das, ausbreitet und die erzählerische Grundlage des Geschreibsels abgibt - als Schülerzeitungserguss wäre das, nach einer Verschlankung um die Hälfte von einem, dem die Sprache nicht mehr eine noch zu ertragende wäre - auch nicht mehr zu retten. Weg damit, so ein Schmarrn hätte nie verlegt werden dürfen.
    Peinlich, wenn eine junge Autorin nicht daran gehindert wird, sich selbst öffentlich als unfähig zu erweisen, eine einfache Story zu erzählen. Noch peinlicher, wenn ein solcher Quark die Bestenliste einer Wochenzeitung anführt. Jeder Roman von Stephen King liest sich im Vergleich mit dem zäh erzählten Machwerk der Zeh wie ein Wunderwerk der Erzählkunst. (etwa Atlantis) Nein, kaum mag man, ich in dem Fall, noch weiterlesen, das Ganze wird zu Quälerei dem, dem die Story nicht alles ist, der beim Lesen selbst nicht fortwährend über verqualmtes Sprachgewürge stolpern möchte. Dieses Buch ist grundschlecht geschrieben. Lektor und Korrektor scheinen bei Schöffling & Co inexistente Figuren zu sein.
    Ein Leserbrief an die Zeit wäre angemessen, um für die Belästigung mit dem Geschreibsel der Zeh, dem Frust ob des Buchkaufs, Kompensation zu erlangen. Was für ein aufdringlich bemühtes Buch – die Autorin/Erzählerin, das merkt man an jeder Zeile, ist ungemein sprachverklemmt. Das weibliche Geschlecht nennt sie in der erotikfreien Entjunferungsszene der Ada (so heißt die Hauptfigur) mit dem Dildo ein kleines Pelztier. Ach wie putzig. Das männliche Geschlecht nennt sie schlichter Schwanz. Also wäre, um eine zehsche Vergleichseinleitung der häufigen Art anzuführen und auch im Vulgärsprachlichen für Ausgeglichenheit zu sorgen, Möse angemessener.
    Aufstoßen auch die seltsam betulich alten und abgestandenen Wörter aus dem Jargon der Eigentlichkeit wie eigentlich, zutiefst, das Anliegen und so fort, mit dem diese Autorin sich spreizt und dem Leser aufgeblasene Wichtigkeiten um die Ohren (mittels der abgedroschensten Redewendungen und Klischees) haut. Aua. Das dümmliche ansonsten darf dabei nicht fehlen. Die Wetterbeschreibungen sollen expressionistisch schrill sein und sind doch nur aufgesetzt fade. „Der Regen sperrte die Menschen ein, während ein gigantisches Reinigungsunternehmen der Welt das Gesicht abmontierte, um darunter gründlich sauber zu machen. (....) die Bürgersteige waren Stege für menschliche Scherenschnitte, für Außenseiter und Aasfresser, für die Angestellten der Niemandslandwirtschaft...“
    Bei Leuten, die so etwas für poetisch halten, ist es ein Fehler, auf Distanz weiterhin wert zu legen, von der sie nichts mehr wissen. Die wollen es direkt und direkt sollten sie es bekommen. Schwulst schreibende Karrierefrauen sind der Graus. Gelegentlich trifft der geplagte Literaturliebhaber heute auf einen Typus von Frau, der die Ada des Romans sich annähert: ehrgeizig, streberleichenhaft, frigide und voller bösartiger Energie, zu einem edlen, hilfreichen und guten Fick nicht mehr in der Lage zur Freude diverser Therapeuten. Wer einmal längere Zeit in einem Zirkel mit Literaturbeflissenen saß, wird sie in der Form der gesalbten Lyrikerin kennen. Sie haben es mehr mit der Zärtlichkeit. Trotz des aufdringlich strapazierten Nihilismus’ mögen sie es „so behutsam, wie es der Fuchs dem kleinen Prinzen beschrieben hatte, um weder ihn noch sich selbst zu erschrecken.“ (Alles Fettgedruckte stammt von Julie Zeh) Schreck lass nach.
    (Exkurs des Nöckergreises aus dem Inneren der Städte: Distanzlosigkeit erscheint das Widerwärtigste an den nach mir sich in die Zukunft würgenden Generationen. Die Dreistigkeit, mit der sie herumstehen in der Stadt, am Bahnhof, in der Straßenbahn, Blech in der Fresse, Arschgeweihe am Arsch und fressen, sich aus Papier stinkend Kurzgebratenes ins Maul schieben und es öffentlich zermalmen, die Dreistigkeit, mit der sie Gespräche mit ihren vergötterten Handys überall lauthals führen, ohne jegliches Gefühl für Peinlichkeit, die Dreistigkeit, mit der sie, die männliche Variante, überall hinrotzen und hinpissen wie die Köter, all das ist nur noch unangenehm, und lässt den Nöckergreis sich in seine Alterssteilzeithöhle verkriechen als Rettung vor der Invasion der Körperfresser. Aber dem Terror der Intimität und Distanzlosigkeit ist wie einem schlechten Vergleich in dem Zeh-Buch nicht zu entkommen.
    Drei Tage Besuch einer Verwandten, die mich anbrüllt und mich mit esoterischen rosenkreuzlerischen Wahrheiten beglücken will, (während ich im Zähen lese) mit C.G. Jungschen Archetypenschschrott und Yin und Yang-Gesülze, brrhhh, man wird ja krank von dem Mist. Die Sensibilität der meisten Menschen in der Öffentlichkeit, aber auch im Kreis der Familie, scheint eine nicht mehr vorhandene.
    Sie erlauben sich alles, sie schämen sich nicht. Noch mal: man muss froh sein, solang sie noch nicht öffentlich sich entleeren (aus Darm und Blase) wie unentwegt aus den durch nichts mehr hinreichend zu stopfenden Mäulern. Deswegen können sie auch nur noch schlecht und verkrampft einem einen blasen wie diese Ada. Ende des Exkurses.)
    Und dann, das ist der Gipfel der Unverschämtheit in dem Roman, das Kokettieren mit Nabokov, Musil, Arno Schmidt und dem Nietzsche in der Ausgabe für Dumme: derart stinkt sich der Kot hinauf ans ihm Inkommensurable und wähnt sich unter seinesgleichen - und ist und bleibt in der großen Ebene voller Aufgeblasenheit stecken. Allein Prätentiösität der üblen Art, unverschämtes Gelaber, als wäre alles gleich, als gäbe es keine Unterschiede mehr zwischen hingesudeltem Geblubbler und souveränem Erzählen, ermöglicht Bücher wie das von der Zeh. Nervig auch die Alexa Henning von Lange, von der ich nicht ums Verrecken was lesen werde, ebenso nicht den Moppel-Ich Wahnsinn einer anderen Bestenliste. Was ist hier los? Eine Kritik, die an Büchern dieser Machart auch nur eine Zeile verschwendet, die nicht auf radikale Verurteilung hinausläuft, ist es nicht wert, veröffentlicht zu werden. Was mach ich jetzt mit dem Buch? Vielleicht hätte ich es aus reiner Bösartigkeit der Verwandten schenken sollen. Aber die ist schon weg.
    Was hat sich ereignet, das ich nicht mitbekommen habe, dass ein "Scheißbuch ersten Ranges" wie das von der Zeh in kurzer Zeit in einer zweiten Auflage herauskommt und überall gelobt wird – als traute sich keiner zu sagen, dass das Buch schlicht schlecht ist. Haben die alle Angst, von der juristisch womöglich besser als literarisch befähigten Autorin verklagt zu werden? Answer me that one.
    Im Folgenden Zitate, die für die durchgehend schlechte erzählerische und sprachliche Struktur des Buches hinreichen mögen. Beim Lesen hat man Angst, sich sprachlich zu infizieren. Ein wenig scheint es schon zu wirken. Als Sammlung von Stilblüten steht der Wälzer auf jeden Fall an der Spitze der Bestenliste für prätentiösen geistlosen Schund.
    Über den Inhalt, die Thematik, lässt sich in Götz Eisenbergs Buch „Amok – Kinder der Kälte, Über die Wurzeln von Wut und Hass “ kürzer und präziser Verständigeres nachlesen. Nein, über die Story des Buches werde ich mich hier nicht auslassen, weil aufgrund fehlender erzählerischer Kompetenz der vielfach mit Preisen gewürdigten Jungautorin alles im sprachlichen Sumpf ihr versackt. Sonderbar klingt das schon wenn die Pennäler in dem Buch wie weilend bei Werthern statt „Klopstock“ ähnlich aufgeladen „Erfurt“ flüstern. Mann, ist das aber ein böse nihilistisches Buch. Dass der böse Junge, der genauso rumlabert wie alle in dem Buch eine Art Araber ist, ein Dümmling sondergleichen, nach dem, was er von sich gibt, soll wohl an Bin Laden gemahnen, gemahnt aber kaum. Und die Lehrer kommen über den Status der Schießbudenfigur nicht hinaus, selbst wenn sie vom Schuldach hüpfen wie „Höfi“.
    Über Ada (allein die Namengebung grenzt an Schändung von Nabokov, der wusste, gegen wen er die Einladung zur Enthauptung schrieb) heißt es von der angeblich alles wissenden Erzählerin auf Seite 108:
    „Weil sie so selten sprach, sahen die wenigen Sätze sich gezwungen, mit gesteigerter Feierlichkeit an der Aufrechterhaltung ihrer äußeren Persönlichkeit mitzuwirken. (Bei sprachlich Hilflosen ist die Mitwirkung der Sätze bei der Aufrechterhaltung der äußeren, aber auch der inneren Persönlichkeit unabdingbar) Vor den Konsequenzen ihres ungewollt doktrinären Sprechens fürchtete Ada sich nicht – sie fühlte sich im reinsten Sinne des Wortes zu allem fähig.“
    Und da auch die Autorin im unreinsten Unsinn des Wortes zu allem fähig sich fühlt, schreibt sie gleichbleibend schlecht und lässt alle ihre farblosen Personen gleichermaßen flach herumphilosophieren.
    Im nächsten Kapitel lesen wir mit Erstaunen:
    „Er (diesmal handelt es sich um Olaf den Farblosen) hatte sie angesehen mit den Augen eines Tiers, das von der Hand seines geliebten Herrn niedergestochen wird, nachdem es ihm treu und vertrauensvoll auf die Schlachtbank gefolgt ist. Das Bild dieses Gesichtsausdrucks wollte lebendig bleiben, es sträubte sich dagegen, in Stücke analysiert zu werden, es sträubte sich gegen eine Beerdigung auf dem Friedhof des Gewesenen und belästigte Ada mehrmals täglich mit seiner Wiederkehr. Es verlangte eine echte Erinnerung zu werden.“Das wäre dann die womöglich doch falsche ewige Wiederkehr des Friedhofes des Geweses von Nichts und Allem oder was. Beliebig lassen sich auch Sätze mit „Vielleicht“ reihen. Vielleicht ist das alles ganz anders gemeint, und ich dummer Beutel kapiere nicht die sprachlichen Saltos der Erfolgsautorin. Vielleicht ist das alles auch keinen Fliegenschiss wert und verschwindet irgendwann ebenso wie es auftauchte. Vielleicht auch nicht.
    Wenn Sie so etwas lesen können, ohne dass es sie von der Story fortreißt in jene Höllenschlünde, in denen die Sprache zu Tode malträtiert wird, wenn Sie es gar für poetisch halten, dann ist Ihnen und mir und Ulrich Greiner nicht mehr zu helfen.
    Bei Bastei, in einem soliden Heftroman für das gemeine Volk der nicht vom Pseudonihilismus der Halbgebildeten angekränkelt ist, etwa für die Reihe „Der Bergdoktor“, würde kein Lektor Sätze wie die folgenden durchgehen lassen.
    „In der dritten Nacht am Fenster waren die klugen Gedanken verbraucht, sie schmeckten schal wie mehrfach aufgebrühte Teebeutel in lauwarmem Wasser. Die Selbsterkenntnis näherte sich auf plumpen Füßen.“Frau, erlöse uns von dem Übel einer heranplumpenden Selbsterkenntnis. Oder was sollen die gefolterten Leser von Folgendem halten?
    „Seine Gedanken stellten die Welt auf den Kopf, lösten Fragen, mit denen Körbe voller Denker sich jahrhundertelang beschäftigt hatten, vergaßen die Antworten wieder und schlurften, eben noch schwungvoll und elegant, als kleine Kinder auf metallenen Rutschpantoffeln einher.“Wie bitte? Die Körbe dieser Philosophen auf metallenen Rutschpantoffeln sind sofort auszuleerende.
    „Pflichtschuldige Sätze zogen wie Untertitel zu einem bilderlosen Film durch Smuteks Kopf. (...) Der Gedanke krallte sich mit tausend Widerhaken in seine Hirnrinde und ließ sich keinen Millimeter mehr bewegen. Die Zeit ist eine Fläche.“ Und die Sprache ist ein Scheißhaufen.
    Und putziger wird’s und putziger: „Schon in den letzten beiden Stunden hielt das berüchtigte Stehaufmännchen Normalität wieder Einzug in ihren Reihen (.....) Das Schwungrad des Lebens drehte sich behäbig, es hatte durch den vergangenen Tag kaum eine Bremsung erfahren.“ Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht.
    Nun mögen sich hier einige solche beliebig herausgegriffene Sätze als lustige Stilblüten forsch weglesen lassen, aber nagen Sie sich einmal selbst durch über 500 Seiten mit derartigem Absud. Über die Story ist man ja bereits durch den Klappentext hinreichend informiert. Der Rest ist Redundanz und Geschwätz. Man, ja doch, man, das heideggersche dämliche man taucht häufig auf, um allgemeine Weisheiten des Indefinitpronomens von sich zu geben, deren Banalität kaum zu überbieten ist. Man schämt sich halt nicht.Aber hier erst noch mal was Philosophisches: „Sobald die Menschen etwas nicht begreifen konnten, fielen sie dem Aberglauben zum Opfer, als wären Aufklärung, Forschung und Fortschritt oberflächliches Geklimper gewesen, das nur in guten Zeiten (und in schlechten Zeiten?) vom tragischen Geworfensein des Menschen ablenken konnte. Niemand wollte darüber sprechen.“ Vielleicht weil welche darunter waren, die sich schämeten solchen Scheiß den Leuten als erzählende Prosa vorzuwerfen, wie, um beim zähen Stil zu bleiben, die bekannten Perlen vor die noch bekannteren Säue. Spitz klär du die Welt auf, stöhnte schon Jean Paul, nicht Sartre, der andere. Nun zum Schluss eine längere Passage, dann sind die Flaschen leer. Dummheit steckt an. Ich habe gerade beschlossen, mich diesem Sprachbrei zu entwinden, mich gleichsam zu befreien und das Buch wegzuschmeißen, dahin, wohin es gehört, in den Altpapiersack.
    „Die bunte Patchworkdecke lag ordentlich gefaltet auf dem Sessel. (Ein gewöhnlicher Satz, ein unauffälliger Satz, ein Satz der wohltut, gegen den nichts zu sagen ist, bei dem der Leser sich erholt, aber lange wird ihm keine Erholung gegönnt. Einfache klare Sätze sind dem nach hyperbolischer Form ringenden Jungtalent ein Grauen sondergleichen. Es muss unentwegt metaphert und sprachlich geturnt werden.) Smutek beobachtete sie mit der Rührung eines Ziehvaters, der seinem Mündel bei den ersten Reitstunden zuschaut. (Dann wieder zwei unschuldige Sätze über Smuteks Frau und weiter geht’s mit Karacho) (...) und ihr Schritt war unsicher wie bei einer Wanderung auf, ja, auf zu dünnem Eis. (Hier hat der Wie-Vergleiche-Generator ein einziges Mal, ja, wie der hechelnde Alexander Kluge aus dem Off im dämlichen dcpt Füllprogramm für die Bildungsquote derjenigen Sender, die auf Bildung schon längst grundlegend geschissen haben, ja und nochmals ja, gezögert, aber erbarmungslos geht es weiter) Sie plauderte über die Möglichkeit einer Hauskatze (das könnte vom frühen Kohl sein) und eines wärmeren Farbtons für die Wände. Der Nachmittag verging in friedlicher Stimmung, die ganze Wohnung roch nach heißem Tee an kalten Wintertagen. (besser als nach kalten Bauern an heißen Sommertagen) Unschuldig schwieg das Telefon auf seinem Tischchen im Flur. Als Frau Smutek sich am Abend unter ihr farbenfrohes Schachbrett legte und Smutek die Decke rings um den schmalen Leib fest stopfte, waren ihre Augen nicht mehr kalt und salzig wie die einer Teichforelle. Sie sprachen zu ihm. „ Den Monolog der sprechenden Augen der salzigen Teichforelle ersparen wir dem Leser. Schluss, aus.
    Warum kann ich die ZEIT nicht verklagen, dass sie mir den Preis für das unsägliche Grauen beim Lesen des Gehudels wiedererstattet. Eine ZEIT, in der ein solches Machwerk auf der Bestenliste auf Platz 1 herumstinken darf, um die ist es geschehen. Aber bedenken wir bei all dem Grauen der tieferen Weisheit von Julie Zeh, die schrieb:
    „Die Ärzte nennen das Schizophrenie. Sie ist die Philosophin unter den Krankheiten.“ Verdrehen Sie die Wörter solange, bis sie auf die Krankheit unter den Pseudophilosophinnen gestoßen sind. Jedenfalls ist „Der Spieltrieb“ nicht der Mercedes unter den Schul- und Schundromanen. Törleß bedeckt sein Haupt.
    Und nun zum Allerletzten, des Pudels Kern gewissermaßen:
    „Das Leben war von Banalitäten erfüllt, es war aus ihnen erbaut, Banalität war sein Baustoff, Mörtel und Putz.“ Man möchte ergänzen „sein Alpha und Omega“. Gleichsam der Lagavulin unter den abgefüllten Leben.
    Damit das, was ich hier schreibe vom Ruch der Frauenfeindlichkeit etwas befreit werde, der ich mich manchmal auch nicht völlig zu entziehen vermag als alter einsamer (was ja bekanntlich nach Arno Schmidt, der auch herzehtiert wird, von 1 Samen kömmt) fauler Sack, möchte ich Leserinnen und Lesern die Romane und Bücher von Tanja Dückers, Katja Lange-Müller, Julia Franck, Brigitte Kronauer, Brigitte Reimann, Karen Duve, Gisela Elsner, Elfriede Jellinek, Tania Blixen, Paula Fox, George Eliot und die von den vielen anderen geistreichen Frauen empfehlen, deren Bücher es wohl nur ausnahmsweise mal auf die Bestenliste der Zeit schaffen werden.


    © geronemo 2007

    Einmal editiert, zuletzt von geronemo ()

  • Hi!


    Wie schrieb Arno Schmidt so schön:


    "I love a good hater."


    Ja.


    Ich habe noch nie etwas von Frau Zeh gelesen. Aber die von Dir, geronimo, angeführten Zitate sind wahrhaft erschreckend. Danke!


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Das "Geworfensein" finde ich ja schon grenzwertig, aber die salzigen Augen der Teichforelle - das haut dem Fass die Krone ins Gesicht, oder so :breitgrins:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hallo sandhofer und Valentine,
    es ist nicht leicht, gegen den Mainstream der literarischen Geschmacksbildung anzuschreiben. Es bedeutet in der Regel, dass einem die meisten Möglichkeiten für Veröffentlichungen genommen werden.
    An die Stelle einer fundierten Kritik, die auch ins sprachliche Detail gehen sollte, liefert der Betrieb häufig ein hochgradig gestyltes Brimborium aus austauschbaren Etiketten, um Bücher als Stapelbücher oder Bestseller schnell zu verkaufen, die spätestens nach einigen Jahren erheblich an Reiz eingebüßt haben.
    Ich habe mir, spätestens als ich als Wahldichter fürs Abi vor Jahrzehnten Hans Henny Jahnn auswählte, vorgenommen, mir meine literatische Urteilsbildung nicht vom Markt diktieren zu lassen. Dies ging soweit, dass ich grundsätzlich übermäßig erfolgreiche Bücher mied, so dass ich behaupten kann, wohl der einzige Gymnasiallehrer für Deutsch in der BRD gewesen zu sein, der weder "Homo Faber" noch das "Parfüm" je gelesen oder im Unterricht behandelt hat. Auch um die Effi habe ich mich herumgedrückt und stattdessen lieber "Das steinerne Herz" von Arno Schmidt oder den "Regenroman" von Karen Duve oder gar die "Riesenzwerge" von Gisela Elsner vorzunehmen. Wobei letzteres den Schölerinnen und Schölern arg zu schaffen machte.
    Nie gelesen habe ich auch den ausgelutschten "Fänger im Roggen". Auch der plenzdorfsche Werther wurde nicht gelesen. Walser, Martin (im Unterschied zum guten Robert) und Konsorten spare ich ebemfalls aus. Stattdessem lese ich lieber Augusto Roa Bastos, H..A.DeRosso, Hermann Bang, Philip K. Dick, Bodo Dringenberg, Tanja Dückers und so fort.
    Bücher über Pubertierende sollten nur von ausgereiften Menschen geschrieben werden, sonst wird's in der Regel peinlich.
    Wenn das Buch von der Zeh konsequent (so dass für den Leser Distanz möglich wäre) aus der unreifen Perspektive der Protagonistin geschrieben worden wäre, aber so, dass mit der Unreifheit und der sprachlichen Hilflosigkeit nicht auch noch kokettiert würde, dannn wäre es vielleicht gegangen. Obwohl die dümmlich-naive Perspektive schon beim alten Papalagi anödete. Aber so, aus der Perspektive der angemaßten großen Kunst, mit Erschleichung auratischer Erhabenheiten, mit Name-Dropping und Querverweisen haut das nicht hin. Da nutzen auch körbeweise Philosophen nicht.


    Ein weiteres bestsellermäßges Buch, das wenig taugt, werde ich demnächst versuchen hier zu besprechen, nämlich Safranskis Romantik-Schinken, der mich, wie bisher fast alles von Safranski, enttäuscht hat, weil er kaum was über die Romanik aussagt, was nicht schon während des Studiums sich der Sekundärliteratur entnehmen ließ. Nur dass Safranski alles schön populär und eingängig zubereitet, so dass es sich breit verkaufen lässt, marktkonform eben.


    Wo ich noch einmal näher drauf eingehen sollte, ist die Art und Weise, wie die vielen obenstehenden Lobreden auf das Buch begründet werden. Häufig ist es ja so, dass ein Urteil über ein Buch mehr über denjenigen aussagt, der es formuliert als über den Gegenstand, der zum Anlass genommen wurde, um sich zu entäußern. Insofern ist es immer besser, wenn eine Rezension subjektiv ist, aber diese Subjektivität nicht als etwas Selbstverständliches verstanden wird. Subjektivität muss man/frau sich erst mühsam erarbeiten. Was die meisten für ihre Subjektivität halten, ist ein Mittelwert allgemeiner, unhinterfragter Vorstellungen und Meinungen.
    Aber Schluss jetzt.


    geronemo

  • Ich habe "Spieltrieb" in der Schule gelesen und habe auch eine Klausur darüber geschrieben. Inzwischen habe ich Juli Zeh auch bei einer Lesung persönlich kennengelernt und mein Buch von ihr signieren lassen. Hingegen meiner Erwartungen war Frau Zeh überaus freundlich und und keineswegs arrogant. Ihr Roman "Spieltrieb" hat mir Alles in Allem dennoch nicht sonderlich gefallen. Zweifelsohne: Geniale Sprache und unglaublich viele hintergründige Dinge, die man beim ersten Lesen gar nicht wahrnimmt. Aber was bringt mir ein Buch mit jeder Menge Andeutungen, Anspielungen und einer kaum zu durchschauenden Erzählperspektive? Falls die Intention des Autors war, den Leser als "dumm hinzustellen" ist es in meiner Fall gelungen. Man darf bei diesem Roman denke ich nämlich keinesfalls den Fehler machen und das Buch auf die wohl doch eher oberflächliche Handlung begrenzen.



    Vg Karl

  • geronemo - ich wollte das Buch nicht lesen, hat mich bis jetz garnicht interessiert aber durch deinen Bericht hier hast du es für mich interessant gemacht :breitgrins: Nun muss ich es wohl doch lesen ... Und nicht etwa weil du es zerrissen hast, sondern weil mir die von dir zitierten Stellen gefallen :smile:


    Na dann bin ich mal gespannt, es wird allerdings noch etwas dauern, meine Leseliste ist sehr lang und ich habe wenig Zeit.


    Also danke für den Tip :zwinker: und bis bald :winken:

  • Hallo Jona77
    ja, auf Verrisse und andere verbotne Sachen sind wir besonders scharf. Aber es gibt wohl lohnendere und unterhaltsamere Bücher als die von Frau Zeh, gegen die ich nichts habe, die ich auch nicht für arrogant halte, von der ich nur meine, sie hätte ihr Buch "Spieltrieb" besser lektorieren lassen sollen. Es steht einfach zuviel sprachlicher Murks drin. Auch die Thematik scheint mir hergeholt.
    Aber als TB kann man es sich kaufen und lesen. Ich hab mich damals nur gewurmt, weil ich es mir auf eine Rezi hin gekauft hatte und es dann mit der Rezi in keiner Weise mithalten konnte. Wenn mein Exemplar nicht so vollgesudelt wäre, könnte ich es dir schicken.


    LG


    geronemo

  • @ geronemo


    Dies ist mein erster Beitrag im Forum, in dem ich bislang nur mitgelesen habe. Der Text gefällt mir ausgezeichnet. Nicht, weil ich das Buch gelesen und eine ähnliche Einschätzung gewonnen habe.


    In Feuilletonbeiträgen wird mitunter die sprachliche Exaktheit der Autorin hervorgehoben. Dabei wird nicht beachtet, dass Juli Zeh mit Fachkenntnissen daherkommt, die problematisch sind. Im Spieltrieb frühe Beispiele:


    „Das Problem beschäftigt die Menschheit seit Tausenden von Jahren. Ein Computer, der es lösen wollte, sähe sich gezwungen, eine Gleichung zu bilden, die gegen Unendlich geht.“


    Das ist einfach nur verquaster Unsinn. Was bedeutet es, wenn eine Gleichung gegen unendlich geht, was nicht funktioniert, da eine Gleichung nicht konvergieren kann? Und was ist ein Computer im Bezugszeitraum, der etwas wollte und sich zu etwas gezwungen sähe? Das klappt höchstens in Zeiten von Star Trek.


    „Wenn er darauf antwortete mit der Zahl X, so fügte der Vorgang des Antwortens der Summe einen weiteren Prozess hinzu, so dass sie lauten müsste: X plus eins, und seine Antwort wäre falsch.“


    Die Verbindung aus einer Summe und einem Prozess über einen Akt des Hinzufügens verursacht einfach nur Kopfschmerzen. Da interessiert schon gar nicht mehr, ob eine sich daraus ergebende Antwort (!) falsch wäre.


    Das ist aus meiner Sicht einfach nur selbstgefälliges Geschwurbel, in dem sich eine Halbildung äußert, die im Lektorat offenbar nicht bemerkt und von manchen Dritten beklatscht wird.


    Irisch Radisch von der ZEIT hatte Zeh seinerzeit in Klagenfurt für den Bachmann-Preis vorgeschlagen. Ihr Stil im Umgang mit der geballten Kritik war instruktiv (http://bachmannpreis.orf.at/ba…is/texte/stories/14224/):


    [pre]

    „Ursula März zeigte sich "völlig fassungslos", weil die Welt in der Erzählung Zeh's in zwei Lager gespalten werde, und es zu einer unzulässigen Verbindung zwischen "Physiognomie und Ethnologie" komme. Auf der einen Seite stünden die "Guten" mit den "schwarzen Haaren", auf der anderen die "blonden, proamerikanischen" Bösen", was März zufolge eine bei ihr "Entsetzen" hervorrufende Verbindung konstruiere.“


    Heinrich Detering: "frappierend Klischee lastig und überanstrengt"


    Norbert Miller „sah das Problem der Erzählung aber in einer nicht durchgängig ausgeführten Perspektivbrechung, die sich in der oftmals "verrutschten Metaphernsprache" manifestiere.“


    (…) „allerdings müsste diese distanzierte Erzählhaltung vom Leser mitgedacht werden, um vollends verstanden werden zu können, so Radisch.“



    Unerträglich finde ich, wie Ulrich Greiner auf einen Verriss des Zeh-Romans Schilf durch Tilmann Lahme in der FAZ reagierte:


    „Mördergrube, DIE ZEIT Nr.43 vom 18.10.2007, S.63


    Es muss ungefähr so gewesen sein: Irgendwann um 1990 herum, da waren sie beide 16 Jahre alt, begegneten sich die Schüler Juli Zeh und Tilmann Lahme auf einem Abtanzball, und das Mädchen Juli gab dem Knaben Tilmann einen hammermäßigen Korb. Was genau damals passiert ist, wissen wir nicht, aber wir konnten die Antwort dieser Tage in der FAZ lesen, wo Tilmann Lahme einen hammermäßigen Verriss des neuen Romans Schilf von Juli Zeh untergebracht hat.“



    Was mich nervt, ist der Zustand von Teilen des deutschen Feuilletons, der sich in den Jubelbeiträgen und in Reaktionen wie der von Greiner äußert.


    P.S.: Die Verrisse zu ihrem Bosnien-Tagebuch/Reisebuch bei amazon.de sind teils sehr erhellend. Manche Kritiken zeigen, wie sich das Unbehagen von Ursula März beim Lesen dieses Buches verstärken lässt.


    Grüße, Mohan

  • Ich hole den Thread hier mal aus der Versenkung und gebe mich der allgemeinen Steinigung preis, weil mir das Buch nämlich gefallen hat:


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    Juli Zeh - Spieltrieb


    Als Ada auf die Privatschule Ernst-Bloch kommt, ist dies ihre letzte Chance, ihr Abitur zu machen. Aufgrund ihres schwierigen Charakters hat sie sowohl bei ihren Mitschülern als auch bei den Lehrern einen schweren Stand. Doch als während des Schuljahrs ein anderer neuer Schüler auf Ernst-Bloch eintrifft, ist Adas Neugier geweckt. Alev scheint der einzige zu sein, der ihrem Intellekt nicht nur gewachsen ist, sondern ihr sogar noch etwas beibringen kann. Auch er erkennt in ihr die lang gesuchte Partnerin und gemeinsam beginnen sie einen Plan umsetzen um zu beweisen, dass das ganze Leben nur ein Spiel ist. Doch Smutek, der Sportlehrer, welcher Gegenstand ihres Gesellschaftsspiels ist, verhält sich nicht immer nach Plan, so dass zum Schluss aus dem Spiel Ernst wird.


    Was genau während Alevs und Adas Spiel geschehen ist, wird von der Richterin erzählt, die ihren Fall vor Gericht verhandelt hat und die sich aufgrund der Lebenseinstellung der Beiden, die sich selbst als die Urenkel der Nihilisten bezeichnen, außer Stande sieht, ein Urteil über sie zu fällen. Dabei nimmt die Richterin, die nur im ersten Kapitel selbst spricht, die Perspektive Adas ein und gibt als personale Erzählerin nicht nur das Geschehen wieder, sondern gibt auch Einblick in Adas Gedanken und Gefühle.


    Gefühle sind eigentlich dass, was Alev und Ada verleugnen. Sie sehen darin nur Schwäche, sie sind sinnlos und völlig unlogisch. Doch trotz ihrer trockenen, sarkastischen Art ist Ada auf diesem Pfad noch längst nicht so weit fortgeschritten wie Alev und darin liegt auch der Grund dafür, dass ihr Spiel einen anderen Ausgang nahm als den, den Alev geplant hat. Der Weg dorthin ist jedoch weit und so begleitet man sowohl die drei Teilnehmer des Spiels, Alev, Ada und Smutek, als auch das Leben an Ernst Bloch über einen Zeitraum von beinah einem Jahr.


    Obwohl währenddessen viel passiert, erreicht die Spannung keine ungeahnten Höhen. Als Leser weiß man bereits aus dem ersten Kapitel, dass nicht alles nach Alevs Plan läuft und so ist man zwar gespannt, was ihn stört, doch ist es eher milde Neugier und die philosophischen Gedanken, die Juli Zeh ihren Charakteren immer wieder in den Mund legt, die mich weiter lesen ließen.


    Mit zielsicherem Zynismus zeichnet die Autorin ein nüchternes Bild der heutigen Jugend, die an nichts mehr glaubt, keine Träume mehr hat und für die das Leben einfach darin besteht, dass ein Tag auf den anderen folgt. Bei diesen Schilderungen habe ich das Gefühl, dass endlich jemand das Wesen dieser Generation verstanden und auf den Punkt gebracht hat. Und genau darin liegt für mich der Reiz dieses Romans, den ich sicherlich noch mehrmals lesen werde und in dem ich dabei immer neue Facetten entdecken kann.


    5ratten



    Als Ergänzung noch ein Zitat aus dem Roman, das ich mir aus der Seele spricht:


    "Als Lehrer hatte Smutek einige Erkenntnisse über die deutsche Jugend verinnerlicht, die er jetzt rekapitulierte. Das Ergebnis fiel nicht zu seinen Gunsten aus. Diese jungen Menschen hatten keine Wünsche, keine Überzeugungen, geschweige denn Ideale, sie strebten keinen bestimmten Beruf an, wollten weder politischen Einfluss noch eine glückliche Familie, keine Kinder, keine Haustiere und keine Heimat, und sehnten sich ebenso wenig nach Abenteuern und Revolten wie nach der Ruhe und dem Frieden des Althergebrachten. Überdies hatten sie aufgehört, Spaß als einen Wert zu betrachten. Freizeit und Nichtfreizeit waren gleichermaßen anstrengend und unterschieden sich in erster Linie durch die Frage, ob man Geld verdiente oder ausgab. Hobbys zum Totschlagen der Zeit waren überflüssig, da die Zeit auch von selbst verging. Fernsehen war langweilig, die Literaturszene tot, und im Kino liefen seit Jahren nur Varianten auf drei oder vier verschiedene Filme. Diskotheken waren etwas für Liebhaber von Dummheit und schlechter Musik, und auf Schostakowitsch konnte man nicht tanzen. Diese Jugend hatte aufgehört, sich für industriell geschneiderte Moden, Identitäten, Heldenfiguren und Feindbilder zu interessieren. Weniger als jede Generation vor ihrer bildete sie eine Generation. Sie war einfach da, die Sippschaft eines interimistischen Zeitalters. Wenigstens, dachte Smutek, wenigstens marschieren sie nicht mehr. Oder noch nicht."


    (Zeh, Juli: Spieltrieb, 2006, btb Verlag, S. 348)