Ousmane Sembène – Guelwaar. Ein afrikanischer Heldenroman

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 1.071 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Aldawen.

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    Inhalt: Der große Guelwaar ist tot, in seinem Haus versammeln sich Angehörige, Freunde, Nachbarn zur Totenfeier. Aber der Leichnam ist im Krankenhaus nicht mehr aufzufinden! Der hinzugezogenene Polizeichef Gora findet heraus, daß es wohl im Krankenhaus eine Verwechslung gegeben hat und Guelwaar in einem nahegelegenen muslimischen Dorf beigesetzt wurde. Die katholische Gemeinde will Guelwaar exhumieren und auf dem eigenen Friedhof bestatten, aber die Verhandlungen darüber mit den Moslems gestalten sich schwierig. Die Familie Ciss, fest davon überzeugt einen der Ihren ordnungsgemäß beerdigt zu haben, will von einer Störung der Totenruhe nichts wissen, nicht einmal dem Imam will sie in dieser Sache folgen. Unterstützt wird sie dabei vom Bürgermeister und Abgeordneten sowie dem Präfekten. Die beiden haben sehr handfeste Gründe, sich mit den Cisses nicht anzulegen, es geht um Betrug mit Nahrungsmittelhilfen, eine Praxis, die Guelwaar und einige seiner Freunde angeprangert hatten. An den Folgen des davon inspirierten Überfalls war Guelwaar auch verstorben. Es droht ein von wirtschaftlichen und religiösen Aspekten getragener Kleinkrieg.



    Zum Autor: Ousmane Sembène, 1923 im Senegal geboren, übte als junger Mann die verschiedensten Berufe aus, arbeitete als Fischer, Mechaniker, Maurer und Docker. Sembènes erster Roman Le docker noir erschien 1956. Am Gorki-Studio in Moskau bildete sich Ousmane Sembène zum Filmregisseur aus, 1962 gründete er eine eigene Filmgesellschaft. Heute gilt er als Afrikas berühmtester Filmregisseur. In allen seinen Filmen, Romanen und Erzählungen geht es ihm darum, den europäischen Vorurteilen ein authentisches Bild entgegenzusetzen.
    Ousmane Sembène verstarb 2007 nach längerer Krankheit.



    Meine Meinung: Es war beeindruckend zu verfolgen, wie Sembène auf knapp 140 Seiten dieses bedrohliche Szenario ausbreitet. Dabei charakterisiert er die einzelnen Gruppen sehr gut. Die höheren politischen Ebenen wollen vor allem ihren zweifelhaften aber einträglichen Geschäften weiter nachgehen und deswegen Ruhe im Land. Außerdem kann man mit gut verteilten Nahrungsmittelhilfen natürlich Politik machen. Die katholische Gemeinde ist sich ihrer Minderheitenposition bewußt, besteht aber gleichwohl auf ihren Rechten als senegalesische Staatsbürger. Sie wirken sympathischer als die Moslems, weil sie ihren Glauben nicht so dogmatisch vertreten – der Abbé Leon leidet daher durchaus unter manchen Anwandlungen seiner Schäfchen. Sembène, selbst einer muslimischen Familie entstammend, prangert in der Verbohrtheit der muslimischen Dorfbevölkerung Wandlungsprozesse im an sich sehr liberalen senegalesischen Islam an, der sich unter arabischem Einfluß von seinen synkretistischen Wurzeln entfernt. Und schließlich kritisiert er die westliche Nahrungsmittelhilfe, die die Bauern ihrer Selbständigkeit und Würde beraubt, weshalb gerade das Ende des Romans ein schönes Signal setzt.


    Der Erzählstruktur merkt man ihre Verbindung zum Erbe der westafrikanischen Griots an, was für mich einen zusätzlichen Reiz ausmacht. Das instruktive Nachwort von Heinz Hug rundet dieses Buch gut ab, da ein Überblick über Sembènes schriftstellerisches wie filmisches Werk und eine knappe Einordnung in den zeitlichen und geopolitischen Kontext gegeben wird. Mir hat dieser Roman jedenfalls viel Vergnügen bereitet und ich bin froh, daß noch weitere Werke von Sembène auf meine Lektüre warten. Als einziger Nachteil ist festzuhalten: Das Buch ist zu kurz!


    4ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()

  • Die Infos zu diesem Buch klingen absolut interessant: Es scheint sowohl Spannung als auch Witz zu bieten. Und eine Portion "Mentalitätenkunde". Sollte ich über diesen Autoren stolpern, werde ich es lesen.


    Eines ist mir auch aufgefallen: Die Kurzbeschreibung bietet so richtig viel Stoff für Auseinandersetzungen und Finten und Du schreibst, Sembène erzählt die Geschichte konzentriert auf 140 Seiten. Mir fällt im Rahmen der Weltreise immer wieder auf, dass die dicken wortreichen Epen eine Dömane ganz weniger Länder zu sein scheinen.

    ☞Schreibtisch-Aufräumerin ☞Chief Blog Officer bei Bleisatz ☞Regenbogen-Finderin ☞immer auf dem #Lesesofa

  • Freut mich, daß ich Dich für das Buch interessieren konnte :winken:



    Eines ist mir auch aufgefallen: Die Kurzbeschreibung bietet so richtig viel Stoff für Auseinandersetzungen und Finten und Du schreibst, Sembène erzählt die Geschichte konzentriert auf 140 Seiten. Mir fällt im Rahmen der Weltreise immer wieder auf, dass die dicken wortreichen Epen eine Dömane ganz weniger Länder zu sein scheinen.


    Da könnte durchaus etwas dran sein, ein Blick auf mein Afrika-Regal zeigt mir jedenfalls, daß richtig dicke Schwarten dort eine sehr seltene Ausnahme sind, selbst 300-400 Seiten sind schon eher auffällig. Sembène hätte hier vieles ausführlicher darstellen können (und für viele europäische Leser vielleicht sogar müssen, da fällt mir mittlerweile die Einschätzung schwer) und es hätte dem Roman sicher nicht unbedingt geschadet. Aber andererseits ist es auch durchaus eine Leistung, den Leser nicht totzuschwafeln :zwinker:
    Abgesehen davon finde ich es schon erstaunlich, daß in Kulturen mit einer so starken oralen Erzähltradition die Bücher im Umfang mit den erzählten Epen so gar nicht mithalten. Ich habe dafür auch keine Erklärung, aber die relative Dünne hat natürlich auch den Vorteil, daß man sich schneller mal durch so ein Werk hindurchgelesen hat und deshalb die Zeit dafür aufbringt ...


    Schönen Gruß,
    Aldawen