Albert Camus - Der Fremde

Es gibt 34 Antworten in diesem Thema, welches 17.170 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Egophagus.


  • Ah, dann hast Du es selbst zusammengefasst. Hast Du den Mythos des Sisyphos denn gelesen?


    Nein, das habe ich noch nicht gelesen! Worum handelt es denn? Ist es denn wichtig für das Verständnis von "Der Fremde"? Vielleicht würde mir das beim Ende, das ich ja nicht ganz auf Anhieb verstanden habe, helfen.
    :winken:

    :leserin: [color=#CC0077]<br />Leo Tolstoi - Anna Karenina<br />Geneva Lee - Royal Passion<br />Frank Schätzing - Tod und Teufel<br />Patrick Rothfuss - The Name of the Wind<br />Maggie Stiefvater - The Raven Boys


  • Entschuldigt bitte, wenn ich das Thema nochmals aufrolle, obgleich kein echtes Interesse mehr daran besteht.


    Doch, das Interessen besteht noch, und ich bin froh, deine Ausführungen gelesen zu haben. Zur Zeit lese ich sowieso existentialistische Literatur.


    In den Erzählungen des Italieners Cesare Pavese finden sich auch existentialistische Ansätze, die sich mit der Philosophie Camus' verbinden lassen. In Paveses Erzählung "Hochzeitsreise" ist ein Mann mit einer Frau verheiratet, obwohl der lieber das Bedürfnis hat, des Nachts alleine in der Stadt spazieren zu gehen. In "Die Selbstmörder", die zu den besten von Paveses Erzählungen gehört, geht dem Erzähler die weibliche Leidenschaft seiner Partnerin geradezu auf dem Nerv. Der Ich-Erzähler lebt im völligen Lebensüberdruss und in Langerweile. Nichts interessiert ihn wirklich, auch seine Freundin nicht. Er verlässt sie sogar des Nachts (ähnlich wie in der "Hochzeitsreise"). Dieses Absurde seiner Existenz ist ein wenig Camus. Kann ich mit dieser Aussage Recht haben? Als Vergleich lese ich den "Fremden" sowieso noch.


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • @mombour
    Danke für deinen Hinweis zu Pavese. Wir sollten aber nicht vergessen, daß weder Sisyphos noch Meursault an Lebensüberdruss leidet. Wir können sogar feststellen, daß der "Absurde Mensch" der nicht hoffen kann, natürlich auch nicht leidet. Sisyphos, ist nach Camus ein glücklicher Mensch, eben weil er nicht mehr leidet oder hofft. Es gibt für ihn keine Instanzen mehr, an die er sich mit klagen oder hoffen wendet. "Noch rollt der Stein", ist die finale Aussage des Sisyphos.

  • Hallo Community,


    ich weiß nicht mehr genau, wo ich es bei Camus gelesen habe, aber Camus schreibt (ich zitiere nicht wörtlich): Der Sinn des Lebens besteht darin, gegen die Sinnlosigkeit des Lebens anzukämpfen. Liest man den Roman Der Fremde, hat man das Gefühl, dass der Protagonist nicht danach handelt. Das passive Dahin-Leben, das pure Da-Sein ist ein Angriff auf die Forderung nach einem aktiven Lebensentwurf. Der Mensch macht sich zu dem, was er ist.
    Die Haltung des Protagonisten ist pubertär. Das soll den Roman nicht abwerten, ganz im Gegenteil. Wie der Roman Der Fremde ist auch das Drama Caligula die Schilderung einer kopflosen, ideenlosen und inhaltslosen Rebellion gegen das Leben und seine so offensichtliche Absurdität. Diese Rebellion gegen die Sinnlosigkeit ist reflexionslos. Diese äußert sich auch in der Wut junger Menschen, die ohne Perspektive sind.
    Interessant finde ich die Teilnahmslosigkeit des Protagonisten und diese ist in dem Roman phantastisch geschildert.
    Aus diesem Grund haben mir die Bücher Albert Camus' in meiner Teenager-Zeit Halt gegeben. Ich sollte ihn nochmal lesen.

    Einmal editiert, zuletzt von memo ()

  • Die Haltung des Protagonisten ist pubertär.


    Hm ... was verstehst Du unter "pubertär"? Das Aufbegehren, das für mich ein wichtiger Bestandteil pubertären Verhaltens ist, geht Mersault ja völlig ab. L'Homme révolté - Der Mensch in der Revolte -: Das ist bei Camus ja nicht das pubertäre Aufbegehren, sondern das Aushalten des Absurden. Der zum Tod Verurteilte, der nicht Selbstmord begeht, selbst wenn er dazu die Möglichkeit hätte: das ist der Mensch in der Revolte. Aber das ist nicht pubertär ... Jedenfalls nicht, was ich pubertär nennen würde.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Pubertär ist die Haltung des Protagonisten meines Erachtens, weil seine Rebellion reflexionslos. Du kannst doch nicht behaupten, dass der Protagonist aus einer philosophischen Überzeugung heraus das Absurde erträgt ist. Es ist für ihn unvermeidlich. Dieser Roman ist nicht die literarische Umsetzung der philosophischen Gedanken Camus'. Um auf Sisyphos zurückzukommen: Mersault rollt lediglich den Stein bergauf. Über das Zurückrollen macht er sich noch keine Gedanken.
    Zur Wiederholung: Die Haltung des Protagonisten ist pubertär. Das soll den Roman nicht abwerten, ganz im Gegenteil. Wie der Roman Der Fremde ist auch das Drama Caligula die Schilderung einer kopflosen, ideenlosen und inhaltslosen Rebellion gegen das Leben und seine so offensichtliche Absurdität.

    Einmal editiert, zuletzt von memo ()

  • Pubertär ist die Haltung des Protagonisten meines Erachtens, weil seine Rebellion reflexionslos.


    Ich bin mit dem zweiten Teil des Satzes einverstanden. Nur würde ich die Haltung nicht pubertär nennen. Sondern eher fatalistisch. Vor allem heisse Gegenden (Tropen, Subtropen) scheinen mir diese Geisteshaltung sehr zu födern; jedenfalls habe ich in solchen Gegenden jede Menge solcher Leute getroffen. Die meisten leben diesen Fatalismus auf eine fröhliche Art aus, das ist der Unterschied zu Mersault. Aber im Grunde genommen ist das hier nur eine Differenz der Bezeichnung. In der Sache sind wir einer Meinung.


    Dieser Roman ist nicht die literarische Umsetzung der philosophischen Gedanken Camus'.


    Ex negativo?

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)


  • Ich kenne zwar die Philosophie von Camus nicht so richtig gut (:redface:), aber wieso muss eine Revolte denn unbedingt kämpferisch sein? Ist bei Camus nicht gerade der Fatalismus das entscheidende Element? Geht es nicht eher um die "Haltung" als um die "Handlung"? Ich habe bisher immer gedacht, dass es bei der "Revolte" bei Camus eher darum geht, die Bedeutung der eigenen Situation zu relativieren und zu erkennen, dass es nichts bringt zu verzweifeln, und dass die Revolte deshalb eher nach innen (gegen den eigenen Drang zum Selbstmitleid sozusagen) gerichtet ist als gegen äussere Widerstände. So habe ich es verstanden, kann aber auch sein, dass ich komplett falsch liege. :angst:
    Hm. Auf jeden Fall hatte ich beim Lesen die ganze Zeit das Gefühl, dass Mersaults Passivität und sein Schweigen für den Richter und den Geistlichen, die von ihm pausenlos Rechtfertigungen oder zumindest eine Meinung hören wollen und immerzu nach Wahrheit und Sinn suchen, eine umso stärkere Provokation sind als jede aktive Verteidigung es sein könnte. Ausserdem scheint M. irgendwie "mit sich im Reinen" zu sein. Er bereut nichts, erwartet nichts vom Leben... ob das jetzt für jeden unbedingt erstrebenswert ist oder nicht sei mal dahin gestellt. :zwinker:


    Liebe Grüsse und gute Nacht!


    Dani


  • Ich habe das Buch vor knapp zwanzig Jahren gelesen, nachdem ich erfahren hatte, dass dieses Buch Robert Smith von The Cure als Inspiration zu dem - leider oft missinterpretierten - Lied "Killing An Arab" diente. Die Textzeilen "Standing on the beach / With a gun in my hand / Staring at the sea / Staring at the sand / Staring down the barrel / At the Arab on the ground / I see his open mouth / But I hear no sound" wirken ohne diesen Hintergrund wohl etwas irritierend, was dazu führte, dass während des ersten Golfkriegs das Lied aufgrund damals raumgreifender Political Correctness auch nicht mehr im (US-)Radio gespielt wurde... :sauer:


    Ist ja interessant... sowas sollte man mal sammeln, vielleicht gibts noch mehr Songs, die auf Büchern basieren. Aber vielleichts gibts ja schon einen Thread dafür. *suchengeh*

  • @Dani: Oh, das ist eine gute Idee! Ich mach euch eine Libertines-Sammlung! :sonne:
    Mir würden schon ein paar Lieder einfallen.



    Edit: Ich habe hier einen Thread eröffnet. Freu mich auf eure Antworten!

    Liest:<br />Matt Ruff - Bad Monkeys

    Einmal editiert, zuletzt von Polkadot ()

  • Albert Camus - L'Etranger

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    Klappentext:


    "Man würde kaum fehl gehen, wenn man L'Etranger als die Geschichte eines Menschen läse, der ganz ohne Heldentum für die Wahrheit zu sterben bereit ist." Albert Camus


    Meine Meinung:


    L'Etranger musste ich für die Schule lesen und ist das erste Buch, das ich von Camus gelesen habe. Das Buch fing gleich mit dem ersten Satz interessant an. Doch leider schwand mein Interesse an dem Buch mit jeder Seite. Mit Mersault konnte ich nichts anfangen, entweder hat er nichts gesagt oder es war ihm alles egal. Selbst der Tod seiner Mutter entlockt ihm keinerlei Emotionen. Auch wenn das Verhalten Mersaults vom Autor so gewollt ist, empfand ich das Buch eher als langweilig.
    Erst der zweite Teil mit der Verhandlung um Mersaults Tat wurde wieder etwas spannend und ich fand es sehr erschreckend, dass ihm sein Verhalten und auch die Aussagen von Freunden zum Nachteil ausgelegt wurden. Da konnte ich ihn schon etwas mehr verstehen, warum ihm die Verhandlung nicht mehr interessierte.


    Ich habe L'Etranger im französischen Original gelesen und ich muss sagen, ich war positiv von der Sprache überrascht. Ich habe sonst immer gedacht, dass Camus sehr kompliziert, etc. schreibt. Aber dem ist nicht so. Es lässt sich flüssig und leicht lesen und die meisten Vokabeln (auch die, die angegeben wurden), waren mir bereits bekannt. Allerdings empfand ich da die Gerichtsverhandlung als etwas mühsam, aufgrund der nichtalltäglichen Vokabeln.


    Insgesamt empfand ich L'Etranger als in Ordnung. Die Geschichte konnte mich zwar nicht "mitreißen", aber gedanklich wird mich die Geschichte dennoch begleiten und ich werde mich mal näher mit Camus Philosophie beschäftigen.
    3ratten

    Books are the ultimate Dumpees: put them down and they’ll wait for you forever; pay attention to them and they always love you back.<br />John Green - An Abundance of Katherines<br /><br />:lesewetter: Caprice

  • Inhalt:


    Meursault ist ein Büroangestellter in Algier. Er nimmt sich für die Beerdigung seiner Mutter zwei Tage frei, obwohl ihn ihr Tod nicht weiter berührt. Als er von der Beerdigung zurückkehrt, beginnt er bereits am nächsten Tag eine Beziehung mit seiner früheren Kollegin Maria. Er und Maria werden von seinem Nachbar Raymond, aufgrund eines Gefallens den Meursault für ihn getan hat, zu einem Strandausflug ein. Auf diesem Ausflug kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen Raymond und drei Arabern. Später, nachdem er eine Pistole an sich genommen hat, trifft er wieder auf einen der Araber, von dem er sich bedroht fühlt und erschießt ihn. Mersault wird verhaftet und sein Fall wird vor Gericht verhandelt.


    Meine Meinung:


    "Der Fremde" ist ein Buch, das mich während des Lesens wenig gefesselt hat, mich im Nachhinein aber nachdenklich zurücklässt.


    Camus zeichnet mit dem Protagonisten Meursault eine tragische Figur. Er ist während großen Teilen des Buches nicht in der Lage Gefühle zu zeigen, selbst der Tod seiner Mutter scheint ihn nicht zu berühren. Er hat kaum Empfindungen und wenn es welche sind, sind es eher Genervtheit, aber er scheint sich nicht freuen zu können. Dies war ein Aspekt des Buches das es für mich etwas schwierig gemacht hat, mich in die Geschichte einzufühlen, da es so wenige Emotionen transportiert wurden. Da die Geschichte aus der Ich-Perspektive von Meursault beschrieben wird, erleben wir nur durch ihn die Emotionen der anderen Menschen um ihn herum und selbst diese scheint er nur bedingt wahrzunehmen. Er ist ein in-sich-gekehrter Mensch, der "nicht zu viel zu sagen hat und es deshalb nicht tut". Er beobachtet das Geschehen um ihn herum und hört seinen Mitmenschen zu. Selbst seiner Verlobten gegenüber kann er keine wahren Gefühle zeigen. Er hat sich mit ihr verlobt, da sie ihn heiraten wollte, aber er scheint bei dem ganzen eher unbeteiligt, als wenn es ihn nicht angehen würde, ob er sie nun heiratet oder auch nicht. Mitgefühl scheint er auch nicht zu kennen. Denn selbst als sein Nachbar Raymond ankündigt seine Geliebte zu verprügeln, schreitet er nicht ein und auch nicht als er sie vor Schmerzen schreien hört.


    Die Geschichte ist in einfachen Sätzen geschrieben, sodass es nicht schwer fällt, der Geschichte zu folgen. Die Ereignisse wurden für mich zum größtenteil erst in der Gerichtsverhandlung in einen Zusammenhang gebracht. Daher empfand ich den zweiten Teil des Buches deutlich angenehmer zu lesen. Da jedoch die Ereignisse von dem Staatsanwalt zusammengefasst werden, sind sie sehr von seiner Meinung gefärbt. Meursault ist auch während der Gerichtsverhandlung emotional unbeteiligt, sodass man nicht seine Version oder seine Schlussfolgerungen zu diesem Fall mitbekommt.
    Dem Autor ist es gelungen, die Tragik des Protagonisten hervorzuheben. Ein Mensch, der sowieso schon durch seine Emotionslosigkeit gestraft wird, weil er nie wirklich glücklich ist, wird auch hierfür bestraft. Obwohl er ein grausames Verbrechen begangnen hat, habe ich angefangen für ihn mitzufühlen. Sein eigenes Leben scheint ihm unwichtig und es ist ihm auch egal, was mit ihm geschieht.


    Zusammenfassend war es für mich ein Buch, dass nicht unbedingt ein Lesegenuss war, aber mich zum Denken angeregt hat. Daher vergebe ich 3ratten

    Wer Bücher kauft, kauft Wertpapiere! - Erich Kästner<br /><br />SLW 2016 9/30

  • Rezensionen sollte man eigentlich unrezensiert stehen lassen, aber hier juckt es mich doch: Wie kann es sein, dass Bücher, die den Leser am Ende mit hochentzündlichem Gedankengut zurücklassen (das in guter Hoffnung vorausgesetzt), schließlich mit einer Wertung 3 von 5 wegkommen, wo ein Harry Potter, da er fesselt, 4 von 5 oder 5 von 5 Sterne, Ratten, Herzchen etc. zugestanden bekommt. Jaja, ich weiß schon, Geschmäcker sind verschieden. Aber bei dieser zuletzt zweifachen, zum Ende hin artig formulierten Beteuerung, die Geschichte würde einen auch weiterhin gedanklich begleiten und sie hätte zum Weiterdenken angeregt, drängt sich mir doch die Frage auf, wie viel (oder wenig) Wert dem allgemeinhin beigemessen wird.


    Also hier eine kleine Apologie des Fremden für all jene, die das Buch noch nicht gelesen haben: Bei Camus' L'Étranger handelt es sich nicht um Action-Prosa, nicht um eine Liebesgeschichte, nicht um ulkige Gesellschaftssatire. Es ist äußerst minimalistisch, außerdem mitunter ziemlich vage. Es will gar nicht unterhalten. Mithin geht es nicht darum, was das Buch mit dem Leser macht, sondern darum, was der Leser mit dem Buch macht. Vielleicht möchte man das im Hinterkopf behalten, während man die letzten beiden Rezensionen liest.


    Beklagenswerter Umstand, dass Der Fremde im Französischunterricht des sauberen Stils wegen gelesen wird. Kann das Buch dort jemals einen günstigen Leser finden?