Marguerite Duras - Der Liebhaber

Es gibt 33 Antworten in diesem Thema, welches 11.907 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kirsten.

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    Die namenlose Erzählerin ist französischer Herkunft und wächst in den 20er Jahren in Indochina auf. Die Mutter ist Lehrerin, der Vater früh verstorben, es gibt noch zwei ältere Brüder: einen brutalen Schläger und Mörder, und den Jüngeren, Sanften, der auch jung sterben wird. Innerhalb der Familie herrscht wenig Zusammenhalt, man ist sich gegenseitig fremd.


    Auf dem Weg in ihr Pensionat lernt das Mädchen mit 15 einen reichen chinesischen Geschäftsmann kennen, dessen Geliebte sie wird, stillschweigend geduldet von der Mutter, die auf das Geld scharf ist, lässt sie sich von ihm aushalten.


    Die sehr kurzen Abschnitte, die kreuz und quer durch die Zeit springen, machen die Lektüre relativ schwer verständlich, und der eher kühle, distanzierte Erzählton hält die Protagonisten "auf Abstand" vom Leser. Kaum ein Wort über Gefühle oder Beweggründe.


    Vielleicht versteht man das Buch auch nur mit gewissen Hintergrundinformationen richtig - ein großer Genuss war es für mich leider nicht. Einzig der gelungene Schluss versöhnte mich wieder ein wenig.


    2ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • Hallo zusammen!


    Zu diesem Buch wollte ich auch demnächst einen Thread eröffnen. Ich halte es für eines der gelungensten Bücher des 20. Jahrhunderts. Der Titel ist m.E. völlig irreführend - nicht der Liebhaber steht im Zentrum sondern die Beziehung zwischen der Tochter und der Mutter: ein Kampf, der auch nach dem Tod der Mutter nicht wirklich zu Ende ist. Auf jeden Fall keine Liebesgeschichte. ( :winken: , nimue!)


    Die Zeitsprünge, typisch für die Literatur des 20. Jahrhunderts haben mich nicht weiter gestört. Es spiegelt die Art menschlichen Denkens und Sich-Erinnerns.


    Alles in allem: ein Schätzchen, sofern man keine Liebesgeschichte erwartet. Wenn ich Ratten vergäbe, dann wären es alle 6.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Eine Liebesgeschichte habe ich nicht zwangsläufig erwartet.


    Der Mutter-Tochter-Konflikt ist ein zentrales Motiv - aber mir ging die Charakterzeichnung insgesamt zuwenig in die Tiefe. Ich hätte z.B. auch gerne gewusst, warum der ältere Bruder immer wieder als Mörder bezeichnet wird (das hat sich mir auch nicht aus dem Text erschlossen).

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • [quote author=Valentine]
    Die sehr kurzen Abschnitte, die kreuz und quer durch die Zeit springen, machen die Lektüre relativ schwer verständlich, und der eher kühle, distanzierte Erzählton hält die Protagonisten "auf Abstand" vom Leser. Kaum ein Wort über Gefühle oder Beweggründe.[/quote]


    Habe ich auch so empfunden. Das zeitliche Hin und Her hat mich sehr gestört und ich musste mich regelrecht zum Weiterlesen zwingen.
    Ich werde dieses Buch ganz sicher nicht so schnell weiter empfehlen...


    ***
    Aeria

  • Hallo!


    Ich werde dieses Buch ganz sicher nicht so schnell weiter empfehlen...


    Was natürlich u.U. auch eine Empfehlung sein kann *ggg*. Genau die Gründe, aus denen Ihr Duras' Buch ablehnt, sind die, die es mir empfehlen ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • :entsetzt: Da bin ich aber ziemlich schockiert, Valentine und Aeria, dass ihr diesem mir so teuren Buch so wenig abgewinnen könnt.


    Als Liebesgeschichte zwischen dem Mädchen und dem Mann habe ich es eigentlich auch nicht empfunden, sondern eher als in einem einzigartigen Tonfall geschriebene Jugenderzählungen einer alternden Frau.
    Gerade wie die Geschichte erzählt wurde, fand ich unglaublich fesselnd. Ich konnte die Stimme der Erzählerin während des Lesens hören, so authentisch klang der Stil meiner Meinung nach.

  • Das scheint wieder so ein Buch zu sein, dass einen entweder voll und ganz oder aber gar nicht anspricht :hm:


    Ich fand es einfach ziemlich wirr und emotionslos...

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich habe keine Liebesgeschichte erwartet, fand das Buch aber trotzdem nicht so toll. Allein daran kann es also nicht liegen.


    In der Geschichte springt man zeitlich ständig hin und her, nach einigen Seiten hatte ich mich aber daran gewöhnt. Ich empfand es sogar als passend, schließlich erinnerte sich die unbekannte Erzählerin an eine Zeitspanne aus ihrer Jugend. Nicht so schön fand ich einige Passagen die mich verwirrt haben, da ich ihren Bezug zur Geschichte nicht zuordnen konnte.


    Am meisten gestört hat mich aber die kalte, unpersönliche Erzählweise. Auf diese Art hätte diese Geschichte auch ein völlig Fremder erzählen können, und es war doch schließlich ihre eigene Geschichte! Und es gab dort auch Personen, die ihr nahe standen - die sie ja sogar geliebt hat, z.B. ihren "jüngeren" Bruder. Auch da kam leider keine Emotion bei mir an.


    Die Zerrissenheit der Familie und die Beziehung zu ihrer Mutter kam da schon etwas besser rüber. Man bekam kurze Einblicke in die verschiedenen Zustände ihrer Mutter, leider blieb bei mir aber die Frage offen durch wen bzw. warum sie in so einen Zustand geraten ist. Der Krankheit würde ich es nicht zuschreiben, außerdem wurde ja ein paar Andeutungen in Richtung Gesellschaft gemacht.


    Eine andere Frage, die mich länger begleitet hat, ist was der ältere Bruder mit dem Tod des jüngeren zu tun hatte. Der jüngere Bruder ist ja aufgrund eines Herzleidens gestorben, und ich erkläre mir die Verbindung so, dass der dauernde Druck und die jahrelange Angst vor dem älteren Bruder ihn schließlich umgebracht haben.


    Für den ansonsten angenehmen Schreibstil vergebe ich
    2ratten

  • Wir haben den Liebehaber vor ein paar Monaten für unseren Lesekreis gelesen und ich war eine der wenigen, die das Buch nicht mochte. Ich fand diese Liebesgeschichte einer 15 Jährigen unglaubwürdig (habe eine Tochter in diesem Alter!) und fühlte mich nicht wohl bei der Beziehung zwischen dem "älteren " Mann und der 15-Jährigen. Doch die anderen waren begeistert, warum - hat sich mir entzogen.


    Scheint wirklich eines dieser Bücher zu sein, das gefällt oder gar nicht. Ein dazwischen gibt es scheinbar hier nicht.
    Ich mag jedenfalls nichts mehr von der Duras lesen.


    liebe Grüße
    Austen

    Lesen ist Schokolade für die Seele!

  • Hallo,


    Ein wenig warmlesen musste ich mich schon, denn die Erzählerin erzählt, wie mir erst später auffiel, als ältere Frau, dem Alkohol verfallen, von ihrer ersten Jugendliebe in Indochina. Sie erzählt in fragmentarischen Erinnerungen, hier wird wie gewüfelt unchronologisch hin–und hergesprungen. Trotzdem geht der Überblick nicht verloren. Es geht um die Liebe des weißen fünfzehnjährigen Mädchens zu einem älteren Chinesen. Dieses ist letzendlich jedoch zweitrangig, wird doch das Verhältnis des Mädches zu ihrer Mutter und zu den beiden Brüder im Roman weitaus differenzierter erzählt.


    Es geht um gesellschaftliche Konventionen. Von vorne herein wird eine dauernde Beziehung zwischen dem weißen Mädchen und dem Chinesen unmöglich gemacht. Der Chinese wird während eines Treffens mit der Familie regelrecht totgeschwiegen. Mutters Liebling ist der ältere Bruder, der sich aber zum Versager entwickelt. Für das Mädchen wurde eine berufliche Karriere von vorne herein nicht für möglich gehalten. Das Mädchen wird von der Mutter für die Männer aufreizend angekleidet, andererseits für ihr Verhältnis zum reichen Chinesen verprügelt. Der psychisch labilen Mutter geht es ums Geld, ums Überleben, notfalls würde sie ihre Tochter auf den Strich schicken. Wenn wir nun bedenken, dass dieser Roman autobiografisch ist, heißt es, dass das Mädchen im Gegensatz zu ihren Brüdern die erfolgreichste geworden ist: Eine großarige Schriftstellerin.


    Ein wundervolles, sprachlich sehr gekonntes Werk einfach deshalb, weil Marguerite Duras in Kurzbündigkeit der Sprache unendliche Welten im Geiste des Lesers schaffen kann. Dieses lässt sich am besten an einigen Beispielen belegen:


    Die Überfahrt über den Mekong ist ein Symbol des Übergangs zum Erwachsenenwerdens. Im Alter von achtzehn Jahren begann ihr Gesicht zu altern. Das ist doch herrlich, das Gesicht als Fußspur des Alterungsprozesses, und als Vorausschau auf das Leben:

    Zitat


    Dieses vom Alkohol gezeichnete Gesicht habe ich vor dem Alkohol bekommen.


    Sehr bemerkenswert ist, und daran sehen wir, wie das Mädchen in der Familie gelitten hat, dass sie ihre Brüder und Mutter vergessen hat, nachdem diese gestorben waren. Sie erinnert sich nicht mehr an die Stimme ihrer Mutter, nicht an den Duft ihrer Haut usw. und schließlich:


    Zitat

    Darum fällt es mir jetzt so leicht, über sie zu schreiben, so ausführlich, so gelassen, sie ist zur Schreibschrift geworden.


    Hammerharte Wirkung haben diese Worte, finde ich.


    Im Zimmer ist das Paar allein, draußen in der Sommerhitze gehen Menschen vorbei. Sehr schön finde ich die Worte über Jalousien und Schatten:



    Dieses Bild sagt mir, sind sind umgeben von Menschen und doch allein, allein in ihrer Intimität. Der Geschlechtsakt wird hier ja mit Schmerz und Tränen umschrieben. Irgendwie einsam.


    Sehr beeindruckt hat mich die Beschreibung des schönen Körpers ihrer Kommolitonin Hélène Lagonelle.



    War der Roman nach seinem erscheinen deswegen ein Skandal? Ich finde diese Art der Prosa wundervoll. Ehrlich alles herausgeschrieben. Warum haben wir Menschen, wenn wir etwas wunderbares sehen, den Tod im Hinterkopf. Im Zitat, lustmörderische Fantasien, beim Anblick eines schönen Menschen. das Geschlecht spielt hier keine Rolle. Die Schönheit wollüstig anpacken, so dass sie unter den Händen stirbt. Sich der Schönheit einverleiben bis zum Tod. Das hat ja durchaus etwas kannabalistisches. Oder etwas variiert: sich einmal in höchsten Sphären verlieben und dann sterben, weil das Leben nichts Höheres an Gefühl bieten kann. Darüber hat sich sicher schon jeder Gedanken gemacht, wagt es aber nicht auszusprechen. Eros und Thanatos, zwei Brüder.


    Meine Gedanken entfalten sich während des Schreibens an der Tastatur, und ich bin selber erstaunt darüber, was mir da für Gedanken kommen, erstaunt, was Marguerite Duras dem Leser im Ungeschriebenen überlässt. Gerade dieses bürgt für Qualität.


    Ich könnte weiter fortfahren, aber das Buch soll ja selber noch gelesen werden. Zum Abschluss noch ein schönes Zitat:


    Zitat

    Ich erinnere mich kaum an die Tage. Die Helligkeit der Sonne trübte die Farben, erdrückte alles. An die Nächte erinnere ich mich. Das Blau war ferner als der Himmel, es lag hinter allen Schichten aus Schwärze, es bedeckte den Grund der Welt. Der Himmel war für mich jene Spur reinen Glanzes, die das Blau durchquert, jene kühle Verschmelzung jenseits aller Farbe.


    5ratten


    Ein noch schöneres Buch von Duras bekäme dann fünf Ratten und ein Mäuschen :breitgrins:


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Hallo,


    für alle die den Text etwas verwirrend fanden, Marguerite Duras hat das Thema nochmal bearbeitet und erzählt die Geschichte noch einmal in "Der Liebhaber aus Nordchina".


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    Liebe Grüße Germand

  • Der Liebhaber ist eine autobiographische Collage aus Ereignissen, die rund fünfzig Jahre zurückliegen. Duras gibt Erinnerungsfragmente wieder, versucht diese zu fixieren, manchmal scheint es ihr zu gelingen, oft erzeugt sie Risse.


    Eine Unterscheidung zwischen Objektivität und Subjektivität gibt es nicht. Die Gedanken der Erzählerin kreisen um ihre Erinnerungen, die teilweise mehrfach variiert werden in dem Bemühen, Gedächtnisinhalte zu verifizieren, wo kaum feststellbar ist, ob die Erinnerung nur Imagination ist.


    Eins der faszinierendsten Bücher, die ich kenne.

  • Ich bin immer recht misstrauisch, wenn man versucht, einen literarischen Text (natürlich nicht eine als solche verfasste Autobiografie!) auf Autobiografisches festzunageln. Autobiografisches macht den Text nicht besser und nicht schlechter als er ist - es reizt höchstens den Voyeur in uns ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Hallo sandhofer,


    naja, es ist der Stand der literaturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Duras. Auch, wenn Duras sich selbst später davon distanzierte, so kreist ihr Werk doch weitestgehend um sie selbst. Gleichwohl stimme ich Dir darin zu, dass Misstrauen angebracht ist. Abstrakt...unbestimmt...in welchem Ausmaß auch immer..., dazu kann ich nicht viel sagen. Bei mir erstreckt sich das Misstrauen auch auf Autobiographien. Die Problematik der Erinnerung (s. nicht zuletzt das formale Vorgehen in Der Liebhaber) ist nur ein Grund, ein anderer die beabsichtigte Präsentation seiner selbst im Text.


    Grüße, mohan

  • Meine Lieben, etwas Contenance bei dem Buch! Duras war eine begnadete Schreiberin und was manche "langweilig" nennen, nenne ich "langsam". Überall spürt man die Hitze und die Spannungen. Überaus genau sieht man die Hässlichkeiten. Das Buch ist meiner Ansicht großartig!
    Sicher, wenn man den Film zuerst sieht, den überaus schönen und erotischen Mann und das hübsche Mädchen, dann ist man enttäuscht. Großer Fehler, darf man nicht vergleichen...
    Ich las in Thailand "Heiße Küste" von ihr. Einfach, weil ich das Klima perfekt für das Buch fand und so war es auch. Die Grausamkeiten, damit meine ich die Zwischenmenschlichen, sind wunderbar nah beschrieben. Die Armut besonders.
    Nein, ich versuche einfach nicht so an ein Buch heranzugehen, dass ich Stellen, Passagen mit der Autobiografie vergleichen. Ich habe sie auch gelesen (übrigens zu empfehlen!), aber als eigenständige Sache.
    Wie auch immer, Duras ist wie die Oper: Entweder man liebt sie, oder man hasst sie. Es gibt kaum jemanden dazwischen.


    Alles Liebe cori


    4ratten

  • Hm, ich glaube ich bin wohl doch dazwischen. Mir hat die Sprache sehr gefallen, die erzeugten Atmosphären waren intensiv und dicht und mit „Langsamkeit“ habe ich sowieso kein Problem. Ich mag das. Die Zeitsprünge haben mich ebenfalls nicht gestört. Einige Bilder sind mir noch sehr deutlich in Erinnerung, obwohl die Lektüre schon eine Zeit zurück liegt. Das Buch hat mich also durchaus beeindruckt. Eigentlich habe ich „Der Liebhaber“ sehr gerne gelesen. Ja, eigentlich – denn doch hat mir irgendetwas gefehlt. Ich kann nicht mehr genau sagen, was es war. Irgendetwas lies mich nicht richtig warm werden damit.
    Ich glaube, ich werde es irgendwann noch einmal lesen. Vielleicht kann ich dann sagen, was es war (oder es ist inzwischen ganz anders)

  • Hallo Tia,
    kann das Worte wie "Gefühl" und ein bisschen "Wärme" sein?
    Alles Liebe cori

  • Hallo cori,


    ja, das ist möglich. Wobei ich damit normalerweise kein Problem habe. Ich glaube, mir hat ein wenig der Zugang zur Protagonistin gefehlt. Aber genau kann ich es leider nicht mehr sagen.


    Liebe Grüße
    Tia

  • Ich sehe gerade die Verfilmung zu "Der Liebhaber" und der Film hat ja so gar nichts mit dem Buch gemein. Da steht nur der Sex im Vordergrund und sonst nichts.


    Habe aber bei wikipedia gerade gelesen, dass sich die Autorin vom Film distanziert, kann ich ihr nicht verdenken. Als Film allein ist er sicher nicht schlecht, aber explizit dazu anzugeben, dass es nach einer Romanvorlage verfilmt wurde, finde ich doch ein wenig frech.


    Katrin