Tibor Déry: Niki oder Die Geschichte eines Hundes

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  • Hallo,


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    Tibor Déry (1894- 1977) gehört zu den bedeutendsten ungarischen Schriftstellern, sicher auch zu den bedeutenden Schriftstellern, die Europa im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Man mag sich nicht täuschen lassen, da sein Hauptwerk in deutscher Sprache längst vergriffen ist. Weil er André Gides Buch über die Sowjetunion ins Ungarische übersetzte, wurde er während des Horthy-Regimes 1938 inhaftiert.. Déry gehört zu den Wegbereitern des Ungarischen Aufstands 1956. Ich empfehle gleich an dieser Stelle seine wortgewaltige und wunderbare Autobiografie „Kein Urteil“, die u.a. auch ein Spiegel der ungarischen Geschichte bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts darstellt.


    Déry's Romane sind vor allem politisch motiviert. Das trifft auch auf seinen kurzen Roman „Niki oder Die Geschichte eines Hundes“ zu, den Dery in die stalinistische Ära verlegt (vgl. bei wikipedia


    Erzählt wird von dem Ehepaar Ancsa, die nach hartnäckigem, aber sympathischem Quengeln eines Foxterriers, der auf den Namen Niki hört, diesen Hund in Pflege nehmen. Noch wohnt das Ehepaar auf dem Lande und der Hund genießt seine spielerischen Freiheiten und Jagden in der Natur. Auch Herr Ancsa, ein Bergbauingenieur lebt gut in Lohn und Brot. Dieses Glück währt nicht lange, denn Herr Ancsa, zwar ein Kommunist, wird von der Obrigkeit aus seinem Beruf degradiert, muss mit Frau und Hund nach Budapest ziehen. Nach einigen niederen beruflichen Tätigkeiten verschwindet Herr Ancsa irgendwo für mehrere Jahre in irgendeinem stalinistischen Gefängnis. Seine Frau kämpft seitdem mit Armut. Das sei inhaltlich zur Genüge.


    Das besondere an diesem Roman ist, er wird aus der Sicht des Hundes erzählt. Der Autor versucht sehr glücklich, ohne dass es an den Haaren herbeigezogen ist, sich in die Gemütswelt eines Hundes hineinzuversetzen. Das gelingt ihm mit sehr großen Stilsicherheit und so glaubwürdigdig, dass ich sehr darüber staune, wie sich ein Mensch in ein Tier einfühlen kann.


    Wir erfahren drei Ebenen: Die Ebene des Erzählers, der auch mal philosophische Überlegungen anstellt, z.B, ob ein Hund ein Gewissen hat, wir erfahren von den Lebensumständen des Ehepaares und in erster Linie vom Hund Niki selbst. Das Leid der Ancsas läuft parallel mit dem Leid des Hundes, der es nicht verschmerzen kann, dass sein Herrchen nicht mehr anwesend ist. Der Stalinismus in Ungarn hinterlässt bei dem Hund seine Spuren.


    Natürlich habe ich mich zu Lektürebeginn gefragt, warum ich ein Buch über einen Hund lesen soll? Der Text hat mich aber restlos überzeugt. Hier ist nirgendwo eine Spur von trivialem Hundewinseln. Nein. Keineswegs. Ich kenne Déry schon von seiner Autobiografie und seinem Roman „Die Antwort der Kindheit“. Dort wie auch hier, ein Autor, der sich zu lesen lohnt (den Deutschland und Europa nicht vergessen sollte).


    Ich gebe nur vier Ratten, weil Dery natürlich noch größere Werke zu Papier gebracht hat. Wenn man das Buch alleine betrachtet könnte man natürlich auch leicht fünf Ratten verteilen.


    4ratten


    Liebe Grüße
    mombour

  • Jetzt bin ich platt. Das Buch habe ich vor Jahrzehnten gelesen und habe es immer noch´in sehr guter Erinnerung. Deiner EInschätzung kann ich mich nur anschließen, wobei es bei mir 5 Ratten sind.


    Das TB von 1965 der Fischer Bücherei steht auch immer noch in meinem Regal.


    Schon, dass Du es "ausgebuddelt" hast und das es heute auch noch gelesen wird.


    Lt. meiner Bestandsliste habe ich von Tibor Dery auch noch den Roman "Eine fremde Welt - Herr G.A. in X" irgendwo in einer der "noch Lesen-Will Kisten". Kennst Du dieses Buch und kannst mir etwas mehr darüber sagen ?


    Schon mal Danke schön für das Erinnern sagt


    Dyke

  • Hallo Dyke,


    es freut mich sehr, dass du das Buch auch gelesen hat. Ich buddele öfters in ungarischer Literatur herum.
    Den "Herr G.A. in X" habe ich zwar, allerdings noch ungelesen. Da ich wieder Lust auf Dery habe, kann ich es mir gut vorstellen, diesen Roman demnächst zu lesen.


    Gott sei Dank habe ich ein dickes "Handbuch der ungarischen Literatur", hrsg. von Tibor Klaniczay, Corvina 1977.


    Daraus zitiere ich über "Herr G. A. in X"


    Zitat

    Ende der fünfziger Jahre schrieb Déry den Roman Herr G. A. in X (G. A. úr X-ben), der erst 1964 erscheinen konnte. Es ist ein phantastischer, völlig menschenfremder Roman, der stellenweise in einer beängstigen, bizarren Welt unter Verhältnissen spielt, die teils charakteristische Erscheinungen des Kapitalismus, teils des Personenkults ad absurdum führen. Einige von leidenschaftlicher Liebe zum Leben und von lyrischer Schönheit erfüllte Stellen mildern die bedrückende Atmosphäre. Déry sucht in diesem Buch voller Unruhe eine Antwort auf die Frage, worin eigentlich die Freiheit besteht, doch konnte er den anspruchsvollen Plan zu keiner gedanklich einheitlichen und ausgereiften Schöpfung ausarbeiten.


    Die Thematik ist sehr interessant, nicht wahr?


    Liebe Grüße
    mombour (ehemals ma08...)