Iwan S. Turgenjew - Väter und Söhne

Es gibt 8 Antworten in diesem Thema, welches 6.634 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Onkel Orwell.

  • Iwan S. Turgenjew: Väter und Söhne.


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    Väter und Söhne gehört zu den 100 berühmtesten Klassikern und ist auf fast jeder Kanon-Liste vertreten. Im Mittelpunkt steht der Nihilist Basarow (er bezeichnet sich auch selber so), der nur an Naturwissenschaft und Materialismus glaubt, Gefühle und Liebe gibt es für ihn nicht. Der Mensch unterscheidet sich nicht grundsätzlich vom Frosch - einen solchen Ausspruch findet man im Roman, gleichzeitig seziert Basarow als Naturwissenschaftler immer wieder Frösche. Basarow macht jedoch eine Entwicklung durch und wandelt sich im Laufe der Zeit.


    Turgenjews Buch ist einfach zu lesen. Das liegt daran, dass er linear erzählt, es nur einen einzigen Handlungsstrang gibt und am Ende keine Fragen offen lässt. Das wirkt heute ein wenig antiquiert. Seine Stärke sind die Beschreibungen von Landschaften und Situationen, auch Gespräche werden gekonnt wiedergebeben. Am Ende ist man als Leser von der Handlung ergriffen. Andere Autoren können das natürlich auch, gegenüber anderen Russen fehlt ihm die Tiefe Dostojewskis, die Pointiertheit von Tolstois Kurzgeschichten und der Witz von Gogol in seinen Toten Seelen. Dennoch ein nett zu lesendes Buch, welches es aber nicht auf meine persönliche Kanon-Liste schafft.


    4ratten


    Gruß, Thomas

  • Dennoch ein nett zu lesendes Buch, welches es aber nicht auf meine persönliche Kanon-Liste schafft.


    Ja? Schade.


    Die parallele Schilderung des Konflikts zwischen dem Alten und dem Neuen (von der Gesellschaft her gesehen) bzw. den Vätern und den Söhnen (von den Individuen her gesehen) halte ich nach wir vor für unerreicht. Ausserdem ist Turgenjew für mich immer noch der Referenzpunkt, wenn ich eine Definition des Nihilismus suche ...


    Turgenjew ist sicherlich der "westlichste" der von Dir genannten Russen.


    Für mich gehen von Väter und Söhne zwei literarische Linien aus: die zu Kafka und die zu Camus.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Für mich gehen von Väter und Söhne zwei literarische Linien aus: die zu Kafka und die zu Camus.


    Diese Verbindungen sehe ich ohne das Hinzuziehen weiterer Sekundärliteratur nicht so ohne weiteres.


    Gruß, Thomas

  • Diese Verbindungen sehe ich ohne das Hinzuziehen weiterer Sekundärliteratur nicht so ohne weiteres.


    Nun ja: Das Thema "Väter und Söhne" ist für mich - auch wenn unterdessen von allen Seiten auf diese Interpretation eingedroschen wird - eine Konstante in Kafkas Werk und steht dann wiederum in einem engen Zusammenhang mit dem Thema "Schuld und Sühne" ;). (Und von daher natürlich auch ein Link zu Camus!)


    Den Zusammenhang zwischen Nihilismus und Existentialismus (im Sinne Camus', nicht Sartres!) kann ich in ein paar Minuten wohl nicht erklären. Bindeglied ist für mich "das Absurde" - und Kierkegaards "Sprung in den Glauben", der, wenn er nicht gelingt, bestenfalls im Existentialismus, schlimmstenfalls im Nihilismus endet. Der Fremde ist für mich einer, der im Nihilismus endet, im für Geist und Körper tödlichen Stupor des Nihilismus.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Iwan Turgenjew Väter und Söhne


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    Im Roman geht es um den Kontrast von Weltanschauungen zwischen der jüngeren Generation gegenüber der Generation ihrer Väter, eine Auseinandersetzung zwischen den westlich orientierten Nihilismus gegenüber der Traditionen des russischen Landadels. Der Medizinstudent und Nihilist Basarow verbringt einige Tage auf dem Gut von Arkadijs Vater Nikolai Petrowisch Kirsanow. Arkadij ist Anhänger von Basarows Anschauungen. Auf dem Gut lebt auch Pawel Petrowisch, Nikolaijs Bruder. Zwischen ihm und Basarov entwickelt sich ein erbitterter Disput.


    Zitat von "Turgenjew"

    Ein Nihilist ist ein Mensch, der sich von keiner Autorität verbeugt, der kein einziges Prinzip auf Treu und Glauben gelten läßt, gleichgültig, welchen Ansehens sich dieses Prinzip auch erfreuen möge.


    Von Pawel wird zu anfangs gelassen eine Frage aufgworfen, ob die Deutschen bessere Gelehrte haben als die Russen. Allerdings fühlt er sich von kaltschneuzigen Antworten Basarows gereizt. Basarow erkennt keine Autoritäten, auch keine wissenschaftlichen Autoritäten an. Basarow erkennt nur Tatsachen an, mit denen er sich dann einverstanden erklärt. Dass ein „ordentlicher Chemiker zwanzigmal nützlicher ist als jeder Dichter,“ darin stimme ich ihm sogar zu, den Kunst hat keinen praktischen Nutzen. Pawel ist ein Gefühlsmensch, ein Romantiker (war unglücklich verliebt usw). Mit so einem kann Basarow nichts anfangen. Basarow könen wir als ziemlich cool und abgebrüht umschreiben (auch sein Vorhaben , einen Frosch zu sezieren, deutet auf sein materialistisches Denken hin).


    In Kap 7 fällt der interessante Satz Basarows: „Jeder Mensch muß sich selber erziehen.“ Man muss nur an sich selber glauben, nicht an irgendwelche Autoritäten oder Glaubensvorstellungen. Das erinnert mich an den Existentialismus.


    Die Liebe zwischen Mann und Frau seziert Basarow völlig antiromantisch:

    Zitat von "Turgenjew"


    Und was sind das für geheimnisvolle Beziehungen zwischen Mann und Frau. Wir Physiologen kennen diese Beziehungen. Studiere doch die Anatomie ds Auges: woher soll, wie du sagst, einrätselhafter Blick kommen? Das ist alles Romantik, Unsinn, Fäulnis, Künstlertum. Gehen wir lieber den Käfer ansehen.


    Na, hier gebe ich Basarow nicht recht, denn ein Gefühl spiegelt sich auch immer im Ausdruck des Körpers wieder. Der Disput ist so lebensecht erzählt, dass ich in Versuchung gerate, mit den Protagonisten diskutieren zu wollen, sodass an dieser Stelle meine persönliche Meinung durchbricht. Eiskalt ist Basarow gewiss, weil er jegliches Gefühl abspricht. Kein Wunder, wenn Pawel ihn nicht mag und gereizter wird. Der Konflikt geht so weit, dass Pawel Basarow jegliches Russentum abschreibt, weil er jegliche Traditionen und religiöses Dasein ableugnet.


    Durch die Begegnung Basarows mit Anna Sergejewna Odinzowa erweist sich im Roman erstmals der lebenspraktische Unsinn des Nihilismus. Jegliche Liebelei ist für Basarow "blödes Zeug", "unverzeihliche Dummheit", aber Basarow verliebt sich über beide Ohren hinaus.


    Turgenjew erzählt vom Scheitern des Nihilismus in der Welt. Die nihilistischen Thesen erhält Basarow aus den Schriften des deutschen Vulgärmaterialisten Ludwig Büchner. Arkadij gibt seinem Vater Büchners Werk „Kraft und Stoff“ und nimmt ihm dafür Puschkin aus den Händen.


    In Turgenjews Roman erscheinen alle Gestalten, auch Nebenfiguren, sehr lebensnah und echt. Turgenjew ist ein wunderbarer Charakterzeichner und erzeugt auch zwischen den Zeilen Spannung. Ein excellentes Beispiel dafür sind die Szenen zwischen Anna Sergejewna Odinzowa und Basarow, wenn Basarow, von seiner Verliebtheit fast wahnsinnig, das Unaussprechbare, das Liebesgeständnis, nicht auszusprechen wagt.


    Der Roman kann als vorbereitende Lektüre zu Dostojewskijs „Dämonen“ empfohlen werden, weil sich Dostojewskij in diesem Roman ebenfalls mit dem Nihilismus auseinandersetzt und sogar Turgenjew selbst auftreten lässt.


    5ratten


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Der Roman kann als vorbereitende Lektüre zu Dostojewskijs „Dämonen“ empfohlen werden, weil sich Dostojewskij in diesem Roman ebenfalls mit dem Nihilismus auseinandersetzt und sogar Turgenjew selbst auftreten lässt.


    Ein interessanter Hinweis! Beide Romane liegen leider noch ungelesen bei mir.


  • Ausserdem ist Turgenjew für mich immer noch der Referenzpunkt, wenn ich eine Definition des Nihilismus suche ...


    Lustig, genau aus dem Grund habe ich mir Väter und Söhne zugelegt. Der Nihilismus interessiert mich schon lange. Durch Schuld und Sühne habe ich erfahren, dass dieser Begriff schon viel älter ist als ich gedacht habe und ich finde ihn da auch noch nicht so negativ belegt, wie er es heute ist...
    Das sind für mich gute Denkansätze. Auch der feministische Grundgedanke scheint von den Nihilisten zu kommen...


    Jedenfalls liest sich das Buch sehr gut. Bin aber erst etwa zu 1/4 durch...

    Einmal editiert, zuletzt von Onkel Orwell ()