Émile Zola - Der Bauch von Paris

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  • Émile Zola - Der Bauch von Paris


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    Inhalt


    Der Deportierte Florent kann aus der Sträflingskolonie fliehen und kehrt abgemagert und der Welt gegenüber misstrauisch nach Paris zurück. Sein Bruder Quenu und dessen Frau Lisa, die sich während Florents Abwesenheit mithilfe eines Erbes eine stattliche Fleischerei aufgebaut haben, nehmen den Flüchtling auf. Da Florent aber allseits wegen seines Aussehens und seines Gemüts Anstoß erregt, fürchtet Lisa um den guten Ruf der Familie und will den ‚großen Dürren’ loswerden.



    Meine Meinung


    Vorerst: Ein tierliebender Vegetarier dürfte wenig Freude an diesem Werk haben! So widmet sich das zweite Kapitel beispielsweise in erster Linie der Herstellung der Wurstwaren in der Fleischerei. Zola ist wahrlich ein meisterhafter Beobachter! Durch die detaillierten Beschreibungen der Markthallen bekommt man das Gefühl, selbst zwischen dem Gemüse, den dicken Händlerinnen, dem frischen Fisch und all den verschiedenen Gerüchen zu stehen. Man ist bezaubert vom Duft der Blumenstände, fasziniert vom Gestank der verschiedenen Käsesorten und angeekelt vom Todesgeruch der Schlachterei. Alles baut sich vor dem inneren Auge bunt auf, man hört das Geschnatter der Gänse und das Geschrei der Marktfrauen. Man spürt die Sonne auf der Haut, das Pflaster unter den Füßen, die glatte Haut des Pfirsichs und die runzlige der Rüben. Die Markthallen mit all ihren Farben, Gerüchen und Geräuschen ziehen einen hinein in den Bauch von Paris.


    Aber nicht nur die Umgebung, auch die Charaktere sind glänzend beschrieben! Florent, der ‚große Dürre’, den alle Welt argwöhnisch betrachtet und der selbst der Welt nicht minder skeptisch gegenübersteht; Lisa, die dicke, schöne Fleischersfrau, die alles dafür tut, in ihrem schönen Leben, ihrer fetten Trägheit nicht gestört zu werden; deren gutmütiger Mann und Florents Bruder Quenu, der von allen Seiten leicht zu beeinflussen ist und sich gerne von seiner Frau lenken lässt; der schwachsinnige Marjolin, der mit seiner gerissenen Freundin Cadine eine tierische Idylle erlebt. Sie allen werden von Zola vorgestellt, man begleitet sie ein Stück und beobachtet sie noch ein Weilchen aus der Ferne.


    Aber nicht nur diese großartig lebendigen Beschreibungen machen Der Bauch von Paris zu einem lesenswerten Werk. Besonders interessant fand ich auch den immer wiederkehrenden Gegensatz zwischen den Fetten und den Dürren: So wird Florent von Anfang an misstrauisch beäugt, weil „diese Mageren von Bosheit zerfressen“ seien. Zu den schönsten Frauen zählen jedoch immer die wohlgenährtesten. Zu einem späteren Zeitpunkt der Handlung lässt sich dieses Verhältnis auch auf die Politik und die Lebensperspektiven der Charaktere übertragen.


    :tipp:


    Liebe Grüße,


    mondpilz

    Einmal editiert, zuletzt von mondpilz ()

  • Das klingt ja so, als könne Zola die Markthallen ebenso gut beschreiben wie das Kaufhaus in Das Paradies der Damen! Gerade dessen Beschreibungen hatten mich im "Paradies..." völlig fasziniert. Umso mehr freut mich, dass "Der Bauch von Paris" seit kurzem bei mir subbt, vermutlich nicht mehr allzu lange. Danke für die Rezension, Mondpilz.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Ja, schöne Rezension. Meine Frau liest momentan zufälligerweise ebenfalls den "Bauch von Paris" und schwärmt davon in höchsten Tönen. Und nun auch noch diese begeisterte Rezension - also werde ich es mir demnächst wohl auch mal vornehmen. Ich habe Zola bislang - aus welchen Gründen auch immer - etwas skeptisch gegenübergestanden (meine Vorurteile: schwer zu lesen, unverdaulich, anstrengend). Doch vielleicht zerstreuen sich ja meine Befürchtungen. Das war in der Vergangenheit glücklicherweise bei den meisten Klassikern so. Ich stelle immer wieder fest: Keine Angst vor großen Tieren Klassikern... :zwinker:

  • Ich habe ja Zola auch als Z auf meiner SLW08 Liste, mit "Die Beute". Diese Rezi macht ja richtig Hoffnung auf eine gute Lektüre.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Es freut mich, dass ich euch mit meiner Rezension neugierig gemacht habe! :smile:



    Ich habe Zola bislang - aus welchen Gründen auch immer - etwas skeptisch gegenübergestanden (meine Vorurteile: schwer zu lesen, unverdaulich, anstrengend).


    Genau das hatte ich auch erwartet! Aber keines dieser Vorurteile trifft auch nur im Entferntesten zu. Es mag durchaus sein, dass andere Leser sich für dieses Buch nicht ganz so beigeistern können wie ich, aber dann liegt es definitiv nicht an diesen Punkten!


    Liebe Grüße,


    mondpilz

  • Meine bisher einzige Erfahrung mit Zola war Germinal, das mir auch sehr gut gefallen hat. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Kumpel waren phantastisch geschildert. Aus irgendwelchen Gründen (die sicher nicht Zola anzulasten sind), ist dem aber keine weitere Lektüre gefolgt. Aber in meiner Autoren-SuB-Liste habe ich ihn mit Novellen drin, auf die ich mich schon sehr freue. Allerdings denke ich, daß ich auch dieses Buch hier unbedingt mal lesen muß, denn wenn es um Essen und Trinken geht, bin ich nur schwer zurückzuhalten! :breitgrins:


    Schönen Gruß,
    Aldawen


  • Meine bisher einzige Erfahrung mit Zola war Germinal, das mir auch sehr gut gefallen hat. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Kumpel waren phantastisch geschildert. Aus irgendwelchen Gründen (die sicher nicht Zola anzulasten sind), ist dem aber keine weitere Lektüre gefolgt.


    Tja, das geht mir genauso. Ich glaube ja es liegt daran, dass man von Zola nach Germinal nichts grundsätzlich Neues mehr erwartet.


    Gruß, Thomas

  • Ich hatte meine große Zola-Phase mit 14/15.


    Also schwierig ist der nun definitiv nicht zu lesen.


    Das hier klingt auch toll, kenn ich noch nicht - was bei der Menge an Zola-Büchern ja nicht ungewöhnlich ist.

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~


  • Juchu !
    Habe zufällig gestern "Den Bauch von Paris" zuende gelesen nachdem es vorher ein paar Monate bei mir rumSUBte. Jetzt kann ich gar nicht mehr verstehen, wieso ich mich da nicht eher rangetraut habe - ich bin total begeistert ! Für alle die noch zweifeln : Traut euch !!!
    Es ist wirklich toll, wie Zola die Atmosphäre der Markthallen vermittelt, oder wie anschaulich und penibel er alles beschreibt. Ich habe noch nie jemanden so verzückt von Kohlköpfen und Schweinefüßen schreiben sehen. :breitgrins: ( Na, ob der Satz jetzt so richtig ist... :zwinker: )
    Für mich ein : :tipp:


    LG simmilu

    Mein Patronus ist eine Büchereule

  • Vor etwa zwanzig Jahren hatte ich große Freude an Zola´s Bücher, hab auch einige davon gelesen,
    fast alle 20 Bänder des Rougon-Macquart-Zyklus und auch seine Erzählungen.
    :zwinker: Der Mann war aber auch enorm produktiv
    Zu gleicher Zeit hat mich nur noch Guy de Maupassant interessiert, wahrscheinlich paar Jahre habe ich nichts
    anderes lesen wollen. :breitgrins:

  • fast alle 20 Bänder des Rougon-Macquart-Zyklus und auch seine Erzählungen.


    Stoff? Wie werden die geliefert? Aufgerollt?


    sncr


    [klugscheissmodus]das Band (z.B. aus Stoff) -> Mehrzahl = die Bänder // der Band (= das Buch) -> Mehrzahl = die Bände ... [/klugscheissmodus]


    Nix für Ungut! :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)


  • Ich hatte meine große Zola-Phase mit 14/15.


    Bei mir war es zwar geringfügig später, aber nun bin ich 25 Jahre älter, da reizen mich andere Autoren irgendwie mehr. Aber dennoch empfehle ich Zola uneingeschränkt.


    Gruß, Thomas

  • Das klingt wirklich reizvoll - und just heute morgen habe ich in "écoute" einen Artikel über den Markt von Rungis und seinen Vorgänger, "Les Halles", gelesen, in dem auch "Le ventre de Paris" erwähnt wurde.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Florent, bei den Straßenkämpfen der Revolution von 1848 zu Unrecht festgenommen und des Mordes beschuldigt, kehrt nach vielen Jahren aus der Verbannung zurück nach Paris - versteckt auf einem Gemüsekarren, der unterwegs zu den Großmarkthallen ist.


    In der Nähe der Hallen lebt sein Halbbruder, inzwischen erfolgreicher Inhaber einer Metzgerei und verheiratet mit der schönen Lisa. Von ihm erhofft sich Florent Hilfe und Zuflucht. Zunächst gelingt das auch, Florent findet sogar Arbeit als Aufseher in der Fischmarkthalle. Doch dann gerät Florent in Verruf und muss erneut um seine Existenz fürchten ...


    Zwei Dinge sind mir von diesem Buch hauptsächlich im Gedächtnis geblieben. Das eine ist Zolas ausschweifende, detailverliebte Art zu schildern - die Auslage der Metzgerei, bei der jede Sorte Wurst und jedes Pastetchen aufs Genaueste beschrieben wird, die schwindelerregenden Gerüche im Käsekeller, die appetitliche Auslage an den Obst- und Gemüseständen, die frischen Fische und Meeresfrüchte. (Die Eindrücke aus der Wurstküche sind nur ein Grund, weswegen das Buch für Vegetarier wohl eher ungeeignet ist - es wird sehr deutlich, welch großen Stellenwert Fleisch und Wurstwaren seinerzeit für die Menschen hatte.) Mitunter wird das auch einmal etwas langatmig, hat aber auch eine gewisse altmodische Faszination.


    Man kann sich das riesige Labyrinth der Markthallen mit ihren Pavillons für die verschiedensten Lebensmittelarten bildlich vorstellen, ebenso die Marktbeschicker und die Kundschaft, die Stammgäste im Hinterzimmer der Kneipe, die Florent frequentiert, die zankenden Alpha-Damen, von denen jede die Schönste und Klügste sein will, die zwischendrin herumtobenden Gassenkinder und nicht zuletzt die Klatschweiber, die sich von früh bis spät über alles und jeden die Mäuler zerreißen und sich keinen Deut darum scheren, wie hoch der Wahrheitsgehalt ihrer Sensationsgeschichten wirklich ist.


    Genau das ist der zweite Punkt, den Zola in bedrückender Weise meisterhaft ausführt. Letztendlich ist es der Markttratsch, der, unhinterfragt von allen Beteiligten, dazu führt, dass Florent noch einmal Gefahr läuft, alles zu verlieren. Ein böses Ende wirkt geradezu unausweichlich - und das nur, weil die allermeisten Menschen nicht den Mut und den Weitblick haben, zweimal hinzuschauen oder einfach einmal mit den Betroffenen zu reden.


    Ein schillerndes Sittengemälde voller minutiös ausgemalter Details des Lebens in Paris im 19. Jahrhundert und eine ziemlich deprimierende Analyse des Zwischenmenschlichen im Mikrokosmos der Markthallen.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen