Galsan Tschinag – Die graue Erde

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    Inhalt: Der Ich-Erzähler, der praktischerweise auch Galsan heißt, lebt mit seinen Eltern das traditionelle Nomadenleben in der Jurte. Er fühlt sich zum Schamanen berufen und wird darin von seiner Tante, der Schamanin der Sippe, unterstützt. Eines Tages kommt aber sein ältester Bruder, ein Schuldirektor, um ihn in seine Schule zu holen, wo sich auch schon zwei weitere Geschwister befinden. Für den Jungen ist dies zunächst ein echter Kulturschock, er versteht nichts von dem, was um ihn herum passiert und was man von ihm will, was nicht zuletzt auch daran liegt, daß er unter Strafandrohung seine Muttersprache Tuwa nicht mehr verwenden darf (obwohl Schüler und auch Lehrer dieses immer wieder tun, wenn sie sich unbeobachtet glauben), sondern die mongolische Sprache lernen muß. Mit der Zeit findet er sich aber doch in den Schulbetrieb ein, wird sogar Klassenbester und gewinnt Freunde unter seinen Mitschülern. Allerdings darf er auch seinen schamanischen Neigungen nicht mehr nachgehen, denn die Schule soll die Kinder im Sinne einer „modernen“, sozialistischen Ordnung (das Buch spielt in den frühen 1950er Jahren) erziehen und von ihren „rückständigen“ Traditionen lösen. Als ein Klassenkamerad nach einem Streit mit einem Lehrer verschwindet und dieser deshalb seine Verhaftung fürchten muß, bittet er den Jungen aber um seine schamanische Hilfe. Ganz im Sinne der herrschenden Ideologie werden Arbeitsdienste auch der Schüler von der lokalen Parteileitung anberaumt. Das geht eine ganze Weile gut, erst ein großer Unfall bringt einschneidende Veränderungen, vor allem für den Erzähler und seine Familie.



    Meine Meinung: Tschinag beschreibt ganz wunderbar die Verwirrungen beim Zusammentreffen der traditionellen Wertvorstellungen mit der „modernen“, vom Staat verordneten sozialistischen Ideologie. Für den Erzähler ist dies zunächst ein beträchtlicher Schock, und er braucht eine ganze Weile, um sich davon zu erholen und sich mit den Umständen zu arrangieren. Vom Schamanismus darf er nicht mehr reden, geschweige denn entsprechende Riten praktizieren, da dies mit schweren Strafen bedroht ist, die auch an seiner Familie, vor allem dem ältesten Bruder oder den Eltern, vollzogen werden können. Sprachlich gewöhnungsbedürftig fand ich in diesem Zusammenhang, daß Tschinag für die schamanistische Tätigkeit immer schamanen als Verb verwendet: „Ich schamante ...“ :confused:


    Die älteren Geschwister haben den „Weg des Wissens“ schon stärker verinnerlicht. Galsan versucht dies auch, kann aber letztlich seiner Berufung nicht völlig entkommen, die zu verschiedenen Gelegenheiten einfach ausbricht. Seine innerliche Zerrissenheit wird besonders deutlich, als der erste Arbeitsdienst für die Schule befohlen wird: das Fällen eines kleinen Lärchenwaldes. Da sich niemand so recht traut, greift ein Mitglied der lokalen Parteileitung, der auch als Hausmeister an der Schule arbeitet, aus einfachsten Verhältnissen stammt und von der neuen Linie profitiert, selbst zu Axt und Säge, um den zentralen und ältesten Baum des Waldes, eine Schamanenlärche, zu fällen. Alle erwarten eine Bestrafung des Mannes durch die Geister, aber nichts passiert. Galsan aber hat, als die Säge angelegt wurde, die Seele des Baumes klagen gehört. Er fürchtet, daß die Geister ihre Orte ebenso verlassen haben, wie seine Seele seinen Körper, so daß in beiden Fällen nur noch biologische Masse übrig geblieben ist.


    Tschinag hat in der damaligen DDR studiert und schreibt auf Deutsch. Man merkt dem Buch aber an, daß es nicht seine Muttersprache ist, weil der Stil doch etwas eigenwillig ist und der Satzbau manches Mal ein wenig verdreht wirkt. Nichtsdestotrotz läßt es sich gut und flüssig lesen und vermittelt interessante Einblicke in mittlerweile zwei so nicht mehr existierende Kulturen.


    4ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Gern geschehen, Ingroscha :winken: Bei mir subt noch Der blaue Himmel von ihm. Welches hast Du?


  • Sein neuestes: Die neun Träume des Dschingis Khan, wird aber vermutlich so Mitte des Jahres werden.


    Von dem Buch hab ich auch schon gehört, vielleicht besorg ich mir das dann noch ...


  • Sprachlich gewöhnungsbedürftig fand ich in diesem Zusammenhang, daß Tschinag für die schamanistische Tätigkeit immer schamanen als Verb verwendet: „Ich schamante ...“ :confused:


    Ungewöhnlich klingt es ja wirklich, aber ich muss sagen, dass mir der Ausdruck gefällt. Was macht ein Tischler? Er tischlert. Was macht ein Maurer? Er mauert. Was macht ein Schamane? Er schamant. Ist doch logisch :breitgrins: .
    Ich nehme an, dass Tschinag da einfach den entsprechenden Ausdruck seiner Muttersprache wörtlich übersetzt hat, da es im Deutschen mangels Schamanismus keine richtige Entsprechung gibt.
    Überhaupt macht mich die Rezension gespannt auf Tschinags Werke, von denen eins, "Der weiße Berg", bei mir subbt.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Ungewöhnlich klingt es ja wirklich, aber ich muss sagen, dass mir der Ausdruck gefällt. Was macht ein Tischler? Er tischlert. Was macht ein Maurer? Er mauert. Was macht ein Schamane? Er schamant. Ist doch logisch :breitgrins: .


    Eine gewisse Logik will ich auch gar nicht bestreiten, aber es war trotzdem komisch zu lesen :zwinker:



    Überhaupt macht mich die Rezension gespannt auf Tschinags Werke, von denen eins, "Der weiße Berg", bei mir subbt.


    Der weiße Berg ist die Fortsetzung von diesem hier, die mich durchaus reizen würde. Auf jeden Fall werde ich danach Ausschau halten. :winken:


    Schönen Gruß,
    Aldawen