Thomas Lehr - 42

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  • 14. August, 12 Uhr, 47 Minuten und 42 Sekunden: Eine Gruppe Besucher und Wissenschaftler verlässt während einer Besichtigung des Forschungsinstituts CERN die unterirdische Teilchenbeschleuniger-Abteilung und gerade als sie den Aufzug verlassen, bleibt die Welt stehen. Alles um sie herum ist in genau dieser Sekunde eingefroren: Vögel mitten im Flug; Flüssigkeit, während sie aus einer Flasche in ein Glas fließt; Fahrzeuge; Menschen in ihrer Bewegung oder sogar im Sprung, mitten in der Luft. Dieser Dornröschen-Zustand verschwindet nicht sofort wieder, sondern hält an. Nach einigen Diskussion und Tests beschließt die Gruppe sich zu trennen, während die überlebenden CERN-Forscher weiter Experimente durchführen wollen um die Situation zu untersuchen und sich vielleicht sogar aus dem Stillstand zu befreien, beschließen die meisten anderen einfach in verschiedene Richtungen davon zu gehen, am Anfang noch voller Hoffnung, dass sie nur ein einer Zeitglocke gefangen sind, die irgendwo endet, aber mit der Zeit ohne an eine echte Zukunft zu glauben und auch immer misstrauischer gegenüber ihren Mitchronisten. Als tatsächlich etwas GESCHIEHT, keimt die Hoffnung auf eine Zukunft erneut auf und ein weiteres Treffen der Chronifizierten kann vielleicht eine Änderung herbeiführen.


    Bei dem Titel „42“ für einen Science-Fiction-Roman vermute ich zunächst einmal eine Verbeugung vor Douglas Adams, der in seinen Romanen diese Zahl als Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ anbietet. Thomas Lehr bietet in seinem Buch allerdings noch weitere Deutungsmöglichkeiten an, wie z.B. die Tatsache, dass man 42 im Japanischen „shi ni“ lesen kann, was soviel wie „Tod“ bedeutet. Eine eindeutige Erklärung des Titels bleibt er seinen Lesern schuldig, und das ist konsequent, denn „42“ ist kein Buch der Antworten, sondern der Uneindeutigkeit und Erklärungslosigkeit.


    Thomas Lehr hat sich für diesen Roman ein wirklich faszinierendes Szenario ausgedacht. Die Ausgangssituation ist grandios, doch der Stillstand der Welt, die Tatsache, dass Veränderungen nur durch Mitglieder dieser einen Gruppe entstehen können, die noch dazu nicht viel Zeit miteinander verbringen, macht eine Handlung schwierig. Die Geschichte wird aus der Sicht eines der betroffenen Besucher, eines Journalisten geschildert, dessen Aufzeichnungen in ihren Gedankensprüngen und zusammenhanglos wirkenden Bemerkungen einen Tagebuchcharakter haben, auch wenn es nicht die ansonsten für diese Form üblichen Datumseinträge und Chronologie gibt. Dies ist natürlich auch schlecht möglich in einer Welt, in der es keine äußerlichen Zeitmesser mehr gibt und eine Uhr nur funktioniert, solange sie am Körper getragen wird. Die Schwierigkeiten dieser Welt werden ebenso beschrieben wie ihre einzigartigen Möglichkeiten, wobei der Autor auf die physikalischen Gesetzmäßigkeiten ebenso genau eingeht wie er gewisse moralische Leitsätze beschreibt. Die Hauptsache an diesem Buch macht jedoch die Sprache aus, derer Thomas Lehr sich mit all ihren Möglichkeiten bedient. Jede Situation wird von ihm mit einer ganz besonderen Eindruckskraft ausgestaltet, wobei die furiose Sprache der Außergewöhnlichkeit der beschriebenen Situation in nichts nachsteht.


    „42“ ist kein Buch welches man lesen sollte, wenn man eine spannende Story sucht, sondern eher wenn man bereit ist, am Philosophieren einer fiktiven Person über Relativität, Moral und die Zeit selbst unter außergewöhnlichen Vorzeichen teilzuhaben. Eine Empfehlung wage ich deshalb nicht auszusprechen.


    Von mir trotzdem 4ratten da ich (trotz chronischer Vergesslichkeit) auch noch längere Zeit später ziemlich viel von dem Buch im Kopf habe.

  • Ich fand die Idee- und den Klappentext- interessant und habe es geschenkt bekommen. Und gelesen. Oh, fand ich das Buch schlecht.ich denke, dass ich es verstanden habe, aber gefallen hat es mir nicht.


    Viel besser fand ich das Buch, aufgrund dessen 42 -auch-seinen Titel erhalten hat, nämlich Douglas Admas Per Anhalter durch die Galaxis, insbes. die Frage, auf die 42 die Antwort ist .

    Gib dem Leben Farbe, bring dich ein mit einem Wort, einem Lächeln.

  • Es war für mich kein Buch, das hätte Begeisterungstürme hervorrufen können, aber das sind komplexe Bücher, die weniger auf mitreißende Lebendigkeit setzen, sondern Gedanken - und / oder Formexperimente wagen, selten. Und doch gilt meine Bewunderung dem Autor und seinem Buch. Denn es ist façettiert, vielschichtig und sprachlich gelungen. Es hat mich die ganze Lektüre über beschäftigt - der Roman bestätigt die These, daß lesen eben auch Arbeit ist, die sich dann aber auch lohnt - gleichzeitig fahndete ich nach Deutungs - und Handlungsebenen, die der Autor miteinander verwoben hat oder haben könnte. So schien es mir neben der SF - Geschichte auch um ein Gesellschaftsbild zu gehen oder um den Tiefpunkt einer Ehe / Liebe, eine Grundsatzdiskussion um Ethos und Gewalt, nicht zuletzt um die Reise eines Schriftstellers oder aber Lesers in ein entstehendes Werk. Konstruktion und der naturwissenschaftliche Vordergrund haben den Roman in meinen Augen etwas zu verkopft, ein wenig angestrengt werden lassen, aber dennoch bleibt ein durchaus positiver Gesamteindruck.


    4ratten

  • Die Idee dieses Romans klingt wirklich hochinteressant: Die Zeit ist für alle bis auf ca. 70 Personen, die sich bald als Chronifizierte bezeichnen, stehengeblieben, bis auf diese bewegt sich nichts und niemand mehr, selbst Vögel und Flugzeuge hängen in der Luft. Aus diesem Szenario könnte man einiges entwickeln. Und in der Tat wird auch einiges angedeutet, z.B. wie die CERN-Wissenschaftler versuchen, die Ursache für dieses seltsame Phänomen zu finden. Es geschehen Morde und es entwickeln sich Parallelgesellschaften (wie die sogenannten Ahnungslosen). Auch die Effekte des Zeitstillstands wie etwa die Stille oder die Unmöglichkeit, alleine Türen aufstemmen zu können, sind glaubwürdig beschrieben. Da die Geschichte aber aus der Sicht des Journalisten Adrian, der im Laufe der Handlung hauptsächlich alleine durch Europa wandert, geschildert wird, erfährt man dies alles nur höchst selektiv.


    Auch macht es Lehr dem geneigten Leser mit seiner Sprache nicht gerade leicht. Warum nur meinen manche zeitgenössische Autoren, sie müssten ihre Werke in eine möglichst komplizierte Sprache kleiden? Haben sie Angst, nicht anspruchsvoll genug zu sein? Prinzipiell habe ich nichts gegen eine gehobenere Sprache in der Literatur, ganz im Gegenteil. In diesem Fall fand ich jedoch, dass der Autor mit einem Maximum an inhaltsleeren Worthülsen und Satzkonstruktionen ein Minimum an Handlung übertünchen wollte. Denn eigentlich passiert über die Hälfte des Buches so gut wie nichts und ich war nahe daran, es abzubrechen. Zumal ich auch bald begann, mich darüber zu ärgern, als der Erzähler schildert, wie er sich an mehreren Fuzzis (so bezeichnen die Chronifizierten diejenigen, die mit der Zeit stehengeblieben sind) vergreift und sie vergewaltigt. Ist ja auch praktisch, die halten still und können sich nicht wehren. :kotz: Mag sein, dass so eine außergewöhnliche Situation solch ein Verhalten fördert, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass der Erzähler bzw. der Autor dieses Gebaren reflektiert.


    Das letzte Drittel war immerhin ganz spannend geschildert. Doch auch die Hoffnung darauf, dass immerhin das Ende mit einem Knalleffekt daherkommt oder zumindest zufriedenstellend ausfällt, wurde schnell enttäuscht. Ich hatte gar nicht erwartet, dass alles restlos aufgeklärt wird, aber etwas mehr als so ein schwammiges Wischiwaschi-Ende hätte es ruhig sein können.


    Fazit:
    Schade um die gute Idee, hier wurde viel Potenzial für einen guten Roman verschenkt.


    1ratten + :marypipeshalbeprivatmaus: