Isaac B. Singer: Leidenschaften

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  • Geschichten aus der neuen und der alten Welt


    “Alles kann zur Leidenschaft werden”, lässt Singer den Protagonisten der Titelgeschichte dieses Erzählbandes sagen, und diese kleine Weisheit beweist sich auf jeder Seite aufs Neue. In 17 Erzählungen führt Singer den Leser ein in die faszinierende Welt der osteuropäischen Juden, die heute in die ganze Welt verstreut sind.


    Diese Verstreuung, Folge des Holocaust, ist aber auch Ursache des allmählichen Aussterbens dieser ganz speziellen und Jahrhunderte alten Kultur. Umso bemerkenswerter ist es, dass der Autor uns in diesen vielfach autobiographisch gefärbten Texten mitnimmt auf eine völlig unsentimentale, aber umso beeindruckendere Reise in diesen Kulturkreis, dem er selbst angehört. Zwischen der Ukraine, New York und Argentinien bewegen sich die Handlungsfäden, und überall finden sich Verwandte, Freunde, Bekannte, die zwar in in ihrer Individualität absolut einzigartig und unverwechselbar sind, aber dennoch dank ihrer gemeinsamen Geschichte Anspruch aufeinander erheben können.


    Charakteristisch für alle Geschichten ist ein mindestens unterschwelliger, häufig aber auch manifester Mystizismus, der Glaube an Übersinnliches und Geister und ihren Einfluss auf die Lebenden. Dieser zeigt sich auch in den Kreisen der jüdischen Intellektuellen, besonders der Literaten, und gerade diese Erzählungen leben von diesem reizvollen Kontrast. Aber auch die einfachen Leute, die Singer beschreibt, Bauern, Handwerker und Rabbis in osteuropäischen Dörfern, sind von diesem Glauben geprägt.


    Ein weiterer Kontrast, der diese Sammlung ausmacht, ist die Gegenüberstellung der alten jüdischen Kultur, wie sie bis zum zweiten Weltkrieg Bestand hatte, und der Abgesang auf sie durch die Protagonisten aus moderner Zeit. Allen Figuren scheint eine gewisse, vordergründige Naivität eigen zu sein; selbst modernste Problemstellungen werden durch den Rückgriff auf alte Weisheiten und Glaubenslehren ins rechte Licht gerückt. Diese Sichtweisen sind faszinierend und immer wieder überraschend, vor allem wenn man in den Traditionen der Aschkenasi nicht so ganz heimisch ist.


    Diese Erzählungen geben einen tiefen Einblick in eine fast schon ausgestorbene Kultur. Singer, der einzige jiddisch schreibende Nobelpreisträger, erzählt unprätentiös und melancholisch, aber niemals deprimierend von seinen faszinierenden Figuren aus den Gestern und Heute.


    Wertung: 4ratten


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  • Hallo Twilight,


    herzlichen Dank für deine Rezension. Ich schätze Isaac B. Singer sehr, die Erinnerung an die osteuropäischen Juden, das ist sein Verdienst und auch der Reiz, mal einige Bücher von Singer zu lesen.


    Begonnen habe ich mit "Eine Kindheit in Warschau". Nun ehrlich gesagt, vom literarischen Standpunkt aus gesehen nicht unbedingt umwerfend. Trotzdem liebe ich dieses Büchlein, weil es, so spüre ich es, aus dem Herzen des Autors springt, und dem Leser in diesen Geschichten seine Kindheit sehr sympathisch offenbart.


    Zu meinen Lieblingsbüchern reihe ich Singers Roman "Feinde, die Geschichte einer Liebe" ein. Grandioser köstlicher Humor, jüdische Emigranten in New York....


    Liebe Grüße
    mombour

  • Bislang und auch erst kürzlich habe ich von Singer nur Die Narren von Chelm gelesen, die aber auch im Schtetl-Milieu angesiedelt waren. Danach stand für mich eigentlich schon fest, daß ich von ihm noch mehr lesen möchte, weil mich diese Welt einfach fasziniert. Deine Rezi hat mich darin sehr bestätigt, Twilight!


    Schönen Gruß,
    Aldawen