Eli Amir – Der Taubenzüchter von Bagdad

Es gibt 5 Antworten in diesem Thema, welches 5.663 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von qantaqa.

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    Inhalt: Im jüdischen Viertel Bagdads lebt Kabi mit seiner Familie, aber vieles hat sich geändert seit der Farhud, einem Pogrom gegen die Juden Bagdads 1941. Die Polizei durchsucht willkürlich Häuser der Juden und verhaftet wahllos. Unter vorgeschobenen Anklagen werden viele hingerichtet. Im Untergrund organisiert sich „die Bewegung“, eine zionistische Bewegung, die die irakischen Juden ins Heilige Land und den noch jungen Staat Israel bringen will. Auch Kabis Onkel Hizkel gehört dieser Bewegung in prominenter Position an, wird aber unter der Anklage des Waffenschmuggels verhaftet. Ein weiterer Onkel ist in der kommunistischen Partei aktiv und daher nicht weniger gefährdet. Die Familie bemüht sich über alle möglichen Wege, zunächst einmal überhaupt Hizkels Aufenthaltsort herauszufinden und anschließend, ihn freizubekommen. Währenddessen kochen die Ressentiments der arabischen Bevölkerung immer höher und die Situation in der Stadt wird für die Juden immer unhaltbarer. Kabis Vater träumt von einem Neuanfang in Israel, der ihm endlich auch einen wirtschaftlichen Erfolg bringen soll (dahinter steckt eine alte Familienrivalität), während die Mutter Bagdad auf keinen Fall verlassen will. Die irakische Regierung dringt aber auf einen Austausch ihrer jüdischen Bevölkerung gegen durch den ersten israelisch-arabischen Krieg vertriebenen palästinensischen Flüchtlinge, die schon dreist beginnen, das jüdische Viertel in Besitz zu nehmen. So meldet sich auch Kabis Familie für den Flug nach Israel, aber die Ankunft ist weniger paradiesisch, als alle gehofft hatten.



    Meine Meinung: Der Hintergrund dieses Romans, der mir stark autobiographische Züge aufzuweisen scheint, ist ebenso wahr wie traurig. Anfang Juni erlebte Bagdad eine Welle arabisch-nationalistischer Gewalt, der knapp 200 jüdische Bürger zum Opfer fielen, auch weil die britischen Truppen zu spät eingriffen. Die meisten konzentrierten sich anschließend in speziellen jüdischen Vierteln, aber die Angst vor einer Wiederholung dieses Farhud genannten Pogroms saß tief und wurde durch das Verhalten der Polizei, das sich im Roman auch an vielen Stellen findet, weiter geschürt. Der erste israelisch-arabische Krieg tat ein übriges zur Verschärfung der Stimmung. 1951/52 wurden fast alle der rund 130000 irakischen Juden über eine Luftbrücke nach Israel ausgeflogen.


    Amir erzählt von einem untergegangenen Bagdad, das auch zu dieser Zeit nicht perfekt, aber für seine jüdische Bevölkerung trotzdem Heimat war. Man streift mit Kabi durch die Gassen und Suks, betört von den Gerüchen und vom Gesang, und man leidet mit der Familie und dem Viertel über die Schicksalsschläge, die über sie hineinbrechen. Es sind viele kleine Szenen, in denen Amir die Diskriminierung der Juden durch die Araber im damaligen Irak deutlich macht, und die erklären, warum trotz der Beschränkungen beim mitzunehmenden Eigentum so viele die Gelegenheit zur Ausreise nutzten. Auch die Probleme, denen sich die Neuankömmlinge in Israel gegenübersahen, fängt Amir ein. Da gibt es den früheren Gehilfen des Vaters, der schon ein paar Monate vor ihnen angekommen ist und sich gut in die neuen Bedingungen einpaßt, im Gegensatz zu Kabis Vater, der sich Hirngespinsten hingibt, die aus der großen Vergangenheit der Familie resultieren. Es sind vor allem Kabi und schließlich auch seine Mutter, die die Initiative ergreifen müssen, obwohl diese beiden am wenigsten den Drang zum Gehen verspürt hatten. Auch die übrigen Personen, ob es der Bäcker ist oder der Tabakverkäufer, sind interessant und gut gezeichnet und geben der Erzählung entscheidende Impulse. Ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen ergänzt das Buch, an dem einzig zu bemängeln ist, daß der historische Hintergrund mit etwas zu schwammig (aber nicht insgesamt unverständlich) geblieben ist, weshalb ich zusätzlich nachrecherchiert habe.


    4ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()

  • Danke für die Rezi.
    Ich denke das Buch muss noch ein wenig ungelesen in meinem Regal verweilen, da es mir zur Zeit ein bisschen zu ernst für mich erscheint.

  • Es gab schon manche Szenen, die mich haben schmunzeln lassen. Aber im großen und ganzen ist schon ein eher ernstes Buch, das stimmt allerdings.

  • Eli Amir lässt auf unnachahmliche Weise das Bagdad seiner Kindheit wieder erstehen, in dem Moslems und Juden mehr oder weniger gut zusammen leben. Es gibt vorsichtige Freundschaften und gute Nachbarschaft über die religiösen Barrieren hinaus - letztlich sind alle Iraker und man arrangiert sich. Doch mit der Gründung Israels verschärft sich die Situation für die irakischen Juden und viele sehen sich nach und nach gezwungen, die Heimat zu verlassen und ihr Glück im gelobten Land zu versuchen. Dort, so meinen sie, ist es zwar auch gefährlich und es gibt jede Menge Probleme, aber wenigstens wird man dort nicht diskriminiert, weil man Jude ist.
    Eli Amir beschreibt die Überzeugungen, Sitten, Hoffnungen, Enttäuschungen und Freuden der Menschen sehr einfühlsam und lässt auch das Trennende nicht aus. Es wird deutlich, wie schwer es Moslems und Juden miteinander haben und warum sie doch voneinander nicht lassen können.
    Abgesehen von der politischen Problematik ist Der Taubenzüchter von Bagdad auch ein schillerndes Kaleidoskop des Orients: bunt, schrill, heißblütig, wohlriechend und stinkend, laut und voller Lebensfreude. Ein Schmöker allerbester orientalischer Erzählkunst und so richtig zum Eintauchen in eine fremde, exotische Welt.


    5ratten