Anne Perry - Noch sind die Gräber leer/No Graves As Yet

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  • Titel: Noch sind die Gräber leer
    Originaltitel: No Graves As Yet
    Autorin: Anne Perry
    Verlag: Bastei Lübbe
    Erschienen: Februar 2004
    Seitenzahl: 575
    ISBN: 3404150872
    Preis: 8.90 EUR


    Die Autorin:
    Anne Perry wurde 1938 in England geboren. Wegen einer drohenden TBC-Erkrankung lebte sie mit ihrer Familie zeitweise in Neuseeland. In den Sechziger Jahren trat Anne Perry den Mormonen bei und lebte ein paar Jahre in Kalifornien. Mit knapp 40 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Roman.


    Worum geht es?
    Die Welt scheint in Ordnung für den Vikar Joseph Reavley und seine beiden Schwestern, bis ihnen ihr Bruder Matthew eine schlimme Nachricht überbringt. Die Eltern der vier Geschwister sind bei einem merkwürdigen Autounfall ums Leben gekommen. Matthew, der für den britischen Geheimdienst arbeitet, hatte von seinem Vater ein streng geheimes Dokument in Empfang nehmen wollen. Doch das Dokument ist im Autowrack nicht zu finden. Hatte es etwas mit dem Tod der Eltern zu tun? Joseph und seine Geschwister wollen der Sache nachgehen, und eine unglaubliche Geschichte nimmt ihren Lauf.


    Meine Meinung:
    Ein typischer Anne-Perry-Roman? Wohl kaum. Aber auch mit diesem Roman hat Anne Perry wieder einmal ein sehr lesenswertes Buch vorgelegt. Mit den Pitt-Romanen oder den Monk-Romanen wohl kaum vergleichbar gelingt es ihr auch hier, den Leser wieder auf unzähligen falschen Fährten zu locken und ihn nicht eher ruhen zu lassen, bis sie das Rätsel auflöst. Anne Perry gelingt es gut, ein Europa zu schildern, dass es sich nicht nehmen lässt, sehenden Auges in den Ersten Weltkrieg zu schlittern. Sie macht deutlich, dass Krieg kein aufregendes Abenteuer ist, sondern nur unendliches Leid über die Menschen bringen wird. Auch mit diesem Buch beweist Anne Perry, dass sie ohne Frage in die erste Reihe der „Großen Damen der englischen Kriminalliteratur“ gehört und sich da vor nichts und niemanden verstecken muss.


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    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • Meine Meinung:
    Dieser Band ist der Auftakt um eine neue Serie von Anne Perry rund um die Geschwister Reavley und der Suche nach dem Mörder ihrer Eltern.
    Anne Perry hat hier einmal mehr bewiesen das sie das Schreiben doch noch beherrscht. Ich war ja von ihren letzten Romanen eher enttäuscht. Was mir hier besonders gefällt ist der Geschichtliche Hintergrund der hier viel stärker zum tragen kommt. So spielt dieser Band nur ein paar Wochen vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges, welcher auch in der Familie Reavley noch eine wichtige Rolle einnehmen wird. Man spürt bereits das sich etwas grundlegendes verändern wird und dies wird auch die Menschen betreffen und die Grundordnung an die sie alle gewöhnt waren. Gerade dann ist dieser Roman besonders stark. Wenn sie die Menschlichen Sehnsüchte und Abgründe beschreibt ist Anne Perry in ihrem Element.


    In dieser Reihe scheint die Krimihandlung eher zur Nebensache zu werden. Hier geht es viel mehr um die Menschen denen ein wichtiger Mensch entrissen wurde und für den sie Gerechtigkeit wollen - das auch manchmal um jeden Preis. In Noch sind die Gräber leer ist nichts nur schwarz und weiß, sondern in vielen Graustufen gezeichnet. So muss der Leser letztendlich selbst entscheiden was er für gut und böse hält. Ich werde auf jeden Fall nun auch die anderen Bände lesen und hoffe das die Qualität einigermaßen bleibt^^


    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

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    Sommer 1914 in Cambridge. Es ist sehr heiß, einer der Tage, an denen man überhaupt keine Lust hat, etwas Ernsthaftes zu tun. Joseph Reavley, Pfarrer und Dozent, ist mit vielen anderen Menschen bei einem Cricketspiel und hängt seinen Gedanken nach, als plötzlich sein Bruder Matthew auftaucht, um ihn zu informieren, dass ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind.


    Matthew, der beim Geheimdienst arbeitet, ist sich ziemlich sicher, dass der Unfall inszeniert wurde, denn sein Vater hatte kurz zuvor mit ihm gesprochen, weil ihm ein Dokument von allerhöchster politisch-gesellschaftlicher Brisanz zugespielt wurde. Worum es sich dabei tatsächlich handelt, lässt sich nicht mehr feststellen, denn weder hat die Polizei am Unfallort, im Auto oder bei den beiden Toten etwas gefunden, noch ist es im Elternhaus auffindbar, wo am Tag der Beerdigung dann auch noch eingebrochen wird. Offenbar ist das Dokument tatsächlich Zündstoff.


    Joseph, der immer noch mit dem Verlust seiner Ehefrau zu kämpfen hat, kehrt nach Cambridge zurück, wo man sich angesichts der Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gattin in Sarajevo in endlose Diskussionen verstrickt, was das nun für die politische Lage in Europa bedeutet. Und kurz nachdem er Joseph seine Angst vor einem Krieg geschildert hat, wird sein Lieblingsstudent tot in seinem Wohnheimzimmer aufgefunden. Auch das kein natürlicher Tod.


    Anne Perry erzählt wie in ihren viktorianischen Krimis auch hier bedächtig, legt mehr Wert auf Zeit- und Lokalkolorit und auf die Charakterisierung ihrer Hauptfiguren als auf einen reißerischen Kriminalfall. Ich mag diese entschleunigte Schreibe ab und an sehr gerne und bin gespannt, wie sich die Todesfälle aufklären und auch, was ich noch über die Familie Reavley erfahren werde. Vor allem über Joseph, aber auch über Matthew und die jüngste Schwester Judith, die sich nicht den gesellschaftlichen Konventionen unterordnen will und keinerlei Freude an Häuslichkeit hat.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





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    Es ist ein geradezu perfekter Sommertag im Juni 1914, als Joseph Reavley am Rande eines College-Cricketspiels vom Tod seiner Eltern bei einem Autounfall erfährt. Sein Bruder Matthew ist eigens nach Cambridge gefahren, um ihn persönlich zu benachrichtigen, und er erzählt Joseph von seinem bösen Verdacht: John Reavley war kurz vorher ein Dokument zugespielt worden, das von allerhöchster politischer Brisanz sein muss und das britische Empire in seinen Grundfesten erschüttern könnte. Er hatte sich Matthew anvertraut und wollte mit ihm über das heikle Schriftstück sprechen, doch dazu kam es nicht mehr. Matthew ist überzeugt, dass der Unfall seiner Eltern inszeniert war und dass etwas dran sein muss an des Vaters Vermutungen.


    Doch so sehr Joseph, Matthew und ihre Schwester Judith das Elternhaus auf den Kopf stellen, das Dokument ist nirgends auffindbar. Auch im Unglückswagen ist es nicht, auch nicht unter den Dingen, die die Polizei aus dem Wrack sichergestellt hat. Ohne Beweismittel ist es praktisch unmöglich nachzuweisen, dass jemand nachgeholfen hat, als der Wagen von der Straße abkam.


    Kurze Zeit später erschüttert ein weiterer mysteriöser Todesfall Joseph Reavley, der sich nach dem Verlust seiner Frau ein Jahr zuvor von seinen Aufgaben als Gemeindepfarrer hat freistellen lassen und nun als Dozent für biblische Sprachen in einem College arbeitet. Sebastian Allard, einer seiner begabtesten Studenten, wird erschossen aufgefunden. Sebastian, der Goldjunge, dem alles zuflog, akademische Leistungen ebenso wie die Herzen der Mädchen, war auch einer von Josephs Lieblingsstudenten. Sein gewaltsamer Tod geht ihm sehr nahe, und er versucht auf eigene Faust neben den laufenden polizeilichen Ermittlungen etwas Licht ins Dunkel zu bringen.


    Es ist eine aufgewühlte und aufwühlende Zeit, dieser heiße Sommer 1914. Die Schüsse auf Franz Ferdinand in Sarajevo ziehen heftiges Säbelrasseln nach sich, Deutschland unter Kaiser Friedrich Wilhelm II. scheint geradezu versessen auf einen Krieg, auf beiden Seiten werden Loyalitäten von Bündnispartnern eingefordert. Das Buch spielt genau in jenem Zeitraum, in dem noch nicht klar ist, ob es wirklich zu einem Krieg kommen wird oder sich die höchst angespannte Lage doch noch auf anderem Wege beruhigen lässt.


    Auch in den Colleges von Cambridge wird heiß diskutiert, häufig der Patriotismus bemüht, aber auch Ängste artikuliert. Vielen der jungen Männer, die große Reden "für England" schwingen, ist nicht klar, was der heldenhafte Tod auf dem Feld der Ehre wirklich bedeuten würde. Diese Ungewissheit und die Bedrohung eines möglichen Krieges, die Debatten unter den Studenten und die Spekulationen, was geschehen wird, lässt Anne Perry ungemein real werden, wenn auch gelegentlich die politischen Diskussionen für historisch weniger interessierte Leser vielleicht etwas langatmig wirken.


    Überhaupt ist dieses Buch - der Auftakt zu einer Reihe um Joseph Reavley - wie auch Perrys andere Krimiserien eher von der entschleunigten Sorte. Die rätselhaften Todesfälle sind zwar stets präsent, treten aber dennoch immer wieder in den Hintergrund, um Platz zu schaffen für das Alltagsleben anno 1914, für Stimmungsbilder, Gepflogenheiten und die beherrschenden gesellschaftlich-politischen Themen jener Zeit. Daher hatte ich am Ende ein wenig den Eindruck, als sei der Autorin irgendwann wieder eingefallen, dass sie ja noch einige Fäden des Kriminalfalls zu verknüpfen hat, was dann recht spät und entsprechend schnell passiert, immerhin aber auf nachvollziehbare Weise.


    Gerne hätte ich auch noch etwas mehr über Judith Reavley gelesen, die von der eher unkonventionellen Sorte ist. Aber vielleicht gibt es in den weiteren Büchern, die ich definitiv gerne lesen möchte, vor allem nach den Entwicklungen auf den letzten Seiten dieses Buches, ja etwas mehr Raum für sie. Der ruhige, eher introvertierte "Denker" Joseph und der energischere "Macher" Matthew haben mir jedenfalls als Protagonisten sehr gut gefallen.


    Die Wahl des Titels, der zum Glück vom Original übernommen wurde, fand ich im übrigen sehr gelungen und berührend. Beim Lesen habe ich mich immer wieder gefragt, welcher der zahlreichen jungen Männer, hier eine Rolle spielen, wohl am Ende des Krieges wieder nach Hause gekommen sind.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





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