Buchi Emecheta - Zwanzig Säcke Muschelgeld

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    Die Autorin
    Buchi Emecheta wurde 1944 in einem Vorort von Lagos in Nigeria geboren. Ihre Eltern stammten aus Ibuza und gehörten dem Volk der Ibo an. 1962 kam sie nach England und studierte Soziologie. Buchi Emecheta ist geschieden und lebt in London. Sie hat fünf Kinder.
    Sie erhielt einige Auszeichnungen, wie etwa 1978 als "Best Black British Writer".



    Zwanzig Säcke Muschelgeld ist der Titel der deutschen Ausgabe. Er leitet sich von einem Ausspruch von Nnu Egos Vater ab, als dieser nach ihrer Geburt sagte: "Dieses Kind ist unbezahlbar. Es ist mehr wert als zwanzig Säcke Muschelgeld."


    Der Roman beginnt mit einer wichtigen Episode aus dem Leben Nnu Egos. Verzweifelt läuft die junge Frau durch Lagos, im Jahre 1934. Es muss etwas entsetzliches geschehen sein, denn Nnu Ego will sterben. Dieses Ereignis bleibt erst mal so stehen.


    Und dann beginnt die Geschichte Nnu Egos. Schon vor ihrer Geburt. Ihre Eltern Agbadi, ein Chief beim Volk der Ibo, und ihre Mutter Ona sind nicht verheiratet. Da Onas Vater ohne männlichen Erben ist, nimmt diese die Stellung einer "männlichen Tocher" ein. Sie hat die Aufgabe für einen Nachfolger ihres Vaters zu sorgen, seinen Namen weiterzuführen, darf aber nicht heiraten.


    Als sie schwanger wird geht sie mit Agbadi eine Abmachung ein. Ein Sohn gehört ihrem Vater, aber sollte sie eine Tochter zur Welt bringen, gehört sie Agbadi. Als kurz nach Nnu Egos Geburt Ona stirbt, kommt das Kind in das Gehöft des Vaters. Dort lebt sie zusammen mit ihren Halbgeschwistern und den Frauen ihres Vaters bis sie alt genug ist verheiratet zu werden.


    Nnu Ego und das Dorf, in dem sie lebt, sind noch eng mit der Kultur und den Traditionen ihres Volkes verbunden. Ihr Vater, Agbadi, nimmt als Chief eine herausragende Stellung ein. Trotz seiner vielen Frauen vermisst er Ona, seine Geliebte, sehr. Nnu Ego als ihre Tochter liegt ihm sehr am Herzen. Er will sie glücklich sehen und so darf sich Nnu Ego einen geeigneten Ehemann erwählen, um mit ihm zu gehen. Was so hoffnungsvoll begann endet in einem Fiasko.


    Trotz aller Gebete zu ihrer persönlichen Gottheit, ihrer chi, gelingt es Nnu Ego nicht schwanger zu werden. Ihre chi ist der Geist einer Sklavin, die, wie es damals noch üblich war, mit ihrer Herrin begraben werden sollte und sich weigerte. Noch bevor man sie erschlug, schwor sie wiederzukommen als legitime Tochter Agbadis und so wurde Nnu Ego schon sehr früh mit dieser grollenden chi belastet. Die persönlichen Gottheit waren wichtig, da sie für Gesundheit, Wohlstand und bei Frauen eben über Schwangerschaften verantwortlich waren.
    Als die Monate vergingen und sich in dieser Richtung nichts tat, entschied sich Nnu Egos Ehemann eine Zweitfrau zu nehmen. Schon bald war diese schwanger und da ihr Mann stets nach ihr verlangte, übernahm Nnu Ego die Betreuung des Babys. Sie steigerte sich so sehr in ihre Verzweiflung und "Ersatzmutterschaft", dass sie psychisch verfiel und zurück zu ihrem Vater ging, der sie zurückkaufte, sprich den Brautpreis zurückerstattete.


    Nnu Ego erholt sich, aber sie sehnt sich nach einem erfüllten Leben und das sind zu jener Zeit eben immer noch Kinder. Zu einer "vollwertigen" Frau wird man erst, wenn man Söhnen das Leben geschenkt hat. Mädchen gelten als Kinder der Liebe. Frauen erwerben sich Respekt und Anerkennung hauptsächlich durch Mutterschaft. Die Stellung der Frau ist klar festgelegt.
    Polygamie ist an der Tagesordnung und die Frauen werden mit den Grundnahrungsmittel von ihrem Mann versorgt. Die Hauptfrau geniesst im Gehöft grosses Ansehen. Das schlägt sich auch bei der Beerdigung nieder. Davon gibt es zwei Arten, die nach einander zelebriert werden. Bei der ersten wird der Körper beerdigt und die zweite widmet sich mehr dem Geist des Verstorbenen. Denn dieser soll nach seinem Tod weiter für die Familie und andere Bittsteller sorgen. Je prächtiger die zweite Beerdigung ist, desto angesehener war die Person. Eine Frau erwarb sich dieses Ansehen durch die Zahl, das Geschlecht und den Werdegang ihrer Kinder.


    Um Nnu Ego auf diesem Weg der Unsterblichkeit zu helfen, verheiratet ihr Vater sie an einen unbekannten Mann, desen Familie im Dorf lebt, er selber aber in Lagos. Zusammen mit ihrem Schwager, einen ansehnlichen fleißigen Bauern, macht sie sich auf den langen Weg in das unbekannte Lagos. Wie völlig anders das Leben dort ist, erfährt Nnu Ego sehr schnell. Wenn es nicht gegen ihre Ehre gewesen wäre, hätte sie am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht. Ihre neue Hoffnung entpuppt sich als ein fast hässlich zu nennender Mann mit einem Bauch wie eine Schwangere. Auch kleidete er sich unangemessen und was das Schlimmste war, er wusch die Wäsche der Weißen. Ein Mann, schlaff im Geist und schwach an Muskeln, aber unersättlich im Bett. Dieses verachtenswerte Wesen aber verschaffte ihr etwas, das sie bei ihm bleiben ließ und ihm sogar Respekt entgegenzubringen. Sie war schwanger. Das Kind, ein Junge, war ihr ganzes Glück.


    Und an dieser Stellen kehren wir sozusagen an den Beginn des Romans zurück. Kurz nur war das Leben dieses Kindes. Wenige Wochen alt lag es eines morgens tot auf seiner Matte. So lange hatte es gedauert bis ihre chi ihr ein Kind schenkte, nur um ihr damit einen noch grösseren Schmerz zuzufügen, als sie das Kind sterben ließ. Nnu Ego kann nur noch an das tote Kind denken und läuft voller Verzweiflung durch die Strassen Lagos auf den Weg zum Wasser. Dort , tief unten im Wasser, im Reich der Toten, will sie ihre chi suchen und Rechenschaft verlangen.


    Das Leben des Einzelnen gehört der Gemeinschaft. Das ist eine Regel nach der nicht nur die Ibo, die in Lagos fern ihrer Heimat sind, sondern auch die anderen Nigerianer leben. So kommt es, dass Nnu Ego ihren Plan nicht ausführen kann und gerettet wird.


    Sie bringt noch weitere Kinder zur Welt, muss über lange Strecken ganz allein für ihre immer grösser werdende Familie sorgen, da ihr Mann zeitweise zur See fährt und später als Soldat eingezogen wird. Seinen Job als Wäscher hat er verloren als die Weißen nach England zurückkehren. Das ist kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs.
    Erschwerend hinzu kommt, dass ihr im heimatlichen Dorf lebende Schwager stirbt und Naife, ihr Mann, die Verantwortung für desen Hauswesen übernehmen muss. Das bedeutet desen Frauen und Kinder zu versorgen. Eine dieser Frauen nimmt er als Zweitfrau mit nach Lagos.


    Nnu Ego, die in der Tradition und den Sitten ihres Volkes aufgewachsen ist, hat sich an das Großstadtleben angepasst. So gut sie konnte. Mit diesem plötzlichen Einbruch der alten Lebensweise kommt sie nicht klar. Ständig wird sie gezwungen den Spagat zwischen moderner Lebensart in der Stadt und dem traditionellen Leben ihrer Kindheit zu bewältigen. Der Umzug nach Lagos hat Nnu Ego entwurzelt. Hier gelten ganz andere Regeln. Kurzzeitig kehrt sie aufs Land zurück, aber sie muss auch in der Stadt ihren Plichten nachkommen. Und so vergeht Jahr um Jahr, in denen sie sich abmüht alle mit dem Notwendigsten zu versorgen und es ihren Kindern zu ermöglichen zur Schule zu gehen. All diese Entbehrungen und Mühen werden ihr später wenn sie alt ist gelohnt werden. Denn dann werden ihre Kinder für sie sorgen - wie es Sitte ist.


    Nnu Ego versucht mit allen Kräften das Beste für ihre Kinder zu tun, aber nicht nur sie ist fern der Heimat, weg von ihrer alten Kultur - ihre Kinder haben sie erst gar nicht richtig kennen gelernt. Sie gehen zur Schule, wachsen im Lagos der Nachkolonialzeit auf. Mit ihnen, ihrem modernen Leben, kommt es zu einem noch grösseren Bruch zur Vergangenheit ihrer Mutter. Ihre Kinder lösen sich aus der alten Tradition. Sie studieren im Ausland und können daher ihren Verpflichtungen, wie sie bisher üblich waren, nicht nachkommen.


    Naife ist inzwischen zurück, aber das Leben ist nicht mehr wie früher. Alles ist im Wandel. Schließlich kehrt Nnu Ego wieder zurück aufs Land. Dort verbringt sie den Rest ihres Lebens.
    Der englische Titel des Buches lautet Joy of Motherhood. Er spielt auf das Ende des Romans an, an dem Nnu Ego dies Freude "erleben" darf. Denn ihre Kinder richten ihr das prunkvollste Begräbnis aus, das man in Ibuza jemals für eine Mutter gesehen hat.


    Das Leben Nnu Egos wird ohne überzogene Dramatik geschildert. Zwar kommen all ihre Emotionen zum Ausdruck, aber nie kommt sie auf den Gedanken mit ihrem Leben zu sehr zu hadern, denn sie hat ein Ziel, für das sich vieles lohnt. Und wenn das Leben ihr auch noch so viel nimmt, eines bewahrt sie sich immer - ihre Würde.


    Dieser gesellschaftskritische Roman beleuchtet zum einen die Ausbeutung der Frauen durch den Wertewandel. Früher waren sie zwar eingebunden in die traditionelle polygame Lebensart der einzelnen Völker, hatten dadurch aber eine feste Stellung und waren stets versorgt. Mit der modernen Zeit wurden sie aus diesem Gefüge herausgerissen. War früher das einzige Ziel Heirat und Kinder, so haben sie inzwischen die Möglichkeit auch ein anderes Leben einzuschlagen, wie am Beispiel der zweiten Frau Naifes dargestellt wird. Aber so lange die Veränderungen nicht ganz vollzogen sind, werden sie oft mit der Doppelbelastung, Mutterschaft und Familienversorung, leben müssen.
    Die Ausbeutung der Einheimischen durch die Kolonialherren tritt dabei an zweiter Stelle.
    Und zum anderen kommt hier eine allgemein gültige Regel zum Ausdruck, die man auch so umschrieben kennt:
    Eine Mutter kann 10 Kinder ernähren, aber 10 Kinder keine Mutter.
    ... und die Reue kommt oft zu spät!



    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Danke für deine Vorstellung yanni. Das Buch subbt schon seit ewigen Zeiten bei mir. Irgendwie konnte ich mich bis jetzt noch nie dazu aufraffen es zu lesen und es landete immer etwas abseits, warum auch immer.

  • Das hört sich echt interessant an. Von der Kultur Afrikas habe ich sehr wenig Ahnung, das könnte sich mit diesem Roman vielleicht ein bißchen ändern.


    Das Buch landet auf jeden Fall mal auf meiner Wunschliste!


    LG Curly

    :lesen: Die Blutlinie - Cody McFadyen