Gottfried Keller - Die Leute von Seldwyla

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  • Hi!


    Ich habe Kellers Novellensammlung für den SLW 08 gelesen und rezensiert. Zu zwei der Novellen gibt es hier im Forum separate Diskussionsthreads, hier sind die Links dazu:


    Romeo und Julia auf dem Dorfe
    Kleider machen Leute


    Die weiteren Novellen heissen:
    Pankraz, der Schmoller
    Frau Regel Amrain und ihr Jüngster
    Die drei gerechten Kammacher
    Spiegel, das Kätzchen
    Der Schmied seines Glücks
    Die missbrauchten Liebesbriefe
    Dietegen
    Das verlorene Lachen


    Inhalt:
    In acht Novellen erzählt Gottfried Keller aus dem Leben der Bürger von Seldwyla. Das fiktive Dorf ist einerseits eine ganz durchschnittliche Schweizer Siedlung, andrerseits haben die Seldwyler die Eigenschaft, dass sie geschäftlich nicht grade viel auf die Reihe kriegen und gerne in den Tag hineinleben. In diesem bäuerlich-bürgerlichen Milieu siedelt Keller seine Geschichten an.


    Meine Meinung:
    Gottfried Kellers Novellensammlung «Die Leute von Seldwyla» ist leicht zu lesen und sehr unterhaltsam. Man findet darin jede Menge ziemlich holzschnittartiger Protagonisten, die alle symbolisch für unterschiedliche Charaktereigenschaften wie zum Beispiel Sorglosigkeit, Fürsorglichkeit, Habgier oder Ehrgeiz stehen.
    Der Ablauf der Geschichten ist immer ähnlich: Einer der «Guten» gerät in Schwierigkeiten, erweist sich als charakterfest und wird am Schluss mit einem Happy End belohnt, während die «Bösen» nicht glücklich werden. Einzige Ausnahme ist die Nacherzählung von Shakespeares «Romeo und Julia» – was ja irgendwie auf der Hand liegt.


    Gerade darin, dass alle Geschichten ähnlich ablaufen, liegt die Gefahr, dass dem Leser – trotz Kellers meisterhafter Erzählkunst – mit der Zeit langweilig wird. Ich empfehle daher eher, eine Novelle zu lesen, dann wieder ein anderes Buch, dann wieder eine Novelle und so weiter. Da sich die Geschichten nicht aufeinander beziehen, sondern nur lose Episoden aus dem Seldwyler Dorfleben sind, läuft man auch nicht Gefahr, den Anschluss zu verlieren.


    Die Geschichten um Seldwyla spielen zwar irgendwo im Schweizer Mittelland, sie könnten aber genauso gut in jeder ländlichen Gegend Mitteleuropas angesiedelt werden. Keller lässt in seinen Novellen verschiedene Typen aufeinandertreffen und jeden gemäss seinem Charakter handeln. Dabei kommt weniger eine Gesellschaftskritik heraus als viel eher ein Aufruf, sein eigenes Verhalten zu prüfen. Die Moral von der Geschicht ist nämlich, dass man im Leben auf lange Sicht mehr zu gewinnen hat, wenn man anständig, ehrlich und bescheiden ist. Dann wird einen das Glück laut Keller schon finden – meistens, jedenfalls.


    Es war für meinen Geschmack ab und zu ein bisschen gar zu viel «gute, alte heile Welt», die ich in dieser Novellensammlung serviert bekam. Vielleicht ist mir auch deshalb «Romeo und Julia auf dem Dorfe» von den zehn Geschichten am besten in Erinnerung geblieben. Aber auch die anderen Geschichten haben alle ihren ganz besonderen Charme – nur sollte man, wie erwähnt, vielleicht nicht alle hintereinander lesen.


    7 von 10 Punkten.

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Hallo zusammen!


    Egänzend möchte ich beitragen, dass der Zyklus Die Leute von Seldwyla von Gottfried Keller in zwei Bänden veröffentlicht wurde, zwischen denen ein paar Jahre lagen - was man den Geschichten m.M.n. auch anmerkt:


    1856 erschien der erste Band mit:



    * Pankraz der Schmoller
    * Romeo und Julia auf dem Dorfe
    * Frau Regel Amrain und ihr Jüngster
    * Die drei gerechten Kammmacher
    * Spiegel, das Kätzchen


    und erst 1874 der zweite mit:



    * Kleider machen Leute
    * Der Schmied seines Glückes
    * Die missbrauchten Liebesbriefe
    * Dietegen
    * Das verlorne Lachen


    Gesellschaftskritik finde ich persönlich schon in diesen Geschichten, indem praktisch überall der üble Einfluss des einsetzenden Kapitalismus bzw. der einsetzenden Industrialisierung geschildert wird. Das "Dorf" Seldwyla ist im Grunde genommen eine Kleinstadt des ausgehenden 19. Jahrhunderts; meist wird angenommen, dass Keller damit seine Heimatstadt porträtiert hat, die einstige Kleinstadt und heutige kleinste Grossstadt der Welt - Zürich ... :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Ich habe gerade die Novelle "Spiegel, das Kätzchen" gelesen und da es ja in dieser Sammlung vorkommt, schreibe ich kurz etwas dazu!


    Die Novelle ist wie ein Märchen aufgebaut ... ein verarmter Kater, namens Spiegel, wird von einem Hexenmeister wieder aufgepäppelt, im Gegenzug dazu muss er dem Zauberer seinen Schmer verkaufen (wenn er fett genug ist). Da der Kater verständlicherweise nicht sterben will, verfällt er auf eine List und erzählt dem Hexenmeister, dass seine frühere Besitzerin in einem Brunnen zehntausen Goldgülden versteckt hat. Auf diesem Geld liegt jedoch ein Fluch, der nur gebannt werden kann, wenn Spiegel dieses Geld einer armen Braut gibt, die von einem Mann aus Liebe geheiratet wird. Er habe auch schon eine Braut, aber noch keinen geeigneten Bräutigam gefunden. Natürlich erklärt sich der Hexer sofort dazu bereit, diese Frau zu heiraten. Spiegel macht sich also auf die Suche nach der "geeigneten" Braut ...


    Mit 35 Seiten lässt sich diese Geschichte mal kurz im Wartezimmer oder überall sonst lesen und bereitet einem bestimmt einiges Vergnügen! Eine gewitzte Katze und ein etwas dümmlicher Hexenmeister ... mehr braucht es nicht, um einen für eine Weile zu unterhalten.

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

    Einmal editiert, zuletzt von mondy ()