Mo Hayder - Die Behandlung

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  • (Ich konnte keinen entsprechenden Thread zu diesem Buch finden. Sollte es doch schon einen geben, bitte ich um Entschuldigung und Verschiebung meines Beitrags.)


    Mo Hayder - Die Behandlung


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    Zum Inhalt


    Familie Peach wird in ihren eigenen vier Wänden überfallen. Die Eltern bleiben verletzt und schwer verstört zurück. Von Sohn Rory aber fehlt jede Spur. Es stellt sich die Frage, was mit dem Kind geschehen ist und welche schrecklichen Vorfälle sich im Hause Peach tatsächlich ereignet haben mögen...


    Detective Inspector Jack Caffery jagt den rätselhaften „Troll“, von dem die Kinder aus der Nachbarschaft berichten, und wird dabei immer wieder mit Geschehnissen aus seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert, die sich nach und nach mit den aktuellen Verbrechen verweben.


    Meine Meinung


    Ein Mann der keinen Schlaf braucht, der den Rauschmitteln nicht ganz abgeneigt ist, einen schweren inneren Konflikt auszutragen hat, von seiner Vergangenheit heimgesucht wird, in einer ungesunden Beziehung lebt und selbst straffällig wird - ja, all das könnte einen tollen Helden abgeben, denn ich mag auch bei den „Guten“ zweifelhafte Charaktere, sie müssen nicht perfekt glänzen. Inspektor Jack Caffery jedoch konnte mich nicht überzeugen. Ich fand ihn vielmehr reichlich ärgerlich. Ein Gefühl blieb, irgendwo zwischen unsympathisch und unrealistisch.


    Alles in allem ist der ganze Roman für mich eher als unbefriedigend einzustufen. Mo Hayder konnte mich mit diesem Werk einfach nicht überzeugen. Ich würde es als unrealistisch bezeichnen und damit kann ich leider nicht die schrecklichen, dort geschilderten Verbrechen meinen. Nein, das ganze Drumherum ist fragwürdig. Überzogene Charaktere, unechte Dialoge, nicht nachvollziehbare Reaktionen, einige Ungereimtheiten und das ungute Gefühl, dass hier mit allen Mitteln versucht wird, durch nackt dargestellte Gewalt zu locken und den Leser zwischen Sensationsgeilheit und Schockreaktion zu erwischen. Zudem fehlt es dem Thriller teilweise auch noch an Tempo. Bei einigen langatmigen Darstellungen der Ermittlungen musste ich mich doch sehr beherrschen, sie nicht einfach zu überfliegen.


    Auf die vielzitierte Gewalt in „Die Behandlung“ will ich hier gar nicht weiter eingehen. Nur so viel: ja, es ist sehr gewalttätig. Gewalt begegnet dem Leser überall in diesem Buch, an jedem noch so kleinen Nebenschauplatz. Für mich persönlich waren die Gewaltschilderungen dennoch gut erträglich. Ich habe aber auch generell kein Problem mit Gewalt in fiktiven Büchern.


    Es geht um Kindesmissbrauch, der recht genau und leider auch realistisch geschildert wird (damit meine ich jedoch nicht unbedingt das eigentliche Hauptverbrechen in diesem Buch – darauf ist hoffentlich noch kein perverser Sexualverbrecher gekommen). Komischerweise war mir sehr früh klar, was mit dem kleinen Rory und den anderen Kindern passiert sein muss. Ich kann allerdings nicht beschreiben, wie ich darauf gekommen bin. Den unvorbereiteten Leser mag diese Auflösung wohl schwer treffen. Ich bin ein bisschen hin und her gerissen, was die Darstellung der Verbrechen angeht. Zweifellos gibt es Kindesmissbrauch, es ist eine furchtbar grausame Art des Verbrechens, die auch nicht geschönt dargestellt werden muss. Bekommt man beim Lesen allerdings das Gefühl, dass so ein ernstes Thema zur Effekthascherei herhalten muss, bleibt unweigerlich ein schaler Nachgeschmack.


    Menschen, die sich mit dieser Thematik (Sexualverbrechen an Kindern) nicht befassen wollen, rate ich von dem Roman ab. Ebenso empfehle ich Missbrauchsopfern, sich vorher gut zu überlegen, ob diese Lektüre sie eventuell triggern könnte.


    ABER: trotz all diesen Kritikpunkte war „Die Behandlung“ für mich doch auch spannend zu lesen. Mo Hayder wechselt hier immer dann raffiniert die Szenerie, wenn ich gerade unbedingt wissen wollte, wie es weiter geht. Das hielt den Spannungsbogen aufrecht.


    Überrascht hat mich auch die Darstellung des Antagonisten. Würde man sich die Verbrechen selbst einmal wegdenken, wäre es hier erstaunlich gut gelungen, interessante Einblicke in das Krankheitsbild einer schweren psychischen Störung zu gewähren (der Anhang ist dazu sehr interessant).


    Ich kam zu Mo Hayders „Die Behandlung“ unter völlig falschen Voraussetzungen. Eine Freundin hatte es mit empfohlen. Sie meinte, es sei die Fortsetzung von „Der Vogelmann“ (das ich ganz gut fand) und darin ginge es um einen Psychopathen, der versucht sich selbst zu therapieren. Nun frage ich mich doch, ob besagte Freundin das Buch denn überhaupt gelesen hat. Vielleicht meinte sie es auch nur zu gut mit mir und wollte nichts vorwegnehmen. Das ist gelungen. Dafür startet ich die Lektüre aber mit einer Erwartungshaltung, die sich nur zu einem sehr kleinen Teil erfüllt hat.


    Ja, was soll ich zu „Die Behandlung“ abschließend nur sagen? Es fällt mir ungewöhnlich schwer meine Meinung zu diesem Thriller zu beschrieben. Normalerweise habe ich zumindest immer einen Impuls: gut oder schlecht. Der fehlt mir hier leider. Für die nicht zu leugnende Spannung (und das ist es hauptsächlich, was ich von einem guten Thriller erwarte) will ich dem Buch aber drei Ratten geben:


    3ratten

    Einmal editiert, zuletzt von Tia ()

  • Hallo Tia,


    ich finde du hast es mit deiner Rezi ziemlich auf den Punkt gebracht.
    Das ist etwas was ich versuchen wollte, doch dann besser die Finger von ließ.
    Schon während dem Lesen konnte ich nicht recht sagen, warum mich dieses Buch verwirrt hat. Es war spannend, klar, gar keine Frage. Doch die angeschlagene Brutalität lauerte überall, sogar in den unterschiedlichsten, noch so kleinen Handlungssträngen. (Obwohl ich sonst ein gewisses Mass an Blut sehr gut vertragen kann). Und hier bin ich in diesem Buch gescheitert. Mo Hyder hat versucht so viel wie möglich parallel laufen zu lassen. Da gab es einerseits den Hauptstrang um den kleinen Rory und seine Eltern, andererseits versuchte die Autorin immer wieder die verhängnisvolle Vergangenheit des ermittelnden Beamten durch seine Verdächtigungen dem eigenen Nachbar gegenüber, wiederum ausgelöst durch einen traumatisierenden Zwischenfall einer Frau die ihm mit der Zeit immer mehr zu bedeuten schien, welche er aber in den entscheidenen Momenten nicht verstehen wollte, da er sich selbst an Selbstmitleid zerfleischte, in den Vordergrund zu zerren.
    Ermittlungen liefen kreuz und quer und hier war für meinen Geschmack einfach zu viel, zu brutal zusammengewoben worden.
    Irgendwann konnte ich mich weder auf den einen, noch auf den anderen Faden richtig einlassen und erwartete schlichtweg nur noch die Auflösung... Die wieder sehr zweigeteilt war. Wenn ich auch sagen muss, das sich mir bei beiden Enden fast schon eine Art Gänsehautfeeling breitmachen konnte, welches aber jeweils sofort wieder in Resignation umschlug.
    Caffery, der Hauptcharakter (Protagonist will ich hier gar nicht mal sagen) war mir durchweg zu weinerlich und mit sich selbst und seinen Vorwürfen beschäftigt. :rollen:


    Gelesen im Februar 2007, habe ich als spontanen "Stimmungssatz" (den schreibe ich mir immer nach dem Zuklappen eines zu Ende gelesenen Buches mit hinein) im Buch vermerkt: "Naja...Irgendwie hatte ich wohl keinen Draht zum Buch."


    Für die Spannung und das Gefühl sich durchaus öfters die Gänsehaut herunterschütteln zu müssen, vergebe ich dennoch:
    2ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Grüssle
    Marion

    "Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt." Mahatma Gandhi

  • Hallo Tia,


    Danke für Deine ausführliche Rezi. Sie hat mich bewogen, dieses Buch von meiner Liste der interessanten Bücher zu streichen. Ich las erst kürzlich "Die Sekte" von Hayder und war angewidert von der darin geschilderten Gewalt. Erst hatte ich den Eindruck, dass ich in der Hinsicht langsam empfindlich werde, aber nun glaube ich eher, dass Hayder sich verstärkt in die blutrünstige Richtung entwickelt. Dann noch die Kombination mit dem Thema Kindesmissbrauch - das ist mir zu plump und zu starke Effekthascherei.


    Grüße
    Doris


  • Caffery, der Hauptcharakter (Protagonist will ich hier gar nicht mal sagen) war mir durchweg zu weinerlich und mit sich selbst und seinen Vorwürfen beschäftigt. :rollen:


    Hallo Marion,


    ja, "weinerlich" dieses Wort trifft es sehr gut! Als ich mit überlegte, wie ich meine Empfindungen zu diesem Charakter am besten beschreiben könnte, fiel mir sofort genau dieses Wort ein und "Weichei" (ich weiß gar nicht, warum ich das dann nicht geschrieben habe). Genau die Kombination aus diesem Gefühl und dann seinen doch zum Teil sehr eigenartigen Reaktionen, machte ihn für mich so wenig nachvollziehbar und unecht. Ich meine z.B. das Verhalten seiner Freundin gegenüber. Besonders an einer ganz bestimmten Stelle. Auch ihre Reaktion darauf war einfach unglaublich unrealistisch (besonders für ein Gewaltopfer). Oder sein Verhalten bei der Verhaftung, diese Stelle musste ich ein paar Mal lesen, weil ich nicht glauben konnte, dass ausgerechnet dieser Jammerlappen sich plötzlich so aufführt (die Stelle fand ich allgemein sehr abwegig beschrieben). Ich dachte immer nur: wie? Was macht er da jetzt? :breitgrins:


    Doris
    Wenn du "Die Behandlung" eigentlich gerne lesen wolltest, ließ doch vielleicht erstmal "Der Vogelmann" (sofern du das noch nicht kennst). Das bereitet ein bisschen darauf vor (allerdings geht es dort nicht um Kindesmissbrauch) und man lernt die Charaktere, die auch in "Die Behandlung" vorkommen, schon mal ein wenig kennen. Allerdings kann ich auch gut verstehen, wenn man mit der sinnlosen Gewalt in Mo Hayders Büchern einfach nichts anfangen kann.


    Allgemien möchte ich aber niemandem von der Lektüre abraten. Ich habe bei Amazon gesehen, dass das Buch bei vielen Lesern sehr gut ankam. Ich glaube, es wurde dort u. a. sogar als "bester Thriller aller Zeiten" betitelt. Auch wenn das absolut nicht meiner Meinung entspricht, kann ich mir gut vorstellen, dass das Buch vielen sehr zusagt.


    Schöne Grüße und eine gute Nacht
    Tia

  • Tia, den Vogelmann kenne ich schon und fand ihn spannend genug, um nach weiteren Büchern von Hayder Ausschau zu halten.


    Von Amazon-Rezensionen lasse ich die Finger, es sei denn, ich möchte in einem Satz erfahren, wer wen warum umgebracht hat :breitgrins:. Und seit ich einmal feststellte, dass eine positive Rezi von der Autorin des Werkes höchstpersönlich stammte, bin ich in Bezug auf die Objektivität der Bewertung grundsätzlich voreingenommen.


    Grüße
    Doris

  • Da hast du natürlich recht, ich lese die Rezis dort auch nicht, bevor ich das Buch nicht selbst gelesen habe.


    Und manche Autoren bewerten dort ihre eigenen Bücher?! Oh je, oh je, das ist aber peinlich...

  • Guten Morgen,


    ich kenne nur das Hörbuch von "Die Behandlung", aber das ist auch schon wieder so ewig her. Allerdings weiss ich noch, dass es mir ähnlich wie Tia ging: Insgesamt fand ich das Buch sehr spannend, aber aufgrund der Thematik auch sehr nervenzehrend im negativen Sinne. Jedem ist es wirklich nicht zu empfehlen. Trotzdem bekam das Hörbuch damals eine Bestbewertung, weil ich mich gar nicht mehr von der ganzen Spannung losreißen konnte :winken:
    Es handelte sich allerdings um ein gekürztes Hörbuch.


    Liebe Grüße
    nimue

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.


  • Besonders an einer ganz bestimmten Stelle. Auch ihre Reaktion darauf war einfach unglaublich unrealistisch (besonders für ein Gewaltopfer). Oder sein Verhalten bei der Verhaftung, diese Stelle musste ich ein paar Mal lesen, weil ich nicht glauben konnte, dass ausgerechnet dieser Jammerlappen sich plötzlich so aufführt (die Stelle fand ich allgemein sehr abwegig beschrieben). Ich dachte immer nur: wie? Was macht er da jetzt? :breitgrins:


    Ich glaube ich weiß genau welche beiden Stellen du hier meinst. Das erging mir hier sehr ähnlich. Gerade in der Situation mit seiner Freundin. :zwinker: Das war mir einfach zu suspekt und hat mich denn auch sehr verunsichert, so nach den Motto: "Wie jetzt?"...
    Naja, andererseits kenne ich jemand, der es gelesen hat und dem es sehr gut gefallen hat. Er gehört aber dann doch eher zu der ganz abgebrühten Sorte Leser. :breitgrins: Wobei ich mich eigentlich bisher auch immer dazugezählt habe. Es war wohl die Kombination zwischen überflüssiger Gewalt, Kindesmissbrauch und einem Protagonisten und leider ebenso seiner Freundin, die sich selbst nicht zu platzieren wussten. :sauer:


    Und trotzdem bekommt Mo Hayder vielleicht noch einmal eine Chance, denn der Vogelmann war ja nun wirklich nicht schlecht. :zwinker:


    Grüssle
    Marion :winken:

    "Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt." Mahatma Gandhi