Roland Topor: «Tragikomödien»

  • Roland Topor: «Tragikomödien»


    Vom Aberwitz des Wirklichen


    Nein, für Puristen, Romantiker, Kinder und Herzkranke ist sie nicht gedacht, die soeben erschienene Kurzprosa-Anthologie «Tragikomödien» des Pariser Kultur-Allrounders Roland Topor (1938-1997). Denn der Diogenes Verlag legt mit diesen «Erzählungen» und «Manifesten» einen Schriftsteller auf, dessen maliziöse Raffinesse nur noch von seiner grinsenden Bösartigkeit, allenfalls noch von seinem bizarren Zynismus übertroffen wird. Sensible (Sprach-)Ästheten dürften also den 350 Seiten schweren Prosa-Brocken aus der Feder eines der berühmtesten französischen Zeichner, Literaten, Graphiker und Schauspieler bereits nach wenigen Zeilen aus der Hand legen. Nicht so aber all jene, welche die giftspritzende Satire, die heimtückische Anti-Moral-Attacke, die ätzende Normalitäten-Häme, den schamlosen Griff zwischen die Beine aller «Netten und Guten» zu schätzen wissen. Und natürlich alle jene, welche der Surrealität der zwischenmenschlichen Realität einen (zugegebenermaßen: gehörigen) Schuss makabre Degoutanz abgewinnen können.
    Und wie liest sich das genau?
    So, zum Beispiel (Zitat):



    Kein Zweifel also: Topor schrieb, wie er zeichnete - tabulos bis zur tabula rasa, und immer der Absurdität noch ein unmoralisches Augenzwinkern entwindend. Vollends offen-sichtlich wird das in seinen Zeichnungen - beispielsweise in «Le Fourmilier»:


    roland-topor_le-fourmilier.jpg


    Geschmack? Tabu? Anstand? Norm? Gewiss keine von Topor erfundenen Begriffe - auch wenn sie für den «Reiz» gerade eines «Rasenden» wie Topor unverzichtbar sind.
    Den «Tragikomödien» ist ein aufschlussreiches Interview mit dem Autor beigefügt, worin der «Possenreisser» (Topor über Topor) zu seinen Zeichnungen u.a. meint: «Ich will nicht schockieren, ich zeichne und male. Die Psychologie spielt in dem Moment überhaupt keine Rolle.» Dieselbe Psychologie-Abstinenz schlägt einem bei Topors Erzählungen entgegen: Der Schreibstil ist knapp, raffend, nichts reflektierend, völlig auf den aberwitzigen Plot der Story fokussiert, unbarmherzig gradlinig in den lustigen Abgrund führend. Zurecht verwahrte sich Topor stets dagegen, als Humorist oder gar Komiker gehandelt zu werden - allenfalls «schwarzen Humor» ließ er sich attestieren. Dementsprechend kommt auch seine Definition von Humor daher:
    «Der typische Humor ist für mich die Geschichte von dem zum Tode Verurteilten, der die letzte Zigarette mit den Worten ablehnt: ‘Nein danke, ich will doch aufhören!’»
    «Tragikomödien» bringt einen unverwechselbaren, den vielgerühmten französischen Esprit absurd brechenden, die Realität ins köstlich Bodenlose zerbröselnden «Sound of Dead» aufs Papier. Die Welt des Roland Topor, sie ist weder tragisch noch komödiantisch, aber «tragikomisch» durchaus. Nicht am Strand in der Sonne zu lesen - aber vielleicht bei Whisky und Kerzenschein? (Walter Eigenmann)


    Roland Topor, Tragikomödien, Erzählungen, Diogenes Verlag, 348 Seiten, ISBN 978-3257065992


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