Cory Doctorow - Someone Comes to Town, Someone Leaves Town

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 3.388 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Saltanah.

  • Ich verrate hier vielleicht zu viel vom Inhalt, aber es schwierig, etwas über dieses Buch zu schreiben, ohne zu viel zu verraten:


    Alan hat gerade ein Haus in Toronto gekauft, das er renoviert und von oben bis unten mit Bücherregalen ausstattet, deren Inhalt natürlich a) genauestens in einer Datenbank erfasst und b) ungelesen ist. („What's the point of a bunch of books you've already read?“) Und das alles nur, um einen Ort zu haben, an dem er eine Geschichte schreiben kann. Und auch seine Nachbarn lernt er bald kennen, ganz normale, vielleicht etwas alternativ angehauchte, junge Leute.


    Doch es ist natürlich längst nicht alles so, wie es scheint. Mimi, eine seiner Nachbarinnen, hat Flügel. Die regelmäßig abgeschnitten werden, damit sie nicht zu groß werden. Und dann ist da Alans Familie. Eigentlich ganz normal, Eltern und 6 Brüder. Allerdings ist Alans Mutter eine Waschmaschine. Und sein Vater ein Berg. Und drei seiner Brüder funktionieren nach dem Prinzip dieser russischen Holzpuppen zum ineinander stecken.


    Und nun stehen eines Tages zwei der drei ineinandersteckbaren Brüder vor Alans Haustür, mit der Nachricht das der dritte im Bunde verschwunden ist. Möglicherweise tot. Dahinter kann nur ein weiterer Bruder stecken: Davey, der erstens tot und zweitens ziemlich sadistisch veranlagt ist und durchaus Grund hat sich zu rächen, denn seine Brüder haben ihn umgebracht.


    So muss sich Alan, ob er nun will oder nicht, statt seine Geschichte zu schreiben mit Familienangelegenheiten befassen. Was ihn allerdings nicht davon abhält, mit einem Punk mit Computerfreak-Veranlagung Dumpster-Diving-Streifzüge zu unternehmen und ihn bei seiner Mission zu unterstützen, ganz Toronto mit kostenlosem Wireless-Internetzugang auszustatten.



    Someone Comes to Town, Someone Leaves Town, lässt sich sehr flüssig lesen, ohne langweilig zu werden, selbst dann, wenn es seitenlang nicht um das verschwinden von Alans Brüdern geht, sondern um das Internet-Thema, als sei nichts gewesen, als schleiche da nicht irgendwo ein ziemlich toter und ziemlich rachsüchtiger Bruder in der Gegend herum. Überhaupt haben mir die stellen, in denen es eher um den mit Seltsamkeiten durchmischten Alltag oder um Alans Kindheit mit seiner „interessanten“ Familie ging, meist am besten gefallen. Die Davey Geschichte ist im übrigen nicht unbedingt für allzu empfindlich Gemüter geeignet, da gab es schon ein paar etwas brutalere und seltsame/gruselige Szenen.


    Eine weitere Eigenheit von Alans Familie ist übrigens, dass man es mit Namen nicht so genau nimmt. So ist es Alan egal, ob man in nun Alan oder Andy oder Albert oder... nennt. Und das zieht der Autor dann auch konsequent durch, bei allen Brüdern. Man gewöhnt sich zwar daran, aber etwas irritierend ist es doch. Auch wird die Handlung nicht immer chronologisch erzählt, so dass ich hin und wieder im ersten Moment nicht wusste, an welchem Punkt der Geschichte ich nun eigentlich bin. Die Charaktere sind nicht durchweg sympathisch, aber vielfältig.


    Das einzige, was mir nicht so recht gefallen hat, ist das Ende, das hätte imo entweder geschlossener oder offener ausfallen sollen.


    Fazit: Seltsames Buch, aber es hat was und war bestimmt nicht mein letztes von Cory Doctorow.


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    Einmal editiert, zuletzt von Liafu ()

  • Das klingt ja abgefahren! Aber interessant, deshalb hab ich's gleich mal auf meinen Wunschzettel gesetzt. :sonne:
    Hört sich aber wirklich so an, als ob man der Geschichte schwer folgen kann. Wenn ich Bücher auf Englisch lese, muss ich sowieso schon ein bisschen besser aufpassen. Dann noch eine nicht-chronologische Handlung und wechselnde Namen...Ui. Das Cover find ich übrigens cool. Hat was.

    Liest:<br />Matt Ruff - Bad Monkeys

  • Hört sich aber wirklich so an, als ob man der Geschichte schwer folgen kann.

    Naja, sooo schlimm ist es dann auch wieder nicht, das Englisch an sich ist ja wirklich locker zu lesen, also kein allzu außergewöhnliches Vokabular, oder so. Und die Handlungsabschnitte sind lang genug, dass man ausreichend Zeit hat, sich wieder zu orientieren und nicht nicht ständig am hin und herspringen ist. Nur wenn man eben noch in einem Wald am A.... der Welt nach Davey sucht und sich im nächsten Kapitel übergangslos in Toronto beim Dumpster Diving wiederfindet, ist das im ersten Moment eben leicht irritierend. Und was die Namen betrifft: Wie gesagt, man gewöhnt sich daran, zumal sich die Namen einer Person ja immer mehr oder weniger ähneln und mit dem gleichen Buchstaben beginnen


    Zitat

    Das Cover find ich übrigens cool. Hat was.

    Ja, durch das Cover bin ich auch überhaupt erst auf das Buch aufmerksam geworden.

  • Der Titel allein hört sich schon gut an und dann auch noch dieser Inhalt, das klingt doch alles sehr gut! Allerdings hört sich das so abgefahren an, dass ich mir darunter irgendwie doch nicht wirklich was vorstellen kann. Auf meinen Wunschzettel wandert es aber auf jeden Fall!


    fairy

    [size=9px]&quot;I can believe anything, provided that it is quite incredible.&quot;<br />~&quot;The picture of Dorian Gray&quot;by Oscar Wilde~<br /><br />:leserin: <br />Henry Fielding - Tom Jones<br /><br />Tad Williams - The Dragonbone Chair<br /><br />Mark Twai


  • Was ich vergessen habe zu erwähnen: Das Buch gibt es als kostenlosen Download: http://craphound.com/someone/download.php


    Oh danke, da schau ich auf jeden Fall mal rein! :klatschen:

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  • Den ganz Roman kostenlos? Das ist aber großzügig! Da werd ich auch mal reinlesen. Wenn es mir gefällt, kauf ich es natürlich. :smile: Ich hab lieber was in den Händen, statt am Bildschirm zu lesen. Aber das ist wirklich super! :klatschen:

    Liest:<br />Matt Ruff - Bad Monkeys

  • Cory Doctorow – Someone comes to town, someone leaves town


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    Eigentlich sagt der Titel des Buches bereits alles aus, was im Buch im Wesentlichen passiert. Jemand zieht in die Stadt und verlässt sich später wieder. Doch warum er überhaupt erst dort hinzog und warum er sie plötzlich und überstürzt wieder verlassen hat, das ist etwas komplizierter.


    Im Grunde hat das Buch 2 Handlungsstränge und diverse Rückblenden. Die Hauptperson Alan/Adam/Alvin/… (er hört auf alle Namen, die mit A anfangen) ist der erstgeborene Sohn eines Berges und einer Waschmaschine und wurde von Golems großgezogen. Nach und nach macht er seine ersten Erfahrungen mit der Welt der „Normalen“, der Menschen. Diese gibt er an seine Geschwister weiter: B ist ein Hellseher, C ist eine Insel, D ist ein kleines A****loch und E, F und G sind im Prinzip 3 Matroschkas, die auf Dauer nur überleben können, wenn sie zusammen sind. Dies alles erfährt der Leser nach und nach in verschiedenen Rückblenden, während Alan in der Stadt, übrigens handelt es sich hierbei Toronto, sein neues Haus von Grund auf renoviert und dabei seine Nachbarn kennen lernt. Eine von ihnen, Mimi, birgt ebenso ein Geheimnis wie Alan, doch sie weigert sich, ihm zu vertrauen und stößt ihn von sich fort. Der Grund hierfür mag unter anderem ihr Freund Krishna sein, der Alan von Anfang an unsymphatisch ist.
    Der Grund für Alans neues Domizil liegt darin, dass er, nachdem er einige Shops eine Zeit lang recht erfolgreich geführt hat, nun ein Buch schreiben möchte und dafür eine geeignete Umgebung braucht. Da er nicht nur an sein neues Haus gebunden sein möchte, sondern auch in umliegenden Cafes schreiben und recherchieren will, überzieht er das Gebiet mit seinem drahtlosen Netzwerk. Eines Tages lernt er Kurt kennen, einen merkwürdigen Zeitgenossen, der die Vision hat, aus gefundenem Elektroschrott Equipment zu bauen und ganz Toronto mit einem drahtlosen Netzwerk zu überziehen, zu dem jeder freien Zugang hat. Alan begeistert sich für diese Idee und gemeinsam starten sie ihr Projekt.
    Unverhofft tauchen Alans drei jüngste Geschwister, die Matroschkas bei ihm auf. Beziehungsweise eigentlich sind es nur Eric und Fred, denn George ist verschwunden. Hier beginnt nun der zweite Handlungsstrang, der sich um Alans Familie dreht. Davey, der mittlere Bruder ist ein kleiner Terrorist und wurde schließlich von allen Geschwistern gemeinsam umgebracht. Doch nun ist er zurück, eine Art wandelnde Mumie und er will Rache.


    Zwischen diesen beiden Handlungssträngen hüpft die Geschichte nun hin und her, immer mal wieder angereichert mit Rückblicken in Alans Vergangenheit. Zum Teil ergibt sich erst im Laufe des Kapitels, in welcher Zeit die Geschehnisse gerade statt finden und besonders zum Schluss hin ist nicht immer klar, zu welchem Zeitpunkt im Rahmen der großen Geschichte man sich nun wieder befindet, da neben den Rückblicken in Alans Kindheit nun auch noch Kapitel um die unmittelbare Vergangenheit auftauchen, in der Alan und Kurt versuchen ihre Vision umzusetzen. Zudem ist mir bis zuletzt nicht klar geworden, wie eigentlich die beiden Handlungsstränge miteinander in Verbindung stehen, einmal abgesehen davon, dass in beiden Alan eine Rolle spielt.
    Als ob diese Verwirrung nicht reichen würde, kommt hinzu, dass die Alan-Kurt-Kapitel häufig mit vielen technischen Erklärungen und Begriffen angereichert sind, von denen ich gerade einmal einen Bruchteil kannte. So kam es, dass ich dazu überging, diese Stellen quer zu lesen, um einen Überblick über die grobe Handlung zu bekommen, ohne dass ich mich mit Details herumschlagen musste.
    Auch ansonsten ist das Englisch von Doctorow nicht unbedingt Schulniveau. Sein Hang zu sehr ausführlichen Beschreibungen machte das Lesen nicht immer zu einem Vergnügen. So wird zum Beispiel über neun Seiten jeder Handgriff beschrieben, den Alan ausführt, um sein neues Haus zu renovieren und einzurichten, ohne dass dies von besonderer Bedeutung für die Geschichte oder die Charakterisierung Alans wäre.
    Charakterisierung, der nächste Kritikpunkt, denn sie ist so gut wie gar nicht vorhanden. Merkwürdig blass bleiben die Charaktere. Sie haben zwar zumeist eine Vergangenheit und ein Ziel, doch viel mehr gibt es dort nicht. Alans gesamte Familie wird eigentlich nur durch ihre Abnormität charakterisiert und auch Kurt ist nur der Freak mit einer eigenartigen Vision. Von Alan lernt man noch mit am Meisten kennen, doch auch dort gibt es die Tatsache zu entdecken, dass er versucht normal zu sein. Und dieses Ziel erreicht er schlussletztendlich dann doch nicht.
    Das Ende insgesamt … noch merkwürdiger als das gesamte Buch insgesamt. Es wird nichts erklärt, sondern die Geschehnisse werden dem Leser einfach vorgesetzt, frei nach dem Motto „Friss oder lass es!“ Damit könnte ich mich ja noch halbwegs anfreunden, aber diese aufgesetzte Romantik passt überhaupt nicht. Da kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln und das Buch zuklappen.


    Doch trotz aller Kritikpunkte, irgendetwas hatte das Buch, etwas komplett Schräges und Abgefahrenes und genau aus diesem Grund habe ich es überhaupt erst zur Hand genommen. Deshalb gibt es von mir völlig subjektive und nicht rational erklärbar 3ratten.


    Eine höchst interessante Frage gab es auch noch: „What’s the point in a bunch of books you’ve already read?“ Recht hat er ja mit seiner Frage, aber irgendwie auch nicht. Halt merkwürdig.


  • Eine höchst interessante Frage gab es auch noch: „What’s the point in a bunch of books you’ve already read?“ Recht hat er ja mit seiner Frage, aber irgendwie auch nicht. Halt merkwürdig.


    Stellt nicht eigentlich Marci diese Frage? Als sie in Marcis Haus ihre Bücher auspacken, will Alan von ihr wissen (kennen wir diese Situation nicht alle?): "Hast du die denn alle gelesen?". Hier kurz die Szene im englischen Original (eine deutsche Übersetzung des Buches gibt es bisher, glaube ich, nicht):


    Zitat von S. 75

    And that's what they did, book after book - old books, hardcover books, board - back kids' books, new paperbacks, dozens of green - and orange - spinned Penguin paperbacks. He fondled them, smelled them. Some smelled of fish and chips, and some smelled of road dust, and some smelled of Marci, and they had dog ears where she's stopped and cracks in their spines where she'd bent them around. They fell open to pages that had her favorite passages. He felt wobbly and drunk as he touched each one in turn.
    "Have you read all of these?" Alan asked as he shifted the John Mortimers down one shelf to make room for the Ed McBains.
    "Naw," she said, punching him in the shoulder. "What's the point of a bunch of books you've already read?"


    Mit dem erwachsenen Alan und seinem Haus voller Bücherregale wird diese Szene wieder aufgegriffen (bzw. ist sie der anderen in der Geschichte vorangestellt, nur chronologisch folgt sie nach ihr):


    Zitat von S. 15

    Once the bookcases were seated and screwed into the walls, out came the books, thousands of them, tens of thousands of them.
    Little kids' books with loose signatures, ancient first - edition hardcovers, outsized novelty art books, mass - market paperbacks, reference books as thick as cinderblocks. They were mostly used when he'd gotten them, and that was what he loved most about them: They smelled like other people and their pages contained hints of their lives: marginalia and pawn tickets, bus transfers gone yellow with age and smears of long - ago meals. When he read them, he was in three places: his living room, the authors' heads, and the world of their previous owners.


    Doctorow stellt, wie weiter oben schon genannt, seine Bücher kostenlos zum Download zur Verfügung. Gleichzeitig beschreibt er hier, dass der Gegenstand Buch mehr ist als die Summe der Wörter, die er enthält.

    Auch ungelebtes Leben<br />geht zu Ende<br />- Erich Fried

  • Stellt nicht eigentlich Marci diese Frage? Als sie in Marcis Haus ihre Bücher auspacken, will Alan von ihr wissen (kennen wir diese Situation nicht alle?): "Hast du die denn alle gelesen?".


    Die Frage, ob jemand alle Bücher gelesen hätte und die dazugehörige Gegenfrage werden im Buch öfter gestellt. Etwas früher im Buch (S. 48) gibt es diesen Dialog zwischen Alan und einem Polizisten.

    Wir sind irre, also lesen wir!