Bernhard Schlink - Das Wochenende

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  • So sehr mir "Der Vorleser" und auch die "Liebesfluchten" gefallen haben, so sehr mißfällt mir sein neues Buch.
    Die Handlung beschreibt, wie ein ehemaliger RAF Terrorist nach vielen Jahren aus der Haft entlassen wird. Zu seinem ersten Wochenende in Freiheit werden dann ein ganzer Haufen Leute, alte Freunde, eingeladen. Sie verbringen das Wochenende miteinander.


    Leider bleiben alle Personen schattenhaft - bei dem Häftling könnte ich es ja verstehen, aber der Rest. Keine der Personen wird wirklich entwickelt, die einzelnen Charakterzüge bleiben im Raum stehen, jedes Thema wird angerissen, vom Helfersyndrom bis zum hingehauchten Inzest, aber keines wird ausgeführt. Das Buch bleibt ein Fragment und nicht mal ein interessantes. Das ist nicht der Schlink, der mir gefällt und der das Kunststück fertiggebracht hat, so ein literarisch ausgelutschtes Thema wie die Schrecken des zweiten WK mit neuem Pfiff zu versehen. Zu diesem Buch fehlten ihm irgendwie die Ideen, so scheint es.


    Bin sehr enttäuscht und deshalb von mir


    1ratten

    Viele Worte sind lange zu Fuß gegangen, ehe sie zu geflügelten Worten wurden<br />(Marie von Ebner - Eschenbach)<br /><br />http://www.zwergerlhausen.de<br /><br />SUB: 241&nbsp; :-)<br />&nbsp; &nbsp; &nbsp; &nbsp; &nbsp; &nbsp; &nbsp; - 1 (In Swanns Welt v. Marcel Proust)

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()

  • Hallo,


    also mir hat der neue Schlink ganz gut gefallen - weniger wegen seiner literarischen Ebene, mehr wegen der Zwischenmenschliches auslotenden.
    Eines jedoch vorweg, was ich bislang gar nicht wußte: Bernhard Schlink ist seit Jahren in einer Art Ausschuß, der den Bundespräsidenten bezüglich Begnadigungen lebenslanger Häftlinge berät. Vermutlich ist dies schon ein Beweggrund für sein neues Buch...


    Die Personen und vor allem ihre Entwicklung nach ihrer RAF-(Sympathisanten-)Vergangenheit finde ich sehr gelungen: ich habe 'Das Wochenende' tatsächlich als eine Art Kammerstück gelesen, das die Personen nicht einzeln in den Vordergrund stellt - aber ihre Entwicklung im Kontext zueinander. Einer hat jahrzehntelang in großer Isolation gelebt, einer hat sich in Selbstgerechtigkeit noch und nöcher verstrickt, eine Frau wiederum schwimmt in Selbstzweifeln und konstruierten Vorwürfen, ein anderer verdrängt seine Lebenslügen mehr oder weniger gekonnt... Und dann treffen all diese Menschen, deren Vergangenheit sich mal (zufällig?) überschnitten hat, aufeinander und es entstehen folgerichtig Konflikte und vorwurfsvolle Gespräche.
    Was ich allerdings nicht sonderlich gelungen fand, war die Sprache Schlinks. Die zeichnet sich für mich durch nichts vom sonstigen guten Unterhaltungsstil (auch anderer AutorInnen) ab. Soll heißen, dass der Stil weder besonders schlecht, denn besonders gut ist und das verwundert mich bei einem Bernhard Schlink dann doch ein wenig.
    Aber vielleicht ging es ihm um etwas anderes: das Thema. Und eine Anregung zu einer sachlicheren Diskussion, die so nötig wäre um im gesellschaftlichen Prozeß weiterzukommen... Und da kann eine relativ nüchterne, konventionelle Erzählweise Mittel zum Zweck sein.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schöne Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Hallo ihr beiden,


    gerade gestern war ich bei einer Lesung von Bernhard Schlink. Natürlich hat er aus seinem neuesten Werk gelesen.
    Ich werde mir zwar das Buch nicht kaufen, weil ich mit der Thematik nicht so viel anfangen kann..., aber ich kann definitiv sagen, dass er Ideen hatte und dieses Buch nicht etwa einfach so entstand. Er hat viele, viele Jahre mit dem Thema gehadert und letztlich hat ihn die neu entfachte Diskussion in 07 den Anstoß dazu gegeben, sich an das Buch zu machen.


    Er hat sich und das Buch gut verkauft, obwohl er mir zunächst eher "alt" und "emotionslos" vorkam, so hat er sich dann von "Minute zu Minute" mehr geöffnet und dem Publikum eine sehr gute Lesung geboten.


    Nun, ich kann die eine Maus nachvollziehen, aber ich nach der Lesung hat er glaube ich doch noch ein, zwei Mäuschen merh verdient^^


    Lg, Bella*


  • Nun, ich kann die eine Maus nachvollziehen, aber ich nach der Lesung hat er glaube ich doch noch ein, zwei Mäuschen merh verdient^^


    Hallo Bella,


    dann lag ich ja genau richtig! :zwinker: Nein, mal im Ernst: dass sich Schlink zum Thema Gednaken gemacht hat, merkt man deutlich, wie ich finde. Was mich jetzt aber interessiert: hat er den Beratungsausschuß erwähnt? Wenn ja, hat er mehr darüber erzählt?


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Hey dubh,
    also zum Stichwort Beratungsausschuss wüsste ich nicht, dass er etwas gesagt hat. In unseren lokalen Tageszeitung stand heute auch nochmal ein Bericht über die Lesung, den kann ich später mal z.T. abtippen, dann hast du nen guten Überblick über den Abend.


    Also, sorry, da muss ich dich jetzt enttäuschen!


    Lg, Bella*


  • Hallo ihr beiden,


    gerade gestern war ich bei einer Lesung von Bernhard Schlink. Natürlich hat er aus seinem neuesten Werk gelesen.
    Ich werde mir zwar das Buch nicht kaufen, weil ich mit der Thematik nicht so viel anfangen kann..., aber ich kann definitiv sagen, dass er Ideen hatte und dieses Buch nicht etwa einfach so entstand. Er hat viele, viele Jahre mit dem Thema gehadert und letztlich hat ihn die neu entfachte Diskussion in 07 den Anstoß dazu gegeben, sich an das Buch zu machen.


    genau das hab ich mir auch gedacht. Und genau das enttäuscht mich auch in dem Buch. Ich habe eben genau das Gefühl, dass das Thema nicht durchdrungen ist, dass er selbst sich am Anfang der Aufbereitung befindet. Die ganzen Prozesse wirken anfänglich. Und gerade zu diesem Thema erwarte ich, wenn einer eine Geschichte dazu schreibt, dass er selbst irgendwie durchgedrungen ist und einen Standpunkt hat. Zumindest von Schlink erwarte ich das, weil man es von ihm gewohnt ist.

    Viele Worte sind lange zu Fuß gegangen, ehe sie zu geflügelten Worten wurden<br />(Marie von Ebner - Eschenbach)<br /><br />http://www.zwergerlhausen.de<br /><br />SUB: 241&nbsp; :-)<br />&nbsp; &nbsp; &nbsp; &nbsp; &nbsp; &nbsp; &nbsp; - 1 (In Swanns Welt v. Marcel Proust)


  • Die ganzen Prozesse wirken anfänglich. Und gerade zu diesem Thema erwarte ich, wenn einer eine Geschichte dazu schreibt, dass er selbst irgendwie durchgedrungen ist und einen Standpunkt hat.


    Das empfinde ich anders - ich habe nicht den Eindruck, dass Schlink am Anfang einer Auseinandersetzung mit diesem Thema ist (sonst wäre er ja auch nicht in einem solchen Gremium). Vielmehr denke ich, dass es dazu mehr als nur schwarz und weiß gibt. Gerade bei einem gesellschaftlich so heftig diskutierten Streitpunkt gibt es zahlreiche Graustufen... Und auch wenn man letztendlich nur eine Entweder-Oder-Entscheidung treffen kann, so gibt es doch einige differenzierte Überlegungen bis dahin und die verkörpert dieses Buch eben auch für mich.


    Schönem Gruß
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Gerade habe ich DAS WOCHENDE fertig gelesen und es hat mir im Gegensatz zum VORLESER überhaupt nicht gefallen. Sprachlich hätte ich mir von diesem Autor in jedem Fall mehr erwartet. Wenn ich nicht in diesem Thread hier gelesen hätte, dass er sich schon lange intensiv mit diesem Thema befasst, wäre ich durch die Lektüre jedenfalls nicht auf die Idee gekommen. Es kann natürlich sein, dass er sich ganz bewusst Zurückhaltung auferlegt hat, um nicht zu viele seiner eigenen Emotionen in den Roman einfließen zu lassen, aber dadurch sind die Figuren auch für mich bis zum Ende leblos geblieben.
    Mir kam auch der Anfang schon recht unrealistisch vor. Ein Mensch, der eines so schweren Verbrechens wegen verurteilt wurde, umgibt sich nach so langer Zeit im Gefängnis an seinem 1. Wochenende in Freiheit sicher nicht mit einer Menge Leute, die ihm nicht einmal besonders nahestehen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein ehemaliger Terrorist zwischen Kaffee und Brötchen, wie bei einem harmlosen Picknick, über seine einstige Gesinnung plaudert.
    Außerdem mag ich es gar nicht, wenn ich schon zu Beginn eines Buches mit so vielen Personen konfrontiert werde, die nicht mehr als Namen sind. Umso enttäuschender, wenn sie auch bis zum Ende hin keine Charaktere entwickeln. Der ganze Roman ist aus meiner Sicht keine stimmige Angelegenheit.
    Ich hatte schon daran gedacht, das Buch zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu lesen, um doch noch einen Zugang zu finden. Durch Eure Meinung in meinem Urteil bestärkt, erspare ich mir das aber. Danke für die Zeitersparnis, liebe Grüße Sue7.


  • Mir kam auch der Anfang schon recht unrealistisch vor. Ein Mensch, der eines so schweren Verbrechens wegen verurteilt wurde, umgibt sich nach so langer Zeit im Gefängnis an seinem 1. Wochenende in Freiheit sicher nicht mit einer Menge Leute, die ihm nicht einmal besonders nahestehen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein ehemaliger Terrorist zwischen Kaffee und Brötchen, wie bei einem harmlosen Picknick, über seine einstige Gesinnung plaudert.


    Hallo Sue,


    warum hältst Du es für unrealistisch, dass ein Mensch nach so vielen Jahren Knast sich mit irgendwelchen Leuten von früher trifft? Der Ex-Terrorist hat dieses Wochenende ja nicht selbst organisiert (sondern seine Schwester, in der Hoffnung im eine Freude zu machen - und schließlich konnte sie ja auch keine wildfremden Leute einladen, oder?). So fügt er sich eben in die Gegebenheiten - sicherlich auch überrollt vom Geschehen außerhalb der Gefängnismauern...
    Auch die Plaudereien über seine (einstige?) Einstellung verwundern mich nicht. Reue scheint er nicht zu empfinden, seine letzten Jahre bieten nicht allzu viel Gesprächsstoff (außerdem möchte er mit Sicherheit in der Freiheit nicht gleich wieder über diese lange Zeit nachdenken/reden) und die anderen löchern ihn ja teilweise auch ganz schön (beziehungsweise provozieren ihn).
    Wenn ich mir als Hauptperson Christian Klar vorstelle (und der stand mit Sicherheit Pate), dann finde ich das Ganze jedenfalls nicht unglaubwürdig.


    Schöne Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Hallo dubh!
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein ehemaliger Terrorist nach etlichen Jahren in Haft vom Gefängnis direkt zu einem Kaffeekränzchen marschiert. Und genau so, habe ich diese Schilderung empfunden.
    Um sein Leben in Freiheit wieder so einigermaßen zu organisieren, braucht man sicher nicht gleich am 1. Tag jede Menge Leute. Ein paar Besucher weniger hätte ich ja noch glaubwürdig gefunden, wenn es schon sein muß. Zumindest kann man sich ja vorstellen, dass der eben in die Freiheit Entlassene nicht gleich wieder über die Vergangenheit reden möchte.
    Ich glaube nicht, dass ein Gefängnisaufenthalt keine Spuren bei einem Menschen hinterläßt. Und hier kann man ja nicht gerade vom Versuch einer behutsamen Rückführung in die Welt sprechen. Das kann nur schrittweise geschehen und hat sich in diesem Falle womöglich von selbst gelöst, da wir ja nicht wissen wie fortgeschritten die Krebserkrankung ist.
    Jedenfalls glaube ich, dass man an diese an und für sich sehr interessante Thematik ganz anders herangehen müßte. Gerade weil der Autor sich damit ja intensiv beschäftigt, hätte ich mir erwartet, dass er sich dem Thema viel mehr von der psychologischen Seite nähert.
    Mir hat jedenfalls viel gefehlt in diesem Roman, was mich aber nicht davon abhalten wird, auch den nächsten B. Schlink zu lesen.


    Gruß, Sue.

  • Ach ja, ich fand es auch nicht so überzeugend. Und es waren auch für mich zu viele Leute auf den paar Seiten. Und zum Schluss konnte man immer noch kaum alle von einander unterscheiden. Och nö.


    2ratten:marypipeshalbeprivatmaus:

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.