Tim Parks – Stille
Inhalt: Der Journalist Harold Cleaver ist ebenso umstritten wie erfolgreich. Er genießt das Licht der Öffentlichkeit. Und das richtet sich jetzt ganz grell auf ihn: er führt ein Interview mit dem amerikanischen Präsidenten, in dem er diesen als unfähig entlarvt, und das ihn schlagartig weltweit bekannt macht. Unmittelbar danach erscheint das erste Buch seines Sohns, eine als Roman etikettierte wütende Abrechnung mit seinem berühmten Vater. Cleaver wird alles zuviel und er zieht die Reißleine. Eine überstürzte Flucht führt ihn in ein einsames Dorf in Südtirol, wo er eine verlassene Hütte ohne jeden Komfort wie fließendes Wasser und Strom mietet.
Er ist fest entschlossen, alle Kontakte zur Außenwelt zu kappen. Handy und Laptop verbietet er sich. Doch die Stimmen in seinem Inneren lassen ihn nicht zur Ruhe kommen.
Meine Meinung: Geschichten, in denen sich jemand komplett von der Außenwelt zurückzieht und auf sich selbst zurück geworfen wird, finde ich immer sehr spannend. Wie kommt man ohne die Segnungen der Technik, allein in der Natur zurecht? Und in welche Richtung gehen die Gedanken, wenn kein Input von außen kommt?
Die erste Frage nimmt in „Stille“ keinen allzu großen Raum ein. Cleaver lernt, Holz zu hacken, Feuer zu machen und eine primitive Dusche zu bauen, aber im Vordergrund stehen seine Gedanken, in denen es meist darum geht, ob sein Sohn mit seinem bösen Buch Recht hatte. In der Rückschau vergleicht Cleaver sein Leben mit der Romangeschichte. Dabei werden seine Gedanken nicht linear geordnet dargestellt, Parks springt vielmehr scheinbar willkürlich in der zeitlichen und auch logischen Abfolge – eben so, wie die Gedanken von Cleaver verlaufen. Teilweise verbeißt sich Cleaver wie ein Hund in einzelne Fragen und kehrt immer wieder zu ihnen zurück.
Diese scheinbare ungeordnete Aufzeichnung von Cleavers Gedanken lässt das Buch sehr authentisch erscheinen (wer kennt das nicht, dass einem ein Problem so beschäftigt, dass die Gedanken immer wieder dorthin zurück kehren und es bis zum Überdruss von allen möglichen Seiten beleuchten?). Ich finde diese Erzählweise faszinierend. Stück für Stück lernt man Cleaver kennen und muss seine Meinung über ihn mehrmals revidieren (ein Mann, dessen Familie auf der Beerdigung seiner Tochter seine Geliebte treffen müssen, muss doch kalt und herzlos sein - später stellt sich die Situation dann ganz anders dar). In diesem Buch passiert eigentlich nicht viel - es gibt noch eine kleine Nebenhandlung über die Bauernfamilie auf dem nächsten Hof , die jedoch im Hintergrund steht -, es war mir aber an keiner Stelle langweilig, Cleavers Gedanken zu folgen.
Ein besonderer Pluspunkt des Buchs für mich persönlich war der Handlungsort, da ich letztes Jahr in Südtirol im Urlaub war. Die Mentalität der Südtiroler, die landschaftlichen Besonderheiten und die Traditionen werden am Rande gestreift, was dem Buch einen besonderen Reiz gibt.
Mein Fazit: Für mich ein Highlight des Lesejahres und bestimmt nicht mein letztes Buch von Parks!