Mario Vargas Llosa - Das Fest des Ziegenbocks

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  • Mario Vargas Llosa schreibt hier über ein düsteres Kapitel in der Geschichte der dominikanischen Republik: die Diktatur des Rafael Trujillo, genauer gesagt über deren Ende durch das Attentat auf Trujillo. „El Jefe“ hatte im Volk den Schimpfnamen „Ziegenbock“, woraus sich auch der Titel erklärt.


    Vargas Llosa nähert sich der Geschichte auf drei Wegen: zum einen erzählt er von Urania, der Tochter eines in Ungnade gefallenen Ministers, die kurz vor dem Attentat in die USA ausgewandert ist und jetzt nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder in die Heimat zurückkehrt. Sie hatte vorher jeden Kontakt zu ihrer Verwandtschaft abgebrochen und begegnet ihrem greisen Vater auch jetzt noch mit Ablehnung, allerdings aus gutem Grund, wie der Leser im Lauf des Buchs erfährt.


    Der zweite Erzählstrang berichtet aus dem Blickwinkel von Trujillo selbst. Vargas Llosa beschreibt ihn als gebrechlichen, aber trotzdem noch mächtigen und grausamen Menschen, der jeden Menschen in seiner Umgebung zu beherrschen vermag und sich das, was er will, ohne jede Rücksicht nimmt, ob es sich nun um Geld, Vermögen oder auch Frauen handelt.


    Schließlich beschreibt Vargas Llosa die Attentäter, die alle zunächst Trujilloanhänger waren, aber aus den verschiedensten Gründen zu seinen Feinden wurden. Das Attentat war von langer Hand geplant, aufgrund eines wankelmütigen Mitverschwörers kommt aber alles anders als gedacht.


    Vargas Llosa lässt durch die verschiedenen Blickwinkel ein plastisches Bild eines Landes entstehen, in dem die Angst vor dem übermächtigen Diktator herrscht, der auch nach seinem Tod noch existent zu sein scheint. Er zeigt auch, wohin die Mischung aus Angst und Machthunger die Menschen in einer Diktatur treiben kann. Insgesamt ein informativer, aber auch bedrückender Roman.


    4ratten


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    Einmal editiert, zuletzt von Alfa_Romea ()

  • Wie Manjula schon geschrieben hat, verläuft dieser Roman über das Ende der Diktatur Rafael Trujillos in der Dominikanischen Republik, die gut 30 Jahre Bestand hatte, auf drei Ebenen.


    Urania Cabral ist die Tochter von Agustín Cabral, einem von Trujillos engsten Beratern, Minister, Senatspräsident und was man als Günstling noch so alles werden konnte. Aber Cabral war in Ungnade gefallen, ohne zu wissen weshalb. 1961, kurz vor dem tödlichen Attentat auf Trujillo, hat Urania die Insel offensichtlich etwas überstürzt und mit Hilfe eines Nonnenordens in Richtung USA verlassen, wo sie schließlich auch studierte und Karriere als Anwältin machte. Gleichwohl hat sie weder ihre Heimat seitdem wieder besucht noch Kontakt zur Familie gehalten, auch nicht zu ihrem Vater, der inzwischen schwer pflegebedürftig ist und für dessen Pflege Urania aufkommt. Erst 35 Jahre nach ihrer Flucht von der Insel kehrt sie für eine Urlaubswoche zurück, auch sehr zur Freude ihrer Verwandten. In langen Gesprächen zunächst mit ihrem Vater, der allerdings nicht mehr antworten kann, und dann ihren Cousinen und ihrer Tante rollt Urania Stück für Stück das Leben mit dem Vater (die Mutter war schon früh verstorben) bis zum Verlassen der Insel auf, und dabei stellt sich auch bald eine Ahnung ein, was der Grund für das Weggehen wie auch für Uranias mehr als distanzierte Haltung war, mit der sie ihren Vater gequält hat.


    Trujillo ist ein Mann mit Prinzipien und Disziplin. Er sieht sich selbst als denjenigen, der die Dominikanische Republik zu einem modernen Staat geformt und dafür gesorgt hat, daß Besatzungen, durch welchen Nachbarn auch immer, unwahrscheinlich geworden sind. Zudem hat er sich als enger Verbündeter der USA positioniert, so daß auch von dort keine negative Einflußnahme zu erwarten ist, auch wenn es mit Menschenrechten im Land nicht besonders weit her ist. Aber in letzter Zeit läuft es nicht gut für el jefe. Nicht nur, daß er nicht mehr der Jüngste ist, was sich für ihn lästigerweise in zwei Dingen zeigt: mit dem Sex klappt es nicht mehr so recht und, fast noch schlimmer, die Kontrolle des Harndrangs funktioniert nicht mehr. Außerdem mischt sich die katholische Kirche gerade mit Hirtenbriefen in die Politik ein und die beiden aufdringlichsten Bischöfe sind ausgerechnet Ausländer, mit denen man etwas vorsichtig verfahren muß, will man keinen internationalen Eklat produzieren. Trujillos Lieblingssohn Ramfis hat bislang wenig Ambitionen und Talent gezeigt, seinem Vater in der Führungsrolle nachzufolgen. Und dann gibt es noch das ganz normale Tagesgeschäft, bei dem es auch darum geht, die Speicherlecker gegeneinander auszuspielen und die Macht zu kontrollieren. Deshalb will Trujillo sich zumindest einen netten Abend außer der Reihe gönnen, und läßt ein Stelldichein mit einem Mädchen in seinem Mahagonihaus arrangieren.


    Wut, Frust und Zorn über den Diktator haben sich über die Jahre hinweg im Land ausgebreitet, und auch wenn eine formelle Opposition nicht existiert, weil sie konsequent unterdrückt und tatsächliche oder potentielle oder auch nur als solche denunzierte Abweichler gnadenlos verfolgt und umgebracht werden oder spurlos verschwinden, so bildet sich doch ein heimlicher Widerstand, eine Verschwörung. Dieser gehören ganz unterschiedliche Menschen an: gläubige Katholiken, frustrierte Offiziere, wütende Mitglieder des Großbürgertums, die Familienangehörige durch das Regime verloren haben. Nicht selten waren sie selbst anfänglich Trujillo-Anhänger, aber sie haben sich unter dem Eindruck der zunehmenden Repression zu Gegnern gewandelt. Und an diesem Abend warten sie mit ihren Schußwaffen an verschiedenen Stellen der Straße, die Trujillo zum Mahagonihaus nimmt.


    Diese drei Stränge treibt Vargas Llosa ziemlich gleichmäßig abwechselnd voran, wobei man in letzterem vor allem die Biographien der Hauptattentäter erfährt und damit nachvollziehen kann, wie sie zu dieser Zeit an diesen Ort gekommen sind. Jeder von ihnen hat höchst eigene und triftige Gründe, dem Diktator eine Kugel verpassen und ihn tot im Dreck liegen sehen zu wollen. Ich konnte sie alle in ihrer Motivation verstehen. Während man die Attentäter also am Abend der Tat beim Warten beobachtet, näher sich der Erzählstrang um Trujillos letzten Tag mit fortschreitender Dauer dem Punkt, an dem diese beiden zusammentreffen müssen. Das Ergebnis ist bekannt: Trujillo stirbt zwar, aber die erhoffte Erhebung findet doch nicht statt, die alten Machteliten können – zumindest noch eine Weile – die Kontrolle behalten. Wie das passiert und wie sich die Monate nach dem Attentat im Land darstellen, mit der Verfolgung der Täter und teilweise ihrer brutalen Folterung, auch das erzählt Vargas Llosa in geradezu bezwingender Manier. Ich habe schon einiges an „Gefängnisliteratur“ gelesen, aber trotzdem bin ich ob solcher Beschreibungen immer wieder schockiert.


    Demgegenüber fällt der Erzählstrang um Urania etwas aus dem Rahmen. Zum einen hat sie selbst die letzten Jahre der Trujillo-Diktatur als Kind bzw. Teenager erlebt, denn sie war 14 als sie die Insel verließ. Vieles weiß sie also auch nur aus ihren Recherchen, und vieles, was sie ihrem Vater bzw. ihren Verwandten mitteilt, können unter den Umständen auch nur Vermutungen sein. Das betrifft natürlich nicht ihre eigenen Erlebnisse, aber immerhin gehörte sie einer privilegierten Familie an, und auch nachdem der Vater in Ungnade gefallen war, war nicht ausgemacht, daß dies von Dauer sein würde. Zwar hat ihn das offensichtlich schwer mitgenommen und er hat auch alles versucht, die Gunst seines Herrn wiederzuerlangen, aber das hat offensichtlich nichts gefruchtet und kurz danach kam dann auch schon das Attentat allen Bemühungen in die Quere. Urania war aber natürlich kein Bestandteil irgendeines Machtzirkels oder dergleichen, daher hat sie vor allem eine Außenperspektive, die zudem noch einige Zeit vor dem Attentat endet. Nichtsdestotrotz wird damit ein wichtiger Baustein für das Gesamtbild der Trujillo-Diktatur geliefert, ohne den die Erzählung nicht komplett wäre. Allerdings war dies auch der Teil, der mir – obwohl ich gar nicht in Abrede stellen will, daß es vergleichbares gegeben hat – am ehesten als konstruiert und etwas dick aufgetragen vorkam. Mir war schon recht zeitig klar, wohin Uranias Enthüllungen steuern würden, daher war ich keineswegs überrascht, aber es schmälerte in der Art der Darbietung für mich schon den Gesamteindruck dieses gleichermaßen beeindruckenden wie bedrückenden Romans.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß
    Aldawen