Sadie Jones - Der Außenseiter

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    Sadie Jones, Der Außenseiter
    (Schöffling & Co. Verlag, Juli 2008)
    ISBN 978-3-89561-385-2
    416 Seiten; € 22.90 (HC)
    Originaltitel: The Outcast



    Ein sehr trauriges, wenngleich auch wunderbares Buch!


    Lewis Aldridge lernt seinen Vater erst mit 7 Jahren richtig kennen, als dieser aus dem II. Weltkrieg nach England zurückkehrt. Zu seiner Mutter allerdings hat er eine sehr liebevolle und starke Beziehung und so streift er als Kind oft mit ihr durch die Wälder nahe seines Zuhauses während sein Vater in London arbeitet. Eines Tages passiert ein Unglück: Lewis' Mutter ertrinkt unglücklich bei einem Badeausflug im Fluß - ihr 10jähriger Sohn ist der einzige Zeuge.
    Gilbert Aldridge bekommt ab diesem Tag keine Beziehung mehr zu seinem Sohn hin - er kann ihn noch nicht einmal mehr ansehen, soviel Ähnlickeit entdeckt er im Gesicht von Lewis mit seiner verstorbenen Frau. Und so präsentiert er dem Jungen recht schnell eine Stiefmutter, in der Hoffnung, alles könnte wieder geordete Bahnen finden. Doch Lewis entwickelt sich schnell zu einer Art "Problemkind" - völlig auf sich allein gestellt, wie er seit dem Tod seiner Mutter ist.
    Als ein zweites Unglück geschieht, wird Lewis festgenommen und muss sogar für zwei Jahre ins Gefängnis... Mit seiner Entlassung beginnt das Buch - die Vergangenheit wird in Rückblenden erzählt.


    "Der Außenseiter" ist über weite Strecken ein sehr trauriges Buch - man fühlt und leidet mit Lewis, empfindet manchmal sogar die gleiche Hoffnungslosigkeit wie der Junge. Nahezu unfassbar empfindet man den Vater und die Menschen in Lewis' Umgebung, die dem Jungen keinerlei Hilfestellung bieten können oder wollen, ja, ihn lieber weit von sich schieben. So entgleitet Lewis sogar sich selbst, da er sich in seiner Einsamkeit und mit seinen Schuldgefühlen nicht mehr zu helfen weiß...
    Trotzdem ist es zugleich auch ein schönes Buch, weil Lewis Aldridge zwar kein einfacher, dennoch ein zutiefst guter Charakter ist. Sadie Jones, die Autorin, hat echt etwas zu erzählen - aus der verqueren Welt der besserstehenden Gesellschaft in den 1950ern in England, die keine Außenseiter, keine aus dem Raster fallenden Menschen, zu ertragen weiß, geschweige denn Mitgefühl und Verantwortung kennt. Wäre da nicht eine Art Seelenverwandte...


    Eines noch zur Geschichte: auf dem Schutzumschlag des Buches wird ein Vergleich mit Ian McEwan gezogen - ich weiß nicht, ob dies nötig ist. Sadie Jones kann phantastisch und vor allem sehr gefühlvoll erzählen - es gibt wirklich überhaupt nichts auszusetzten - Sprache und Geschichte sind passend gewählt. Deshalb tut ein solcher Vergleich meiner Meinung nach überhaupt nicht not!


    Fazit: Ein beeindruckendes Debüt, auf dessen Verfilmung ich schon gespannt bin!


    5ratten



    EDIT: Betreff etwas angepasst. LG Seychella

    Liebe Grüße

    Tabea

    Einmal editiert, zuletzt von Seychella ()

  • Hallo dubh,


    das Buch hat Elke Heidenreich gestern in "Lesen" auch sehr begeistert vorgestellt. Vielen Dank für Deine schöne Rezension! Ich tendiere jetzt noch eher dazu, mir das Buch zu kaufen *soifz*


    Liebe Grüße
    nimue

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Meine Meinung:
    Ein Buch das mich an vielen Stellen sehr wütend gemacht hat und an mancher auch sehr sehr traurig. Lewis scheint so allein und verloren. Oft merkt man das die Menschen um ihn herum ihn nicht verstehen wollen, ja es nicht einmal versuchen und dann aber erwarten das er sich nicht so anstellen soll. Lewis bleibt stumm, oft weiß er nicht was er sagen soll, er kann seine Gefühle nicht ausdrücken, es wird aber auch von ihm erwartet der starke Junge zu sein, nach dem Motto, Jungen weinen nicht... Das er deshalb in ein großes Schwarzes Loch fällt, das ihn immer weiter in die Tiefe zieht, ist nicht mehr verwunderlich. Sein Vater ist überfordert mit der Situation, ich glaube er heiratet wieder weil er so glaubt seine Verantwortung ein Stück abgeben zu können, weil er selbst micht weiß wie er mit dem Verlust der eigenen Frau umgehen soll.


    Eindringlich schildert Sadie Jones diese traurige aber auch sehr schön geschriebene Geschichte. Mir kommt es so vor das sie auch in unserer Zeit spielen könnte. Zwar verbindet man gerade die 50er Jahre mit Enge, Intoleranz gegenüber M;enschen die nicht der Norm entsprechen, derren Probleme sie nicht mehr selbst lösten können, aber nach und nach stelle ich fest das auch in unserer heutigen Zeit viele durchs Raster fallen sobald sie anders sind.
    Der Roman hat eine Stimmung die schwer zu beschreiben ist, es liegt eine Schwere auf dem Ganzen, als ob man nicht mehr atmen könnte, weil alles auf einem lastet, das gibt sicher die Gefühle Lewis auch recht gut wieder. Erst am Ende kommt ein etwas postiverer Ton hinein. E gibt Hoffnung für Lewis, aber auch für Kit.
    Das junge Mädchen wird sehr realistisch dargestellt, ihre Gefühle und Beweggründe konnte ich gut nachvollziehen, sie ist der einzige Mensch der Lewis zumindest Ansatzweise verstehen kann. Lewis ist vor allem eins: ein junger Mann den man am liebsten in den Arm nehmen möchte um ihm zu zeigen das es auch anders geht, das man ihm einmal richtig zuhört und es um ihn geht, nicht um andere Interessen. Keine möchte ihm eine Chance geben, man möchte schreien und dem ein oder anderen am liebsten eine Ohrfeige verpassen.


    Sadie Jones Roman hat nur eine Schwäche wie ich finde, es gibt die Möglichkeit das es sich ändert und alles zum Guten wendet. Das nimmt einerseits die Hoffnungslosigkeit und passt eigentlich auch in den Roman, andererseits ist es auch ein wenig unrealistisch und ein Wunschtraum. Ein Wunschtraum für Lewis das er endlich seinen Weg finden wird. Das erscheint mir am Ende ein wenig zu Märchenhaft und ich hätte mir hier ein etwas anderes Ende gewünscht.


    Ansonsten:


    4ratten


    PS: Weshalb der Roman mit Abbitte verglichen wurde bleibt mir eher Schleierhaft, schon allein die Geschichte an sich hat eine völlig andere Ausgangsposition und ich finde auch die Stimmung ist komplett anders.

  • Schöne Rezis - regt zum Kauf an, danke.

    Liebe Grüße JaneEyre

    Bücher haben Ehrgefühl. Wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück.

    Theodor Fontane

  • Inhalt: Lewis Aldridge ist sieben, als der Vater, den er kaum kennt, aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkommt. So sehr Lewis sich darüber freut, so schwer fällt es dem Vater Gilbert, eine Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen. So bleibt das Mutter-Sohn-Verhältnis deutlich enger. Drei Jahre später ertrinkt die Mutter bei einem Badeausflug, ein Unfall, ein Zusammenwirken unglücklicher Umstände. Lewis ist der einzige Zeuge und kann nicht darüber reden, weshalb die Spekulationen wild ins Kraut schießen. Gilbert erträgt seinen Sohn nun noch weniger und präsentiert ziemlich schnell eine Stiefmutter, Alicia, in der Hoffnung, damit das „Problem Lewis“ zu lösen. Aber Lewis zieht sich immer mehr in sich selbst zurück. Niemand gibt ihm die Hilfe und den Trost, die er bräuchte, er wird allein gelassen, ja, sogar bewußt gemieden, weil man die Verantwortung scheut. Dies gilt nicht nur für den Vater sondern auch für alle anderen Erwachsenen aus dem unmittelbaren Umfeld in der Kleinstadt. Deshalb nimmt auch niemand Lewis' Veränderungen wahr, bis auf die jüngere Tochter des Nachbarn, Kit Carmichael, die in Lewis vieles von sich selbst wiederfindet. Lewis, dessen Introvertiertheit von vielen mit Blödheit verwechselt wird, und der oft provoziert wird, greift bei seiner Gegenwehr zu Gewalt und bekommt damit erst recht den Ruf eines Unruhestifters und Problemfalls, den man in der wohlgeordneten Welt der „besseren Familien“ nicht sehen will. Eines Tages entlädt sich Lewis' Wut in einer Aktion, die ihn für zwei Jahre ins Gefängnis bringt. Nach Hause zurückgekehrt bemüht sich Lewis um ein ruhiges Leben, aber die Ablehnung, der er immer noch begegnet und seine eigene psychische Disposition lassen das auf Dauer nicht zu. Aber da ist immer noch Kit ...



    Meine Meinung: Ein ganz wunderbarer Roman, und das trotz des Inhalts. Oder vielleicht sollte ich besser sagen: Wegen der überaus gelungenen Kombination aus Inhalt und Darstellung, und das in einem Stil, der berührt, ohne kitschig zu werden. Als Leser wird man geradezu zwangsläufig auf Lewis' Seite gezogen, man leidet mit ihm und ist mit ihm wütend. Die „bessere Gesellschaft“ ist scheinheilig, bigott. Lewis wird mit seinen Problemen nicht nur allein gelassen, er wird sogar noch provoziert und in die Enge getrieben. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, wird hinter den schönen Fassaden der Wohlanständigkeit gesoffen, geprügelt und hintergangen, daß es eine Art hat. Lewis durchschaut dies bis zu einem gewissen Grad durchaus, er ist schließlich nicht dumm. Aber er steht dem hilflos gegenüber, denn da ihn niemand mehr ernst nimmt (im positiven Sinne, an Schlechtigkeiten traut man ihm einfach alles zu), ist es auch egal, was er sagt, ob er überhaupt etwas sagt. Alles, was er sagt oder tut, wird ihm negativ ausgelegt. Und weil alle im Ort seine Geschichte kennen, ist er ein bequemer Sündenbock für alles, was man in anderen Häusern abwälzen oder vertuschen möchte. Ich habe oft überlegt, ob Lewis andere Handlungsoptionen gehabt hätte, konnte sie aber nicht finden, denn dafür hätte nicht nur er selbst ein anderer Mensch sein müssen, sondern auch die Umstände andere.


    Sadie Jones wählt auch die Erzählchronologie geschickt. Der Roman beginnt mit Lewis' Entlassung aus dem Gefängnis, um dann in einem langen Rückblick zu berichten, was bis zu diesem Punkt geschah, um dann mit Lewis' Versuchen einer Wiedereingliederung (wenn man das so nennen will) fortzufahren. Daß es dabei zu weiteren Konfrontationen und Eklats kommt, verwundert dann nicht mehr. Aber bei all dem blieb meine Sympathie immer bei Lewis und Kit, und insgesamt war ich mit dem Ende deswegen dann auch sehr zufrieden. Es ist offen genug, um Hoffnung zu vermitteln, beinhaltet aber nach wie vor die Möglichkeit des Scheiterns. Lewis und Kit sind die am tiefsten und genauesten gezeichneten Charaktere im Roman, aber auch Gilbert und Alicia sowie die Carmichaels gewinnen gute Konturen. Alles in allem ein Roman, an dem ich direkt nach der Lektüre nichts auszusetzen hatte und auch mit ein paar Tagen Abstand bin ich immer noch beeindruckt, so beeindruckt, daß ich gerade Jones' zweiten Roman Kleine Kriege ohne langes Zögern gekauft habe.


    5ratten


    Schönen Gruß
    Aldawen

  • Hallo Aldawen,


    eine sehr schöne Rezension, die mich gerade daran erinnert hat, wie gerne ich dieses Buch gelesen habe! Glücklicherweise habe ich das neue Buch von Sadie Jones auch schon zuhause im Regal stehen: die Freundin, der ich damals 'Der Außenseiter' gegeben habe, hat sich revanchiert... Allerdings ein ganz anderes Thema, über welches ich kaum etwas weiß...


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea


  • Glücklicherweise habe ich das neue Buch von Sadie Jones auch schon zuhause im Regal stehen: die Freundin, der ich damals 'Der Außenseiter' gegeben habe, hat sich revanchiert... Allerdings ein ganz anderes Thema, über welches ich kaum etwas weiß...


    Geht mir genauso, Zypern ist für mich auch so eine Ecke, über deren Geschichte ich beschämend wenig weiß. Aber das läßt sich ja im Zuge des Romans vielleicht ändern :smile:

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    Lewis ist 10 als seine Mutter bei einem unglücklichen Badeunfall ertrinkt. Er ist der einzige Zeuge und daraus resultieren auch Schuldgefühle, zudem war seine Beziehung zu seiner Mutter besonders eng. Doch seine Last kann ihm niemand abnehmen, der Vater ist erst 3 Jahre zuvor aus dem Krieg zurückgekehrt und konnte mit seinem Sohn noch nie sonderlich viel anfangen.


    Das Buch beginnt mit Lewis Entlassung aus dem Gefängnis und in Rückblicken erfährt man wie es zu seiner Haft kam, während man parallel seinen Versuch begleitet, sich in die Gemeinschaft wieder einzugliedern.


    Bereits kurz nach Beginn mochte ich kaum weiterlesen, weil alles schon so deprimierend wirkte, als könne es nie ein gutes Ende nehmen.


    Zudem erscheint die gesamt Dorfgemeinschaft furchtbar oberflächlich, arrogant und bigott, so dass man Lewis fragen möchte, warum er überhaupt von diesen idiotischen Snobs akzeptiert werden will. Sein Vater ist nicht besser, er erwartet eigentlich keine Persönlichkeiten in seiner Umgebung sondern Figuren, die einfach nur die Rollen erfüllen, die die Gesellschaft an sie stellt. Dass Lewis dazu nicht in der Lage ist und durch den auf ihn ausgeübten Druck nur immer heftiger aus diesem Korsett auszubrechen versucht, nimmt er nicht wahr. Und auch sonst nehmen die wenigsten Lewis Verzweiflung unter der nur von Gewaltentladungen durchbrochenen Stille wahr – und die die es tun, wie seine Stiefmutter, wissen nicht, wie sie darauf reagieren sollen. Kit ist ein wenig die Ausnahme, da sie sich oder ihre Position nie von Lewis bedroht sah und ihn bereits vor dem Unglück gut genug kannte, um später hinter die stumme Fassade zu blicken, doch ist sie viel zu sehr in ihrer eigenen hoffnungslosen Situation gefangen, um ihm helfen zu können.


    Als Leser sieht Lewis wahre Gestalt und möchte so manches Mal in ohnmächtiger Wut alle um Lewis herum zurückstoßen und ihn in den Arm nehmen und ihm endlich das Verständnis entgegenbringen, das ihm so lange vorenthalten wurde, bis er glaubt, den Hass und die Verachtung seiner Umgebung verdient zu haben.


    Ein ergreifendes Buch voller Verzweiflung und mit nur einem Funken Hoffnung, dem man nicht zu trauen wagt.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus: