Dara Horn, Die kommende Welt

Es gibt 6 Antworten in diesem Thema, welches 2.855 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Saltanah.

  • Hallo,


    erst kürzlich habe ich dieses schöne Buch gelesen, nun folgt die Rezension meiner "Perle".


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    Dara Horn, Die kommende Welt
    Berlin Verlag 2006, ISBN 3-8270-0629-5, € 22,-


    Dara Horn nimmt in ihrer zweiten Veröffentlichung einen wahren Anlaß als Hintergrund für ihren Roman: 2001 wurde bei einer Singleparty im Jüdischen Museum in New York ein Chagall-Bild gestohlen. Monate später tauchte es in einem Postamt in Kansas wieder auf...


    Bei Dara Horn ist der Dieb Benjamin Ziskind, ein intellektueller Woody-Allen-Typ, der seinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben von Fragen für eine Quizshow (bei uns wäre es wohl "Wer wird Millionär?") verdient.
    Und dieser Benjamin will das Bild partout nicht wieder rausrücken – selbst als ihm Kuratorin Erica Frank auf die Schliche kommt –, denn das Bild hat in seinen Kindertagen noch seinen Eltern gehört und ist vor allen Dingen eng mit der Geschichte der jüdischen Familie Ziskind verbunden. Eine Geschichte, die in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts in einem Waisenhaus im russischen Malachowka beginnt...


    Ein herrlich geistreicher, phantasie- und humorvoller Roman, der regelrecht mit Kleinoden gespikt ist: bei den Ziskinds werden Geschichten erzählt, die ihren Ursprung in den alten jiddischen Erzählungen und Sagen aus Russland haben und die immer wieder auch im Buch Platz finden...
    So wird zum Beispiel den Kindern erzählt, dass in einer Art Himmel die Verstorbenen die Ehre haben, die Noch-nicht-Geborenen zu lehren und mit Talenten zu versorgen. Zum Ende ihrer neunmonatigen Lernphase werden die Noch-nicht-Geborenen von einem "Engel" ihres Vertrauens an den Rand des Himmels gebracht und erhalten einen Nasenstüber: damit vergessen sie den "Himmel" und purzeln in die kommende Welt. Da sich das Ganze aber im Himmel natürlich herumspricht, trickst ein kleiner Noch-nicht-Geborener: er klebt sich Lehm an die Nase und sucht sich als "Vertrauensengel" einen betrunkenen Vorfahren, der seinen Feierabend gerade in der Bar genießt, aus. Der verpasst ihm den obligatorischen Nasenstüber zwar - aber er hat eben den Lehm nicht bemerkt... Und so purzelt der Frechdachs auf die Welt, im kompletten Wissen, woher seine Talente stammen... :breitgrins:


    Also, ich kann Die kommende Welt nur wärmstens empfehlen - es ist wunderbare Rundum-Unterhaltung: intelligent, spannend und witzig zugleich!


    5ratten

    Liebe Grüße

    Tabea

    Einmal editiert, zuletzt von dubh ()

  • Als Benjamin Ziskind, seines Zeichens Quizfragenschreiber einer amerikanischen Fernsehshow und ehemaliges TV-Wunderkind, eine Party anlässlich einer Chagall-Ausstellung in einem jüdischen Museum in New York besucht, langweilt er sich zunächst ganz fürchterlich bei all dem belanglosen Smalltalk, streift dann alleine durch die Ausstellung, entdeckt das Bild, das früher einmal bei seinen Eltern hing, hängt es ab und nimmt es einfach mit. Unbehelligt.


    Die Museumsangestellte Erica Frank hat immer geahnt, dass so etwas einmal passieren würde, sind doch die Sicherheitsvorkehrungen in jüdischen Einrichtungen eher auf den Schutz vor Anschlägen ausgerichtet als auf den Schutz der ausgestellten Kostbarkeiten, und versucht verzweifelt, das Bild wieder zu beschaffen.


    Diese schräge Episode, die übrigens auf Tatsachen beruht, bildet den Auftakt zu einem großartigen Roman, der gleichzeitig Familiengeschichte, ein Streifzug durch die jüdische Mythenwelt und Rückblick auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist. Wir lernen rückschauend die Lebensgeschichte von Bens Eltern und Großeltern kennen, Bens Kindheit und einen erfolglosen russisch-jüdischen Dichter, der einmal Marc Chagalls Nachbar war, bevor dieser auswanderte und den Erfolg feiern konnte, der dem Dichter nie beschieden war.


    Das Buch schlägt immer neue Volten, wirft Schlaglichter auf verschiedenste Personen, deren Lebenswege sich miteinander verflechten, führt uns an Schauplätze auf der ganzen Welt und nicht zuletzt in die andere, die kommende Welt, in der sich die Seelen derer, die noch nicht geboren sind, mit jenen Seelen treffen, die die Erde schon wieder verlassen haben. Grausame, fast unerträglich authentische Bilder von Krieg und Verfolgung mischen sich mit zarten Schilderungen von Liebe, Familie und Glück.


    Wie auf einem Gemälde von Chagall entdeckt man immer mehr Facetten, Details, Personen, immer wieder werden Motive neu aufgegriffen und variiert. Was auf den Bildern von Chagall Geiger, Vogel, Blumenstrauß und Liebespaar, sind in diesem Roman universelle Themen wie Liebe, Krieg, Schwangerschaft, Geburt und Tod und nicht zuletzt die Frage, woher wir kommen und wohin wir gehen.


    Eine Meisterleistung der jungen Autorin (*1977), all dies auf nur 400 Seiten in einer wunderschönen, ansprechenden Sprache zu erzählen, eine melancholischen, auf alten jüdischen Erzählungen basierenden Grundstimmung zu erzeugen und den Leser mitzunehmen auf eine grandiose Achterbahnfahrt der Gefühle.


    5ratten :tipp:


    Und wieder gebührt der lieben dubh ein ganz dickes Dankeschön (und ein :knuddel: ), denn ohne ihre begeisterte Rezension wäre ich niemals auf dieses wunderbare Buch gekommen, das nicht nur wegen seiner Bezüge zu meinem geliebten Chagall äußerst lesenswert ist und das mich zum Lachen, zum Weinen und zum Staunen gebracht hat.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Und wieder gebührt der lieben dubh ein ganz dickes Dankeschön (und ein :knuddel: ), denn ohne ihre begeisterte Rezension wäre ich niemals auf dieses wunderbare Buch gekommen, das nicht nur wegen seiner Bezüge zu meinem geliebten Chagall äußerst lesenswert ist und das mich zum Lachen, zum Weinen und zum Staunen gebracht hat.


    :redface:



    Hallo Valentine,


    ich freue mich jedes Mal ganz außerordentlich, wenn jemand ein Buch, das ich sehr gerne gelesen habe, auch liest. Noch mehr natürlich, wenn er/sie es als genauso schön empfindet wie ich...
    Herzlichen Dank für Deine tolle Rezension (die dem Buch im Übrigen viel mehr gerecht wird)! Und hoffentlich laufen wir noch vielen solchen Büchern über den Weg - ich werde weiterhin berichten. :zwinker:


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Ja, den Wunsch kann ich nur unterschreiben und zurückgeben :winken:


    Ich glaube, was diese Art von "besonderen Büchern" betrifft, liegen wir häufig ganz gut auf einer Wellenlänge :smile:


    Der Vergleich mit den detailreichen Bildern von Chagall kam mir, weil ich zur Zeit auch sehr gerne in diversen Chagall-Bildbänden blättere und ich dabei häufig dasselbe "Wow!"-Gefühl habe wie beim Lesen dieses Buches. Mir hat auch der letzte Abschnitt (Du weißt sicher, was ich meine) unheimlich gut gefallen, insbesondere natürlich das mit den Büchern ;)

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    Leider kann ich mich weder rezi-qualitativ noch begeisterungs-stürmisch an meine Vorschreiber dranhängen, aber ich gebe meine Meinung hier jetzt trotzdem mal zum Besten. :smile:


    Inhalt
    Ben Ziskind besucht, von seiner Schwester gedrängt, eine (Single)Party im jüdischen Museum New Yorks und geht tatsächlich nicht alleine nach Hause. Im Gepäck hat er eine Studie des Künstlers Chagall ... einfach von der Wand genommen und nach Hause getragen. Was darauf hin passiert, welche Beweggründe dieser Tat zu Grunde liegen und wer Ben Ziskind überhaupt ist - das erfährt man in diesem "etwas anderen" Buch.


    Meine Meinung
    Bei diesem Buch fällt es mit unglaublich schwer, meine Meinung auf den Punkt zu bringen. Ich glaube, dass es eine sehr schöne Geschichte erzählt, aber ich habe nicht wirklich Zugang zu dem Thema gefunden.


    Schon das Cover hat mich mehr abgeschreckt als eingeladen. Es sieht ziemlich langweilig aus, das Bild auf der HC-Ausgabe finde ich sehr viel stimmungsvoller und passender. Das aber nur so nebenbei.


    Die Geschichte selbst dreht sich um Ben Ziskind, seine jüdische Familie, ein jüdisches Museum, um Chagall und den Nister, um die Sowjetunion und den Vietnamkrieg. So viele Themen ... und keines davon liegt wirklich in meinem Interessensbereich. :redface: Nach fünf Seiten musste ich das Buch erst einmal zur Seite legen und im Internet nach "Chagall" googeln, da mir keines seiner Bilder bekannt bzw. im Gedächtnis war. An sich finde ich es schön, wenn ich aus Büchern noch was lernen kann, aber diese Aktion zeigt, wie ich mit dem Rest der Geschichte zurecht kam.


    Trotz vieler (Anfangs)Schwierigkeiten habe ich nicht aufgegeben und muss letztendlich sagen, dass es viele schöne, spannende und tragische Momente für mich gab. In jedem Kapitel wird eine andere Person beleuchtet, wie ein Mosaik setzen sich die verschiedenen Ereignisse zusammen und ergeben zum Schluss ein großes Ganzes ... eine Familiengeschichte über mehrere Generationen hinweg. Diese Aufmachung finde ich sehr gelungen und ich war immer gespannt, was wohl als nächstes kommt und welche offene Frage jetzt geklärt wird.


    Sehr schön fand ich auch die vielen kurzen Geschichten, die immer wieder eingestreut werden ... schon fast märchenartige Kindergeschichten, die alle Generationen verbinden und den Leser in eine andere Welt entführen.
    Absolut spitzenklasse war das letzte Kapitel. Unglaublich fantasievoll und witzig wird hier ... moment, das darf ich nicht verraten! :zwinker:


    Für mich war dieses Buch eine Herausforderung in vielen Bereichen, aber ich lege es euch trotzdem ans Herz ... ich denke, jeder kann hier etwas anderes finden und für sich selbst Wichtiges mitnehmen.


    3ratten

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

  • Tut mir Leid, wenn der folgende Beitrag etwas inhaltsleer sein sollte, aber ich amüsiere mich gerade wirklich über mich selbst:


    Vor etwa einem Jahr habe ich ein Buchpaket mit Büchern erhalten, die ein Freund aussortiert hatte. Ich hab' sie brav katalogisiert und mich bei vielen gefreut, da einige echt tolle Sachen dabei waren. So weit zur Vorgeschichte.
    Gerade lese ich die Rezensionen und denke: Das Buch muss ich haben. Das schreibe ich auf meinen Wunschzettel.
    Gesagt, getan. Aber irgendetwas rührt sich in meinem Gedächtnis und ich suche es nochmals bei amazon. Ein Cover scheint mir bekannt...
    Siehe da, ich brauche das Buch nichtmal mehr kaufen, ich besitze es bereits! :tanzen: Es war eines aus besagtem Paket, untergegangen neben den Büchern, die ich kannte. Wohl hatte ich mir vorgenommen, etwas zu recherchieren, es aber wohl dann vergessen.
    Ach wie schön, wenn man eine unerkannte Perle auf dem SUB hat! :smile:

    Auch ungelebtes Leben<br />geht zu Ende<br />- Erich Fried

  • Es lohnt sich, einen zweiten Blick in eigentlich schon gelesene Threads zu werfen, vor allem, wenn man auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken ist. Jetzt weiß ich, was meine Ma bekommen wird. Hoffentlich liest sie es schnell, damit ich es in meinem Urlaub auch noch schaffe. :zwinker:

    Wir sind irre, also lesen wir!