Kressmann Taylor - Adressat unbekannt

Es gibt 7 Antworten in diesem Thema, welches 12.019 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Mrs.MiaWallace.

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    Ein ungewöhnliches Buch, das man gelesen haben sollte, ein Briefroman, der 1938 erstmals als Fortsetzungsgeschichte in einer amerikanischen Zeitschrift erschienen ist.


    Der Jude Max Eisenstein und sein Freund Martin Schulse führen gemeinsam in New York eine Kunstgalerie. 1932 kehrt Martin nach Deutschland zurück. Die beiden tauschen fortan Briefe aus.


    1933 kommt Hitler an die Macht. Das bedeutet nicht nur große Umwälzungen in Deutschland, sondern auch das schleichende Ende der Freundschaft zwischen Max und Martin.


    Sieht Martin anfangs den Emporkömmling aus Braunau noch mit kritischen Augen, wird er schließlich immer mehr überzeugt von dessen Ideologie - oder ist es nur Anpassung? Max bittet Martin, auf seine Schwester Griselle aufzupassen, die als Schauspielerin unbedingt ihre Karrierechancen in Deutschland nutzen möchte und die Bedrohung durch die Nazis nicht sehen will.


    Auf ganz wenigen Seiten wird man schockiert Zeuge, wie sich ein Mensch schlagartig verändern kann, wie Martin sich immer weiter von Max entfernt und ihm schließlich mit antisemitischen Parolen die Freundschaft aufkündigt. Und Max schlägt auf seine ganz eigene Art zurück.


    Im Vorwort von Elke Heidenreich heißt es, in dem Büchlein gebe es kein Wort zuviel und keines zuwenig. Bei nur etwa 50 Seiten, die die Geschichte umfasst, konnte ich es erst gar nicht glauben, doch nach dem Lesen war ich davon ebenfalls überzeugt.


    Der Roman ist schnell gelesen, hinterlässt aber bei mir einen tiefen Eindruck, nicht zuletzt, weil er noch vor dem 2. Weltkrieg entstand und doch schon ahnen lässt, zu welchen Greueltaten und welcher Herzenskälte Menschen unter dem Einfluss der Nazi-Ideologie fähig sind - ohne detaillierte Schilderung von Brutalitäten. Die Briefe sprechen jedoch für sich.


    Mein erstes Highlight 2007.


    5ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von fairy ()

  • Das Buch hat mich völlig aus der Bahn geworfen.


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    Inhalt:


    Der Briefroman umspannt die Zeit von November 1932 - März 1934. Die beiden Freunde und Geschäftspartner Martin Schulse und Max Eisenstein stehen miteinander im Briefkontakt, nachdem Martin aus San Francisco nach München zurückkehrt.


    Aus den ersten Briefen wird deutlich, wie sehr die beiden einander verbunden sind: sie vertrauen sich ihre Geheimnisse an, herzen sich und sprechen ehrlich miteinander.
    Im März 1933 äußert Martin noch Zweifel an Hitler, erfreut sich aber auch der Aussicht, dass Deutschlands "Geschichte auf ein weißes, neues Blatt geschrieben" werden wird. Er verfällt dem "hysterischen Befreiungsrausch", tritt in die Partei ein, macht Karriere in einem Regierungsposten und verkehrt mit dem Landadel. Ihm geht es gut. Doch mit welchen Folgen und auf wessen Kosten?


    Innerhalb kürzester Zeit verfällt Martin der Propaganda. Er saugt sie förmlich auf und begegnet seinem ehemaligem Freund kalt und herzlos. Als er sagt, dass "wir [...] das bittere Brot der Scham und die dünne Suppe der Armut gegessen" haben, wird klar, dass er seine ehemaligen Ideale durch die Verführungen der Zeit ausgetauscht hat. Er identifiziert sich mit einem Lebensstil, den er nie kennengelernt hat.


    Mehr mag ich an dieser Stelle nicht verraten, denn das was folgt, ist voller Emotionen! Ich möchte nicht zuviel verraten.


    Zum Buch (dem Nachwort entnommene Informationen):


    "Adressat unbekannt" von Katherine Kressmann Taylor erschien erstmals 1938 in der Zeitschrift "Story". Innerhalb von zehn Tagen war die gesamte Auflage vergriffen. 1939 wurde der Briefroman bei Simon / Schuster als Buch herausgegeben.


    1992 druckte "Story" die Geschichte erneut ab und erzeugte erneut eine große Resonanz.


    Meine Meinung:


    Eigentlich mag ich so kurze Bücher nicht, weil ich meist dann mit den Personen warm geworden bin, wenn das Ende vor mir steht. Aber hier ist nicht ein Wort zu wenig und zu viel verwandt worden.


    Die Pointe, sofern man davon sprechen kann, jagte mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken.


    Besonders bitter wird wohl jedem aufgestoßen der folgende Satz aufgestoßen sein:


    "Dem Himmel sei dank, dass er [Hitler] ein wahrer Führer ist und nicht ein Engel des Todes."


    Absolut empfehlenswertes Büchlein mit brisanter und schockierender Handlung! Es ist zwar schnell gelesen, aber der Effekt hallt nach!

    Ich werde kein&nbsp;Geld hinterlassen. Ich werde keinen Aufwand und Luxus hinterlassen. Aber ich möchte ein engagiertes Leben hinterlassen.<br />(Martin Luther King)

  • Hallo,


    ich habe das Buch gerade fertig gelesen und es hat auch bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen. Ich kann dir in allem, was du schreibst nur zustimmen. Es ist wirklich kein Wort zuviel oder zuwenig vorhanden und dabei sehr intensiv in der Wirkung.


    Das Einzige was wirklich überflüssig ist, ist in meinen Augen das Vorwort von Elke Heidenreich. :rollen:


    Übrigens hätte ich mir das Buch wahrscheinlich nie gekauft, wenn ich es nicht mal als Mängelexemplar gesehen hätte. Was für ein Glücksfall, denn das ist nun definitiv ein Buch, das einen festen Platz in meinem Bücherregal bekommt.

    Einmal editiert, zuletzt von Thanquola ()

  • das Buch hab ich vor ein paar jahren gelesen...habs damals in einer Ecke in der Bücherei entdeckt, wo ich gedacht hab, dass da nur langweile Bücher liegen würden.
    Aber da hatte ich mcih wohl gettäuscht...das buch hat mich so gerührt und man konnt richtig mitfühlen und mitdenken, was einem fast shcon zum Weinen gebracht hat. Nach meiner meinung jedem zu empfehlen, weil es die Problematik der "Hitlerzeit" einen ungemerkt nähergebracht hat!!!

  • Hallo zusammen,


    auch mich hat das Büchlein schwer beeindruckt, und nach dem Lesen habe ich es lange nachwirken lassen. Die Kürze steigert meiner Meinung nach die Intensität um ein Vielfaches.
    Beim Vorwort der Heidenreich hat der Verlag, wie ich finde, Mist gebaut, da es bestenfalls ein Nachwort ist. In erster Linie wird die Geschichte zusammengefasst und bereits komplett verraten und totinterpretiert, doch lesenswert ist die Geschichte des Buches selbst.
    Definitiv ein Buchtipp!


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Archivierung einer Rezension aus dem Jahr 2008:


    (Katherine) Kressmann Taylor hat "Adress unknown" 1938 erstmals als Fortsetzungsgeschichte im Magazin "Story" veröffentlicht, deren Auflage innerhalb von zehn Tagen ausverkauft war. 1939 veröffentlichte der Verlag Simon and Schuster das "Büchlein" (Ingrid Müller-Münch in der Frankfurter Rundschau, 2001) als vollständige Ausgabe. Und doch dürfte jedem auffallen, auch nachdem das Buch erst 1992 wieder entdeckt und gedruckt wurde, dass der Name Kressmann Taylor nicht Programm ist in der amerikanischen Literaturgeschichte; sie wird in keinem der Fachbücher zur amerikanischen Literaturgeschichte jemals erwähnt und so bleibt die Autorin selbst, über die nicht mehr bekannt ist, als dass sie verheiratet (war/ist) und drei Kinder hat(te) sowie in den USA lebt(e) und als Werbetexterin gearbeitet hat, im Dunkeln.


    Die Geschichte des Briefromans lässt sich kurz zusammenfassen: Max Eisenstein und Martin Schulse sind Geschäftspartner und Freunde. In San Francisco haben sie eine gemeinsame Kunstgalerie aufgebaut; jedoch zieht Martin mit seiner Frau Elsa und den Kindern zurück nach Deutschland. Anfangs schreiben sie sich noch sehr intime, zart-verbundene Zeilen wie "Wir werden auf dich, den lieben Onkel Max trinken und an dich denken!" bis Max, ein Jude, eine deutliche antisemitische Stimmung in Deutschland mitbekommt - Nicht durch Berichte von Freunden sondern auch in den Briefen von Martin. Zuerst zweifelt Martin selbst noch an dieser Regierung, bezeichnet Hitler dennoch als "guten Schock für Deutschland", den es nötig hat um "zu erwachen". Er konstatiert: "Dem Himmel sei dank, dass er [Hitler] ein wahrer Führer ist und nicht ein Engel des Todes."
    Martin scheint eingenommen von dem neuen System, dass seiner Familie, vor allem seinen Söhnen, einen Aufstieg beschert; sie werden regelmäßig von einem Baron besucht, sein Sohn ist einer der "Besten" im Jungvolk und selbst seine Frau Elsa, wieder einmal mit einem Kind schwanger, schwärmt "von dem neuen Führer, den sie so verehrt".
    Er äußert seine Überzeugung gegenüber Max, der ihn "so oder so nicht verstehe, weil er nur an die Ungerechtigkeit gegenüber seines Volkes denkt"; kurzum: Er bittet ihn ihn nicht mehr zu schreiben und verweigert sogar die Hilfe der Schwester von Max' als sie von SA-Schergen verfolgt um hilfesuchend vor seiner Tür steht.
    Von da an beginnt die Pointe, beginnt die Rache des "Juden Max" an seinem ehemaligen Freund...


    Dieses Buch ist nur 64 Seiten lang und besteht aus 19 Briefen und einem Telegramm; die Länge ist nicht wichtig, der Inhalt ist es und der hat es in sich. Kressmann Taylor weiß, wie sie die Sprache einsetzen muss, damit man zwar erst langsam, aber dann in all seiner Heftigkeit die Umkehrung von Martin bemerkt. Werden anfangs noch die Briefe mit "Mein lieber Freund Max" begonnen, so starten sie schluss endlich mit "Heil Hitler!". Kein Wort ist zuviel, kein Wort zu wenig. Der Leser wird mit der Pointe fast erschlagen; mir blieb der Mund offen stehen, ich hatte glänzende Augen. Warum? Weil ich mir folgendes dachte: Endlich! Endlich gibt es einen Menschen, einen Protagonisten, der nicht sein Haupt senkt und von einer Freundschaft Abschied nimmt. Er nimmt keine Freundschaftskündigung hin, er reißt seinen ehemaligen Freund ins Verderben.


    Fazit: Ein sehr bedrückendes, nachdenklich machendes Stück Literatur und Zeitdokument; auch, wenn es nur 64 Seiten hat - Sie werden einen erschlagen und aufrütteln.

    Einmal editiert, zuletzt von Desdemona ()

  • [size=13pt]Kressmann Taylor – Adressat unbekannt[/size]

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    OT: Adress unkown
    OA: 1938
    68 Seiten
    ISBN: 3455076742


    Inhalt:


    "Adressat unbekannt", erstmals 1938 im New Yorker Story Magazine veröffentlicht, ist ein literarisches Meisterwerk von beklemmender Aktualität. Gestaltet als Briefwechsel zwischen einem Deutschen und einem amerikanischen Juden in den Monaten um Hitlers Machtergreifung, zeichnet dieser kurze Roman in bewegender Schlichtheit die dramatische Entwicklung einer Freundschaft


    Eigene Meinung:


    Mir stockte mehr als einmal der Atem, als ich dieses kleine Buch las. Auch wenn man bereits aus so vielen Quellen die Geschichte des Hitler-Deutschlands kennt, ist man immer wieder aufs neue fassungslos, wie ein aufgeklärtes Land so blind einem Diktator folgen und ihn bejubeln kann. Dieses Buch hat lediglich 68 Seiten, aber in darin ist alles enthalten, was dieses Kapitel Geschichte so unfassbar macht. Es schmerzt in der Seele und es zeigt wieder einmal, dass man nie vergessen darf, weil dies nie wieder geschehen darf.
    Das Zerbrechen einer Freundschaft zweier Menschen, die sich nahestanden wie Brüder und sich hassten, wie Kriegsgegner und das nur weil einer die „falsche“ Religion hat. Wie aus tiefer Zuneigung ein abgrundtiefer Hass entsteht. Dieses Buch vermittelt die Trauer, das Entsetzen, die Enttäuschung und die Rache und alle Facetten dieser Emotionen werden aufgenommen, begriffen und durchlebt.
    Ein sehr beeindruckendes Buch, welches bei mir am Ende schlimmerweise eine tiefe Befriedigung auslöste.


    5ratten und ein :tipp:

  • [size=2]
    Beim Vorwort der Heidenreich hat der Verlag, wie ich finde, Mist gebaut, da es bestenfalls ein Nachwort ist. In erster Linie wird die Geschichte zusammengefasst und bereits komplett verraten[/size]

    [size=2]


    Dank dieses Threads habe ich das Vorwort ausgelassen und erst nach den Briefen und dem Nachwort gelesen.[/size]
    [size=2]Die Worte und Gedanken von Frau Heidenreich - zumindest die abseits der Nacherzählung der Geschichte - finde ich nicht mal schlecht, das ganze allerdings als "Vorwort" zu betiteln und somit vor den Briefwechsel zu stellen finde ich unmöglich, denn es beinhaltet tatsächlich eine Zusammenfassung der kompletten Geschichte und "verrät" auch noch das Ende.[/size]


    [size=2]Viellicht sollte das doch sehr dünne Büchlein mit dem "Prädikat Heidenreich" einfach noch um ein paar Seiten aufgebläht werden?! [/size]
    [size=2]Wenn ja, wurde das Vorhaben äußerst schlecht gelöst.[/size]


    [size=2]Die eigentliche Geschichte,[/size]
    [size=2]der Briefwechsel zwischen dem amerikanischen Juden Max Eisenstein und seinem besten Freund und Geschäftspartner Martin Schulse, der mit seiner Familie wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist, erstreckt sich nur über knapp 40 Seiten und 19 Briefe, die in der Zeit der Machtergreifung Hitlers entstanden sind.[/size]
    [size=2]Zuerst geht es nur um persönliches und geschäftliches, doch schon beim dritten oder vierten Brief kommt die Sprache auf Hitler, der als neuer Reichskanzler am Anfang der Machtergreifung steht.[/size]
    [size=2]Ab diesem Moment war das Lesen der Briefe wie für die meisten hier sehr beklemmend. Die unbegreiflichen Worte und Taten von Martin haben mich sprachlos gemacht, und die anfängliche Hilflosigkeit von Martin konnte ich gänzlich nachvollziehen.[/size]
    [size=2]Als ein Brief von Martin völlig unvermittelt [/size]

    [size=2] habe ich das wie ein Schlag empfunden. [/size]
    [size=2]Wie kann ein Mensch sich so verändern, so gegen seine eigentliche Überzeugung beeinflussen lassen?[/size]
    [size=2]Die Gründe werden nur vage angedeutet.[/size]


    [size=2]Die Reaktion von Max, [/size]

    [size=2], hat auch bei mir ein befriedigendes Gefühl hinterlassen.[/size]
    [size=2]Wobei ich mich gefragt habe, ob er genauso gehandelt hätte, wenn das mit seiner Schwester nicht oder nicht in dieser Form passiert wäre. Hätte er die "Freundschaft", den Kontakt zu Martin einfach nur abgehakt und Martin sein Leben einfach so weiter leben lassen?[/size]
    [size=2]Man weiß es nicht.[/size]


    [size=2]Ich bin froh, daß ich durch das Forum auf dieses Büchlein gestoßen bin.[/size]
    [size=2]Das Lesen war kurz, aber sehr intensiv, sehr beklemmend, das gelesene teils unfaßbar, das Ende aber in höchstem Maße akzeptabel.[/size]
    [size=2]Auch von mir ein :tipp: [/size]