Birago Diop – Geistertöchter. Die Geschichten des Amadou Koumba

Es gibt 12 Antworten in diesem Thema, welches 5.382 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Aldawen.

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    Birago Diop war 30, als er dem Griot Amadou Koumba, selbst bereits 60 Jahre alt, begegnete. Diop hat dessen Geschichten neu erzählt. In diesem Band sind die beiden französischsprachigen Originalbände Les Contes d'Amadou Koumba und Les Nouveaux Contes d'Amadou Koumba in teils neuen, teils überarbeiteten Übersetzungen zusammengefaßt und mit einem Nachwort über Birago Diop versehen.



    Saltanah und ich werden dieses Buch ab morgen gemeinsam lesen und wollen uns hier während des Lesens schon mal darüber austauschen.

  • Die ersten beiden Geschichten habe ich gerade gelesen, und ich muß feststellen: sehr angenehme Lektüre, nicht dramatisch, unprätentiös, aber mit einer Lebensklugheit, die ich gerne häufiger erleben würde.


    Fari, die Eselin erzählt, wie die Esel zum Sklaven und Prügelknaben der Menschen wurden. Wohl dem, der in der Hierarchie immer noch einen unter sich hat, auf den er einschlagen kann, um damit den Druck, den er selbst von oben empfängt, nach unten weitergeben zu können. Allerdings habe ich in einem unserer Kiswahili-Lehrbücher auch schon eine andere Geschichte darüber gelesen, wie der Esel in den Dienst des Menschen kam. Das war nämlich so: Vor langer Zeit stritten sich der Esel und der Löwe. Der Esel wurde geschlagen und litt starke Schmerzen. Er lebte in großer Angst, daß der Löwe bei jeder Begegnung wieder Streit anfangen würde. So bat der Esel den Menschen um Hilfe, und dieser nahm ein Gewehr und tötete den Löwen. Der Esel dankte dem Menschen überschwenglich und sagte: „Jetzt kannst Du mich um irgendetwas bitten und ich werde Dir helfen.“ Der Mensch antwortete: „Ich bitte Dich, meinen Kartoffelsack zu tragen. Dieser Sack liegt dort auf jenem Feld.“ Der Esel willigte ein und trug den Sack auf dem Rücken. Auf dem Weg sagte der Mensch zum Esel: „Ich bin sehr müde von der vielen Arbeit, die ich getan habe. Ich kann nicht mehr laufen. Bitte trage mich.“ Der Esel entgegnete: „Steig nur auf.“ Als sie am Haus ankamen, sagte der Esel zum Menschen: „Lebwohl, ich kehre nun in mein Haus zurück.“ Aber der Mensch sprach zu ihm: „Wenn du nach Hause gehst, wirst Du in der Savanne Probleme bekommen. Die Kinder und Verwandten des Löwen werden Dich töten. Bleib hier bei mir.“ Der Esel willigte in das Angebot ein und seitdem arbeitet er im Dienst des Menschen.


    Ein Urteil ist gleichfalls ein geradezu klassisches Motiv. Demba ist über den Diebstahl seiner Wassermelonen und die Verwüstung seines Feldes so erzürnt, daß er seine Wut an seiner Frau Koumba ausläßt und diese verstößt. Als er feststellt, daß es doch sehr lästig ist, alle Hausarbeit selbst tun zu müssen (abgesehen davon, daß diese Tätigkeiten eines Mannes natürlich unwürdig sind :zwinker: ), will er Koumba von ihren Eltern zurückholen. Sie weigert sich aber, weil er sie verstoßen habe. Was nun? Es steht Aussage gegen Aussage, und kein Weiser in welchem Ort auch immer kann oder will eine Entscheidung treffen. Erst Madiakaté-Kala gelingt es, eine Situation heraufzubeschwören, in der Demba sich verplappert. Dieses Motiv kenne ich auch (mit etwas anderen Rahmenbedingungen) aus vielen europäischen Märchen. Wie gelingt es, jemanden dazu zu verführen, zu seinem eigenen Nachteil die Wahrheit zu sagen? Allerdings fehlt in dieser Diopschen Fassung eine gewisse Häme über den Überführten, wie sie mir sonst untergekommen ist, es hatte mehr etwas von gutmütigem Spott, was mir wesentlich mehr zusagt.


    Schönen Gruß,
    Aldawen


  • Die ersten beiden Geschichten habe ich gerade gelesen, und ich muß feststellen: sehr angenehme Lektüre, nicht dramatisch, unprätentiös, aber mit einer Lebensklugheit, die ich gerne häufiger erleben würde.


    Dem kann ich nur zustimmen. Nach bisher drei gelesenen Geschichten bin ich sehr angetan von dem Buch. Schade finde ich es nur, dass ich die Geschichten selber lesen muss; viel lieber würde ich sie erzählt bekommen. In trauter Runde des Abends beisammen sitzen und einem guten Erzähler lauschen - das wäre ideal :smile: .


    Fari, die Eselin und Die Mamellen sind Geschichten, wie sie in ähnlicher Form wohl von allen Völkern erzählt werden. Sie erklären, wieso die Welt so ist, wie sie ist. Ob darum geht, wieso der Mensch über gewisse Tiere herrscht oder darum, wie geographische Besonderheiten entstanden sind - diese Geschichten erklären die Welt.
    Gleichzeitig werden "Lebensweisheiten" vermittelt. Eigentlich für mich eine gefährliche Sache; oft reagiere ich allergisch darauf. Hier gefällt mir die Art, wie sie uns "untergemogelt" werden, sehr gut. Man kann sie ignorieren, überlesen, wenn man will.
    "Niemand kann aus seiner Haut", niemand kann sein innerstes Wesen wirklich ändern, könnte man als eine Lehre aus Fari, die Eselin ziehen. Ein Esel in Menschengestalt hat immer noch die Bedürfnisse und Wünsche eines Menschen.
    Die Mamellen erklärt uns außer der Entstehung der Hügel auch, dass die Einstellung der Menschen zu ihrem Schicksal einen wichtigen Einfluss auf selbiges hat. Wer nur unzufrieden mit sich und der Welt ist, dem ergeht es schlechter als jemandem, der das Leben positiv angeht.


    Am besten hat mir allerdings bisher Ein Urteil gefallen. Es hat mir ein paar neue Sprichwörter beschert:
    Wenn die Hyäne ihr Junges auffressen will, findet sie, dass es nach Geiß riecht (also: sucht man einen Vorwand, so findet man ihn) und
    Wie nützlich ein Hintern ist, weiß man erst, wenn man sich setzen will.
    Und es hat mich angenehm überrascht dadurch, dass die Frau weder das arme Opfer ist, sondern ihre neugewonnene Freiheit in vollen Zügen genießt, und zudem auch nicht wieder mit ihrem Mann versöhnt wird, was ich eigentlich erwartet hatte.

    Wir sind irre, also lesen wir!


  • Schade finde ich es nur, dass ich die Geschichten selber lesen muss; viel lieber würde ich sie erzählt bekommen. In trauter Runde des Abends beisammen sitzen und einem guten Erzähler lauschen - das wäre ideal :smile: .


    Ich habe schon überlegt, den Verlag, der diese „Afrika erzählt“-Reihe herausbringt, darauf aufmerksam zu machen, daß dies eine gute Wahl für ein Hörbuch wäre :breitgrins:



    Die Mamellen erklärt uns außer der Entstehung der Hügel auch, dass die Einstellung der Menschen zu ihrem Schicksal einen wichtigen Einfluss auf selbiges hat. Wer nur unzufrieden mit sich und der Welt ist, dem ergeht es schlechter als jemandem, der das Leben positiv angeht.


    Genau, und auch hier war ich überrascht, wie bekannt mir das Motiv vorkam. Die Parallelen zwischen den vielen europäischen Märchen, die ich schon gelesen habe, und diesen afrikanischen Geschichten sind verblüffend, zeigen aber andererseits, daß es überall die gleichen Fragen sind, die die Menschen bewegen, und der Wunsch, bösartige Menschen einer Strafe zuzuführen.


    In N'Gor-Niébé wird ja heftig in die auch hier bekannte Vorurteilskiste zur Schwatzhaftigkeit der Frauen gegriffen, aber davon fühle ich mich gar nicht angesprochen :breitgrins: Allerdings finde ich N'Gor-Niébés Abneigung gegen Bohnen schon merkwürdig (ich mag die Dinger gerne, in jeder Form außer roh natürlich :zwinker: ). Aus seiner Sicht war die Entscheidung, nicht zu essen, dann vermutlich richtig, aber nicht besonders nett seiner Freundin gegenüber, der er es versprochen hat. Was man verspricht muß man – so scheint es – doch wohl nicht halten sondern nur behalten ...


    Mama Kaiman hält eine wichtige Lektion für den Nachwuchs bereit: Nicht auf die Erfahrung der Eltern bzw. Älteren allgemein herabzusehen und sich für klüger zu halten. Wenn die Alten ihre Erkenntnisse weitergeben, heißt es vielmehr aufmerksam sein, weil es lebenswichtig sein kann. Das Schicksal der jungen Kaimane dürfte ja leider klar sein.



    Am besten hat mir allerdings bisher Ein Urteil gefallen. Es hat mir ein paar neue Sprichwörter beschert:
    Wenn die Hyäne ihr Junges auffressen will, findet sie, dass es nach Geiß riecht (also: sucht man einen Vorwand, so findet man ihn) und
    Wie nützlich ein Hintern ist, weiß man erst, wenn man sich setzen will.


    Das könnten im Verlauf des Buches vielleicht noch ein paar mehr werden, aber mir gefallen sie auch sehr gut!


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • N'Gor Niébé:
    Abgesehen vom Fazit, in dem die angebliche Geschwätzigkeit der Frauen kritisiert wird - als ob Männer weniger klatschen würden :rollen: - hat mir die Geschichte ebenfalls gut gefallen. Erst einmal die weit ausholende Einleitung, in der von N'Gor Sène und dessen Missgeschick erzählt wird und die überhaupt nicht ahnen lässt, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln wird, dann der schöne Spitzname des Protagonisten "N'Gor Bohne" und schließlich die sich immer weiter steigernde Spannung, ob er nun tatsächlich die Bohnen essen wird, in Zusammenhang mit der Frage wieso er wohl die Frauen alle herholen lässt - das war einfach sehr gut erzählt!


    Auch Mama Kaiman wird "auf Umwegen" erzählt. Erst ein bisschen Klatsch und Verleumdung durch Golo, den Affen, dann der Eindruck, den das auf die jungen Kaimane macht, dann eine Menge weit ausholender und vermeintlich völlig überflüssiger, bedeutungsloser Geschichten die Mama Kaiman von den Menschen erzählt. Da kann man schon den Eindruck gewinnen, Golo hätte nicht ganz unrecht. Interessantere und für das Leben der Kaimane bedeutungsvollere Geschichten könnte man sich wirklich vorstellen. Dann ein längeres Stück über die neuesten Geschehnisse in der Menschenwelt und noch immer ist nicht klar, worauf die Geschichte herauslaufen wird. Erst im letzten Satz wird das deutlich und damit auch klar, dass es für die jungen Kaimane besser gewesen wäre, sie hätten auf die Mama gehört.


    Schlechte Gesellschaft I:
    Golo, der Affe sucht sich ein neues Opfer seiner Streiche. Diesmal hat er sich Kakatar, das einsiedlerisch lebende Chamäleon vorgenommen, wodurch sich zeigt, dass es manchmal doch besser wäre, dem Klatsch anderer zu lauschen. So geht Kakatar ihm leicht in die Falle. Bis hierhin ist alles wie erwartet, aber dann kommt eine mich überraschende Wende: Kakatar dreht schnell den Spieß um und legt seinerseits golo, den Affen rein. Eine gelungene rache eines schlecht behandelten :breitgrins: !
    Übrigens fiel mir hier bei den Namen Reineke Fuchs und seine Gefährten ein. Da gibt es außer Reineke sellbst noch Isegrim, den Wolf, Braun, den Bär, Grimbart, den Dachs und andere. Und ebenso wie diese haben die afrikanischen Tiere ihren feststehenden Charakter. Hier ist der Affe der große Betrüger und Unruhestifter, dem man besser nicht über den Weg trauen sollte und die Charaktere der anderen Tiere werden wir bestimmt auch noch kennenlernen.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Völlig gefesselt von meinen anderen aktuellen Lektüren habe ich dieses Buch in den letzten Tagen sträflich vernachlässigt.


    Schlechte Gesellschaft II:
    Ich liebe "Und das kam so-Geschichten"*! Hier erfahren wir, wieso der Krebs einen platten Panzer hat und wieso er seitwärts geht. Auf der Suche nach Nahrung begegnet er der ebenfalls hungrigen Ratte und bringt sie dazu, ihm behilflich bei der Essensbeschaffung behilflich zu sein. Eigentlich erwartete ich an dieser Stelle, dass sich die Ratte als schlechte Gesellschaft für den Krebs erweisen würde, aber es kam anders. Krebs legt Ratte und andere rein, bekommt dabei aber auch was ab. "Wer anderen eine Grube gräbt, fällt auch hinein" auf afrikanisch, sozusagen.
    *Meine Bezeichnung der "Just so Stories" von Rudyard Kipling. (Auf deutsch unter verschiedenen Titeln erschienen, z. B. "Genau-so Geschichten" oder "Das kommt davon".)

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    Schlechte Gesellschaft III
    schließt erzähltechnisch an die vorige Geschichte an. Es wird erklärt, wieso das Huhn von dem Missgeschick, das der Hahn durch die Machenschaften des Krebses erleiden musste, nichts erfuhr. Alle Betroffenen schwiegen nämlich darüber, dass sie hereingelegt worden waren. Außerdem wird geklärt, was zuerst da war, Henne oder Ei. Anscheinend eine Frage, die weltweit die Gemüter bewegt :smile: . Ach ja, und auch Afrika gibt es "dumme Hühner". Irgendwie ist die Welt trotz aller lokaler Unterschiede doch überall gleich.


    Schlechte Gesellschaft IV:
    Auch hier werden zwei Geschichten erzählt: Einmal die, wie das Krötenvolk beinahe ausgelöscht worden wäre und dann die von einer jungen Kröte, die noch nicht gelernt hatte, dass man sich am Besten an seinesgleichen hält, und der Biene.
    Schon wieder gelingt es dem Opfer eines Streiches, sich an dem Übeltäter mit ganz ähnlichen Mitteln zu rächen. Vielleicht bin ich da etwas infantil, aber mir persönlich gefällt es sehr gut, am Ende schadenfroh über den Übeltäter grinsen zu können.

    Wir sind irre, also lesen wir!

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()

  • Tröste Dich, Saltanah, ich bin auch noch nicht weiter, weil ich gestern doch mal ein bißchen Sonne ausnutzen war und heute gerade erst von einem Meeting aus Darmstadt zurück bin. Wenigstens war die Autobahn heute frei, so daß ich nicht wie am Freitag schon allein eine dreiviertel Stunde durchs Mönchhof-Dreieck gebraucht habe ...


    Die vier Schlechte-Gesellschaft-Geschichten haben mir richtig Spaß gemacht, und zwar aus ganz ähnlichen Gründen. So viel Spaß es macht zu beobachten, wie der Gutmütige, Unbedarfte zunächst einmal Opfer wird (wenn es der Täuscher denn wenigstens geschickt anfängt), so ist es doch noch viel besser, die Umkehrung zu erleben. Das befriedigt mein Gerechtigkeitsempfinden und läßt mich mit dem guten Gefühl zurück, daß die verdiente Strafe für böse Streiche schon bald folgt. Na gut, im Alltag zeigt sich das nicht immer so deutlich und manches Mal funktioniert es gar nicht, aber wenigstens in diesen Geschichte ist die Welt in dieser Beziehung in Ordnung :zwinker:



    Übrigens fiel mir hier bei den Namen Reineke Fuchs und seine Gefährten ein. Da gibt es außer Reineke sellbst noch Isegrim, den Wolf, Braun, den Bär, Grimbart, den Dachs und andere. Und ebenso wie diese haben die afrikanischen Tiere ihren feststehenden Charakter. Hier ist der Affe der große Betrüger und Unruhestifter, dem man besser nicht über den Weg trauen sollte und die Charaktere der anderen Tiere werden wir bestimmt auch noch kennenlernen.


    Bestimmt. Im Nachwort waren ja auch schon einige Kurzcharakterisierungen gegeben: Der Hase ist schlau, die Hyäne dumm und gefräßig, der Papagei geschwätzig ... Es gibt sicher noch mehr, und ich hoffe, daß wir noch ein paar kennenlernen. Gerade im Vergleich mit entsprechenden europäischen Erzählungen gewinnen diese Geschichten für mich einen besondern Reiz. Das Personal ist zwar ein anderes, aber ansonsten gibt es viele Ähnlichkeiten, die zeigen, daß die Menschen überall mehr oder weniger auf gleiche Art versuchen, sich die Welt zu erklären.


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Immer mal hier und da ein Geschichte weitergelesen :smile:


    Die Lanze der Hyäne stellt uns dann auch tatsächlich Buki, die dumme und gefräßige Hyäne vor. Auf dem Weg zum Schmied, von dem sie sich eine Lanze anfertigen lassen will, findet sie einen Beutel mit getrocknetem Fleisch, das aber unter einem Baumwollstopfen verborgen ist. Buki riecht zwar das Fleisch, kann aber die Herkunft des Geruchs nicht feststellen. Der Schmied stellt die Lanze her und öffnet den als Lohn erhaltenen Beutel, aus dem das Fleisch zum Vorschein kommt. Da stellt Buki unerfüllbare Forderungen an die Art der Lanze, um das Fleisch nicht dafür hergeben zu müssen. Und so erklärt diese Geschichte, warum man zu Leuten, denen man nichts recht machen kann oder die unaufrichtig sind, sie sollten nicht die Lanze der Hyäne verlangen. Ich kann danach schon verstehen, warum – wie es im Nachwort hieß – sich die Zuhörer immer freuen, wenn die Hyäne eins über bekommt :zwinker:


    Ein Auftrag schließt insoweit an die vorhergehende Geschichte an, als wiederum die Hyäne eine Rolle spielt. Pendas Vater will seine Tochter nur dem Mann zur Frau geben, dem es gelingt, ihm das Fleisch eines geschlachteten Rindes vollständig durch eine Hyäne überbringen zu lassen. Schön fand ich den Vergleich: „Das war schwieriger, als einem Kind eine Kalebasse voll Honig anzuvertrauen und zu verhindern, daß es auch nur den kleinen Finger hineintaucht.“ :breitgrins: Der schlaue Birane bedient sich des Tricks, der auch in Die Lanze der Hyäne schon funktioniert hat: Er verpackt das Fleisch so gut in einem Strohbündel, daß die Hyäne das Fleisch zwar riecht und wegen der dauernden Suche danach drei Tage für den Weg braucht. Das Lob von Pendas Vater über Biranes Schlauheit bekommt die Hyäne gar nicht mehr mit, weil sie über den „Betrug“ so erbost ist, daß sie alle Strohbündel aufreißt auf der Suche nach weiterem Fleisch (natürlich vergeblich). Seitdem führt die Hyäne keine Aufträge mehr aus. Tja, Dummheit wird bestraft :breitgrins:


    Der Lohn greift wiederum ein klassisches Motiv auf: Wie werden gute Taten vergolten? Nach dem Trockenlegen seines Sumpfes läßt sich Diassigue, der Kaiman, von dem Jungen Goné zum Fluß tragen. Zum Dank will er Goné fressen, aber er läßt sich dann doch überreden: Nur wenn sich drei „Leute“ finden, die die Ansicht des Kaimans teilen, daß gute Taten durch böse vergolten werden, dann wird der Junge sich fressen lassen. Zwei Zustimmungen von alten Tieren hat der Kaiman schon bekommen, als der schlaue Hase Leuk vorbeikommt, der schnell erkennt, welches Spiel hier gespielt wird. Er stellt sich ungläubig: Der Junge könne doch keinesfalls den Kaiman getragen haben! Er besteht auf einer Vorführung und kaum ist der Kaiman wieder so gut verpackt, wie der Junge ihn zum Fluß getragen hatte, empfiehlt Leuk dem Jungen, den Kaiman als Abendessen nach Hause zu tragen: „So sollen all diejenigen belohnt werden, die gute Taten vergessen.“ In Gesellschaften, die in hohem Maße von gegenseitiger Unterstützung abhängig sind und vieles über „Gefallen“ geregelt wird, ist dergleichen natürlich sehr wichtig.


    Daß der Hase nicht nur ein netter, kluger Typ ist, zeigt die nächste Geschichte Hasenstreiche. Erst nutzt Leuk die Gutgläubigkeit anderer Tiere aus, um einen Gang zu einem Haus ohne Ausgang buddeln zu lassen, in dem König Bour seine Tochter eingesperrt hat. Leuk verbringt viel Zeit mit der Prinzessin, den beiden wird auch ein Kind geboren. Als dies nach Jahren auffällt, stellt der König dem Hasen schwere Aufgaben, um sein Leben zu retten: diverse Trophäen sind zu erringen, was dem Hasen mit viel List und Tücke gelingt. Natürlich muß er flüchten, aber selbst daraus versteht er noch, einen Vorteil für sich zu machen. Wie einfach es ist, leichtgläubige Leute übers Ohr zu hauen, führt Leuk überzeugend vor.


    Kleiner Mann hat mich ein bißchen traurig gemacht. Khary nennt ihren Bruder so, seitdem der Vater von der Jagd nicht mehr heimkehrt, aber N'Diongane haßt diesen Namen. Er beschwert sich oft darüber, aber auch die Mutter schreitet nicht ein. Eines Tages steht N'Diongane einfach auf und geht Richtung Meer. Seine Mutter und Schwester folgen ihm, aber während die Mutter ihn mit den immer gleichen Worten zurückzurufen sucht, singt Khary weiter ihr Spottlied, bis N'Diongane ganz im Meer verschwunden ist und die Mutter in ihrer Verzweiflung und Wut die Tochter erwürgt. Das Lied der Mutter kann man bis heute in den Muscheln hören ... Khary hätte, da sie ihren Bruder durchaus liebte, eigentlich merken müssen (oder sollen), daß sie den Bogen überspannte. Jeder Mensch erträgt nur ein gewisses Maß an Spott, und wie er danach reagiert, ist nur schwer vorherzusagen. Deshalb ist es besser, rücksichtsvoller miteinander umzugehen.


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Ihr seid gemein! :pueh:
    Ich habe mich tatsächlich in diesen Thread getraut, und jetzt muss ich mir das Buch kaufen, obwohl ich enthaltsam sein wollte... :wand:


    :zwinker:
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges


  • Ihr seid gemein! :pueh:
    Ich habe mich tatsächlich in diesen Thread getraut, und jetzt muss ich mir das Buch kaufen, obwohl ich enthaltsam sein wollte... :wand:


    :zwinker:
    Breña


    Du erwartest doch nicht ernsthaft Mitleid, oder? :breitgrins:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • :trost: Arme Breña, arme, arme Breña! :breitgrins:


    Mir gefällt es, so nach und nach immer mehr über die verschiedenen Tiere zu erfahren. Erst einmal zwei Hyänengeschichten. Buki, die Hyäne, tut mir schon ein bisschen leid, wie er immer wieder überlistet wird, aber so ganz unschuldig ist er daran nicht. Durch seine Gefräßigkeit macht er sich sein Leben schwerer als nötig. Sie bringt ihn auch dazu, sehr kurzsichtig zu denken.
    In Die Lanze der Hyäne steht er vor der Wahl, leichtere Essensgewinnung später oder Fleisch jetzt. Natürlich entscheidet er sich für die direkte Triebbefriedigung.


    In Ein Auftrag macht er sich durch seine ständigen Abstecher auf der Suche nach dem Fleisch, das er riecht, den Weg und damit die Arbeit viel länger als nötig. Seine Last schnell abzuliefern und eine Belohnung dafür zu bekommen, wäre das vernünftigere Handeln gewesen, aber ein wirklicher Gierhals kann so nicht denken.
    Sehr gut hat auch mir der Vergleich mit weiteren "unmöglichen Dingen" gefallen, außer dem Kind mit dem Honigtopf z. B. genausogut könnte man dem lodernden Feuer einen Klumpen Butter anvertrauen.


    Leuk, der Hase, ist eine ganz andere Persönlichkeit als die Hyäne. Klug wie er ist, überlistet er alle anderen. Manchmal zu seinem eigenen Vergnügen, manchmal, um anderen zu helfen. Zweiteres tut er in der Geschichte Der Lohn. Erst erschien mir der Spruch, dass eine gute Tat mit einer schlechten vergolten würde, sehr fremd, bis mir das entsprechende hiesige Sprichwort einfiel: "Undank ist der Welt Lohn". Die Geschichte könnte also, mit z. B. einem Wolf statt dem Kaiman auch in deutschen Wäldern spielen. Kuh und Pferd erscheinen mir als Geschwister der "Bremer Stadtmusikanten". Alte, ausgepowerte Haustiere, die, zu nichts mehr nütze, von ihrem Besitzer kein Futter mehr bekommen, und die dem Kaiman daher gerne zustimmen. Leuk hingegen mit seiner ganz anderen Lebenserfahrung fragt erst einmal nach dem Hintergrund der Frage und gibt auf seine Art eine Antwort: So wird eine schlechte Tat vergolten!


    In Hasenstreiche fiel mir besonders das gleichberechtigte Nebeneinander von Mensch und Tier auf. Dass der Hase eine Frau schwängern kann, ist ganz selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich ist, dass er aus seiner selbstverursachten Klemme heile wieder herauskommt.


    Kleiner Mann ist dann eine ganz andere Geschichte. Auch mich hat sie in ihrer eigentlich nicht notwendigen Unausweichlichkeit traurig gemacht. Der Vers der Mutter
    N'Diongane, komm zurück,
    Liebster N'Diongane, komm doch wieder!

    ging mir mit jeder Wiederholung mehr ans Herz. Im Kontrast dazu wirkte der spöttische Spruch der Schwester mit jeder Wiederholung herzloser und es wurde verständlich, wieso der Bruder nicht umkehren konnte.


    Trug und Wahrheit zeigt sehr witzig, wie wenig die Menschen die Wahrheit schätzen, wenn sie ihnen nicht gefällt, und wie weit man mit der Unwahrheit kommen kann. Trug, anfangs deprimiert über die Missachtung, die man ihm angeblich schenkt, ist in seinem Umgang mit den Menschen viel erfolgreicher als seine Weggefährtin, die Wahrheit. Er lügt sich problemlos ein halbes Königreich zusammen, wo die Wahrheit vorher nicht einmal eine kleine Mahlzeit bekommen konnte. Interessant, dass die beiden Antagonisten so gut miteinander auskommen. Sie begeben sich zusammen auf die Wanderschaft und verstehen sich gut - wahrscheinlich ein Bild dafür, dass jeder Mensch die Fähigkeit besitzt, entweder zu lügen oder die Wahrheit zu sagen.


    Die Gazelle und die beiden Jäger fängt mal wieder mit einer ganz anderen Geschichte an. Hier wird das Problem der Verständigung zwischen Menschen verschiedener Sprachen angesprochen. Je zwei Phrasen auf Wolof und Bambara haben in der anderen Sprache eine andere Bedeutung, so dass man zwar glaubt, sich zu verstehen, aber das in Wirklichkeit doch nicht tut.
    Erst dann geht es um die titelgebende Gazelle, die die Spucke eines Marabuts verzehrt und damit seine Weisheit in sich aufgenommen hat. Danach ist es ihr kein Problem mehr, den Jäger, der sie geschossen hatte, zu bestrafen. Davon hören die anderen Tiere und fordern sie auf, etwas gegen den großen Jäger N'Dioumane und dessen Hunde zu unternehmen. Die Tiere arbeiten unter der Leitung der Gazelle zusammen und es sieht schlecht aus für N'Dioumane:
    Wêng si wélèng!
    Sa wélèng wèng!
    N'Dioumane, du musst sterben!

    singen die Tiere, während sie die Palme, auf die sich N'Dioumane gerettet hat, abhacken und die Angst, die N'Dioumane ausstehen muss, wird mit jeder Wiederholung des Verses spürbarer. Da seine Mutter allerdings Verdacht geschöpft hatte, gelingt es ihm, sich in letzter Minute zu retten, und die Tiere werden weiterhin zu Opfern seiner Jagdkünste.


    Die Kalebasse des Kouss, eines Koboldes, hat als Protagonisten Leuk, den Hasen und Buki, die Hyäne. Zuerst miteinander gleichgestellt als gleichgute Ehemänner, zeigt sich im Verlauf der Geschichte, die mich ziemlich an das Märchen von Frau Holle (mit Goldmarie und Pechmarie) erinnert hat, doch der Unterschied der beiden. Leuk gelingt es durch bloße Befolgung der Tipps, die er bekommen hat, von Kouss reichlichst belohnt zu werden, während Buki es sich einfacher machen will. Seine ihm angeborene Gier sorgt schließlich dafür, dass er seine gerechte Strafe erhält.

    Wir sind irre, also lesen wir!


  • Du erwartest doch nicht ernsthaft Mitleid, oder? :breitgrins:


    Doch!



    :trost: Arme Breña, arme, arme Breña! :breitgrins:


    Aaaah, super, danke! Jetzt kann ich mir wenigstens einbilden, dass ich nicht selbst schuld bin... :zwinker: :breitgrins:


    Viel Spaß noch euch beiden!
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • So, über die letzten Geschichten habe ich jetzt im einzelnen nicht mehr berichtet und werde es auch nicht tun, damit noch ein paar Überraschungen für diejenigen offen bleiben, die es auch lesen wollen :zwinker: Daher gibt es hier abschließend „nur“



    Meine Meinung: An diesem Buch habe ich vergleichsweise lange gelesen, was zum einen mit beschränktem Zeitbudget zu tun hatte, zum anderen aber mit der Art der Geschichten. Ich mußte sie einfach genießen, das war nichts zum In-einen-Rutsch-Runterlesen. Dafür muß man sich aber auch auf Kurzgeschichten und Märchen einlassen können, sonst erschließt sich der Zauber vermutlich nicht.


    Die Geschichten des Amadou Koumba sind sehr abwechslungsreich, was mir ausgesprochen gut gefallen hat. Da gibt es Geschichten, die erklären, warum bestimmte Dinge so sind, wie sie sind. Dann gibt es welche, die Moral und rechtes Verhalten lehren (und woraus man so ganz nebenbei einiges über die Wertvorstellungen und gesellschaftliche Organisation der Wolofs lernen kann). Dann gibt es welche, die schlechte Eigenschaften aufs Korn nehmen und ihre Träger verspotten. Viele Motive sind mir aus europäischen Märchen sehr vertraut, ein Zeichen dafür, daß die Fragen, Probleme und Gedanken der Menschen überall mehr oder weniger gleich sind. Aber natürlich haben die Geschichten auch einen eindeutig afrikanischen Charakter, der sich zum einen und ganz offensichtlich an der Tierwelt und den durch sie repräsentierten Charakteren zeigt, zum anderen aber im Erzähltonfall. Dieses Buch hätte ich gerne als Hörbuch, denn von einem Grioten erzählt, mit Trommeln und Musikbegleitung muß das noch viel besser wirken.


    Erwähnenswert ist auch das instruktive Nachwort, das nicht nur Birago Diop vorstellt, sondern auch Verständnishilfen zu einem Teil der Geschichten udn den Tiercharakteren liefert. Geistertöchter ist ein Buch, das ich durchaus zum Einstieg in afrikanische Literatur empfehlen kann.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen