Fjodor Dostojewski - Die Sanfte

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 7.415 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Onkel Orwell.

  • Die Sanfte - Fjodor Dostojewski


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    Inhalt:


    Ein nicht mehr junger Pfandleiher heiratet eine sehr junge (16), ruhige, freundliche (sanfte) Frau, die sich in einer persönlichen und finanziellen Notlage befindet in der Absicht, sie erst zu erziehen und an sich anzupassen, sie auf seine Vorstellungen und Lebensansicht "einzustellen", sozusagen geradezubiegen, um mit ihr dann ein "gute" Ehe zu führen. Die Geschichte wird aus der Gedankenwelt des Pfandleihers erzählt als alles vorüber ist. Was in der Frau vorgeht, muß man eher erahnen bzw. aus seinen Vorstellungen darüber entnehmen.


    In dem dünnen Büchlein von 86 Seiten steckt eine große, traurige Geschichte, über eine junge, innerlich kämpferische, intelligente und sensible Frau mit idealistischen Grundsätzen, die von ihrem Mann, den sie als Retter in der Not kennenlernte, im Grunde demoralisiert und systematisch zerstört wird. Dabei ärgert beim Lesen am Meisten die anfängliche ungaubliche Selbstgerechtigkeit des Mannes, wie unfassbar "zufrieden" er während des Zerstörungsprozesses aus Schweigen, "erwachsener" Überlegenheit und nach außen dargstellter Gefühlskälte ist. Welche Genugtuung ihm seine Machtposition und seine "Überlegenheit" verschafft. Gleichzeit erkennt man (und auch er selbst) welch gescheiterter Mensch er selbst im Inneren ist.


    Erst zum Schluß erkennt er, was er getan hat, welcher Fehler in seinem wahnwitzigen Gedankengang war und will alles rückgängig machen, plötzlich will er seine Liebe zeigen und seine Frau auf Händen tragen und erkennt in seinem Überschwang aber nicht, daß er seine Frau innerlich derart zugrundegerichtet hat, daß sie ihm nichts mehr entgegenbringen kann.... sie hat jede Fähigkeit und jedes Interesse zu Freude und Zuneigung ihm gegenüber verloren, einzig übrig geblieben ist ein klein wenig Stolz und Wille zur inneren Unabhängigkeit und sie entzieht sich dann auch auf endgültige, selbstzerstörerische Weise dieser Ehe.



    Meinung:


    Selten ein Buch gelesen in dem die Gefühle und Gedanken so atemlos, aus innerster Gedankenwelt heraus, mal aus seiner, mal aus mutmaßlich ihrer Sicht (was letztlich auch immer nur seine Sicht ist) erzählt werden, eben genauso ungeordnet, emotional wie sie in der Ausnahmesituation in der sich dieser Mann in dem Moment befindet gedacht werden ....
    Ebenfalls noch nicht oft konnte ich dieses "Schweigen" das es zwischen Menschen gibt, die verschiedenen Arten des Schweigens so gut, fast spürbar beschrieben lesen. Insgesamt wirklich sehr lesenswert !


    Für mich war es ein Einstieg in die Welt von Dostjewski's Literatur. Bevor ich mir eins der ganz großen (und langen! ) Werke vornehme , wollte ich erstmal sehen ob mir der Stil zusagt und ich werde sicher bald wieder etwas von dem Autor lesen, mich hat diese kleine große, psychologisch interessante Geschichte wirklich beeindruckt. Der Autor erzählt über das Wesentliche der Menschen, nämlich das was in den Köpfen und Herzen vorgeht ..... Was die wirklichen, inneren Beweggründe für Handlungen sind.




    5ratten


    EDIT: Habe die vielen Leerzeilen am Ende des Beitrags gelöscht. LG, Saltanah

    Einmal editiert, zuletzt von Yvaine ()

  • Hallo Yvaine,


    Deine sehr schöne Rezension hat mich auf die Idee gebracht, die Erzählung "Die Sanfte" zu lesen. Ich habe in der älteren Übersetzung von E. K. Rashin gelesen (Piper-Verlag, SP 408, "Der Spieler Späte Romane und Novellen".


    Dein Vorhaben, ersteinmal die (sog.) kleineren Werke Dostojeskijs zu lesen, halte ich für sehr sinnvoll. Ich habe damals mit "Schuld und Sühne" begonnen, was durchaus zu machen ist, dann las ich "Der Idiot", übrigens zweimal. An den "Dämonen" bin ich letzten Endes gescheitert.


    Johannes v. Gühnter, ein etwas älterer Übersetzer, sagte einmal:


    "Die Weltgeltung dieses großen russischen Dichters kommt von seinen Romanen her, über die unzählige Bücher geschrieben worden sind (...), doch nirgends zeigt sich das Genie Dostojewskijs vollendeter als in seinen Meistererzählungen." (aus dem Nachwort zu Dostojewski, Meistererzählungen, Diogenes).


    Also, lieber erst mal klein anfangen, als am GROSSEN zu scheitern :zwinker:


    Das nur zur Einführung. Es folgen nun meine persönlichen Eindrücke zu Dostojewskis Erzählung "Die Sanfte":


    „...Solange sie hier liegt, ist ja noch alles gut: jeden Augenblick kann ich zu ihr gehen und sie ansehen...Aber morgen, wenn man sie fortträgt, wie...wie soll ich dann allein bleiben?“


    Ein Pfandleiher heiratet ein völlig verarmtes sechzehnjähriges Mädchen, um von ihr verehrt zu werden, schließlich habe er sie ja aus der Armut geholt, außerdem von ihren entsetzlich bösen Tanten befreit, unter denen das Mädchen wie eine Sklavin behandelt worden war. Ihre Ehe mit dem wesentlich älteren Pfandleiher erweist sich aber als Katastrophe.


    Der Protagonist, ehemals ein Offizier, der unehrenhaft aus der Armee entlassen wird, treibt sich völlig verarmt auf der Straße herum, bis eine kleine Erbschaft es ihm ermöglicht, seinen Lebensunterhalt als Pfandleiher aufzubauen. Dieser Pfandleiher heiratet nun das Mädchen, um in ihr Selbstbestätigung zu finden, weil er sich innerlich noch als Versager fühlt. Es scheint, er will die Strenge, die er beim Militär erfahren hat, zu Hause fortsetzen und mit unerhörter egoistischer Machtgier die Scham übertünchen, die ihm eine Narbe in seiner Seele geschlagen hat. Völlig überbläht und selbstherrlich:


    „...ich bin's, dem sie eine Wohltat erweisen würde, nicht umgekehrt -“


    „Im Herzen aber wollte ich, daß sie mich anbetete“.


    Er will das, weil er eben selber unglücklich war:


    „Oh, auch ich war doch unglücklich! Ich war von allen verstoßen, verworfen und vergessen worden, und keiner, kein einziger wußte das!“


    Als Pfandleiher hat er außerdem die Möglichkeit, sich an der Gesellschaft zu rächen. Völlig abgedreht von der Realität, im Wahn seiner Rache, merkt er es erst zu spät, dass er das sanftmütige Wesen, seine Frau, die trotz ihrer Armut nie ihren Stolz nie verloren hat, regelrecht aus dem Leben gedrückt hat. In dem Dostojewski das Verhalten der Frau umschreibt, lässt seinen Leser in die Seele der Frau blicken. Es ist so, ich stelle es mir so bildhaft vor, als wenn jemand einem Vögelchen die Kehle zudrückt. Ja, solch eine schaurige Wirkung transportiert die Geschichte.


    Der Pfandleiher wollte sie nach seinen Vorstellungen Formen, macht sie aber zum seelischen Krüppel. Eine tiefe Seelenschau.....am Ende bleibt der Mann wieder allein. Die grausame Einsamkeit erreicht ihn wieder.


    Ja, eine sehr ergreifende Geschichte.


    5ratten

  • @mombour


    Du hast das alles nochmal in wirklich treffenden Worten zusammengefaßt, besonders dem Vergleich mit dem Vögelchen kann ich absolut zustimmen ... so hab ich das auch empfunden und schön wenn ich Dich animiert habe die Geschichte zu lesen :) . Bin mir ja bei meine "Anfänger"-Rezis noch recht unsicher.



    Ein Satz in der Geschichte sagt ja fast alles, einer der ganz wenigen die sie sagt und der ja auch dem Pfandleiher als Schlüsselsatz auffällt (und damit dem Leser besonders ans Herz gelegt wird) und der ihr Befinden deutlich widerspiegelt ist:
    "Und ich hatte geglaubt, Sie würden mich jetzt einfach so lassen"


    Diese Satz könnte sogar ironisch gemeint sein und der letzte verbliebene Stolz in ihr hat den Satz wohl auch ironisch gemeint..., aber im Innersten ist dieser Satz die zutiefst empfundene grausame Wahrheit. Sie hat die Bestimmung über ihr Selbst verloren, abgegeben ...


    Ja.. je länger jetzt die Geschichte nachwirkt desto tiefer wirkt das Tragische daran und desto mehr bewundere ich die Erzählweise....




    ***



    Was mein "Anschleichen" an Dostojewski anbelangt freut mich die Bestätigung meiner Vorgehensweise. Ist bei mir eher selten daß ich so planvoll vorgehen, ich entscheide normalerweise sehr spontan und stimmungsabhängig was ich als nächstes lesen will, aber in dem Fall schien mir eine etwas langsamere Herangehensweise besser.


    Ich les jetzt dann noch "Weiße Nächte" und bis September wohl noch so die ein oder andere kürzere Geschichte - mal sehen welche, das ergibt sich. "Der Spieler" hab ich sogar noch hier (ist mir gestern erst eingefallen als ich in Deinem Post den Titel las) und vor sehr sehr vielen Jahren mal gelesen, das werd ich auch noch wiederholen. Und dann hab ich mich für die Leserunde von "Schuld und Sühne" im September mit eingetragen und werd mich dann an dieses Buch wagen ;) , aber das hast und ja gesehen im Vorschlagsthread gesehen. Ich denk ich werd mir dann auch diese neue Übersetzung kauf - "Verbrechen und Strafe", aber da ist jetzt noch etwas Zeit und wir fahren erstmal in Urlaub.


    Viele Grüße !


    Yvaine :winken:

    Einmal editiert, zuletzt von Yvaine ()

  • Von der Sanften habe ich mir soviel versprochen, aber sowenig bekommen.
    Absolut nicht ein Charakter den ich erwartet hatte, sondern einfach eine dumme Frau hinter einer noch dümmeren Legende. Für mich ein Beweis, dass Dostojewski immer ein Religionsgegner war und dies auch nach seiner Haftstrafe nicht geändert hat...