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  • Liebe Literaturschocker, :winken:


    ich möchte euch hier meinen Erzählband "Von Verwandlungen" vorstellen.
    Er ist im Frühjahr 2017 im VHV-Verlag erschienen. Der Schwerpunkt des Verlagsprogramms liegt auf Erzählungen und Kurzprosa - ein unterschätzest Genre, wie ich finde.


    Mehr zum Verlag erfahrt ihr hier:
    http://vhv-verlag.de/ueber-uns/


    In "Von Verwandlungen" werden 7 Geschichten erzählt, die alle - wie der Titel ankündigt - von Verwandlungen handeln. Es sind teils fantastische Metamorphosen, teils innere Wandlungen, die sich fast unbemerkt vollziehen. Die Erzählungen sind thematisch sehr abwechslungsreich. Es geht um Liebe, Freundschaft, Identität, persönliche und politische Krisen und um das Schreiben selbst.


    Lesermeinungen und Rezis findest du auf Lovelybooks, Amazon oder der Verlagsseite:


    LOVELYBOOKS:
    https://www.lovelybooks.de/aut…3%A4hlungen-1450851775-w/



    AMAZON:
    https://www.amazon.de/Von-Verw…hmann-ebook/dp/B06XWHYFJP



    VERLAG:
    http://vhv-verlag.de/buecher/von-verwandlungen/




    Leseprobe (erste Erzählung):


    Im Café


    Auf der Schwelle des Caféhauses entglitt Herrn W. die Zeit jedes Mal. Das dunkle Holz des Raums raunte von fernen Jahrzehnten. Welt entrollte sich beim Betreten des roten Läufers im Eingang. Das Draußen blieb vor der Glastür angeleint, vergeblich nach dem Herrchen kläffend. Und dann war da sie. Wie jeden Freitagnachmittag. Hinter der breiten Theke mit dem gurgelnden Kaffeeautomaten und den verschlafenen Zapfhähnen. Eingerahmt zwischen Kuchen und duftendem Gebäck tanzte und hantierte Genoveva. Wirbelnd und doch als in sich ruhendes Zentrum des Geschehens.


    Sie hatte ihn schon beim Hineinkommen erspäht, grüßte mit besonderer Aufmerksamkeit, wie sie es bei Stammgästen zu tun pflegte. Er grüßte zurück. Versuchte dabei geschäftig zu wirken. Wie einer, der lediglich einkehrt, um die arbeitsreiche Woche ausklingen zu lassen.
    Zufrieden stellte er fest, dass sein Lieblingstisch am Fenster frei war. Von dort genoss man eine gleichermaßen gute Sicht auf Theke und Straße. Jeden Freitagnachmittag saß W. dort, trank einen schwarzen Kaffee, aß eine süße Kleinigkeit und sah den vorbeitreibenden Menschen zu. Hin und wieder strich sein Blick wie zufällig zum Tresen hinüber oder folgte der Kellnerin durch den klingenden Raum an die Tische.


    Mit zielgerichteten Schritten steuerte Herr W. auch an diesem Freitag auf den üblichen Tisch zu, hängte seinen Mantel über den einen Stuhl, legte seine Laptoptasche auf die äußerste Kante der Tischfläche und machte es sich selbst auf seinem angestammten Platz bequem. Genüsslich begann er die bereitliegende Menükarte zu studieren, als sei sie ihm völlig unbekannt. Ritual, zu dem er sich stets hinreißen ließ, auf das er Wert legte, um den Freitag in all seinen vertrauten Bahnen, Winkeln, Kurven auszukosten. Die Buchstaben wimmelten hinter dem harten Plastikfilm der Karte durcheinander, nahmen dann Stellung an, um sich ihm anzubieten. W. griff eine wohlbekannte Reihe heraus, legte sie sich zurecht wie jeden Freitagnachmittag. Am Nebentisch lachte eine Gruppe Mädchen, warf die Köpfe in den Nacken. Volle rote Lippen stülpten sich über dunkles Tischflächenholz, blubbernde heiße Quellen zerplatzten in hellen Silben.


    W. beugte sich rasch nach einer Buchstabenfolge. Sah sie aufmerksam an, wie er es bei der Präsentationstechnik gelernt hatte. Sie war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Dann räusperte er sich entschlossen. Heute würde er es wagen. Drei Monate waren ins Land gestrichen, das Quartal zu Ende. Nun hieß es Bilanz ziehen, prüfen, ob die Kalkulation aufgegangen war. Herr W. sah zu der Bedienung hinüber, die hinter dem Thekenschrein Pirouetten drehte. Sein Herz schlug so laut, dass es ihm unbegreiflich war, wie die Mädchen am Nebentisch sich ungestört weiter unterhalten konnten. Er spürte, wie sich ihre Münder bewegten, ohne dass er etwas verstand. Ihre Oberkörper wippten in seinen Augenwinkeln. W. versuchte sich zu konzentrieren. Er memorierte Entspannungstechniken, atmete in den Bauch. Sein Hemd wölbte sich über seinem einwandfrei rasierten Nabel.
    Herr W. nahm den Deodorantgeruch war, den er in der Bürotoilette aufgefrischt hatte. Punkt 16:00 Uhr hatte er die Firma verlassen. Er unterhielt ein gespaltenes Verhältnis zur Uhr im Eingang des Gebäudes. Schwarz auf Weiß zeigte sie ihm seit sieben Jahren an, wie seine Zeit verstrich (...)