Alex Capus – Eine Frage der Zeit

Es gibt 29 Antworten in diesem Thema, welches 16.457 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Jari.

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    Klappentext: Drei norddeutsche Werftarbeiter werden 1913 von Kaiser Wilhelm II. beauftragt, ein Dampfschiff in seine Einzelteile zu zerlegen und am Tanganikasee südlich des Kilimandscharo wieder zusammenzusetzen. Der Monarch will damit seine imperialen Ansprüche unterstreichen. Die drei Männer reisen nach Deutsch-Ostafrika mit der Aussicht auf guten Verdienst, lassen sich bezaubern von der exotischen Kulisse und der schönen Gouverneurin, lernen aber auch die Brutalität des kolonialen Alltags kennen. Was der Kaiser und die drei rechtschaffenen Handwerker nicht wissen: Zur gleichen Zeit beauftragt Winston Churchill den exzentrischen, aber liebenswerten Oberleutnant Spicer Simson, zwei Kanonenboote über Land durch halb Afrika an den Tanganikasee zu schleppen. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, liegen sich Deutsche und Briten an seinen Ufern gegenüber. Keiner will, aber jeder muss Krieg führen vor der pittoresken Kulisse des tropischen Sees. Alle sind sie Gefangene der Zeit, in der sie leben, und jeder Einzelne hat seine eigene Methode, unter der unausweichlichen Macht der Umstände sein Leben in Anstand und Würde zu führen.
    Alex Capus verbindet in seinem neuen Roman, der auf einer authentischen Geschichte beruht, feinen Humor mit illusionsloser Klarheit, raffiniert aufgebaute Spannung mit sensibler Charakterzeichnung. Ohne jeden moralisierenden Unterton lässt der Autor die Ereignisse selbst sprechen. Eine Frage der Zeit ist sein bisher ernstestes Buch.
    »Über die Jahre habe ich festgestellt, dass meine Helden allesamt gewöhnliche Menschen sind, die ungewöhnliche Dinge tun. Was mich beschäftigt ist immer der Mensch, der sein Leben in Würde zu leben versucht.« Alex Capus



    Das Buch subte bei mir sowieso und da dubh es gerade angefangen hat, schließe ich mich mal an. Wir wollen uns hier während des Lesens schon mal ein bißchen dazu austauschen.


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Hallo,


    also um als erstes gleich mal rumzumeckern :zwinker:, wollte ich kundtun, dass ich den neuesten Roman von Alex Capus nicht bei den historischen Romanen einordnen würde. Erstens weil ich finde, dass eine Zeitspanne unter hundert Jahren keine Historie rechtfertigt und zweitens weil ich unter historischen Romanen prinzipiell (leider) etwas anderes verstehe.
    Aber okay. :smile:


    Der Prolog lässt Schlimmes vermuten, was die Jahre von Anton Rüter, dem norddeutschen Werftarbeiter, in Ostafrika angeht. Zugleich bringt es aber eine gewisse Spannung mit sich, weil man natürlich wissen möchte, was ihm und seinen Kollegen widerfahren ist...


    Die ersten Seiten, in denen es hauptsächlich um die Papenburger Werft, die neu gebaute "Götzen" und die Einführung der Personen geht, sind sehr vielversprechend - mit gutem Sprachstil, detailierten Beschreibungen des Geschehens und der Figuren und einer Portion Witz spricht mich das Buch sofort an.


    Beispielsweise ein Teil der Beschreibung eines Handwerksburschen, der die Reise nach Afrika mit antreten soll:


    Er hat im Arbeiterkulturverein Marx und Engels gelesen und sich für deren uhrwerkhafte Geschichtstheorie, für das Ticktack von These, Antithese und Synthese begeistert. Der Gewerkschaft beitreten will er deswegen aber nicht gerade, denn wenn es um seinen Lohn geht, bespricht er das doch lieber selbst mit dem alten Meyer, der ihn bisher immer sehr anständig behandelt hat; und wenn die proletarische Revolution sowieso historisch unausweichlich bevorsteht, sieht Hermann Wendt nicht ein, weshalb er zu deren Herbeiführung seine spärliche Freizeit opfern soll. (S. 20)


    Nun ein paar kleine Links zu den Fakten:


    Die Meyer Werft in Papenburg, Niedersachsen
    Die "Graf Götzen" (heute: MS Liemba) verkehrt noch fast hundert Jahre später über den Tanganjikasee
    Geo-Artikel "Die endlose Fahrt der Liemba" mit Bilderstrecke


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Da muß ich doch direkt widersprechen :breitgrins:



    Erstens weil ich finde, dass eine Zeitspanne unter hundert Jahren keine Historie rechtfertigt


    Ich habe im Rahmen meines Studiums eine Hausarbeit über den Eisenbahnbau in Deutsch-Ostafrika geschrieben, die umfaßte im wesentlichen die Zeit von 1892 bis 1912 mit einigen kürzeren Ausblicken in die Zeit davor und danach (bis 1916). Da gibt es also durchaus Überschneidungen zum Zeitraum des Buches und ich habe diese Arbeit in einem Lehrgebiet mit dem schönen Namen „Neuere Europäische und Außereuropäische Geschichte“ geschrieben ... :zwinker:



    und zweitens weil ich unter historischen Romanen prinzipiell (leider) etwas anderes verstehe.
    Aber okay. :smile:


    Dieses Buch steht wahrscheinlich mit größerer Berechtigung im Unterforum Historische Romane als viele andere in dieser Kategorie. Ich kenne auf Grund meiner o. a. Hausarbeit den Kontext dieses Romans sehr gut und bislang (Ende 2. Kapitels) kann ich Capus keine sachlichen Fehler nachweisen. Natürlich ist manches Fiktion, dafür ist es ein Roman, es geht mir um das Grundgerüst. Die inflationäre Verbreitung des Labels „Historischer Roman“ (in einer kürzlich geführten Diskussion bezeichnete hier jemand diese Werke treffend als „Kostümschinken“; man könnte auch von Parallelwelten sprechen, die so historisch sind wie die allerorten stattfindenden Mittelaltermärkte) ist sehr bedauerlich, aber die Diskussion wurde hier im Forum schon geführt und ich will sie gar nicht wieder aufwärmen ...



    Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich den Prolog, den Capus ausdrücklich mit Nachspiel überschreibt, gut finden soll. Eigentlich weiß ich nämlich gar nicht gerne schon direkt am Anfang, wie's ausgeht. Andererseits wäre es angesichts der Zeit sowieso klar gewesen, somit habe ich als zusätzliche Information nur, daß Rüter überlebt. Das ist ja nun nicht soooo viel.


    Ansonsten kommen mir die ersten beiden „richtigen“ Kapitel (das erste noch mehr als das zweite) vor, wie die Eröffnung eines Schachspiels. Capus positioniert seine Figuren, macht die ersten Züge und nun kann das eigentliche Spiel beginnen. Besonders die lakonische Art, in der die Papenburger Werftleute vorgestellt werden, hat mir sehr gut gefallen. Es wird deutlich, daß es sich nicht um Abenteurer handelt, sondern um ganz normale Leute, die einen Auftrag haben und ihren Job machen wollen. Dieser wird, weil er eine einjährige Abwesenheit von zu Hause erforderlich macht, mit beträchtlicher Zulage bezahlt und das ist dann doch ein überzeugendes Argument, wenn man mit jedem Pfennig rechnen muß.
    Aber auch der künftige britische Gegenspieler ist schon gut gezeichnet: Ein reichlich tätowierter, wegen Beförderungsstillstand frustrierter Prahlhans, auf einen unwichtigen Außenposten abgeschoben, der auf die Gelegenheit wartet, eine große Tat zu vollbringen – solche Leute werden schnell gefährlich in ihrem Ehrgeiz.


    Der Namensgeber des Schiffes war übrigens fünf Jahre lang Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, in seine Zeit fiel der Maji-Maji-Aufstand. Nicht unbedingt das beste Omen für das arme Schiff :breitgrins:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Hallo,


    nachdem ich gut ein Drittel des Buches gelesen habe, bin ich völlig von ihm begeistert. Capus schafft es, dass ich wunderbar in diese Zeit kurz vor dem ersten Weltkrieg abtauchen und trotz anfänglicher Verwunderung, wie es damals in Deutsch-Ostafrika zuging, mir auch die Gegebenheiten vorstellen kann.
    Um es mal ganz platt zu sagen: abgefahren, mit was für Mitteln die Deutschen damals versucht haben, die deutsche Kultur "hochzuhalten" um ihre Vormachtstellung in diesem Gebiet zu erhalten. Da wird Birnenschnaps im Reich geordert und ein Araber zum Bierbrauer umgekrempelt, Askaris (= Soldaten afrikanischer Herkunft, die für die Kolonialherren kämpften) spielen in einer Art von Orchester deutsche Marschmusik, Briten genießen in segender Hitze ihren Nachmittagstee, ... Unglaublich!
    Besonders die Beschreibung einer Geburtstagsfeier zu Ehren des Kaisers im Garten des Gouverneurs in Dar es Salaam ist geradezu herrlich gelungen: die drei norddeutschen Werftarbeiter sitzen mitten unter wichtigen Leuten und begießen -obwohl der prompte Aufstieg in die bessere Gesellschaft natürlich zeitlich begrenzt und ihnen dies auch bewußt ist - ordentlich den Tag. So ordentlich, dass sie am nächsten Tag - dem Tag ihrer Weiterreise nach Kigoma - zu opiumhaltigen Kopfschmerzmitteln greifen müssen...
    Auch ihre Ankunft am Tanganjikasee ist schön erzählt: sie leben sich in eigens für sie gebauten Holzhüttchen einigermaßen ein und freunden sich auch mit den Einheimischen und Arbeitern an, auch wenn sie die Augen (zumindest bei Anton Rüter allerdings verbunden mit einem einigermaßen schlechten Gewissen) vor deren Ausbeutung verschließen...


    Ehrlich gesagt bin ich ein wenig überrascht, wie "modern" und unkompliziert die drei sind! Immerhin bekommen sie einen ganz schön heftigen "Job" aufgebrummt, der zwar einiges an Entlohnung verspricht (was zur damaligen Zeit für solche Arbeiter wahrscheinlich ziemlich ungewöhnlich war), ihnen aber auch einiges abverlangt. Dennoch meistern sie die beschwerlichen Dinge mit relativer Gelassenheit und auch Offenheit - offener Rassismus beispielsweise war noch kein Thema.


    Auch wenn man durchaus in Ansätzen weiß, wie die Geschichte weitestgehend verläuft, so hat Capus´ Roman eine ganz eigene Spannung: wie sich die Personen wohl weiterentwickeln, die Kolonialismus-Situation eskaliert und/oder der eigentliche Auftrag umzusetzen ist?


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Hallo,


    gestern abend habe ich meine Lektüre beendet - leider, denn ich finde Eine Frage der Zeit einfach großartig!


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    Alex Capus, Eine Frage der Zeit
    (Knaus Verlag, August 2007)
    ISBN 978-3-8135-0272-5
    304 Seiten; € 19.95 (HC)



    Zum Autor (Klappentext):
    Alex Capus, geboren 1961 in Frankreich, lebt als freier Schriftsteller in der Schweiz. Seine Bücher werden von der Kritik hoch gelobt und sind in über zehn Sprachen übersetzt worden. [...]
    "Alex Capus ist ein wunderbarer Erzähler, für den die Welt lesbar ist." [size=7pt]Süddeutsche Zeitung[/size]


    Zum Inhalt (von der Verlagsseite:(
    Drei norddeutsche Werftarbeiter werden 1913 von Kaiser Wilhelm II. beauftragt, ein Dampfschiff in seine Einzelteile zu zerlegen und am Tanganikasee südlich des Kilimandscharo wieder zusammenzusetzen. Der Monarch will damit seine imperialen Ansprüche unterstreichen. Die drei Männer fahren nach Deutsch-Ostafrika mit der Aussicht auf guten Verdienst, lassen sich bezaubern von der exotischen Kulisse und der schönen Gouverneurin, geraten aber rasch in das gewalttätige Räderwerk des Kolonialismus, aus dem es kein Entrinnen gibt.


    Zur gleichen Zeit beauftragt Winston Churchill den exzentrischen, aber liebenswerten Oberleutnant Spicer Simson, zwei Kanonenboote über Land durch halb Afrika an den Tanganikasee zu schleppen. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, liegen sich Deutsche und Briten an seinen Ufern gegenüber. Keiner will, aber jeder muss Krieg führen vor der pittoresken Kulisse des tropischen Sees. Alle sind sie Gefangene der Zeit, in der sie leben, und jeder hat seine eigene Art, damit fertig zu werden.



    Meine Meinung:
    Capus´ neuestes Buch ist in gewisser Weise ein Tatsachenroman, denn er erzählt die Geschichte des Dampfers Götzen, der 1913 in Papenburg im Emsland fertiggestellt wurde, anschließend wieder zerlegt und in 5000 Kisten verpackt nach Deutsch-Ostafrika verschifft wurde, um dort die Vormachtstellung der Deutschen innerhalb der Kolonialmächte auszubauen.
    Nun erzählt Capus aber nicht sachbuchhaft von diesem Schiff und seinem Werdegang, sondern er schildert die zeitlichen Umstände kurz vor und während des I. Weltkrieges und vor allem auch die Menschen, die durch des Kaisers Befehl am Tanganjikasee landen.
    Die drei Papenburger Werftarbeiter, die für den Aufbau in der deutschen Kolonie verantwortlich sind, werden sehr humorvoll, aber auch realistisch beschrieben: es sind ganz normale Menschen, denen die Aussicht auf eine deutlich prallere Lohntüte und die Leidenschaft für dieses Schiff einem damals sehr ungewöhnlichen Auftrag zustimmen lässt.
    Erst einmal in Dar es Salaam angekommen, werden sie von der absurden Situation der deutschen Kolonialherren sehr überrascht und da sie durch ihre dort wichtige Funktion zu den angeseheneren Personen Zugang haben, sind sie teilweise auch sehr über deren Umgang entsetzt - beispielsweise schockieren sie sich als "klassische" Arbeiter mit Hang zu Marx und Engels anfangs sehr über die allseits gegenwärtige Dienerschar, die sich um Schuhe putzen und Bier holen kümmert.


    Doch noch viel absurder wird ihre Situation dann nach Ausbruch des I. Weltkrieges: plötzlich werden sie in völlig sinnlose Kriegsspielchen verwickelt - denn was soll sich denn am Tanganjikasee so entscheidendes für den europäischen Krieg abspielen?
    Und so schildert Capus ihren Versuch unter dieser Zwangssituation zu leben und später auch zu überleben, ebenso wie das Verhalten der gegnerischen Seite, die ein selbstverliebter Offizier anführt, der aber selbst auch rasch erkennt, wie unsinnig seine Situation ist...


    Spannend ist die Geschichte schon allein wegen des menschlichen Verhaltens: wie kann man in solchen Zeiten agieren? Muss man eigene Überzeugungen über Bord werfen - aufgrund von Befehlen, die völlig sinnentleert sind?
    Falsch wäre es, wenn Capus dem/der LeserIn hier mit dem erhobenen Zeigefinger kommen würde - was er auch niemals tut -, nein, er beobachtet und beschreibt ein paar der wichtigsten Fragen für den Menschen, indem er verschiedene Personen "begleitet".


    Und das ist es letztendlich auch, was mir ausgezeichnet gefallen hat - hinzu kommt Capus´ Schreibstil und seine feine Art des Humors, ebenso wie der perfekt gewählte Rahmen der Geschichte: die Kolonialzeit und der schwarze Kontinent.


    [size=11pt]Fazit:[/size] Ein kluges Buch, das mich zum Lachen und zum Nachdenken gebracht hat; kurzum an das ich noch lange denken werde.


    5ratten


    Liebe Grüße
    dubh


    PS. Wenn es interessiert: die Götzen verkehrt noch heute auf dem Tanganjikasee, allerdings unter dem veränderten Namen MS Liemba... Weiter oben kann man zu einem Geo-Artikel (mit Bilderstrecke) einen Link finden.

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Hi dubh!


    Vielen Dank für die schöne Rezension! Eigentlich war es schon nach deinem letzten Posting beschlossene Sache, dass ich das Buch auch kaufen (und lesen) möchte. Deine Rezi hat mich darin nur noch bestärkt. Ich freue mich jedenfalls jetzt schon auf meine (Zeit-)Reise nach Afrika :klatschen:


    Lieber Gruss


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Leider hatte ich in den letzten Tagen keine rechte Zeit zum Lesen dieses schönen Buches (warum ist der Autor auch Schweizer und nicht Deutscher :rollen:), aber gerade im Flieger bin ich doch endlich wieder ein gutes Stück vorwärts gekommen. Bislang bin ich echt begeistert, was – wie dubh auch schon geschrieben hat – zum einen an der Art liegt, wie Capus seine Protagonisten hier behandelt, und zum anderen an seinem hervorragend dazu passenden Stil. Erfreulicherweise sind auch die historischen Rahmenbedingungen richtig dargestellt. Das einzige, was ich ihm bislang ankreiden würde, ist, daß er bei der Aufzählung der Gebiete, aus denen die Deutschen der Kolonie zu Kaisers Geburtstag anreisen, von einer Region Wasukuma spricht. Das ist nicht richtig, die Region heißt Usukuma, die Leute, die dort leben, heißten Msukuma (Einzahl) bzw. Wasukuma (Mehrzahl). Aber darüber will ich mal hinwegsehen :zwinker:


    Falls sich jemand beim Lesen auf Seite 149 fragt, was es heißt, als Samblakira zu Rüter sagt (auch wenn das aus dem Kontext klar sein sollte): „Sasa unahitaji kuoa mke, Mzungu.“, da kann ich helfen: „Du brauchst jetzt eine Frau, weißer Mann.“ (eigentlich ist kuoa heiraten, aber soweit will sie sicher nicht gehen :breitgrins:)



    Dennoch meistern sie die beschwerlichen Dinge mit relativer Gelassenheit und auch Offenheit - offener Rassismus beispielsweise war noch kein Thema.


    Oh doch, Rassismus in den Kolonien war im Deutschen Reich durchaus ein Thema. Carl Peters, der „Begründer“ Deutsch-Ostafrikas, war berüchtigt für seinen Umgang mit den Afrikanern und wurde u. a. wegen der damit verbundenen Skandale und Belastungen für das Reich unehrenhaft aus dem Reichsdienst entlassen (deshalb ist Rüters Beiname „der Deutsche ohne Peitsche“ – gemeint ist die kiboko aus Nilpferdhaut – auch so bezeichnend). 1905/06 mußte in Deutsch-Ostafrika der Maji-Maji-Aufstand niedergekämpft werden, zwischen 1904 und 1908 wurde Deutsch-Südwestafrika vom Herero-Nama-Aufstand erschüttert, in dem General von Trotha zum Schlächter wurde. Die Empörung war so groß, daß die Reichstagswahlen 1907 davon beeinflußt wurden und unter dem Namen Hottentottenwahlen in die Geschichte eingingen. Die Diskussionen sind also sehr wohl geführt worden. Natürlich genügten sie nicht den heutigen Maßstäben an „political correctness“, aber es war eben auch kein völlig totgeschwiegenes Thema.


    Eine weitere ganz witzige Sache, die sich Capus nicht ausgedacht hat, ist der Hinweis auf die 8 Meter hohen Telegraphenmasten, die teilweise von der Firma Mannesmann geliefert wurden (wie übrigens auch die Laternenmasten in Daressalam und vielen anderen Städten). Es gibt im Mannesmannarchiv tatsächlich noch die Anfrage, was am besten dagegen zu tun sei, daß die Giraffen immer die Telegraphedrähte herunterreißen. Die Antwort von Mannesmann damals: „Höhere Masten nehmen“ :breitgrins:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Hallo zusammen!


    @Alfa: Es freut mich sehr, dass Du das Buch auch lesen möchtest! Mir hat Eine Frage der Zeit so gut gefallen, dass ich dieser Geschichte noch viele LeserInnen wünsche (oder umgekehrt? :zwinker:)... Ich hoffe, Du hast ebenso viel Spaß damit - vielleicht magst Du ja auch berichten.




    Falls sich jemand beim Lesen auf Seite 149 fragt, was es heißt, als Samblakira zu Rüter sagt (auch wenn das aus dem Kontext klar sein sollte): „Sasa unahitaji kuoa mke, Mzungu.“, da kann ich helfen: „Du brauchst jetzt eine Frau, weißer Mann.“


    Da Samblakira Rüter so rigoros begleitet, kann man schon ahnen was dieser Satz bedeuten mag... Und "mke" bedeutet Frau nicht? Irgendwoher kannte ich das schon.


    Zitat


    Ach du Schande, so hab ich das natürlich auch nicht gemeint! :entsetzt: Ich sprach lediglich von den drei Papenburgern, die ihre Dinge gut meisteren und bei denen bislang (= im Buch) noch kein offener Rassismus zu Tage trat.
    Mir hat gut gefallen, wie unvoreingenommen die drei - für die damalige Zeit und vor allem den Ort an dem sie sich befinden - auf alle anderen Menschen eingehen. Sie freunden sich an, setzten sich beim Kapitänsleutnant ein und laden in ihren "Biergarten" ein... Aber sie sind natürlich auch Gefangene ihrer Zeit: schnell stoßen sie an ihre Grenzen, nehmen großes Unrecht wahr und können doch nichts unternehmen. Dass sie es aber überhaupt schon als solches erkennen, unterscheidet sie wohl von den meisten anderen Anwesenden in den damaligen Kolonien.


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Ich bin letzte Woche bei Amzon über "Ein Frage der Zeit" gestolpert, als ich etwas anderes bestellt hatte und habe das Buch dann direkt mitbestellt, da es mich sehr angesprochen hat. Aufgrund Eurer guten Rezis ist das anscheinend auch kein Fehler gewesen. :winken:


    Zeit und Ort interessieren mich (und auch in anderen zeitlich/geografischen Kombinationen).


    Letzte Woche lief auf ARTE eine sehr interessante Doku über die afrikanische Unabhängigkeit in den 1960er und 70ern.

  • Fertig! Eigentlich müßte ich sagen: leider, denn es hätte gerne noch etwas weitergehen dürfen ...


    Meine Meinung: Alex Capus hat hier ein wunderbares Buch abgeliefert. Nicht nur sind die historischen Hintergründe hervorragend recherchiert, besonders sind auch die Personen – gleich ob real oder fiktiv – sehr gut charakterisiert. Und das gilt nicht nur für die „wichtigen“ Leute, ob das nun der vorzeitig gealterte Gouverneur mit seiner Doppelmoral ist, seine Frau mit ihrer unerschütterlichen Aufrechterhaltung der Umgangsformen, die drei wortkargen Emsländer Schiffsbauer oder der narzisstische englische Prahlhansoffizier ist, auch die Nebenfiguren erfahren von Capus eine geradezu liebevolle Behandlung, die sie weit mehr als Statisten sein läßt.


    Überhaupt sind in dieser Geschichte nicht die Personen die Hauptsache, sondern tatsächlich die äußeren Umstände und die Zeit, die die Menschen zu Handlungen veranlassen, die sie sonst wahrscheinlich nicht begehen würden. Nein, es geht ihnen einzig und allein darum, eine absurde Zeit (denn die Kriegsbemühungen auf dem Tanganjika-See sind völlig absurd) mit Würde zu überstehen und nach Möglichkeit dabei noch zu überleben.


    Unterstützt wird dies alles durch eine eher trockene, lakonische Erzählweise, durchsetzt mit feinem Humor und einer gut dosierten Spur Ironie. Dadurch wirkt es nie belehrend, und die Sympathie mit allen Beteiligten wird auch bei eher erschreckenden oder häßlichen Handlungen ihrerseits (z. B. bei dem Kapitänleutnant, der den Massai-Prinzen auspeitschen läßt und sich die anschließende Nacht in Selbstvorwürfen und Ängsten vor den möglichen Folgen windet) nie grundlegend in Frage gestellt.


    Einziger Wermutstropfen ist die Karte im hinteren Einband, die eine bunte Mischung aus historischen und aktuellen Namen enthält (wenn Kenia als Britisch-Ostafrika vermerkt ist, müßte Mosambik auch noch Portugiesisch-Ostafrika heißen) und als Grenzen nicht diejenigen Deutsch-Ostafrikas sondern des heutigen Tansania eingezeichnet hat. Für ersteres müßten die Residenturen Urundi und Ruanda, die nach dem Ersten Weltkrieg nicht mit dem restlichen Gebiet dem britischen Völkerbundsmandatsgebiet zugeschlagen, sondern Belgien überantwortet wurden, im Nordwesten mit einbezogen sein, auch wenn die deutsche Herrschaft dort noch weniger ausgeprägt war als in vielen anderen Teilen des riesigen Gebietes. Trotzdem vergebe ich für dieses Buch mit gutem Gewissen


    5ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen


    P.S.:



    Und "mke" bedeutet Frau nicht? Irgendwoher kannte ich das schon.


    Ja, ganz genau!

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()

  • Hi ihr beiden!


    Ich kann mich euren Rezensionen nur anschliessen. Das Buch ist es wirklich wert, gelesen zu werden.


    Inhalt:
    Drei brave deutsche Werftarbeiter werden im Jahr 1913 nach Deutsch-Ostafrika geschickt. Sie sollen am 700 Kilometer langen Tanganikasee ein Dampfschiff zusammenbauen und ein Jahr später wieder Zuhause sein. Doch mitten in ihrem Einsatz bricht in Europa der Erste Weltkrieg aus und der Dampfer, der eigentlich nur Repräsentationszwecken dienen sollte, soll jetzt zur Kriegswaffe werden.
    Am gegenüberliegenden Ufer des langen, schmalen Sees sitzen die Belgier, die von britischer Seite Unterstützung erhalten – in Form eines exzentrischen Commanders und zwei kleinen, stark bewaffneten Dampfern.



    Meine Meinung:
    Alex Capus' Roman lebt nicht von Seeschlachten oder sonstiger Action. Es ist ein ruhiges Buch über drei normale Deutsche und einen nicht ganz so normalen Briten, die alle auf ihre eigene Weise mit dem ihnen unbekannten Kontinent Afrika fertig werden. Mit bestechender Erzählkraft und hoher Authentizität schafft es Capus, einem gleichzeitig Protagonisten, Schauplatz und Lebensumstände näher zu bringen.


    Im Vordergrund stehen die drei Werftarbeiter, die allesamt wortkarg und auch ein wenig verschroben sind. Es sind ganz normale Menschen mit einem aussergewöhnlichen Auftrag, dessen fortschreiten man als Leser mit ebenso grosser Neugier verfolgt, wie die Charaktere. Weniger symphatisch, aber irgendwie erschreckend real ist ihr «Gegenspieler», der britische Commander Geoffrey Spicer Simson, der einerseits an Grössenwahn leidet, andrerseits in entscheidenden Situationen doch gewisse Führungsqualitäten beweist. Die Wege beider Seiten sind gepflastert mit Wundervollem und Furchtbarem, immer mit einer Prise Humor gewürzt, was vor allem bei den kleinen und grossen Niederlagen gut tut.


    Fazit: Ein schönes, ruhiges Buch, das ich gerne gelesen habe und allen empfehlen möchte, die auch ohne Mord und Totschlag auskommen (obwohl es das in «Eine Frage der Zeit» auch gibt...)



    :winken:


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Drei Arbeiter einer Papenburger Werft werden beauftragt die Kisten mit der frisch gebauten und dann auseinandermontierten „Götzen“ an den Tanganjikasee zu begleiten, um das Schiff dort wieder zusammenzubauen. Während die Männer es sich dort recht schnell relativ gemütlich gemacht haben und trotz aller kolonialen Strukturen ein gutes Verhältnis zu den eingeborenen Arbeitern haben, bricht der Krieg aus und die Götzen wird der Kriegsmarine zugeschlagen und soll mithelfen, den See gegen die Belgier und Briten zu halten.


    Der andere, parallel beschriebene Handlungsstrang begleitet den Mann, der letztendlich auf der anderen Seite des Sees sitzt. Geoffrey Spicer Simson, ein volltätowierter Aufschneider, der bisher noch jeden gegen sich aufgebracht hat und stets die absurdesten Unglücke produziert hat, wird in Ermangelung anderer, fähigerer Offiziere abkommandiert, zwei Boote auf dem Landweg an die belgische Seite des Sees zu transportieren und diesen für die Briten zu erobern. Diese Kapitel leben von dem Chaos, das Simson auf Schritt und Tritt zu folgen scheint und treiben mir immer wieder ein Grinsen auf das Gesicht.


    Die Geschichte um die „Götzen“ hingegen verdeutlicht die unter der Zivilisationstünche verborgenen Grausamkeiten der Kolonialherrschaft. Die drei Arbeiter, die durch ihre Hautfarbe hier auf der Herrscherseite stehen, sind sich der Klassenunterschiede zwischen Eingeborenen und Besetzern deutlich bewusst und nehmen sie nicht so schnell als gegeben hin. Als der Krieg ausbricht und sie eingezogen werden und nun nicht mehr selbstständig arbeiten können, sondern unter dem Druck der militärischen Führung, die die Götzen so schnell wie möglich einsetzen will, zerbricht das Idyll vollständig. Die Entscheidung, inwiefern die Beherrschung des Sees wirklich zum Kriegsausgang in Europa beiträgt, wird von den Machthabern in Europa getroffen und die Meinung der vor Ort Anwesenden ist unerheblich, sie sind (wieder) nur bloße Befehlsempfänger.


    Das Buch hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich etwas enttäuscht war, da die Geschichte nicht rund war. Der Prolog verspricht für das Ende eine verzweifelte Wanderung durch Afrika, aber Capus beendet seine Erzählung mit einem friedlichen Abschied, so dass mir der Prolog unnütz reißerisch vorkommt. Schade, dass er sich dazu hat hinreißen lassen, nötig hatte das Buch diesen rasanten Start nicht.


    Ich hoffe allerdings, Capus’ Recherchen zu den tatsächlichen Geschehnissen des Buches und der afrikanischen Sprache und Geographie sind korrekter als seine Verortung des rheinländischen Dialekts. Hier Gelsenkirchen zu erwähnen, ist eine Untat, bei der sich meine Nackenhaare kräuseln und die leicht hätte vermieden werden können. :grmpf: Das verzeihe ich auch ihm als Schweizer nicht so leicht. :zwinker:


    Dies war mein zweites Buch von Capus, aber ganz bestimmt nicht mein letztes, die für ihn scheinbar typische Mischung aus realen historischen Begebenheiten und fiktiver Erzählung gefällt mir sehr gut.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Schön, daß es Dir gefallen hat!



    Ich hoffe allerdings, Capus’ Recherchen zu den tatsächlichen Geschehnissen des Buches und der afrikanischen Sprache und Geographie sind korrekter als seine Verortung des rheinländischen Dialekts.


    Sind sie. Ich würde mir wünschen, jeder Autor, der einen afrikanischen Schauplatz wählt, würde es nur ansatzweise so gut machen und auch die historischen Ereignisse sind korrekt wiedergegeben :winken:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Meine Meinung:


    Ich habe "Eine Frage der Zeit" kürzlich gelesen und es hat mir recht gut gefallen.


    Die Idee, ein Dampfboot gleich nach dem Zusammenbau wieder auseinanderzunehmen und am afrikanischen Tanganika-See wieder zusammenzubauen, kam mir reichlich bizarr vor - aber natürlich ist dies der Stoff, aus dem solch ungewöhnliche Geschichten wie diese hier entstehen. Das Bestreben der Deutschen, im Spiel der Kolonialmächte mitzumischen und Anspruch auf ein Stück vom akfrikanischen Kuchen zu erheben, treibt hier seltsame Blüten. Daher finden sich drei Werftarbeiter, darunter der Konstrukteur der "Götzen", plötzlich in Deutsch-Ostafrika wieder. Sie arrangieren sich mit den Gegebenheiten und konzentrieren sich auf ihre Aufgabe, während sie in Wahrheit nur Marionetten der Mächtigen sind, die nichts anderes als einen Krieg im Kopf haben.


    Durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges tritt auch die englische Gegenseite in Person des exzentrischen Commanders Spicer Simson auf den Plan, der seinerseits ebenfalls den Auftrag bekommt, zwei Boote auf dem Tanganika-See zu platzieren und die Kontrolle über den See und damit das ganze Gebiet zu übernehmen. Seine Figur hat mir sehr viel Spaß gemacht, da er zum einen immer mit einem kleinen Augenzwinkern geschildert wird, andererseits aber überraschend auch eine Art Entwicklung vom selbstverliebten Spinner zur souveränen Leitfigur durchmacht, was wohl niemand so erwartet hätte.


    Die Handlung verläuft in einem ruhigen Erzählstil ohne allzu dramatische Augenblicke. Die afrikanische Atmosphäre wird vom Bestreben der Deutschen, ihre Lebensweise so deutsch wie möglich zu gestalten, etwas überlagert. Trotzdem hat das Buch auch seine afrikanischen Momente, und auch die Unverfrorenheit im Umgang mit der einheimischen Bevölkerung seitens der deutschen Kolonialisten ist ein Thema. Schön fand ich, dass die Hauptfiguren dennoch ein gutes Verhältnis zu den Afrikanern aufbauen und zahlreiche Freundschaften entstehen.


    Am Ende kommt die Sinnlosigkeit des Krieges in ihrer vollen Bandbreite zum Tragen und ich konnte angesichts der Ereignisse nur mit dem Kopf schütteln; so viele Mühen und Strapazen stellen sich am Ende als umsonst heraus. Alex Capus hat einen Roman verfasst, der zum Nachdenken und Nachsinnen einlädt; aber auch zum Schmunzeln und zum Augenrollen. Manche Passagen hätte ich mir gerne noch etwas ausführlicher gewünscht, denn so richtig tief eintauchen konnte ich angesichts der Kürze nicht in die Geschichte. Aber dennoch hab ich das Buch sehr gerne gelesen und fand die Idee sowie die Ausführung gut gelungen.



    4ratten


    Viele liebe Grüße :winken:
    Miramis

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • Hallo,


    dubh und die anderen haben schon gute Rezensionen geschrieben, da muss ich nicht mehr viel anfügen:


    +++


    Mir hat die humorvolle Art und die überall durchschimmernde Menschlichkeit des Autors gut gefallen, der ein schönes Buch gegen den Krieg geschrieben hat. Die Charaktere sind nachvollziehbar und alle behalten ihre Würde, weil sie nicht überzeichnet, sondern stimmig dargestellt werden.
    Ganz wunderbar ist die Schilderung von Natur und afrikanischer Lebensweise: Zurückhaltend und doch intensiv!


    Ein kleines -


    Manchmal legt Capus meiner Ansicht nach seinen Figuren zu moderne Denkweisen in den Kopf, so denken die Papenburger derart vorurteilsfrei gegenüber den Afrikanern, wie ich es mir für die Zeit kaum vorstellen kann. Auch dass Wendt Marx' Theorie derart diffiziel durchdenkt und anwendet, scheint mir ein wenig unglaubwürdig. Aber das sind Minikritikpunkte, weil ein literarisches Werk ja auch nicht den Anspruch auf absolute Wirklichkeitspiegelung auslösen soll (der Leser dankt's :zwinker:).


    Alles in allem ein schönes und originelles Stück Gegenwartsliteratur!


    HG
    finsbury

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Zum Inhalt des Buches wurde ja schon genügend geschrieben, daher möchte ich mir dies sparen.


    "Eine Frage der Zeit" behandelt ein Kapitel deutscher Kolonialzeit, die wahrscheinlich kaum jemandem bekannt ist. So verrückt sich das Unterfangen, ein Dampfschiff in Deutschland zu bauen, zu demontieren und am Tanganjika-See wieder zu montieren, liest, entspricht es doch den Tatsachen.


    Alex Capus verpackt diese Geschichte in seinem Roman auf sehr lesenswerte Art. Obwohl er manches Mal ziemlich ins Detail geht, wird der Leser von diesem Buch geradezu gefangengenommen. Es geht dabei nicht nur um das Dampfschiff "Götzen", die von den drei norddeutschen Werftarbeitern in Deutsch-Ostafrika zusammen gebaut werden soll. Denn wir reisen mit den dreien an den Tanganjika-See - in eine fremde Kultur, zu den Schwarzen und die sie beherrschenden Kolonialherren.
    Das einzige, was mir an dem Roman nicht gefiel, war dass meiner Meinung nach übertrieben positive Verhalten der drei den Einheimischen gegenüber. Das war mir etwas zu sehr Schönfärberei. Besser gefallen hat mir in diesem Zusammenhang die Bemerkung des deutschen Offiziers, der den Schwarzen lediglich übel nahm, dass sie ihn zwingen Dinge zu tun, die er für böse hält, aber aufgrund seiner Stellung dazu gezwungen ist. Er muss als Offizier handeln und nicht als Mensch.
    Es sind jedoch auch die Schiffbauer, die er unter Druck setzen muss. Der Dampfer muss fertig werden und auch die Wissmach bedarf der Überholung. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurden Rüter, Tellmann und Wendt seinem Kommando unterstellt. Über längere Zeit gelingt es ihnen durch Arbeitsverzögerungen passiven Widerstand gegen ihre aktive Kriegsteilnahme zu leisten.


    Den bedächtigen, wortkargen Deutschen wird ein Ausbund von Energie in Gestalt von Geoffrey Spicer Simson, Commander der britischen Armee, gegenüber gestellt. Das groteske und abstossende Verhalten Simsons unterstützt noch das "Feindbild". Und gerade er war es, der mich am meisten überraschte.
    Mit spitzer Feder zeigt Capus die Lächerlichkeit der Gefechte auf dem See auf. Da ist man versucht beim Lesen den Kopf zu schütteln über dieses ganze Gehabe.


    Ich bin sehr angetan von diesem Roman und kann ihn nur weiterempfehlen.


    5ratten

  • Hallo yanni,


    schön, dass Dir das Buch auch so gut gefallen hat! Irgendwie ist es mir "Eine Frage der Zeit" immer noch eine Herzensangelegenheit und ich freue mich über jede/n LeserIn, die/ den es gewinnen kann...




    Das einzige, was mir an dem Roman nicht gefiel, war dass meiner Meinung nach übertrieben positive Verhalten der drei den Einheimischen gegenüber. Das war mir etwas zu sehr Schönfärberei.


    Ja, da magst Du recht haben! Die Papenburger sind zwar überzeugte Arbeiter und durchaus politisch links angesiedelt, aber für die damalige Zeit vielleicht doch einen Tick zu internationalistisch. Obwohl ich ihnen die Naivität, mit der sie an andere (und eben auch an Schwarze) herangehen, durchaus größtenteils abnehme. Wer wirklich solidarisch und kollegial denkt, für den gibt es keine Unterschiede, in keinster Hinsicht.
    Und die Szene im Zug mit dem Bier, das man sich auch selbst holen könne, ist doch großartig, oder? :zwinker:


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea


  • Und die Szene im Zug mit dem Bier, das man sich auch selbst holen könne, ist doch großartig, oder? :zwinker:


    Das ist richtig. :breitgrins: Und er hat ja auch später sein Bestes gegeben, aber was will man gegen so eine Übermacht und deren Argumente noch ins Feld führen. :belehrerin:

  • Freut mich, daß es Dir so gut gefallen hat, yanni! Das Buch hat es auch wirklich verdient.


    Ja, da magst Du recht haben! Die Papenburger sind zwar überzeugte Arbeiter und durchaus politisch links angesiedelt, aber für die damalige Zeit vielleicht doch einen Tick zu internationalistisch. Obwohl ich ihnen die Naivität, mit der sie an andere (und eben auch an Schwarze) herangehen, durchaus größtenteils abnehme. Wer wirklich solidarisch und kollegial denkt, für den gibt es keine Unterschiede, in keinster Hinsicht.


    Dazu kommt noch natürlich noch ein anderer Faktor. Die drei Arbeiter sind nicht Bestandteil des eigentlichen Herrschaftsapparates wie die Soldaten und Verwaltungsleute. Sie haben nichts dadurch zu gewinnen, daß sie die Afrikaner mies behandeln, aber viel durch gute Behandlung – nicht nur, aber (vor allem) auch beim persönlichen Komfort. Das gleiche Maß daran würden sie mit schlichtem Befehlen vermutlich nicht erreichen, es ist also durchaus eine nicht ganz uneigennützige, wenn auch vielleicht nicht bei allen ganz bewußte Haltung.


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Ich habe gestern begonnen dieses Buch zu lesen und schon nach den ersten Kapiteln hat mich Capus in diese Geschichte hineingezogen. Ich muss gestehen, dass ich auch erstaunt war, wie leicht es den drei Norddeutschen fiel, sich in Afrika einzuleben, denn im Vergleich zu Europa ist das hier doch ein ganz eklatanter Kulturunterschied und die Welt war damals noch nicht so klein, wie sie heute ist. Da gab es sogar noch weiße Flecken auf der Landkarte.
    Capus hat direkt zu Beginn seine Figuren so gut beschrieben und vorgestellt, dass ich sie von den ersten Seiten an bildlich vor Augen habe. Den Vergleich mit dem Schachbrett fand ich gut.
    Es ist schon verrückt, wie ein Mensch in der Hierarchie "aufsteigt" wenn er sich an einem anderen, ihm sogar fremden Ort befindet. Auch schon nach den ersten Kapiteln wird hier sehr gut die schändliche Art und Weise des Kolonialismus beschrieben. Besonders gut gestaltete der Autor dies, durch die Worte des jungen Masai Mkenge. Die afrikanischen Arbeiter arbeiten gerne bei den drei Deutschen, obwohl sie dazu gezwungen werden, weil sie dort bei ihnen, das erste Mal von den Deutschen mit Respekt und Anstand behandelt werden. Das ist nicht nur traurig, das ist wirklich fürchterlich.


    Was das Vorwort angeht, bin ich mir gar nicht so sicher, ob man dadurch schon wissen kann, wie die Geschichte ausgeht, denn noch ist ja alles offen. Ich zumindest bin sehr gespannt, wie sich diese Geschichte weiterentwickelt, zumal sie ja von realen Personen handelt.