Hwang Sok-yong – Der Gast

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    Inhalt: Zwei Brüder, Yosŏp und Yohan, haben den Beginn des Krieges in Korea 1950 auch wegen ihres Altersunterschiedes auf recht unterschiedliche Weise erlebt, aber nie darüber gesprochen. Viele Jahre nach ihrer Emigration in die USA erhält Yosŏp, der jüngere der beiden, die Gelegenheit in die alte Heimat nach Nordkorea zu reisen. Wenige Tage vor seiner Abreise stirbt sein Bruder. Yosŏp wird in Nordkorea ständig von Parteileuten begleitet, die ihm aber Begegnungen mit seinen noch lebenden Verwandten vermitteln. So trifft er den Sohn seines Bruders aus erster Ehe und seine Schwägerin sowie seinen Onkel. In den Gesprächen mit diesen überlebenden Verwandten, aber auch – und das war einigermaßen gewöhnungsbedürftig – in Begegnungen mit den Geistern der Toten (die nicht nur Yosŏp, sondern auch anderen Beteiligten erscheinen) spürt Yosŏp der Vergangenheit und den Greueln nach, die in dieser Phase des Krieges zwischen Christen und Kommunisten in der Provinz Hwanghae begangen wurden und an denen sein Bruder Yohan maßgeblich beteiligt war.



    Meine Meinung: Dieses Buch hat mich vor allem durch seine Konstruktion und den Erzählstil gefesselt, denn die Ereignisse, die hier peu à peu ans Licht gezerrt werden, sind alles andere als erbaulich. Hwang Sok-yong vermischt Perspektiven, allerdings folgt dies einer inneren Logik. Teile der Geschichte werden auf gewohnte Weise von einem auktorialen Erzähler präsentiert. Dieser wird aber immer wieder von Ich-Erzählern abgelöst: den Stimmen der Lebenden und der Toten, die ihre Erinnerungen präsentieren. Meist ergab sich nicht unmittelbar aus dem ersten Satz, wer gerade „spricht“, es erschließt sich dann z. B. aus Verwandtschaftsbezeichnungen und Namensnennungen. Diese Erzählform erforderte doch einige Konzentration, so daß ich froh bin, dieses Buch heute an einem Tag durchgelesen zu haben.


    Inhaltlich ist Hwang Sok-yong hier ein bedrückender Blick auf den Bürgerkrieg gelungen, von dessen Rahmenbedingungen ich zugegebenermaßen wenig bis gar nichts weiß. Aber es erklärt mir doch das ein oder andere Problem in der Annäherung der beiden Länder auf der koreanischen Halbinsel. Sehr gut fand ich, daß Hwang es vermeidet, eine klare Täter-Opfer-Zuweisung vorzunehmen – alle beteiligten Seiten schenken sich nichts in ihren Exzessen. Dies dürfte vermutlich eine korrekte Darstellung sein, aber eine Aussöhnung über diesen Blutbädern ist vermutlich wirklich erst möglich, wenn die Geister der Toten nicht mehr in die Gegenwart eindringen, sondern sich zurückziehen. Hwang läßt dies hier exemplarisch passieren, indem Yosŏp einen bei der Einäscherung seines Bruders übriggebliebenen Knochen im Heimatdorf begräbt.


    4ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen