Mario Vargas Llosa - Die Stadt und die Hunde

Es gibt 30 Antworten in diesem Thema, welches 14.045 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von nikki.

  • Teil II/1. + 2. Kap.:
    Ich muss mal wieder feststellen, dass ich einfach viel zu naiv bin. Eigentlich ist es ja logisch, aber mich hat es doch schockiert, dass

    Schlimm, richtig schlimm, aber es passt schon. Das Überleben der Schule muss gesichert werden, und dazu ist es erforderlich dass "eigentlich nichts geschehen ist". :rollen:


    Ricordos Vater stellt sich als strenger, aber liebender Papa dar, der doch nur das Beste seines Sohnes wollte. Glaubt er das wirklich, oder ist das nur Fassade?
    Übrigens wurde mir bei seinem Gespräch mit Alberto klar, dass der Freund der jungen Tere wirklich nicht Ricardo war, denn der ist ein Einzelkind, während Teres Freund ja immer von Higueras, dem Freund seines älteren Bruders Geld bekommt, um mit der Straßenbahn zu Teres Schule zu fahren. Da hast recht gehabt, Struppi; das muss der Jaguar gewesen sein.


    Auch was das Alter der Kadetten angeht, irrten wir uns. In diesem Kapitel heißt es, dass sie 16 bis 17 Jahre alt sind. Das bedeutet, dass Albertos Besuch bei Pies Dorados nicht in der "Gegenwart" sondern ein bis zwei Jahre früher stattgefunden hat.

    Wir sind irre, also lesen wir!

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()

  • Hallo zusammen!


    Ich bin bis Kapitel 3 des zweiten Teiles gekommen.


    Im Kapitel 1 lernen wir Ricardos Vater kennen.


    Ricordos Vater stellt sich als strenger, aber liebender Papa dar, der doch nur das Beste seines Sohnes wollte. Glaubt er das wirklich, oder ist das nur Fassade?


    Ich hatte den Eindruck, er meint das wirklich. Er hat sehr darunter gelitten, dass Ricardo "weiblich" erzogen wurde und unternahm alles, um ihn "männlicher" zu machen. In einer Gesellschaft, wo der Machismo ziemlich ausgeprägt ist (noch dazu in den 50-er Jahren) galt es, seinen Mann zu stehen und er glaubte, durch diese Schule seinem Sohn einen Dienst zu erweisen. Ricardo selbst freute sich von zu Hause weg zu kommen.



    Kapitel 6:
    Ich habe mich sehr über Ricardos Verhalten gewundert, nicht so sehr weil er Cava verpfiffen hat, dass konnte ich noch nachvollziehen, da er unbedingt Ausgang haben wollte um zu Teresa zu gehen, aber dass er direkt danach seinen Ausgang nimmt, wodurch es für die anderen so offensichtlich wird, dass er der Denunziant ist, das habe ich nicht verstanden. Er hat dort schon so leiden müssen, ihm hätte eigentlich klar sein müssen, was ihm blüht.
    Kurz darauf haben doch alle wieder Ausgang bekommen und er hätte wesentlich unauffälliger das Gelände verlassen können.


    Darüber habe ich mich eigentlich nicht gewundert. Das Ausgehverbot war für ihn das Schlimmste, was passieren konnte. Endlich hatte dieser Junge, der von allen verspottet, belästigt, geschlagen wird ein Mädchen kennen gelernt und die Möglichkeit gesehen, aus der Einsamkeit auszubrechen. Da war endlich eine Person, die ihn womöglich mochte. (Dass dies nicht so war, erfahren wir später und das macht mir die Person Ricardo noch tragischer, als sie es schon ist.) Und dafür wollte er unbedingt raus. Ich kann seine Handlung schon nachvollziehen.


    Ich glaube inzwischen auch, dass Tere und Terese dieselbe Person ist. Und dass Jaguar ihr jugendlicher Freund ist. Der Junge trifft sich immer in Bellavista mit Higueras und Boa erwähnt, dass Jaguar aus Bellavista kommt. Jaguar könnte demnach Higueras und Tereses Freund sein.


    Ja, vom Kapitel 2 war ich entsetzt. Teniente Gamboa wird mir aber immer sympathischer. Er mag ein harter Kerl sein und ich habe das Gefühl, dass er da nicht einfach so mitmachen wird. Er wird auch angegriffen, weil er seine Kadetten nicht unter Kontrolle hat. Es war aber irgendwie klar, dass alles auf Vertuschung hinaus läuft. Das Prestige der Schule und der Arme steht auf dem Spiel und somit wird Ricardo noch einmal zum unfreiwilligen Player eines Machtspiels und einer großen Ungerechtigkeit.


    Im Kapitel 3 wird über die Veränderung der Kadetten nach dem Todesfall berichtet. Alle scheinen sich verändert zu haben, vor allem aber Alberto. Er ist vollkommen apathisch, isst nichts, schreibt keine Romane oder Liebesbriefe mehr, sondern liegt die ganze Zeit herum. Er birgt aber auch ein furchtbares Geheimnis. Nach dem er sich Terese öffnen wollte und sie nicht allzutief vom Tod des Kadetten beeindruckt war, gibt er in seinem inneren Monolog auch ihr die Schuld und meint, sogar die Hure Pies Dorados habe mehr Seele als sie. Schlussendlich entschließt er sich, sich Gamboa anzuvertrauen und erzählt ihm alles: wie sie Ricardo jahrelang mißbraucht haben, vom Alkohol- und Zigarettenschmuggel usw. Die Offiziere hatten offenbar keine Ahnung, was da vor sich ging. Alberto ist überzeugt davon, dass Jaguar der Schütze war.
    In diesem Kapitel kommt auch ein neuer Aspekt ins Leben des Jugendfreundes (Jaguar) Teres. Er geht zum ersten Mal mit Higueras einbrechen und ist sehr froh über das Geld, das er gleich ausgibt, um Tere Geschenke zu machen. Er kommt langsam auf die schiefe Bahn.


    Denunziation, Mord, Vertuschungsaktion... bin gespannt, wie es da weiter gehen wird.


    Liebe Grüße
    nikki

    Ich lese gerade:<br />Lion Feuchtwanger - Der jüdische Krieg

  • EDIT: Ich habe das Mordopfer verspoilert, sonst bekommen wir Ärger mit Niume :zwinker: . LG, Saltanah


    Ich frage mich eh beim Nachlesen: Ihr lest und schreibt hier so detailliert (das finde ich ja gut!), dass einer, der nur für allgemeine Informationen diesen Thread anklickt, mächtigst gespoilert wird, indem er praktisch die ganze Handlung erfährt. Ich erwarte das bei einer Leserunde, aber nicht in einem allgemeinen Diskussionsthread. Die Lösung, kleinere Lese- und Diskussionsrunden direkt im Buchthread abzuhalten, müsste m.M.n. nochmals überprüft werden, zumindest in Eurem Fall wäre ein "richtiger" Leserunden-Thread m.M.n. besser gewesen. wink.gif


    (Mich persönlich stören Spoiler ja nicht, aber viele, viele andere ...)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Sandhofer hat schon recht, wir erzählen wirklich sehr viel von der Handlung. Auch wenn ich persönlich dies nicht als spoilern empfinde, da ja keine überraschenden Wendungen oder Ereignisse* vorkommen, so sind andere da ja viel empfindlicher.
    Und da wir sowieso die Mindestleserundenteilnehmeranzahl haben, habe ich uns in diesen Bereich verschoben.


    *Bis auf den Mord, und der wird ja leider schon im Klappentext erwähnt. Das war mir allerdings entgangen - meine schwedische Bibliotheksausgabe hat gar keinen Klappentext und den deutschen hatte ich nicht gelesen - und so war ich wirklich schockiert.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Das 3. Kapitel hat mich nahezu umgehauen. Ganz große Klasse!
    Ricardos Tod hat die Kadetten wirklich betroffen gemacht, wie wir aus Boas Sicht erfahren. Der bekommt übrigens immer stärkere Konturen und wird immer interessanter. Wie kritisch er den Jaguar betrachtet, wirft eigentlich ein bezeichnendes Licht auf das Mitläufertum. Er hat sich dem Jaguar angeschlossen, um sich vor ihm zu schützen, um nicht selbst ein Opfer von ihm zu werden. Lange hat er wahrscheinlich auch vor sich selbst jede Kritik an seinem Anführer versteckt, aber jetzt stellt er fest, "ich brauche dich bald (mit Beendigung der Schulzeit) nicht mehr" und kann den Jaguar aus einem anderen Blickwinkel betrachten.
    Aber weiß er wirklich nicht, was geschehen ist? Hatte er nichts von dem "Verrat" Ricardos erfahren und versteht daher nicht, wie er die Ereignisse zu deuten hat? Es scheint zumindest so.


    Alberto bricht zusammen. Ich könnte mir vorstellen, dass mehr dahinter steckt, als bloße Betroffenheit über Ricardos Tod. Kann es sein, dass er dem Jaguar verraten hat, dass Ricardo der Denunziant war?
    Dass er sogar Tere Schuld an dem Tod Ricardos zuschieben will, zeugt meiner Meinung nach von sehr schlechtem Gewissen und dem Versuch, die eigene Schuld von sich zu weisen. Er hat nämlich - so deute ich die Situation - dem Jaguar von Ricardo erzählt, um seinen "Nebenbuhler" eins auszuwischen, und muss durch Teresas laue Reaktion feststellen, dass das gar nicht nötig gewesen wäre.
    Nun kann er seine Schuld nicht mehr ertragen und sucht jemanden, dem er alles erzählen kann. Großartig fand ich übrigens die Szene, wie er Gamboa anruft. Das Telefongespräch, immer wieder unterbrochen von Gesprächsfetzen der Kneipengäste - einfach toll.


    Ich glaube allerdings, dass er sich irrt, wenn er glaubt, die Offiziere wüssten nicht, was unter den Kadetten abgeht. Dass sie rauchen und saufen, über die Mauer abhauen und einigen unter ihnen das Leben zur Hölle machen. Natürlich wissen die Offiziere das - vielleicht nicht in Einzelheiten, aber grundsätzlich schon. Sie waren doch sicher zum größten Teil in derselben oder ähnlichen Schulen gewesen und habe entsprechende Erfahrungen gemacht. Sie verschließen nur die Augen vor dem, was zwischen den Kadetten abläuft, denke ich. Und Gamboa, der "gute" Offizier, der seine Kadetten fest im Griff hat, weiß sicher mehr als der desinteressierte Huarina. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Alberto einen groben Fehler macht, als er sich Gamboa anvertraut.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hallo!


    Ich befand mich auch im Dilemma, ob ich spoilern sollte oder nicht. Aber ich habe mir gedacht, ich hebe die Kapitelnummern hervor und damit wissen diejenigen, die nicht so weit sind, worüber ich gerade schreibe. Sonst hätte ich lauter weiße Kästen vor mir.



    Bis auf den Mord, und der wird ja leider schon im Klappentext erwähnt. Das war mir allerdings entgangen - meine schwedische Bibliotheksausgabe hat gar keinen Klappentext und den deutschen hatte ich nicht gelesen - und so war ich wirklich schockiert.


    In der spanischsprachigen Ausgabe steht auch nichts darüber und ich hatte es wirklich, wirklich nicht erwartet. Das 8. Kapitel habe ich noch immer bildlich vor mir.


    Ich bin inzwischen mit Kapitel 5 durch.


    Kapitel 4: Jaguar wurde auch eingesperrt und alle haben Angst, er würde sie verraten. Boa meint auch, Jaguar habe kein Ehrgefühl. Alberto sitzt auch in der Zelle, weil Gamboa nicht wollte, dass er zurück in den Schlafsaal geht. Über sein Fehlen dort wird nichts berichtet. Alle konzentrieren sich mehr auf das Fehlen Jaguars. Es kommt zu einem Gespräch zwischen Alberto, Capitán Garrida und Gamboa. Garrida versucht Alberto einzuschüchtern, er droht ihm, dass er von der Schule fliegen wird und erklärt, er wolle alles vergessen, wenn Alberto die Klappe hält. Der Junge widersteht aber, was ich ganz stark fand. Als Garrida weitere Drohungen ausspricht, mischt sich auch Gamboa ein und meint, dass der Kadett Recht auf eine Untersuchtung hat. Er selbst werde Meldung an den Mayor erstatten; er besteht auf Disziplin und Ordnung. Im Gegenzug offenbart Garrida seine Vorstellung vom Militär: im Heer lernen die Jungs, Männer zu sein. Und Männer saufen, rauchen, f****n, usw... Alle tun das, nur die Schlauen lassen sich nicht erwischen. Verwegenheit und Geschicklichkeit gehören auch zum Soldatsein. Er will die Sache unbedingt kleinspielen und vertuschen. Aber da hat er nicht mit Gamboa gerechnet.


    Langsam wird auch klar, wie Jaguar zu dem Schlägertypen geworden ist. Ich bin jetzt überzeugt, dass er Teresas Jugendfreund ist. Am Strand sieht er sie mit einem anderen und flippt vollkommen aus. Wut, Trauer, Enttäuschung breiten sich aus und er verprügelt den Jungen nach chalaca Art.


    Im Kapitel 5 ist sich Boa auch nicht mehr sicher, ob Jaguar sie doch nicht denunziert, denn die Spinde werden durchsucht. Er will ihn ohne Beweise nicht belasten, aber sicher ist er sich nicht. Alle anderen halten Jaguar für einen Denunzianten.
    Es kommt zu einem Gespräch zwischen Gamboa und Jaguar, wo Jaguar es schwört, Ricardo nicht ermordet zu haben. Er verrät aber auch, er nennt keine Namen, meint aber, dass die ganze Kompanie immer alles mitgemacht hat. Jaguar spielt hier den Starken, Unbeugsamen; aber durch sein Verhalten verrät er sich selbst.
    Noch einmal eine Jugendszene: er sieht Terese schon wieder mit dem Jungen und es kommt zu einer Schlägerei vor ihren Augen. Es kommt zum Bruch, sie schaut ihn mit haßerfüllten Augen, er wirft ihr vor, eine Hure zu sein. Nach diesem Erlebnis kommt er nicht mehr nach Hause.


    Auch der Mayor findet Gamboas Bericht verrückt, hirnverbrannt. Aber er muss ihn dem Kommandanten vorlegen.




    Alberto bricht zusammen. Ich könnte mir vorstellen, dass mehr dahinter steckt, als bloße Betroffenheit über Ricardos Tod. Kann es sein, dass er dem Jaguar verraten hat, dass Ricardo der Denunziant war?
    Dass er sogar Tere Schuld an dem Tod Ricardos zuschieben will, zeugt meiner Meinung nach von sehr schlechtem Gewissen und dem Versuch, die eigene Schuld von sich zu weisen. Er hat nämlich - so deute ich die Situation - dem Jaguar von Ricardo erzählt, um seinen "Nebenbuhler" eins auszuwischen, und muss durch Teresas laue Reaktion feststellen, dass das gar nicht nötig gewesen wäre.
    Nun kann er seine Schuld nicht mehr ertragen und sucht jemanden, dem er alles erzählen kann. Großartig fand ich übrigens die Szene, wie er Gamboa anruft. Das Telefongespräch, immer wieder unterbrochen von Gesprächsfetzen der Kneipengäste - einfach toll.


    Ich glaube nicht, dass er ihn verraten hat. Er dachte darüber nach, aber ich glaube nicht, dass er es getan hat. Vielleicht plagen ihn Gewissensbisse, weil er Ricardo hintergangen hat; weil er keine Briefe mehr für ihn schreiben wollte und so den Jungen indirekt dazu getrieben hat, Jaguar zu denunzieren um Ausgang zu bekommen?



    Ricardos Tod hat die Kadetten wirklich betroffen gemacht, wie wir aus Boas Sicht erfahren. Der bekommt übrigens immer stärkere Konturen und wird immer interessanter. Wie kritisch er den Jaguar betrachtet, wirft eigentlich ein bezeichnendes Licht auf das Mitläufertum. Er hat sich dem Jaguar angeschlossen, um sich vor ihm zu schützen, um nicht selbst ein Opfer von ihm zu werden. Lange hat er wahrscheinlich auch vor sich selbst jede Kritik an seinem Anführer versteckt, aber jetzt stellt er fest, "ich brauche dich bald (mit Beendigung der Schulzeit) nicht mehr" und kann den Jaguar aus einem anderen Blickwinkel betrachten.
    Aber weiß er wirklich nicht, was geschehen ist? Hatte er nichts von dem "Verrat" Ricardos erfahren und versteht daher nicht, wie er die Ereignisse zu deuten hat? Es scheint zumindest so.


    Du hast Recht, Boa wird interessanter, aber er bleibt ein Mitläufer, er lehnt sich nicht gegen Jaguar auf. Er zweifelt zwar stark an Jaguar, aber wie im Kapitel 5 zu sehen war, ist er doch nicht bereit, sich gegen ihn zu stellen, wie alle anderen. In seinen Gedanken nimmt er ihn eher in Schutz. Es hat wirklich den Anschein, dass er nicht wusste, wer Cava verraten hat.



    Ich glaube allerdings, dass er sich irrt, wenn er glaubt, die Offiziere wüssten nicht, was unter den Kadetten abgeht. Dass sie rauchen und saufen, über die Mauer abhauen und einigen unter ihnen das Leben zur Hölle machen. Natürlich wissen die Offiziere das - vielleicht nicht in Einzelheiten, aber grundsätzlich schon. Sie waren doch sicher zum größten Teil in derselben oder ähnlichen Schulen gewesen und habe entsprechende Erfahrungen gemacht. Sie verschließen nur die Augen vor dem, was zwischen den Kadetten abläuft, denke ich. Und Gamboa, der "gute" Offizier, der seine Kadetten fest im Griff hat, weiß sicher mehr als der desinteressierte Huarina. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Alberto einen groben Fehler macht, als er sich Gamboa anvertraut.


    Gamboa macht weiterhin den Eindruck, als ob er nichts gewusst hätte. Daher meint er, er müsse das weitermelden, sonst kommt er sich wie ein Komplize vor und meint, dass ihn die Abteilung drei Jahre lang zum Narren gehalten hat. Ich glaube, dass die Unteroffiziere es gewusst haben (sie wussten auch, dass Ricardos Spitzname Sklave war), aber keine Meldungen gemacht haben. Mir bleibt Gamboa irgendwie sympathisch, er ist der Einige, der auf Aufklärung besteht. Er tut es vielleicht weniger aus Nächstenliebe, seine Motivation muss man nicht für die "richtige" halten (Disziplin und Ordnung müssen sein), aber zumindest tut er etwas.


    Liebe Grüße
    nikki

    Ich lese gerade:<br />Lion Feuchtwanger - Der jüdische Krieg

  • 4. Kap.:
    Ich muss meine Meinung über Gamboa revidieren. Er ist wirklich interessiert an einer Aufklärung von Ricardos Tod, tut was er kann, um Beweise oder Gegenbeweise zu finden und nimmt auch eine Gefährdung seiner Karriere in Kauf. Allerdings erscheint es mir weiterhin unglaubwürdig, dass er von den Vorgängen unter den Kadetten so gar nichts mitbekommen hat. Immerhin war er es, der zu Beginn ihrer Schulzeit die damals noch große "Maffia", die sich gegen die erniedrigende Behandlung wehrte, der sie als "Hunde" ausgesetzt waren, zerschlug. Zumindest da wusste er genau, was vor sich ging, aber von allem anderen soll er nichts auch nur geahnt haben? Er soll nicht wissen, was es (auch) bedeutet, wenn man beim Militär "Jungen zu Männern" :rollen: macht, nämlich


    im Heer lernen die Jungs, Männer zu sein. Und Männer saufen, rauchen, f****n, usw... Alle tun das, nur die Schlauen lassen sich nicht erwischen.

    Ich nehme Gamboa als Romanfigur ab, dass er nichts wusste, finde aber, dass Vargas Llosa damit einen nicht ganz glaubwürdigen Charakter gezeichnet hat.


    5. Kap.:
    Allmählich entwickelt sich der "zivile" Jaguar der Vorkadettenzeit zu der Person, die wir in der Kadettenanstalt kennengelernt haben. Die Brutalität, die er in der Schule zeigt, kam auch schon vorher zum Ausdruck und war wahrscheinlich mit ein Grund dafür, dass er schließlich in der Schule landete.
    Gelungen finde ich die Schilderung der Versuche, Druck auf Alberto und Gamboa auszuüben, um sie zur Zurücknahme ihrer Vorwürfe zu bringen und - als das missglückt - die Schuldzuweisung "nach unten". Die höheren Offiziere machen deutlich, dass die niedrigeren Schuld an den reglementswidrigen Vorkommnissen tragen. Sie hätten dies bemerken und unterbinden müssen. Das Spiel lautet hier "den letzten beißen die Hunde", der Rangniedrigste muss dran glauben. Es sieht schlecht auch für Leutnant Gamboa.


    6. Kap.:
    So viel psychologisches Geschick hätte ich dem Oberst, der mit seinem unmilitärischen Piepsstimmchen und seiner wenig soldatischen Körpergestalt bisher eher als Witzfigur erschien, nicht zugetraut. Aber er hat seinen Posten nicht umsonst erreicht. Er weiß genau, wo er ansetzen muss, um einen störrischen Kadetten kleinzukriegen. Körperliche Gewalt braucht er allerdings nicht; er macht das geschickter, mit einer Mischung aus Demütigung und Erpressung, der Alberto nichts entgegenzusetzen hat.



    Boa wird interessanter, aber er bleibt ein Mitläufer, er lehnt sich nicht gegen Jaguar auf. Er zweifelt zwar stark an Jaguar, aber wie im Kapitel 5 zu sehen war, ist er doch nicht bereit, sich gegen ihn zu stellen, wie alle anderen.


    Oh ja, er bleibt weiterhin ein Mitläufer. Aber zumindest innerlich gewinnt er Abstand von Jaguar. In ihm tut sich was, er beginnt, nachzudenken. Gut ist das meiner Meinung nach dargestellt als er öfter die Phrase "der Sklave - ich meine, Ricardo" benutzt.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Ich habe auch fleißig weitergelesen und bin jetzt in Teil II/3. Kapitel. Da ich mich eine Weile nicht gemeldet habe, hier mal meine Gedanken bis dahin.


    Von der Ermordung Ricardos am Ende des ersten Teils war ich nicht überrascht, da es mir im Klappentext schon angekündigt wird. Über die Ausführung war ich dann aber erstaunt, ich hatte das Ganze aus Täterperspektive erwartet. Die genauen Umstände bleiben so erst einmal im Dunkeln, das gefällt mir. Wobei mich wundert, dass man nicht bemerkt, dass die tödliche Kugel gar nicht aus Ricardos Gewehr stammt. Soetwas müsste sich ja wirklich feststellen lassen, eventuell sogar aus welchem Gewehr die Kugel stammt. Aber den Verantwortlichen geht es ja eh nur darum, die Sache zu vertuschen. Ein starkes Stück ist, dass sie die Sache auch noch so darstellen, als trage Ricardo selbst Schuld daran.


    Ich bin immer noch davon überzeugt, dass Tere und Teresa ein und dieselbe Person sind. Wer Teres Freund ist, war mir aber lange Zeit unklar. Am Anfang dachte ich, dass es Ricardo ist, nach einer Weile glaubte ich, es sei Boa. Mittlerweile bin ich überzeugt, dass es der Jaguar sein muss. Von ihm erfährt man sonst fast nichts (Innenleben schon gar nicht) und irgendwie braucht er ja auch noch eine Perspektive. Es würde auch Sinn machen, da er durch Higueras so langsam auf die schiefe Bahn gerät. Mir gefällt, dass man die Zusammenhänge so nach und nach erkundet und dass ich meine bisherigen Annahmen ab und an völlig über den Haufen werfen musste.


    Boa wird, finde ich, immer interessanter. Die Abschnitte mit ihm lese ich mittlerweile sehr gern, man erfährt plötzlich, dass er in Wirklichkeit anders tickt, als bisher angenommen. Dass er dem Jaguar auch nicht grün ist, hat mich überrascht, hatte ich ihn doch bisher für einen seiner engsten Vertrauten gesehen. Nun stellt sich heraus, dass er doch mehr Mitläufer als Mittäter ist.


    Bei Alberto habe ich ebenfalls den Verdacht, dass er selbst Ricardo an den Jaguar verraten hat. Bei den Offizieren bin ich mir nicht sicher, inwieweit sie über die Situation der Kadetten im Bilde sind. Dass sie völlig ahnungslos sind, was in den Schlafsälen (und auch sonst) abläuft, kann ich mir aber kaum vorstellen. Das ihnen das ganze Ausmaß nicht bekannt ist, halte ich aber doch für wahrscheinlich.


    Teniente Gamboa macht auf mich bisher einen guten Eindruck, ich glaube, dass er wirklich daran interessiert ist, die Sache aufzuklären. Mit dieser Haltung wird er vermutlich sehr bald anecken, genau wie Alberto. Ich bin gespannt!

    Einmal editiert, zuletzt von Thanquola ()

  • Mittlerweile bin ich durch, möchte aber den Epilog noch einmal lesen, bevor ich etwas dazu schreibe. Der hat mich doch etwas überrascht.

    Wir sind irre, also lesen wir!

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()

  • Hallo!


    Ich wollte mich nur mal zwischenmelden. Ich bin auch durch, habe aber leider meinen Laptop, das Buch und die Notizen bei meinen Eltern vergessen. Nächste Woche fahre ich hin und schreibe dann noch was zu diesem wirklich tollem Buch!


    Liebe Grüße
    nikki

    Ich lese gerade:<br />Lion Feuchtwanger - Der jüdische Krieg

  • Hallo zusammen,


    spät aber doch kommen noch meine abschließenden Bemerkungen.


    Kapitel 6: Gamboa führt eine glückliche, funktionierende Ehe, ist aber auf dem besten Weg, seiner Karriere ein Ende zu setzen. Das Gespräch zwischen dem Coronel und Alberto war sehr aufschlussreich. Der Coronel verlangt Beweise für Albertos Anschuldigungen. Dieser kann keine vorbringen, was dem Coronel die Chance für eine Offensive bietet: er konfrontiert Alberto mit seinen Erotikgeschichten und droht ihm mit Rausschmiss und Psychiater. Dann kommt der Meisterzug: wenn Alberto alle Anschuldigungen fallen lässt, sich für den Rest des Schuljahres gut benimmt, werden die Geschichten verbrennt und niemand erfährt etwas davon. Alberto zieht daraufhin seine Anzeige zurück und lässt somit auch Gamboa im Stich. In der Zelle trifft er auf Jaguar und sagt ihm, er habe ihn denunziert. Gleichzeitig erfahren wir auch, dass Jaguar und Higueras bei einem ihrer früheren Überfälle verraten wurden. Higueras wird geschnappt, kommt ins Gefängnis und Jaguar landet auf der Straße.


    Im Kapitel 7 erfahren wir, dass der Vorfall aus dem Register gelöscht wird. Gamboa muss sich für seine Vorschriftentreue verteidigen. Die Devise lautet , Abwarten und Tee trinken, mit der Zeit löst sich alles. Gipfel der Ironie ist die Aussage vom Capitán, dass schlussendlich die Gerechtigkeit gesiegt habe.
    Alberto und Jaguar dürfen nun auch in den Schlafsaal zurück. Jaguar schwört, nicht gewusst zu haben, dass Arana Cava verraten hat. Er macht es sehr glaubwürdig, wusste er es wirklich nicht?
    Auch Szenen aus Jaguars Jugend kommen wieder vor. Nachdem er von Zuhause geflohen ist, geht er zu seinem Paten. Dort wird er ziemlich ausgenutzt, muss sehr viel arbeiten und wird auch von der Frau des Paten zum Beischlaf genötigt.


    Kapitel 8 war wiederum sehr interessant und spannend. Jaguar und Alberto sind wieder im Schlafsaal. Schnell wird Jaguar beschuldigt, die Mitschüler verraten zu haben. Nur Boa steht zu Jaguar. Hier zeigt sich, dass er mehr als nur ein Mitläufer war, scheinbar empfand er Jaguar trotz aller Zweifel als einen Freund. Alberto wird unruhig, da er fest damit rechnet, Jaguar wird alles erzählen; dass er der Denunziant ist, aber der Jaguar schweigt. Er lässt die Beschimpfungen über sich ergehen. Am Schluss schreit der ganze Saal „Verräter!“, auch Alberto. Jaguar bleibt stumm, er selber will kein Denunziant sein. Vielmehr ist er tief enttäuscht von seinen Kameraden, da er alles für sie getan hat und nun lassen isie hn einfach so fallen.


    Das Epilog spielt am Ende des Schuljahres. Gamboa unterhält sich mit Jaguar. Dieser hat ihm einen Zettel geschrieben, wo er zugibt, Jaguar ermordet zu haben. Der Grund warum er diese Beichte ablegt, ist dass er inzwischen erkannt hat, wie es ist, ein Außenseiter zu sein, ein unbeliebter Teil innerhalb einer Gruppe. Aus diesem Grunde empfindet er so etwas wie Reue. Gamboa winkt aber ab, er will mit der Geschichte nichts mehr zu tun haben.
    Alberto findet nach Schulschluss Zugang zu seiner alten Clique. In diesem Kreis weiß man nichts von seinen Jahren in der Kadettenschule; immer mehr kann er Arana aus seinen Erinnerungen verdrängen. In dieser Umgebung hatte er wieder seine Zukunft erlangt.
    Jaguar sucht nach dem Schulschluss Terese auf. Bei ihnen kommt es zu einem Happy-End, sie heiraten. Er erzählt das alles in der Schlussszene Higueras. War Higueras sein einziger wahrer Freund, der ihm durch Verrat entrissen wurde? Nach dieser Szene startete seine Odyssee und hier liegt auch sicherlich der Grund seines Hasses Denunzianten gegenüber. Ich glaube aber nicht, dass er ihm oder Terese von der Geschichte mit Arana erzählt hat.



    Dieser Schluss lässt viel Raum für Spekulationen offen: Wie können Jaguar und Alberto diese Vergangenheit scheinbar so leicht vergessen? Ist Jaguar nur kaltblütig, empfindet er keine Reue? Er unterscheidet zwischen Denunziation aus Feigheit (Arana) und Denunziation aus Rache (Alberto). Irgendwie ist er mir trotz all der Gräueltaten sympathischer gewesen als Alberto; was mich irgendwie erschreckt. Schwergefallen ist mir manchmal auch, mir hier 15-16-jährige Burschen vorzustellen; v.a. Jaguar schien mir in seinem Benehmen viel reifer, viel erwachsener. Der Mord wird schlussendlich nicht geahndet. Alberto sagt nichts, Jaguar stellt sich nicht. Hat er die Lektion fürs Leben gelernt? Hätte er Aranas Situation verstanden, hätte er ihn glaube ich nicht getötet. Er hätte Aranas Motivation verstanden. Für Arana waren sie keine Kameraden, sondern Feinde – dadurch kann man sein Motiv in einem anderen Licht sehen. Ich glaube, Verräter bleiben für Jaguar noch immer verabscheuungswürdige Personen, aber ich glaube nicht, dass er noch einmal zu solch drastischen Maßnahmen greifen würde. Alberto wird wohl sein Inginieurstudium in den USA antreten und die Geschichte als eine unglückliche Episode aus seiner Vergangenheit abhacken. Auch ziemlich kaltblütig.


    Insgesamt ein tolles Buch, das sich um Themenkomplexe Erwachsenwerden, Freundschaft, Außenseitertum, Denunziation, Feigheit, Rache, Loyalität und Gruppendynamik dreht und eingebettet ist in Lima der 1950-er Jahre. Sehr empfehlenswert!


    @mombour, Du hast Recht, António Lobo Antunes ist ein wahrer Meister von verwirrender - aber lohnender - Polyphonie. Auch ein sehr empfehlenswerter Autor.


    Liebe Grüße
    nikki

    Ich lese gerade:<br />Lion Feuchtwanger - Der jüdische Krieg