Tess Gerritsen - Leichenraub

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 4.546 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von British_Soul.

  • Tess Gerritsen - Leichenraub


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Inhaltsangabe:


    Die Haupt-Geschichte ist in eine Rahmenhandlung gestellt, welche in der heutigen Zeit in Boston spielt: Julia Hamill, die immer noch unter ihrer Scheidung leidet, hat sich ein altes Haus gekauft, das sie selbst renovieren will. Beim Unkraut jäten stößt sie in ihrem Garten auf das Skelett einer Frau, die Anfang des 19. Jahrhunderts hier vergraben wurde und die keines natürlichen Todes gestorben war. Julia macht sich auf die Suche nach der Identität der Toten.


    Im Boston des Jahres 1830 muss die junge, irische Einwanderin Rose Conolly mit ansehen, wie ihre Schwester Aurnia an Kindbettfieber stirbt. Da Aurnias Mann es ablehnt, das Kind anzunehmen, beschließt Rose, es nicht in ein Säuglingsheim zu geben, sondern es selbst aufzuziehen.
    Doch dann geschehen seltsame Dinge. Fremde Menschen erkundigen sich nach dem Neugeborenen und Rose muss sich selbst und das Kind in Sicherheit bringen. Von dem medizinischen Personal, das bei der Entbindung dabei war, werden zwei Personen ermordet, ein Arzt verschwindet spurlos. Hilfe erhält Rose von dem Medizinstudenten Norris Marshall, der wegen seiner bäuerlichen Herkunft ein Außenseiterdasein unter seinen Kommilitonen führt und der sein Studium als illegaler „Auferstehungsmann“ – Leichenräuber – finanzieren muss.
    Aber eines Tages kommen die Verfolger den beiden sehr nahe ...


    Der erste Satz:


    „So also endet eine Ehe, dachte Julia Hamill, während sie die Schaufel in die Erde stieß.“


    Meine Meinung zum Buch::


    Der Hauptteil des Buches macht die Geschichte um Rose Conolly und den Medizinstudenten Norris Marshall aus.
    Zu Beginn sind beide Charaktere eher eindimensional beschrieben, aber im Laufe der Zeit gewinnen beide an Tiefe hinzu. Gerritsen verteilt die Informationen über Herkunft und Motive ihrer Hauptpersonen über das ganze Buch hinweg, und so erfährt man auch am Schluss noch Details, die überraschen und die das bisherige Bild, das man sich von den Personen gemacht hat, in eine andere Richtung lenken. Das war interessant und ist mir auch lieber, als wenn ich gleich am Anfang eines Buches mit Informationen zugeschüttet werde.
    Gleiches passiert mit den Nebenfiguren – jedenfalls die bedeutenderen von ihnen sind allesamt scharf gezeichnet, so dass man sich als Leser gut in sie hineinversetzen kann.
    Die Geschichte von Rose und Norris nimmt – ähnlich wie die Charakterisierung – eher langsam Fahrt auf, doch mit der Zeit nimmt die Spannung so zu, dass ich die zweite Hälfte des Buches in einem Rutsch auslesen musste. Gerritsen lässt den Leser mitfiebern, verrät aber nichts im Voraus. Für mich jedenfalls kam das Ende völlig überraschend, ich hatte zwar eine Person in Verdacht, aber das stellte sich dann als komplett falsch heraus.
    Da die Geschichte hauptsächlich im Krankenhausmilieu spielt, erfährt man fast nebenbei auch noch viel über die Medizin des beginnenden 19. Jahrhunderts. Gerritsen beschreibt die haarsträubenden Zustände in den Krankenhäusern und die unzureichenden Möglichkeiten der medizinischen Ausbildung der Zeit, als man noch nichts von Keimübertragung wusste. Die von den Studenten zu sezierenden Leichen mussten meistens illegal auf Friedhöfen ausgegraben werden - dies war so „normal“, dass es dafür eine Berufsbezeichnung gab: Auferstehungsmänner.
    Die Beschreibung der medizinischen Sektionen ist teilweise etwas gruselig, aber man kann es aushalten.


    Leider sind die Personen der Rahmenhandlung eher flach charakterisiert, sie geben wirklich nur einen Rahmen für die Geschichte von Rose und Norris ab. Das fand ich etwas schade, denn auch diese Geschichte ist interessant und ich hätte gerne etwas mehr über sie erfahren. Aber auch hier gibt es am Ende eine Überraschung, denn die Identität des weiblichen Skeletts ist wieder eine ganz andere als man die ganze Zeit vermutet.


    Ich gebe 4ratten


    Viele Grüße von Annabas :winken:

  • Deiner Bewertung kann ich weitgehend zustimmen. Mir gefällt an dem Roman die inhaltliche Dichte: viele direkt für die Geschichte wichtige Informationen, Füllstoff ist mir nicht aufgefallen. Die Gegenwartshandlung hätte sie sich schenken können. Das Buch besteht fast nur aus dem historischen Teil, und die Bezüge zur Gegenwart sind reichlich konstruiert.



    Das ist nur eine beispielhafte Kette. Und die Vorstellung, dass ich im Umfeld eines Hauses und seines Gartens nicht nur einen wichtigen Teil der Bostoner Geschichte lückenlos rekonstruieren kann, sondern dass sich direkt oder mittelbar beinahe alle wichtigen Figuren darauf beziehen lassen, halte ich für ebenfalls reichlich konstruiert. Aber gut erzählt hat Gerritsen ihre Geschichte.

  • Hallo mohan,


    so konstruiert kam es mir gar nicht vor. Es ist in meinen Augen nicht ein wichtiger Teil der Bostoner Geschichte, sondern "nur" die Geschichte der an der Handlung beteiligten Bostoner Familien. Und dass die Nachkommen der Familien noch in der Umgebung wohnen, ist nicht ganz ungewöhnlich - wenn ich in den Geburtsort meiner Oma fahre, bin ich auch mit der Hälfte des Dorfes irgendwie verwandt. :smile:


    Viele Grüße von Annabas

  • Morgen Annabas,


    natürlich ist diese Beziehungsenge möglich, mit kommt es eben nur etwas sehr "eng" vor in einer Stadt wie Boston. Du beziehst Dich auf ländliche Strukturen. Aber Boston hatte zur Zeit, in der der historische Teil der Geschichte beginnt, bald 80.000 Einwohner. Um die Zeit, aus der das Haus stammt, waren es rund 360.000 Einwohner.


    Und um einen wichtigen Teil der Bostoner Geschichte scheint es sich auch zu handeln: Im Museum gibt es eine Ausstellung, in der auch Grenville vertreten ist. Wissenschaftler stehen beim Institut Schlange, um den Karton mit Material sichten zu können, den Henry und Julia der Stadt schenken. Material über einen der prominentesten Bürger Bostons und wichtigsten Ärzte der Medizingeschichte.


    Ich will das Buch ja nicht runtermachen, es zu lesen hat mir ja sogar Spaß gemacht.


    Viele Grüße,
    mohan

  • Meine Meinung zu dem Buch:


    Ich hab das Buch nun auch zu Ende gelesen, und Tess Gerritsen hat mich mal wieder nicht enttäuscht.
    Ein sehr tolles und spannendes Buch.


    Was ich aber gleich mal vorab sagen muss:
    Wer hier eine übliche Rizzoli & Isles Geschichte erwartet, liegt falsch. Dr. Maura Isles kommt nur am Anfang ganz kurz vor, im restlichen Buch sind Rose Conolly im 19. Jahrhundert, und Julia Hamill die Hauptdarsteller. Der Klappentext täuscht meiner Meinung nach bei dem Buch ein wenig. Also auch jemand, der mit Rizzoli und Isles nicht viel anfangen kann, oder die vorherigen Bände nicht gelesen hat, kann hier bedenkenlos zugreifen.


    Julia Hamill findet in der Gegenwart Knochen in ihrem Garten und macht sich auf die Spurensuche und stößt dabei auf die spannende und schockierende Geschichte von Rose Conolly und Norris. Die zwei lernen sich im 19. Jahrhundert kennen. Rose hat ein schweres Schicksal, ihre Schwester stirbt bei der Geburt ihrer Tochter und Rose entscheidet nimmt die Tochter auf, obwohl sie selbst mittellos ist. Norris Marshall ist Medizinstudent und zum ersten Mal sehen sich die zwei am Totenbett der Schwester. In Boston geht der "West-End-Reaper" um und jagt Angst und Schrecken ein. Schon bald stellt sich die Frage: Ist er hinter Rose und ihrer Nichte her? Was hat Norris damit zu tun? Ich möchte natürlich nicht zu viel verraten, aber die Geschichte baut sich schön nach und nach auf, und man taucht immer mehr in die Vergangenheit ein. Julia taucht dann auch nur mehr in kurzen Zwischensequenzen auf, der Hauptteil der Geschichte liegt eindeutig in Boston im 19. Jahrhundert.


    Ich finde es interessant, wie Tess Gerritsen den Leser in diese Geschichte einführt und Stück für Stück "begleitet". Man hat von Anfang an das Gefühl mit dabei zu sein, es stellen sich kein schwieriger Einstieg und keine unerwarteten Längen ein. Mit den Hauptdarstellern ist man sowieso sofort auf Du und Du und die Nebendarsteller (z.B. Norris Studienkollegen) sind meiner Meinung nach ebenfalls sehr gut chrakterisiert.
    Die Krankenhausgeschichten des 19. Jahrhunderts sind teilweise schockierend und teilweise auch ziemlich grausig beschrieben (

    ), also nichts für einen leichten Magen *g*. Aber trotzdem auch interessant und faszinierend, eine andere Zeit eben.


    Das Ende kam für mich ebenfalls sehr überraschend, ich hätte den Mörder auch nicht erkannt und ab der Hälfte des Buches kann man es kaum mehr weglegen.


    Ich gebe 4ratten für einen soliden Thriller!

    "Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seinen Boden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände bedecken." (Hermann Hesse)

  • Ich habe das Buch gerade ausgelesen und kann mich den Meinungen hier weitesgehend anschließen.


    Normalerweise nerven mich bei Rahmenhandlungen grundsätzlich die Übergänge, also aus einer Geschichte herausgerissen und die nächste geschubst zu werden....das war hier gar nicht der Fall, obwohl die Rahmenhandlung längst nicht so spannend ist wie die Geschichte um Rose und Norris, aber der schrullige Henry hat es mir einfach angetan :breitgrins: Am liebsten hätte ich in den Kartons mitgekramt *eh eine schwäche für alte dokumente hat*


    Mir geht es da wie Annabas, wenn die Geschichte konstruiert ist, so ist es mir während des Lesens nicht aufgefallen oder vielmehr ist es für mich ohne Bedeutung, ohne die ganzen Beziehungen der Personen untereinander wäre die Geschichte irgendwie fad gewesen, gerade das macht doch die Verblüffung am Ende aus :smile:


    Mir hat das ganze Buch jedenfalls sehr gut gefallen, es lässt sich leicht und flüssig lesen, ohne daß einen ständig Fehler oder Wiederholungen nerven, es ist durchweg spannend und daß es Wendell wirklich gab ist ein zusätzlicher Bonus, genau das richtige zum Entspannen.



    Ich vergebe


    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    ein bißchen Abzug gibt es, weil ich auch gern mehr über Julia, Henry und Tom gelesen hätte.

    LG Gytha

    “Dieses Haus sei gesegniget”

    Einmal editiert, zuletzt von Gytha ()

  • Hallo!


    Tess Gerritsen stand für mich bisher nur für Rizzoli und Isles und unter der Voraussetzung habe ich das Buch aus der Bücherei mitgenommen. Ich weiß, ich sollte ab und zu den Klappentext lesen :zwinker:


    Auch wenn die Geschichte nicht das war, was ich erwartet habe, hat sie mir sehr gut gefallen. Es ist immer schwierig, eine Geschichte zwischen zwei unterschiedlichen Zeiten hin und her springen zu lassen und ich finde, dass die Autorin das sehr gut gelöst hat. Es ging nicht darum, unnötig Spannung zu erzeugen, sondern Julia auf der Suche nach der Wahrheit zu begleiten. Dazu war manchmal das eine, manchmal das andere Jahrhundert notwendig.

    Die Beschreibung der medizinischen Zustände zu Roses Zeit hat mir gut gefallen. Ich konnte mir die Station im Krankenhaus gut vorstellen und auch die Ignoranz der studierten Mediziner ihr gegenüber. Lustig fand ich, dass der Leichenräuber genauso heißt wie ein Mann aus Edinburgh, der im 19. Jahrhundert tatsächlich wegen dieses Verbrechens hingerichtet wurde.


    Ich hätte das Buch nicht unbedingt bei den Krimis eingeordnet. Sicher, es geht hier um einen Mord, aber auch um Julias Suche nach der Wahrheit. Aber das ist meine persönliche Ansicht.


    Der erste Satz:


    „So also endet eine Ehe, dachte Julia Hamill, während sie die Schaufel in die Erde stieß.“


    Dieser Satz führt den Leser in eine ganz andere Richtung. Will Julia etwa ihren Mann vergraben? :breitgrins:


    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Es ist bei mir viel zu lange her, dass ich das Buch gelesen habe, aber der Eindruck, dass das Buch mir gefallen hat, bleibt. Ich glaube sogar, dass es mein erstes Buch von Tess Gerritsen war, das ich gelesen habe. Ich war damals beeindruckt, wie die beiden Geschichten von Gegenwart und Vergangenheit nebeneinander liefen und am Ende zusammen geführt werden. Darin ist Tess Gerritsen wahrlich eine Meisterin!
    Aber ein richtiger Krimi ist es für mich auch nicht.




    Dieser Satz führt den Leser in eine ganz andere Richtung. Will Julia etwa ihren Mann vergraben? :breitgrins:


    Ich dachte zuerst nicht, dass ich das Buch kenne wegen des ersten Satzes. Ich dachte daran, dass Julia entweder ihren Mann selbst begräbt oder gerade bei einer offiziellen Beerdigung ist. :breitgrins:

  • Ich hab das Buch auch gerade gelesen. Normalerweise lese ich keine historischen Romane, liebe aber alles, was mit Medizin zu tun hat. Deshalb hat mir die Geschichte, die im Jahr 1830 spielt, super gefallen. Ich hab sogar ne ganze Menge gelernt, z.B. dass es Leichenräuber gab, die für die medizinische Forschung absolut unerlässlich waren. Sehr interessant. Ich denke, die Rahmenhandlung der Gegenwart hätte man auch gut weglassen können, sie war für die eigentliche Haupthandlung völlig unwichtig. Auch das Auftreten von Maura Isles hätte man sich sparen können.


    Aber insgesamt ein tolles Buch, guter Schreibstil, gute Protagonisten.


    Von mir gibt es 4ratten und :marypipeshalbeprivatmaus:

    Bücher kaufen und Bücher lesen sind zwei völlig verschiedene Hobbys.

  • An sich kann ich kaum etwas hinzufügen.
    Mir war nach einem Krimi und ich liebe Handlungen, die um 1800 spielen – dementsprechend war ich gut unterhalten! Die Geschichte ist spannend, wenngleich ich doch eher zum Lager „letztlich etwas zu konstruiert“ tendiere. Damit zusammenhängend hätte mir auch nur die historische Handlung ausgereicht.
    Das damalige Setting und die gesellschaftlichen Umstände haben mich von Anfang an gefesselt – die Medizin, Kenntnisse der Hygiene, Ausgraben von Toten für die Medizinstudenten, … Alles gepaart mit einer nervenaufreibenden Handlung und kämpferischen Protagonisten.


    Gerritsen verteilt die Informationen über Herkunft und Motive ihrer Hauptpersonen über das ganze Buch hinweg, und so erfährt man auch am Schluss noch Details, die überraschen und die das bisherige Bild, das man sich von den Personen gemacht hat, in eine andere Richtung lenken.


    Das gefiel mir auch außerordentlich gut. Es ist, als würde man die beiden selbst Stück für Stück kennenlernen und befände sich mittendrin. Was alleine schon durch die anschaulichen Beschreibungen vom ersten Moment an klappt. Es gibt wenige Autoren, bei denen ich solche Visualisierungen vor Augen habe.


    Knapp 4ratten

    Es geschah kurz nach Anbruch des neuen Jahres, zu einem Zeitpunkt,

    als die violetten und gelben Blüten der Mimosenbäume rings um die Ambulanz

    aufgesprungen waren und ganz Missing in Vanilleduft gehüllt war.


    Abraham Verghese – Rückkehr nach Missing