François Mauriac - Fleisch und Blut

Es gibt 8 Antworten in diesem Thema, welches 5.076 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Breña.

  • Claude, der Sohn des Verwalters eines Weinguts, bricht seine Ausbildung zum Pfarrer ab und kehrt zurück in sein Elternhaus. Dort erwartet man die Ankunft des neuen Besitzers, Monsieur Dupont-Gunther, sowie seiner Tochter May und seines Sohnes Edward. Claude und May verlieben sich ineinander, verbergen ihre Gefühle aber hinter religiösen Diskussionen. Hinzu kommt, dass May dem unsympathischen Sohn eines Geschäftspartners ihre Vaters versprochen ist. Edward, ein selbstgefälliger Lebemann, der sich als Künstler versucht und mit Selbstmord liebäugelt, bändelt derweil mit der Tochter der Hausdame, Edith Gonzales, an. Diese wiederum verfolgt ergeizige Ziele und verspricht sich nicht nur Liebe sondern vor allem gesellschaftliches Ansehen aus der Verbindung mit Edward.


    So entfalten sich zahlreiche Verwicklungen vor dem Leser, immer durchsetzt mit moralischen und religiösen Diskussionen. Gut, das Buch wurde 1920 geschrieben und entsprach sicherlich dem Nerv der Zeit. Mir war es allerdings zuviel des Guten. Manchmal lese ich diese verstaubten Geschichten mit ihrer blumigen Sprache gern, aber dieses Buch hat mich jetzt für eine Weile kuriert. Ich sehe es mal als ein Sittengemälde des frühen 20. Jahrhunderts der französischen "Linkskatholiken" (ja, ich habe gelernt, dass Mauriac ein Vertreter derselben war, weil er der katholischen Soziallehre anhing).


    Mauriac bekam den Nobelpreis 1952 "für die durchdringende Seelenkenntnis und künstlerische Intensität, womit er in der Form des Romans das Drama des menschlichen Lebens deutet". Ich hoffe, dass seine späteren Romane etwas mehr Kenntnis und Intensität aufweisen als dieser hier.


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Hallo Bre~na,


    (Anders kriege ich den Kringel leider nicht hin!).
    Den von dir beschriebenen Roman las ich vor mindestens zwei Jahrzehnten und kann mich kaum mehr an den Inhalt erinnern, dagegen gut daran, dass er bei mir denselben Leseeindruck hinterlassen hat wie bei dir. Ein aufgeblasen-moralisch-religiöses Getue, das heute nicht mehr glaubwürdig wirkt und vor dem ich, selbst bei Bedenken des historischen Kontextes während der Lektüre oft den Kopf schütteln musste.
    Ich las auch noch einen zweiten Roman dieses Autors: "In diesen Kreisen"; Für den gilt das Gleiche.
    Im Gegensatz zu Julien Green, der aus einer ähnliche Richtung kommt, scheint Mauriacs Werk zumindest für unsere heutige Geisteswelt überholt zu sein.


    HG
    finsbury

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Was den Inhalt angeht, habe ich Breñas Ausführungen nichts hinzuzufügen. Ich habe es ziemlich diagonal gelesen, und selbst damit hat es mich ziemlich genervt. Natürlich herrschten zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch andere gesellschaftliche Zwänge, die z. B. eine Ehe zwischen Claude und May quasi unmöglich machten, daher war es nicht verwunderlich und nur konsequent, daß May in die arrangierte Ehe gerät. Ob ich ihre Hinwendung zur Religiösität glaubhaft finden soll, will ich nicht entscheiden, dafür interessiert mich diese Frage einfach nicht genug. Wirklich den Kopf geschüttelt habe ich über Edward. Er ist schließlich ein gutsituierter und gutaussehender Mann. Was zum Kuckuck läßt ihn mit Selbstmordabsichten spielen? Ich konnte ernsthafterweise keine Motive dafür ausmachen, aber letztlich interessiert mich das auch nicht mehr als Mays Schicksal. So bleibt im wesentlichen zu verbuchen, einen weiteren Literaturnobelpreisträger kennengelernt zu haben und zu wissen, daß dieses Buch das einzige von ihm bleiben wird.


    1ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen


  • Wirklich den Kopf geschüttelt habe ich über Edward. Er ist schließlich ein gutsituierter und gutaussehender Mann. Was zum Kuckuck läßt ihn mit Selbstmordabsichten spielen? Ich konnte ernsthafterweise keine Motive dafür ausmachen,


    Wenn man Wilperts Literaturlexikon glauben schenken darf :zwinker: geht es um die Spannungen zwischen Heidentum - Christentum; d. h., Die Natur des Menschen neige zum animalischen, zur Leidenschaft und Sünde. Nur durch die christliche Gnade kann der Mensch errettet werden. Claude, weil er die dunklen Triebe übermächtig fühlt, bricht sein Priesterstudium ab und verliebt sich in May. Deswegen bekommt Claude Schuldgefühle, weil er sich von Gott abgewandt hat. Weil May nun jemand anders heiratet, leidet Claude aus Eifersucht darunter, und will, dass May sich von den sexuellen Begehrlichkeiten abgestoßen fühlt und sich ihm, Claude, der reinen Jugendliebe zum Trost zuwendet. Da Claude aber nach May's Hochzeitsnacht sie als glückliche Ehefrau wahrnimmt, deswegen trägt er Selbstmordabsichten. Claude wird nur durch die christliche Gnade errettet.


    Der Roman ist also nur aus der strengkatholischen Sicht zu verstehen. Weil wir heute lockerer Denken, wirkt er auf uns so weltfremd.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Wenn man Wilperts Literaturlexikon glauben schenken darf :zwinker: geht es um die Spannungen zwischen Heidentum - Christentum; d. h., Die Natur des Menschen neige zum animalischen, zur Leidenschaft und Sünde. Nur durch die christliche Gnade kann der Mensch errettet werden. Claude, weil er die dunklen Triebe übermächtig fühlt, bricht sein Priesterstudium ab und verliebt sich in May. Deswegen bekommt Claude Schuldgefühle, weil er sich von Gott abgewandt hat. Weil May nun jemand anders heiratet, leidet Claude aus Eifersucht darunter, und will, dass May sich von den sexuellen Begehrlichkeiten abgestoßen fühlt und sich ihm, Claude, der reinen Jugendliebe zum Trost zuwendet. Da Claude aber nach May's Hochzeitsnacht sie als glückliche Ehefrau wahrnimmt, deswegen trägt er Selbstmordabsichten. Claude wird nur durch die christliche Gnade errettet.


    Claude konnte ich sogar verstehen, auch wenn ich seine Bedenken, Gefühle etc. nicht teile, und er hegt auch keine Selbstmordabsichten. Mein Kopfschütteln gilt Mays Bruder Edward :zwinker:


    Schönen Gruß,
    Aldawen


  • Wirklich den Kopf geschüttelt habe ich über Edward. Er ist schließlich ein gutsituierter und gutaussehender Mann. Was zum Kuckuck läßt ihn mit Selbstmordabsichten spielen?


    In Künstlerkreisen war es zum Fin de Siécle "in" Selbstmordabsichten zu folgen, und wenn ich es richtig verstanden habe passt der Roman zeitlich gerade eben noch dort hinein, spielt also kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Und der liebe Edward treibt sich schließlich in der Pariser Bohème rum. Leider ermüdet er durch sein leeres Geschwätz nur, und in den Salons ist er dank Edith auch irgendwann nicht mehr gern gesehen. Was bleibt ihm anderes übrig als entweder seinem Gerede Taten folgen zu lassen oder sich dem verhassten Lebensstil seines Vater zuzuwenden?
    Und ganz ehrlich: ich hätte mir in einem Roman von Mauriac schon viel eher die Kugel gegeben...



    Ich als auch noch einen zweiten Roman dieses Autors: "In diesen Kreisen"; Für den gilt das Gleiche.


    Auch ohne deine Warnung hätte ich in Zukunft einen großen Bogen um Mauriac gemacht :zwinker: (allerdings wollte ich Greens Leviathan noch lesen und bin nun etwas demotiviert...). Übrigens habe ich interessehalber mal nach dem Buch gegoogelt und auf verschiedenen Seiten Lobeshymnen darüber gelesen. :vogelzeigen:


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges


  • In Künstlerkreisen war es zum Fin de Siécle "in" Selbstmordabsichten zu folgen, und wenn ich es richtig verstanden habe passt der Roman zeitlich gerade eben noch dort hinein, spielt also kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Und der liebe Edward treibt sich schließlich in der Pariser Bohème rum. Leider ermüdet er durch sein leeres Geschwätz nur, und in den Salons ist er dank Edith auch irgendwann nicht mehr gern gesehen. Was bleibt ihm anderes übrig als entweder seinem Gerede Taten folgen zu lassen oder sich dem verhassten Lebensstil seines Vater zuzuwenden?


    Ok, so gesehen ist es logisch, ja.



    Und ganz ehrlich: ich hätte mir in einem Roman von Mauriac schon viel eher die Kugel gegeben...


    Stimmt auch wieder :breitgrins::five:

  • Hallo Bre~na,


    Auch ohne deine Warnung hätte ich in Zukunft einen großen Bogen um Mauriac gemacht :zwinker: (allerdings wollte ich Greens Leviathan noch lesen und bin nun etwas demotiviert...).

    ,


    das hat aber der "Leviathan" nicht verdient. Der spielt in einer ganz anderen, deutlich überzeitlicheren Liga. Mag sein, dass man ihn nicht in allem mag, tu ich auch nicht, aber das ist ein sehr intensives , lohnenswertes Buch mit Verstrickungen, dieauch unsereiner noch nachvollziehn kann.


    HG
    finsbury

  • Hallo finsbury,



    das hat aber der "Leviathan" nicht verdient.


    Wenn er mir über den Weg läuft (noch liegt er nicht auf dem SuB), werde ich ihn nicht verschmähen, versprochen! Du wirst dann erfahren, wie ich ihn fand. :zwinker:


    Viele Grüße
    Breña


    P.s. In diesem Thread gibt es Hinweise, wie du an die Sonderzeichen kommst. Falls du Firefox-Nutzer bist, lohnt sich das dort erwähnte PlugIn!

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges