Julie Harris – Der lange Winter am Ende der Welt

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    Inhalt: Als Kind macht John Robert Shaw erste Bekanntschaft mit dem Fliegen, als in der Nachbarschaft ein Flugplatz entsteht. John lernt vom Betreiber Billy das Fliegen und entkommt damit auch den etwas tristen familiären Verhältnissen. Der Vater ist bei einem Unfall ums Leben gekommen, die Mutter arbeitet sich für John und seine Schwester Meg, die Tänzerin werden will, ab. Später gründet John mit seinem Freund Bobby zusammen eine Fluggesellschaft, vor allem für Frachttransporte. Bei einer Flugschau verunglückt Bobby tödlich. 1926 setzt John zu einem Alleinflugrekord durch die USA an, gerät in einen Sturm und gilt jahrelang als verschollen. Tatsächlich wurde er aber von einer Inuitgruppe gefunden und aufgenommen. Durch den Unfall und die unzulängliche medizinische Versorgung bleiben Schäden: ein verlorener linker Arm, Sehbeeinträchtigungen, eine Gehbehinderung. Aber er setzt sich durch, unterstützt vor allem von der engeren Familie des Schamanen Asuluk, mit dessen Tochter Kioki John eine Familie gründet. 1943 wird die Gruppe im Zuge der Kriegshandlungen evakuiert und damit überhaupt erst erfaßt. John wird von seiner Familie getrennt, kehrt zurück nach South Carolina zu seiner Schwester, nur um festzustellen, daß er in dieser Welt nicht mehr leben kann.



    Meine Meinung: Erzählt wird Johns Geschichte teils von ihm selbst, er führt nämlich Aufzeichnungen bei den Inuit, in denen er sein Leben Revue passieren läßt, teils von einer Erzählerin, die John nach der Evakuierung im Krankenhaus kennenlernt und die seine Aufzeichnungen abtippt. Dabei war der Anteil über das Leben bei den Inuit für meinen Geschmack zu gering, ich hätte gerne mehr über die Bedingungen des Überlebens unter solchen klimatischen Bedingungen und ohne den Einsatz moderner Technik gelesen. Die 17 Jahre, die John dort zubringt, sind schließlich kein Pappenstiel, zumal er selbst auch zunehmend die Sprache lernt und einige der Inuit passables bis gutes Englisch von ihm lernen, das Verständigungsproblem also nicht über die ganze Zeitdauer trägt.


    Auch die Zeit nach der Evakuierung von der Insel war im Vergleich zum Rest enttäuschend kurz, zumal das meiste davon sich auch noch um Johns Aufenthalt im Süden dreht. Die Änderungen an der Lebensweise, die auch Asuluks Gruppe durch die Umsiedlung mitmacht, mitmachen muß, wird schließlich in wenigen Sätzen abgehandelt, ohne irgendwelche kritischen Reflexionen darüber, was es für diese Menschen bedeutet haben muß. Gut, das ist vielleicht auch nicht das zentrale Thema des Buches, aber angesichts dessen, daß John das bequeme Leben, das er im Süden bei seiner Schwester hätte führen können, bewußt für das karge Leben in der Arktis aufgibt, nur um feststellen zu müssen, daß es dieses Leben der letzten 17 Jahre nun auch nicht mehr gibt, hätte es doch einen größeren Raum einnehmen können und müssen.


    Aus der Erzählperspektive resultiert auch, daß bis auf John selbst alle Personen vergleichsweise blaß bleiben. Nachvollziehbar ist, daß sich viele seiner Gedanken um seine Mutter und Schwester drehen, schließlich muß er davon ausgehen, daß sie ihn für tot halten, obwohl er es nicht ist, diese Nachricht seine Angehörigen aber vermutlich nie erreichen wird. Warum er sich immer noch so an seinen toten Freund Bobby klammert, selbst noch, als er sich in die Inuitgruppe integriert hat, blieb für mich eher unverständlich. Allerdings war ich auch noch nie in einer solchen Extremsituation, vielleicht würde ich dann ähnlich reagieren.


    3ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Julie Harris: Der lange Winter am Ende der Welt

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    Den Inhalt hat Aldawen ja schon zusammengefaßt, daher hier gleich


    Meine Meinung:


    Bevor ich das Buch las, hatte ich Aldawens Rezension gelesen, die ja nicht besonders positiv klingt. Ich hatte also keine allzugroßen Erwartungen, und so konnte es dem Buch gelingen, mich sehr positiv zu überraschen. Ich fand das Buch dermaßen spannend, daß ich es in zwei Tagen durchgelesen habe.


    17 Jahre verbringt John Robert Shaw nach seinem Flugzeugabsturz bei einem Inuitstamm auf einer einsamen Aleuten-Insel ohne Kontakt zur sonstigen Zivilisation. Er wurde nach dem Absturz von den Inuit gefunden, gerettet und gesundgepflegt. Er braucht sehr lange, um sich von seinen Verletzungen zu erholen, sich an die rauhen Bedingungen auf der kargen, kalten Insel zu gewöhnen und sich als Fremder in das Leben in der Inuitgruppe einzufügen. Aber "Der lange Winter am Ende der Welt" ist nicht nur geographisch gemeint. Es ist vor allem der Winter in John Robert Shaw selbst, der außer seinen Erinnerungen nichts mehr hat, was ihn mit seiner vorherigen Lebenswelt verbindet. Er erinnert sich an sein Leben in South Carolina und Florida vor dem verhängnisvollen Flug, in dem es reichlich unverarbeitete Schicksalsschläge und offenbar sehr viel Unausgesprochenes gab, und er schreibt diese Erinnerungen nieder. Durch das einfache Leben am "Ende der Welt", durch seine Familie die er dort gründet, und durch die Freundschaft mit dem Schamanen Asuluk gelingt es John Robert allmählich, die Dämonen der Vergangenheit loszuwerden und zu sich selbst zu finden, Frieden zu finden. In der Arktis, wo es nichts Nebensächliches gibt, was ihn ablenkt, und alle für das Überleben aufeinander angewiesen sind, kann er sich auf die wirklich wichtigen Werte des Lebens besinnen. Nach und nach wird er zu einem geachteten und anerkannten Mitglied der Inuitgruppe, auch wenn er immer ein Fremdling bleibt.


    Unmerklich verändert er sich selbst, so daß es den Leser nicht wundert, daß John nach der Evakuierung der Insel im Jahr 1943 (bei der John von seiner Familie getrennt wird, und die Inselbewohner übrigens wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden) feststellt, daß er nicht mehr in die Welt des Amerika der vierziger Jahre paßt, die sich in den letzten 17 Jahren ohne ihn weitergedreht hat. So ist es nur folgerichtig, daß John, nachdem er das Schicksal seiner Mutter und Schwester aufgeklärt hat, erkennt wohin er gehört, und zurückkehrt zu seiner Inuitfamilie. (Das "bequeme Leben", das er bei seiner Schwester führen könnte, empfindet er vor allem als inhaltsleer - dort wird er als nutzloser Krüppel behandelt, der täglich seine Tabletten nehmen soll, und seinem Beruf als Flieger kann er sowieso nicht mehr nachgehen.)


    Ein wenig hat auch mich gestört, daß der Teil des Buches nach der Evakuierung ziemlich kurz abgehandelt wird. Hier sind manche Textstellen so knapp, daß sie schon nicht mehr verständlich sind (wurde da gekürzt? An manchen Stellen, auch als es um die Lebensweise der Inuit ging, habe ich mich auch gefragt, ob der Bericht wirklich authentisch oder nicht vielleicht doch erfunden ist.)
    Daß der Leser so wenig über das Leben der Inuit nach der Umsiedlung erfährt, hat mich dagegen nicht so sehr gestört. Das Hauptthema des Buches ist die Reise Johns zu sich selbst, und die ist bereits beendet.




    Warum er sich immer noch so an seinen toten Freund Bobby klammert, selbst noch, als er sich in die Inuitgruppe integriert hat, blieb für mich eher unverständlich.


    Das ist für mich nicht unverständlich. Bobby war sein Freund, mit dem er eng verbunden war und jahrelang zusammengearbeitet hat, und außerdem fühlt John sich schuldig, weil er Bobbys Tod nicht verhindern konnte. Das kann jemanden schon ein Leben lang beschäftigen.


    Von mir bekommt das Buch


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Viele Grüße
    Katja

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

    Einmal editiert, zuletzt von kaluma ()

  • Ich liege gerade krank im Bett und habe Zeit dieses Buch zu lesen. Ich bin schon beim letzten Drittel angekommen und gerade werden die Eskimos samt John evakuiert.


    Ich hatte hohe Erwartungen an das Buch, da zwei mir wichtige Personen meinten, dass es sehr lesenswert sei. Bisher finde ich es zwar ganz kurzweilig und nett, aber besonders toll ist es für mich nicht. Es ist relativ langatmig und unspektakulär geschrieben. Es geht viel um die Beziehungen der Menschen, aber dabei wird das Zwischenmenschliche nicht sehr differenziert betrachtet. Das Leben der Eskimos wird einem zwar nähergebracht, aber es bleibt häufig an der Oberfläche bzw. rutscht es in so etwas Esoterisches ab. Da bin ich mir auch unsicher inwieweit das Wahrheit ist oder Wunschvorstellung der Autorin.


    Na ja, ein paar Seiten habe ich ja noch vor mir, aber ich glaube die werden mein Bild nicht so sehr revidieren. Ich melde mich dann mit meiner endgültigen Meinung nochmal.

    Gruß suray

  • So, nun habe ich das Buch durch.


    Tja, es bleibt bei meiner oben geäußerten Meinung, obwohl ich zum Ende hin emotional doch noch recht stark in die Handlung reingerutscht bin. Ein paar Tränen musste ich auch vergiessen... :redface:


    Was Julie Harris bei mir aber gut geschafft hat ist, dass ich doch immer wieder geglaubt habe, dass es auch ein echter Lebensbericht sein könnte.


    Also, mein Fazit ist, dass es ein schönes Winterbuch und besonders als Bettlektüre bei Krankheit gut zu gebrauchen ist. :zwinker:


    Für dieses Buch gibt es


    3ratten


    von mir.

    Gruß suray

  • Soeben habe ich mit meinem Monatsrundenbuch begonnen. Offensichtlich basiert der Roman auf einer wahren Begebenheit. So richtig warm bin ich mit Julie Harris Schreibstil bis jetzt noch nicht, die Sätze wirken irgendwie abgehackt und aneinander gereiht. Zu ihrer Verteidigung muss ich allerdings zugeben, dass es direkt nach Kazuo Ishiguro "The Remains of the Day" wahrscheinlich jeder Autor schwierig bei mir hat. Ich bin einfach noch zu sehr in seinem Roman gefangen. Hoffentlich wird das kein Hangover :angst:

  • Vielleicht musst du dich erst einlesen. Ich habe das Buch vor mehreren Jahren gelesen und fand es gut - habe jetzt noch eine einigermaßen klare Erinnerung an das Schicksal von John William (hieß er so?), und das will etwas heißen, wenn so etwas sich mir einprägt. Meine Rezi schwirrt irgendwo in den Tiefen des Forums herum...


    Ich wünsche dir viel Spaß mit dem Buch!

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.


  • John William (hieß er so?)


    Fast, sein Name ist John Robert :zwinker:


    Mittlerweile habe ich mich in das Buch eingelesen. Es war wirklich ein ganz leichter Fall von "Hangover", der mir die ersten Seiten etwas vergällten. Die Grundstimmung ist bis jetzt die meiste Zeit melancholisch bis traurig, von John Roberts Zeit bei den, wie er sie nennt, Eskimos erfährt man noch nicht wirklich viel. Meistens erinnert sich an die Menschen, die ihm sehr viel bedeuten, und die Schicksalsschläge, die sie alle erdulden mussten. Dabei ergeht er sich nicht in Selbstmitleid, sondern betrachtet durchaus kritisch seine Handlungen.
    Ich bin gespannt, wie es weitergeht.

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    Inhalt:


    John Robert Shaw liebt vor allem eines: seine Familie und das Fliegen. Im Jahr 1926 versucht er einen Rekord im Alleinflug aufzustellen, gelangt dabei in einen Sturm und zerschellt auf einer entlegen gelegenen Insel, die von ihren Bewohnern Kulowyl genannt wird. Die dort ansässigen Inuit finden ihn und pflegen ihn wieder gesund. Nach 17 Jahren evakuieren amerikanische Soldaten die Insel und John muss sich erneut in einer völlig fremden Welt zurechtfinden.


    Meine Meinung:


    Die erste Hälfte des Buches behandelt die ersten zwei Jahre von John Roberts Aufenthalt auf der Insel. Er erholt sich nur langsam von seinem Flugzeugabsturz und verbringt seine wache Zeit damit, sich zu erinnern. Da ihn immer wieder Gedächtnislücken und -aussetzer quälen, schreibt er seine Erinnerungen auf, um nichts zu vergessen. So erfährt der Leser sehr viel von den Stationen seines Lebens, die ihn schließlich auf eine einsame Aleuten-Insel gebracht haben. Zu dieser Zeit wird er von Kioki aufopfernd gepflegt, während der Rest des Stammes ihn mehr oder weniger ignoriert. Er selbst hat sich mit seinem Absturz und den daraus resultierenden körperlichen Gebrechen noch nicht abgefunden und wünscht sich nichts sehnlicheres, als einen Weg von der Insel finden zu können.
    Es dauert Jahre, bis er nach und nach in die Gemeinschaft hinein wächst, Freundschaften schließt und von allen akzeptiert wird. Als er dann nach 17 Jahren im Zuge einer Evakuierung wieder in die Zivilisation zurück kehrt, entdeckt er relativ rasch, dass ihm diese Welt fremd geworden ist. Er sucht zwar seine Familie, die ihn für tot hält, entscheidet sich aber doch für sein jetziges Volk.
    Wie kaluma bereits so treffsicher geschrieben hat, handelt der Roman von einer Reise zu sich selbst. Ein Mann, der zuerst seinen Blick auf die Zukunft richtet und dann in die Vergangenheit, findet letztendlich einen Weg, im Hier und Jetzt zu leben. Die Grundstimmung des Buches ist melancholisch, aber nie deprimierend. Zwischen den Zeilen findet sich sehr oft ein feiner Humor und eine positive Sichtweise auf das Leben.


    Von mir erhält der Roman


    4ratten

  • Zu der Monatsrunde "Naturkatastrophen" war das Buch eine glatte Themenverfehlung. Der Sturm, der zum Flugzeugabsturz führt, wird in ein paar Sätzen abgewickelt und obwohl John Robert einen Großteil seines Lebens in einer unwirtlichen klimatischen Zone verbringt, erfährt man von der Autorin sehr wenig von der ihn umgebenden Natur und ihren Kräften.
    Meinen ersten Eindruck aufgrund der Einleitung, dass es sich um einen echten Lebensbericht handelt, möchte ich revidieren. Offensichtlich habe ich mich von einem Kunstgriff der Autorin in die Irre führen lassen :smile:
    Hier findet ihr meine Rezension: Julie Harris - Der lange Winter am Ende der Welt

    Einmal editiert, zuletzt von dodo ()