Colm Tóibín - Flammende Heide

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    Inhalt
    Hauptfigur dieses Romans des irischen Schriftstellers Colm Tóibín ist der alternde Richter Eamon Redmond. Vor dem Hintergrund eines besonders medienträchtigen Falles, den er zu entscheiden hat, stellt er sich - sicherlich nicht zum ersten Mal - Fragen von Recht, Unrecht und Moral und muss zusehen, wie sich diese Fragen über sein ganzes Leben ausweiten. In Kapiteln erfährt der Leser mehr oder weniger abwechselnd von seiner Gegenwart, die Arbeit am Gericht, im Sommerhaus verbrachten Tagen mit seiner Frau Carmel, Gesprächen mit seinem Sohn und seiner Tochter, die selbst einen kleinen Jungen großzieht, und von der Welt des kleinen Jungen Eamon mit seinem alleinerziehenden Vater, eingebettet in eine von jeher politisch sehr aktive Familie, der wie von selbst in die Strukturen von Fianna Fáil hineinwächst und als Teenager bereits seine erste Wahlrede hält.


    Meinung
    Die Sprache ist schnörkellos und unaufdringlich. Die Geschichte plätschert zunächst so dahin, und auch als schließlich dramatische Wendungen eintreten, ändert sich der Tonfall kaum. Er bleibt undramatisch, die großen Gefühle sind merklich, erahnbar, aber unter der Oberfläche.
    Eamon kam einem einerseits sehr nah, dann aber auch wieder nicht; ich hatte - wie in der Geschichte seine Ehefrau - das Gefühl, dass er jemand ist, dem man schwer nahe kommen kann, weil er sich so fürchterlich gut unter Kontrolle hat. Als sein Vater relativ früh in der Geschichte während des Gottesdienstes einen Schlaganfall erleidet, verfällt Eamon nicht in Panik, sondern geht, noch ein Kind, nach Hause und bereitet das Mittagessen zu, flüchtet sich in Routinen, vertraut darauf, dass sein Vater schon nach Hause kommen wird. Später in der Geschichte sagt er "Ich hatte furchtbare Angst", aber fühlbar wird das nur sehr entfernt unter seiner absoluten Selbstkontrolle, so wie es vielleicht für ihn selbst fühlbar ist. Daran ändert sich auch nichts, als er erwachsen und schließlich älter wird und das befremdete und berührte mich zur gleichen Zeit.
    Erschreckend und faszinierend zugleich die Parallelen: Die Erkrankung seines Vaters und später seiner Ehefrau oder, nur ein Detail von vielen, der Roman von Mrs. Gaskell, der in einem verfallenen Haus auftaucht und dann, ganz unvermutet und 200 Seiten später, als Diebesgut aus der Bibliothek eines Engländers. Ich denke, davon wird sich noch sehr viel mehr finden, wenn ich das Buch noch einmal lese.


    Ich war von dem Titel schon sehr begeistert und muss sagen, die Geschichte dazu hat mich nicht enttäuscht. Deswegen viereinhalb Ratten!


    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Holunderbeere hat schon einiges von dem gesagt, was mir hier auch aufgefallen ist, vor allem der Verweis auf die unglaubliche Selbstkontrolle Eamons, die erst am Ende zusammenzubrechen droht. Er hat gelernt, mit sich selbst klarzukommen und sich nur auf sich zu verlassen, was aber auch heißt, sich niemanden anzuvertrauen. Das sagt er selbst in einem Gespräch mit seiner Frau Carmel: „Ich habe gelernt, nie etwas von jemandem zu brauchen.“ und „Ich glaube nicht, daß mich je jemand haben wollte.“ Wie sich Carmel bei dieser Aussage mitten in ihrer ersten Schwangerschaft gefühlt haben muß, kann man sich vielleicht vorstellen.


    Der Wechsel zwischen den Zeiten im Leben Eamons führt zu einer Vielzahl von Parallelen und er bietet Ansätze auch zur Selbstreflexiion des Richters. Das ist schön aufeinander abgestimmt und sorgte für einen gewissen Sog beim Lesen, von dem ich mich gern habe mitreißen lassen. Alle Rückbezüge und vor allem die Vorausdeutungen kann man bei der Erstlektüre kaum mitbekommen, daher wäre eine Wieholek sicher nicht verkehrt.


    Es ist sicher auch vorteilhaft, wenn man sich die Landschaft ein bißchen dazu vorstellen kann, ich war zwar in anderen Ecken Irlands unterwegs, aber das macht wohl nicht so viel. Außerdem habe ich mich zu verschiedenen Gelegenheiten mit irischer Zeitgeschichte und aktuellerer Politik beschäftigt, so daß ich auch die diesbezüglichen Äußerungen und Erzählungen ganz gut einordnen konnte, was aber für den Roman im Detail nicht essentiell ist, sondern vor allem eine zusätzliche Farbe hineinbringt.


    4ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen