Ich habe das Buch mit Begeisterung gelesen. Das hat mehrere Gründe. Ich will versuchen, ein paar aufzuzählen, es ist aber auch schon wieder einige Monate her, dass ich es las. Die Eindrücke sind also nicht mehr ganz frisch.
Zum ersten hat mich diese eigenwillige Frau begeistert. Sie denkt und handelt sehr unabhängig - und bringt sich damit auch in etliche Schwierigkeiten, wie das dann so passieren kann. Ich finde sie sehr mutig, sie handelt nach ihren Überzeugungen und setzt sich für andere ein, denen Unrecht geschehen ist. Das ist eine Qualität, die nicht so häufig anzutreffen ist und mehr Unterstützung verdient hat.
Fräulein Smillas etwas verschrobene Art ihren "Luxuslebensstil" auszukosten, den sie im Detail genießt, obwohl sie ihn sich eigentlich gar nicht leisten kann, bringt mich eher zum Schmunzeln. Sie ist bei ihrer grönländischen, indigenen Mutter aufgewachsen, mit Fischfang, Eis und Schnee, ihr Vater ist Däne. In einer rationalen Welt, die indigene Völker als unzivilisiert bezeichnet und auf sie herabsieht, ist es nicht leicht "anders" zu sein und zu einem solchen Erbe zu stehen oder es auch nur in einen einigermaßen erfolgreichen Lebensstil zu integrieren. Peter Hoeg zeigt hier eine sehr individuelle Möglichkeit, mit solchen Verwerfungen umzugehen. Ohne das Geld des Vaters im Hintergrund, auf das sich ihr Selbstbewusstsein ein gutes Stück stützt, wäre eine Teilnahme an der "modernen" Welt kaum denkbar, vielleicht nur über eine gute Ausbildung, in der man "beweisen" kann, dass man keine "Wilde" ist. Soweit ich mich erinnere, hat Fräulein Smilla auch eine wissenschaftliche Ausbildung, wobei sie den Beruf aber nicht mehr ausübt, aufgrund diverser Schwierigkeiten wegen ihrer Eigenwilligkeit. Ausbildung allein reicht also noch nicht einmal zur Integration, wenn man seine Eigenart nicht ganz verleugnet.
Insofern ist das besondere Gespür für Schnee ein "Erbe" ihrer indigenen Herkunft, das so gar nicht in die rationale Welt passen will. Dafür ist es aber wie sich zeigt, recht überlebensfördernd und in mancher Hinsicht nützlich, um Dinge zu erfahren, die verborgen sind. Und es verleiht die Fähigkeit, sich in einer Welt zu orientieren, in der "zivilisierte" Menschen völlig hilflos sind. Fräulein Smilla überzeugt auch dadurch, dass sie ihre Herkunft nicht einfach verleugnet, sondern ihre besondere Gabe einsetzt, auch wenn sie kaum darüber spricht, verständlicherweise. Das Gespür für Schnee ist übrigens nichts Übernatürliches, sondern nur die Ausbildung einer sehr viel differenzierteren Wahrnehmung aller Phänome, die mit Wetter und Schnee zusammen hängen. Wenn ein Volk über lange Zeit in einer so lebensfeindlichen Klimazone lebt, bilden sich Fähigkeiten heraus, die nötig sind, um mit der Eigenart der Umgebung umgehen zu können. Das zeigt sich dann auch in der Sprache der Eskimos, die viele Wörter für Schnee besitzt, in seinen unterschiedlichen Qualitäten, eben weil Schnee allgegenwärtig und seine Beschaffenheit zu erkennen, überlebenswichtig ist. Völker, die in Wüstenregionen leben, haben z.B. sprachliche Möglichkeiten der Beschreibung von Bodenbeschaffenheiten entwickelt, die z.B. dazu dienen, in einer uns völlig eintönig erscheinenden Umgebung (ohne ausgewiesene Wege) die Lage von Wasserstellen zu beschreiben.
Dann wäre noch die Fähigkeit Hoegs zu erwähnen, mit einer bildhabften Sprache eine Athmosphäre zu erschaffen und Stimmungen zu erzeugen. Ich hatte das ständige Gefühl von Dunkelheit, eben die dunkle Jahreszeit in einer nördlichen Hemisphäre, die mit den Geschehnissen zusammen einen Eindruck vermittelt, der nach meinem Empfinden finsterer ist als im "Plan zur Abschaffung des Dunkels" von demselben Autor.
Vielleicht trägt zu diesem Eindruck auch die Verwirrung dazu bei, in die man beim Lesen öfters gerät, weil man die Handlungen und Zusammenhänge oft nicht gleich durchschaut und auch Schwieirgkeiten mit den verschiedenen Personen hat. Im Dunkeln sieht man nicht gut.
Das soll in den neuen Buch des Autors "Das stille Mädchen" noch viel schlimmer sein, so dass der Verlag ein Lesezeichen mit einer Liste der Personen beigelegt hat, auf dem man nachsehen kann, wer wer ist. Ich habe das Buch geschenkt bekommen und werde es auf alle Fälle bald lesen.
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Zurück zu Fräulein Smilla.
Dieser Widerspruch, auf den weiter oben im Thread hingewiesen wurde, zwischen der persönlichen Beziehung Fräuleins Smillas zu ihrem Nachbarn und der Namenlosigkeit dieser Person - "der Mechaniker", war mir noch gar nicht bewusst aufgefallen. Es ist aber ein interessanter Hinweis. Wie sich im Verlauf der Geschichte zeigt, ist der Mechaniker auch nicht der, für den er sich ausgibt und so ganz wird auch am Ende nicht klar, welche Rolle er genau spielt. Es bleibt der Verdacht, dass da noch mehr ist als sich zeigt. Dennoch auch hier dieser Gegensatz zwischen persönlich und anonym, oder Individualität einer Person bzw. Beziehung innerhalb anonymer Rahmenbedingungen, die das ganze Leben von Fräulein Smilla ausmachen, die versucht, einen Platz für sich und ihre persönliche "andere" Seite in der Welt der Rationalität mit anonymen Spielregeln zu leben. Auch irgendetwas, das verdeckt bleibt und bleiben muss. Ein Kampf, der sich im Dunkeln in der Verwicklung von Verbrechen austobt, eine würdige Bühne. Ich finde das Buch hat zurecht zwei Preise bekommen ( Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimi-Preis, Kategorie International 1995 und mit dem Silver Dagger Award der British Crime Writers´ Association 1994).
LG Zoe