Ingeborg Bachmann: Malina

Es gibt 7 Antworten in diesem Thema, welches 4.643 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Friedi.

  • Hallo,


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    Größtenteils ist es ein innerer Monolog einer Frau. Der Text wirkt wie ein Protokoll, wie eine Dokumentation über das seelische Innenleben einer Frau. Mit Malina wohnt sie in der Ungargasse 6 in Wien, III.Bezirk. Es stellt sich später heraus, das Malina nur ein Produkt ihrer Seelespaltung ist. Malina ist imaginär. Wenn sie mit Malina Dialoge führt, sind das in Wirklichkeit Selbstgespräche. In wieweit Ivan, wohnhaft in Ungargasse 9, real ist, muss ich mal offenlassen. Die Frau liebt Ivan, Ivan hat aber kaum Zeit für sie. Für die Frau bleibt Ivan eine Wunschvorstellung:


    „Ich denke an Ivan.
    Ich denke an die Liebe.
    An die Injektionen von Wirklichkeit.
    ......“


    Was Wirklichkeit ist und was Fantasie kann im zweiten Teil des Romans nur schwer, streckenweise auch gar nicht auseinandergehalten werden. In wahrhaft alptraumhaftem Monolog, der mit puzzlehaften Sequenzen von Kriegserlebnissen bestückt ist, erfahren wir die Ursache ihrer seelischen Verletzung, ihres Seelenmordes, von der rohen Gewalt, die der Vater ihr angetan hat. Krieg und Vater haben hier die dieselbe Bedeutung, nämlich Gewalt. Darum ist für die Frau der Krieg niemals zu Ende, weil sie unter der Gewalt, die ihr angetan wurde, ihr ganzen Leben lang leiden wird.


    Ihre Trauer macht sich auch bemerkbar durch ihre Kleidung. So sagt Ivan:

    „Das macht dich doch alt, was du machst
    Graue und braune Kleider machen dich alt
    Verschenk deine Trauerkleider ans Rote Kreuz
    Wer hat dir diese Grabkleider erlaubt?“


    Der Tod spielt eine große Rolle. Es ist so, als wolle die Protagonistin mit ihrem harten Schicksal versuchen fertig zu werden, in dem sie als Schriftstellerin sich mit „Todesarten“ beschäftigt. Aber sie wird nicht fertig damit, kann ihre Texte dem Verlag nicht abliefern, und Ivan kritisiert auch noch ihre „Obsession mit der Finsternis“.


    Sie ist einsam und allein, auch wenn sie Malina hat. Folgender Textauszug sagt mir, dass Malina irreal ist, eine Art Doppelgänger:

    „Ivan ist nicht gewarnt vor mir. Er weiß nicht, mit wem er umgeht, daß er sich befaßt mit einer Erscheinung, die auch täuschen kann, ich will Ivan nicht in die Irre führen, aber für ihm wird nie sichtbar, daß ich doppelt bin. Ich bin auch Malinas Geschöpf....“


    Dass Ingeborg Bachmann eine Lyrikerin war, erspürt man auch in diesem einzigen Roman. Zugegeben, der Text macht es dem Leser nicht leicht, weil es keine stringente Handlung gibt, keinen roten Faden. Außerdem kann hier viel interpretiert werden, da mag jeder Leser seine eigene Anschauung entwickeln. Es ist aber auch etwas großartiges, wenn ein Kunstwerk vielschichtig gedeutet werden kann (Ich denke an dieser Stelle auch an Kafka). Das andere ist dies, es gibt unendlich viele besonders beeindruckende Textpassagen, dass man davor niederknien möchte. Ein Sprachkunstwerk ersten Ranges. Ich denke, ich übertreibe nicht. Es ist wirklich grandios. So wird ein literarischer Text der Protagonistin zitiert, ein Märchen, und bewusst ändert sich der Sprachgestus und phänomenal märchenhaft berauschend. Ebenso sind die Alptraumfantasien erste Sahne.


    Nagelt mich nicht auf Ratten fest. Was die Sprache angeht, sind es ohne weiteres 6 Ratten. Weil ich den Roman für nicht leicht, eher für schwer halte, bin ich so frei und wähle vier Ratten. Aber, ich bin davon überzeugt, dieser Roman sollte ruhig mehrmals gelesen werden, dann kann man sich immer tiefer in diesen Text einsaugen und entdeckt sicher immer wieder etwas neues darin.


    4ratten


    Liebe Grüße
    mombour

  • Hi,


    ja, ein gutes Buch. Kennst Du die Malina-Verfilmung von Werner Schroeter, nach dem Drehbuch von Elfriede Jelinek? Schroeter ist sicher nicht jedermanns Geschmack, aber er macht, wenngleich selten, reizvolle Filme.


    Warum nicht die volle Rattenzahl, wenn du das Buch so gut findest? Bei amazon werden manchmal Lehrbücher für Fortgeschrittene mit wenigen Punkten versehen, weil sie, so die Begründung, für Einsteiger ungeeignet sind.


    Grüße, mohan

    Einmal editiert, zuletzt von mohan ()

  • Hallo mohan,


    mit der Rattengeberei habe ich sowieso manchmal meine Probleme, darum habe ich bei Madame Bovary erst gar keine vergeben :zwinker:.


    Ich habe vier Ratten vergeben mit der Begründung, der Roman sei als schwer anzusiedeln. Natürlich ist das kein guter Grund, eher ein schlechter, denn wer sagt denn, dass Kunst immer leicht sein soll? Für Bachmanns Sprache habe ich ja sechs Ratten vergeben. Der Roman ist sowieso zu Komplex und verschieden deutbar, dass ich mehrere Lektüren benötige, um tiefer in den Roman einzutauchen.


    Die Verfilmung kenne ich nicht. Ich stelle mir eine Verfilmung sehr schwierig vor, würde den Film aber gerne mal sehen.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Schöne Rezi, mombour!
    Du hast Recht, dieses Buch muss man wahrscheinlich öfters lesen. Umso besser, dass du mich daran erinnerst, weil meine (erste und einzige) Lektüre liegt schon viel zu weit zurück.
    LG, kat

  • Hallo mombour,


    den Film habe ich im Kino gesehen. Um die Zeit der Verleihung des Nobelpreises an Jelinek lief er - glaube ich - auf arte. Soweit ich weiß, gibt es ihn nicht auf DVD. Ich habe ihn leider auch nicht.


    Bei Suhrkamp gab es den Filmtext von Jelinek, der auch schon seit Jahren nicht mehr erhältlich ist. Vielleicht noch antiquarisch…


    Grüße, mohan

    Einmal editiert, zuletzt von mohan ()

  • Beim Stöbern in Amazon habe ich den Roman entdeckt und mal geschaut, ob er hier schon angeführt wurde.
    Ich mag Romane mit einer wunderbaren und faszinierenden Sprache. Da dies der fall ist und ich mich nicht vor schwerer Kost fürchte ;) werde ich mir das Buch wohl holen :)


    hach ja.. mein SUB wir immer größer und größer.. :rollen:

  • Ingeborg Bachmanns Prosaroman “Malina” ist in erster Linie eines – verwirrend. Innerlich mit der Zerrissenheit der namenlosen Protagonistin kämpfend, stellt dieser Roman für mich in erster Linie eine Leere da, die sich nicht nur durch die mögliche gespaltene Persönlichkeit des Hauptcharakters darstellt, sondern gleichzeitig mit dem Schicksal einer jungen Wienerin auseinandersetzt, die sich selbst als verrückt bezeichnet. “Wenn es anfängt ist die Welt schon durcheinandergekommen, und ich weiß, dass ich wahnsinnig bin.”


    Die Protagonistin lebt in Wien in der Ungargasse. Hier stehen neben ihr zwei Charaktere im Vordergrund, nämlich der Ungar Ivan, der im Nachbarhaus wohnt, und ihr Mitbewohner Malina, ein Charakter der selbst eng mit der Protagonistin verknüpft ist (ob es sich bei Malina und der Protagonistin um eine Person handelt ist stets unklar).
    Der erste von drei Teilen des Romans befasst sich in erster Linie mit dem Verhältnis zwischen Ivan und der namenlosen Protagonistin. Er liebt sie, dennoch können die beiden sich aufgrund von Ivans Auslandsaufenthalten nicht oft sehen. Bachmann gelingt es hier eine Beziehung zu schildern, die nicht auf Körperlichkeiten beruht, sondern eine dialogische und distanzierte Vertrautheit bezeugt, die zwar tiefgründig ist, aber gleichzeitig eine innere Leere vermittelt. Eine funktionierende Beziehung kann beinahe ausgeschlossen werden.


    Im zweiten Kapitel, verpackt in einen grausamen Traum bestehend aus Angst, Verzweiflung und Vergewaltigung erfährt der Leser, wieso die Protagonistin so ist wie sie eben ist. Im Vordergrund steht hier ihr Vater, der die Familie verlassen hat und sich eine neue Frau gesucht hat. Gleichzeitig wird vermittelt, dass er es ist, der die Protagonistin scheinbar vergewaltigt hat, ob psychisch oder physisch ist erfährt der Leser nicht.


    Dritter Teil, die Überwindung der Probleme in vielen Dialogen mit Malina. Ob eine Befreiung ihrer Probleme möglich ist? Nicht durch ihre Vergangenheit, die sich im vorherigen Kapitel erklärt hat. Alle Möglichkeiten ein normales Leben in einer ganz normalen Beziehung zu führen sind für die Protagonistin beinahe unmöglich. Ein metaphorischer Tod ist unausweichlich.


    Die Autorin Ingeborg Bachmann (1926-1973) hat mit diesem Buch nicht einfach nur einen Roman vorgelegt sondern auch eine Autobiographie geschrieben. Nicht vollständig über sich, aber dennoch über einen Charakter, dem sie hätte entsprechen können. In Ivan lässt sich möglicherweise ihr ehemaliger Lebensgefährte Max Frisch finden.
    Der Roman selbst wirkt wie ein distanzierter aber dennoch schwerwirkender Traum, in dem das Leben einer vom Schicksal gebeutelten Protagonistin schonungslos und fragemantarisch dargestellt wird. Das Spiel mit Metaphern und Allegorien dient der Verdeutlichung ihrer Existenz.
    Der Prosaroman wirkt auf den ersten Blick ungewohnt, weil einem meist sehr viele Eindrücke geschildert werden, die der Leser vielleicht nicht immer auf Anhieb versteht, dennoch werden ganz klar Motive der Postmodernität verwendet – Ellipsen, Metaphern, Gedankeneindrücke.


    4ratten