Ian McEwan - Liebeswahn

Es gibt 8 Antworten in diesem Thema, welches 4.272 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kirsten.

  • Inhalt:


    Die Literaturwissenschafterin Clarissa und der Wissenschaftsjournalist Joe führen eine sehr glückliche, harmonische Beziehung bis zu jenem Tag, an dem sie während eines Picknicks Zeugen eines Ballonabsturzes werden. Joe eilt zur Hilfe, dennoch verunglückt ein Insasse tödlich und Joe fühlt sich mitschuldig. Indes macht er Bekanntschaft mit einem anderen Helfer, Jed Parry, der von nun an Joes Leben völlig umkrempelt.
    Jed Parry leidet an dem „Clérambault-Syndrom“ (heutzutage besser als „Stalking“ bekannt). Er behauptet – begleitet von Anfällen religiösen Wahns – in Joe verliebt zu sein, ihn bekehren zu müssen und verfolgt ihn auf Schritt und Tritt. Er richtet sich einen Dauerbeobachtungsposten vor Joes Wohnung ein, bombadiert ihn mit Hunderten von Briefen und terrorisiert ihn mit Telefonanrufen. Joes Zurückweisungen werden von ihm ignoriert, ihm Gegenteil, er findet sogar in dieser Form der (negativen) Aufmerksamkeit eine Bestätigung und setzt seinen Terror fort.
    Joe macht dieser Terror zu schaffen, von seiner Freundin Clarissa, die eher vermeint, er bilde sich dies alles nur ein, bekommt er nicht die Unterstützung, die er sich erhofft, auch die Polizei ist machtlos, da Joes Leben ja nicht bedroht ist und keine Gewalt angewendet wird. Jed Parry beherrscht das Leben des Joe Rose und wirft es völlig durcheinander, auch ein erster Bruch in der sonst so glücklichen Beziehung zwischen Joe und Clarissa beginnt sich abzuzeichnen.


    Meine Meinung


    Auf sprachlich höchstem Niveau beschreibt Ian McEwan, wie der Psychopath das Leben des Joe Rose in ein Chaos stürzt. Werden Jed Parrys – vorerst zurückhaltenden Auftritte – anfangs als Lächerlichkeit abgetan, so erkennt Joe bald, wie bedrohlich die Situation wird und dass selbst seine Beziehung an einem seidenen Faden hängt. Nach und nach gerät er völlig in den Bann seines Verfolgers und sieht ihn bald an jeder Straßenecke lauern.


    Der Leser wird absolut mitgerissen. Die Spannung steigt kontinuierlich, Joe Roses Anspannung spitzt sich ebenso zu, bald sieht er seinen Gegner schon wie einen Schatten und man kann kaum mehr unterscheiden, ob es Realität ist oder Einbildung. Parallel dazu schlittert die Beziehung in eine Krise, Misstrauen und Vorwürfe bringen Joe und Clarissa in eine ernsthafte Krise. Das Buch entwickelt sich zu einem absoluten Psychothriller.


    Mich beeindruckt auch bei diesem Buch – wie schon bei „Saturday“ , wie fundiert und gewissenhaft Ian McEwan recherchiert und welche Fachkenntnisse er sich aneignet. Das Krankheitsbild des „Clérambault-Syndroms“ wird hier anhand des Jed Parry mit all seinen Symptomen sehr fundiert und genau dargestellt. Eine im Anhang angeführte Ausführung über dieses Krankheitsbild, inkl. Fallbeispiel, wissenschaftliche Arbeiten und Quellenverzeichnisse etc. runden das Buch ab.


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    4ratten
    (1 Ratte Abzug wegen einiger, meiner Meinung nach überflüssiger Textpassagen).

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Klingt sehr interessant. Ich habe mir das Buch schon mal auf meine Wunschliste notiert.


    Liebe Grüße
    wolves
    :winken:

  • Hallo!


    creative: danke für diese interessante Rezi :bussi: Das Buch ist sofort auf meiner Wunschliste gelandet. Ich kann mich noch dunkel an den Vorsatz erinnern, seine Bücher nienieniemalsnichtwieder lesen, nachdem ich mich über Amsterdam so geärgert habe, aber Der Zementgarten hat mich von diesem Vorsatz abgebracht. Deshalb habe ich jetzt beschlossen, dass Amsterdam für mich die Ausnahme in einer Reihe wirklich guter Bücher ist :zwinker:


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ich mochte bisher ausnahmslos alle McEwans. "Liebeswahn" war ein tolles, beklemmendes Buch. Ich wusste zuvor nicht, dass es so eine Krankheit tatsächlich gibt.


    Zum Thema Liebeswahn kann ich auch den Film "Wahnsinnig verliebt" mit Audrey Tautou empfehlen, den ich kürzlich gesehen habe.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Kirsten: ich habe schon öfter mal gehört, auch von begeisterten McEwan-Lesern, dass Amsterdam eine Sache für sich ist.
    Für mich steht schon ganz bald "Abbitte" auf dem Programm!

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Meine Meinung: Ich stand im Buchladen, hatte zuviel Zeit und habe mir dann ein Buch, das ganz interessant klang, aus dem Regal gezogen. Nach 10 Seiten dachte ich 'Scheiße...' und nach weiteren 10 Seiten stand ich an der Kasse und habe es gekauft, damit ich nicht weiter in einem Zustand des Nichtbesitzertums dieses Buches verbringen muss.
    Das Buch ist eigentlich eine Art Psychothriller und somit ganz und gar nicht mein Genre. Dennoch hat mich die wunderbare Sprache von Anfang an gepackt und nicht mehr losgelassen. Die Personen sind sehr gut ausgearbeitet und der Konflikt zwischen Clarissa und Joe, der sich immer weiter entwickelt, ist gut nachvollziehbar, vor allem durch die analysierende Art des naturwissenschaftlich geprägten Erzählers.
    Es gibt eine Stellen, die bei mir den Lesefluss gehemmt haben. Nicht, weil sie schlecht wären, sondern weil es die Szenen sind, bei denen ich anfange zu rufen: Oh mein GOTT! NEEEEEIN! Tu es nicht! Du wirst dich lächerlich machen! Alles wird furchtbar peinlich sein! NEEEEEIN!
    Wenn solche Szenen in Filmen vorkommen (ich bin da halt ein wenig empfindlich), fange ich an schreiend durch das Haus zu rennen und erst wiederzukommen, wenn ich sicher bin, dass die Szene vorbei ist. Bei Büchern suche ich mir vorübergehend andere Beschäftigungen, während denen ich es misstrauisch beäuge, schließlich doch wieder zur Hand nehme und die betreffende Szene so überfliege, dass ich möglichst nichts mitbekomme und trotzdem weiß, was passiert ist.
    Dafür, dass diese Stellen hier so gehäuft waren und das Buch meinem Herzen deswegen nicht sehr gut getan hat, ziehe ich ein Mäusschen ab.
    Zudem war das Ende für mich irgendwie äusserst unbefriedigend. Ich hatte mehr erwartet, ehrlich gesagt.
    Alles in allem ist es jedoch ein sehr gutes, spannendes Buch und passt meiner Meinung nach auch noch hervorragend in die Jahreszeit.


    3ratten:marypipeshalbeprivatmaus:

    Seit die Mathematiker über die Relativitätstheorie hergefallen sind, verstehe ich sie selbst nicht mehr.<br />~ A. Einstein<br /><br />Man umgebe mich mit Luxus; auf das Notwendige kann ich verzichten. <br />~ Oscar Wilde

  • Dieses Buch habe ich im Rahmen einer Leserunde gelesen, daher ist meine Meinung in zwei Zitate von mir und einem abschließenden Statement geteilt.


    Zitat

    Bisher finde ich das Buch richtig gut, es ist aus der Ich-Perspektive
    erzählt, aber es gab auch schon ein Ereignis, das aus der Sicht seiner
    Frau erzählt wird.


    Man bekommt Einblick in Joe's Gedankenwelt und kann sich Seite für
    Seite mehr hineinversetzen, wie unangenehm es sein muss, von so einem
    Menschen verfolgt zu werden.




    Ein tolles Buch, nur lässt es zum Schluss meiner Meinung nach ziemlich nach, wirkt etwas unglaubwürdig.
    Trotzdem würde ich es jedem empfehlen.


    4ratten

    Einmal editiert, zuletzt von Coco206 ()

  • Mich hat das Buch nicht so ganz überzeugt. Sprachlich ist es wieder toll, auch McEwans unglaubliche Beobachtungsgabe und sein Fachwissen haben mich wieder beeindruckt.
    Der Anfang war auch noch unheimlich bedrückend, die Szene des "fallenden Mannes" von einer solch erschütternden Intensität, das ich mich so auf das weiter lesen gefreut habe. Aber im laufe der Geschichte verlor sich irgendwie der "Roman" und ich hatte mehr und mehr den Eindruck hier ein Sachbuch zu lesen.
    Seitenlange Gedanken über Gott und die Welt und die sehr ausführlichen Beschreibungen des Krankheitsbildes des "Clérambault-Syndroms" haben dem Buch einfach die Spannung genommen. Zeitweise dachte ich auch (oder besser habe gehofft) McEwan gibt dem Buch am Ende womöglich noch eine überraschende Wende. Bildet Joe sich das vielleicht alles nur ein?
    Aber dem war dann auch nicht so.
    Das Ende kam dann auch sehr plötzlich und es ging auch zu einfach und problemlos für Joe.
    Leider nur 3ratten von mir

  • Hallo!


    Um mitten drin anzufangen:

    Bildet Joe sich das vielleicht alles nur ein?

    Diese Frage habe ich mir beim Lesen auch gestellt. Jeder dem Joe von den Aktionen Jeds erzählt reagiert mit Unverständnis. Irgendwann ging es mir genauso denn ich konnte mir nurschwer vorstellen dass Joe als Einziger den "wahren Jed" erkannt hat. Liebeswahn überzeugt mich vor allem durch seine starke Sprache, die Geschichte hat für mich einige Schwächen. Ich finde sie sehr einseitig erzählt, Clarissas Sicht der Dinge erfährt man fast nur durch Joes Erzählungen. Auch das Ende kann mich nicht überzeugen. Das finde ich schade, denn die Geschichte hat sehr stark angefangen hat aber im Verlauf für mich viel an Überzeugungskraft verloren.
    3ratten


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.