Doris Lessing - Hunger nach dem großen Leben

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 2.785 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von mombour.

  • Hallo,


    Doris Lessing: Hunger nach dem großen Leben


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    Diese längste von Doris Lessings afrikanischen Erzählungen erschien in Deutschland erstmals 1956 unter dem Titel „Hunger“ in dem Band „Der Zauber ist nicht verkäuflich“, Verlag Tribüne Berlin. Ich besitze noch die Taschenbuchausgabe des Diogenes Verlages von 1976, darin diese Erzählung noch unter dem Titel „Hunger“ erschien. Nach Recherchen in diversen Internetantiquariaten erschien diese Erzählung, damals, also 1976, offenbar auch schon unter dem Titel „Hunger nach dem großen Leben“, ebenfalls beim Diogenes Verlag. Kurios, ja fast unglaublich, das ein und dieselbe Geschichte unter zwei diversen Titeln kusierte. Die Verwirrung kann noch vervielfältigt werden, wenn man bedenkt, dass der bei Diogenes lieferbare Titel „Der Zauber ist nicht verkäuflich“ inhaltlich nicht identisch mit der gleichnamigen Ausgabe von 1956 ist.



    Der Originaltitel im Englischen ist „Hunger“. Dass man die deutsche Übersetzung in „Hunger nach dem großen Leben“, unter dem Titel sie heute zu erwerben ist, erweiterte ist klug, weil man erstens Verwechslungen mit Knut Hamsuns Roman „Hunger“ vermeidet und zweitens dem Inhalt des Buches näherkommt, denn hier ist wirklich „Der Hunger nach dem großen Leben“ gemeint, dem Leben in der Stadt, der Stadt der Weißen.



    Ein afrikanischer Jugendlicher will sein Dorf verlassen und in die Stadt ziehen. Er träumt davon, wie die Weißen leben. Sie wohnen in Häusern aus Stein, nicht in Lehmhütten. Jabavu, so heißt der Junge, lauscht den Leuten, die aus der Stadt kommen und an seinem Dorf vorüberziehen. Er träumt von einem besseren Leben. Sein Bruder geht mit dem Vater in der Früh täglich auf das Feld, Jabavu geht nur mit, wenn er will. Lieber versucht er, sich das Lesen beizubringen und sehnt sich auf den Tag, an dem sein großes Abenteuer beginnt, eine mehrtägige Reise, natürlich zu Fuß, in die Stadt. Doch so einfach hat er es in der Stadt nicht. Da er zu wenig Lebenserfahrung hat, gerät er unwillentlich in die Hände einer Diebesbande, aus der er sich erst lösen kann, als er mit den Gesetzen in Konflikt kommt.



    Doris Lessing hat eine sehr schöne lebendige Erzählung geschrieben, die realistisch aufzeigt, wie groß die Gräben zwischen den Schwarzen und Weißen ist. Unmöglich, zumindest damals in den 40er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, dass ein Eingeborener in die Fußstapfen Weißer schlüpfen kann, denn die Eingeborenen werden zu geringstem Lohn ausgebeutet und stehen in Schatten des großen Lebens (damals wurde es noch für unmöglich gehalten, dass ein Afroamerikaner Präsident werden kann, klar!). Die Erzählung konzentriert sich schließlich auf Organisation, Arbeitsweise und dem Leben in einer Diebesbande. Gerade hier wird eine Brücke bis in unsere Zeit geschlagen, denn in sozialen Brennpunkten der Welt, gibt es auch heutzutage Menschen, die sich, weil sie nicht anders können, vom Diebesgut leben. Diese großartige Erzählung möge jedem Leser in die Hände gelegt werden, denn erstens wird sie so lebensecht erzählt, dass man das Buch nicht aus der Hand legen mag und zweitens macht uns diese Erzählung bewusst, was für katastrophale Lebensverhältnisse sich aus Armut und Unterdrückung entfalten können. Schließlich die Überlegung „was wäre wenn“? Was wäre wenn Jabavu immer in seinem Dorf geblieben wäre, und mit seinem Vater jeden Tag in der Früh auf dem Acker gegangen wäre? Sollte nicht jedem Menschen die Chance gegeben werden, sein Leben zu ändern, sein Leben zu verbessern? Wie schwierig das unter bestimmten Umständen sein kann, zeigt uns diese Geschichte.


    5ratten


    Liebe Grüße
    mombour

  • Hallo mombour,


    schön, dass Du das Buch mit so guten Argumenten empfiehlst. Ich mag es auch gerne. Zumal die Geschichte leider zeitlos scheint. Der Konflikt, der sich für Menschen aus armen ländlichen Regionen ergibt: auf dem Land arm bleiben oder sein Glück in der Stadt versuchen mit dem Risiko, noch elender dazustehen und zudem den Sozialverband zu verlieren, ist bei Lessing eindringlich beschrieben und hat an Aktualität nicht verloren. Ein unbedingt lesenswertes Buch.


    Grüße,
    mohan

  • Ja, danke mohan, ich lese zur Zeit auch die anderen "Afrikanischen Erzählungen" von Doris Lessing. "Der Zauber ist nicht verkäuflich"


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    Ich habe den Eindruck, die früheren Bücher der Lessing sind noch die besten. In ihrem Spätwerk hat sie ja hier und da ziemlich geschwächelt (z.B. in "Die Kluft"; "Mara und Dann").


    Liebe Grüße
    mombour

  • Morgen mombour,


    hast Du alles von ihr gelesen? Ich finde sie zwar sehr gut, kenne aber nicht alle Titel. Die Canopus-Reihe, ihre autobiografischen und die unter Pseudonym entstandenen Bücher sind mir unbekannt. Am besten gefallen mir tatsächlich ältere Titel: "The Grass is Singing", die Reihe "The Children of Violence", "Briefing for a Descent into Hell", "The Temptation of Jack Orkney", oder - auf deutsch gelesen -: "Die Memoiren einer Überlebenden" und "Die Terroristin". Nicht gefallen haben mir "Die Kluft" und "Ein Kind der Liebe". Leider habe ich ihr Hauptwerk, "Das goldene Notizbuch" noch nicht gelesen, was aber Zufall ist und nichts damit zu tun hat, dass es als Hauptwerk betrachtet wird.


    Solltest Du mal Lust haben auf eine Lessing-Leserunde, wäre ich sofort dabei. Vielleicht eines ihrer älteren Werke - oder das Notizbuch - in der deutschen Übersetzung.


    Liebe Grüße,
    mohan

  • Hallo mohan,


    sonst habe ich noch folgendes gelesen:


    Afrikanische Tragödie, Der Zauber ist nicht verkäuflich (afrik. Erzählungen), Anweisung für einen Abstieg zur Hölle, Memoiren einer Überlebenden. Das waren alles gute Bücher. Mit "Das fünfte Kind" war ich auch glücklich, aber nicht mit "Ben in der Welt"


    "Kind der Liebe" eher mittelmäßig.


    Ich trage mich mit dem Gedanken, im nächsten Jahr mit "Kinder der Gewalt zu beginnen."


    Was ich ja immer wieder ist, das "Das goldene Notizbuch" und die Canopus-Reihe am besten sind. Doris Lessing selbst bevorzugt die Canopus-Reihe als ihr bestes.


    Ja, das werde ich alles der Reihe nach lesen. Ungelesen subbt bei mir noch "Ein süßer Traum", zwar ein Spätwerk, ist aber doch recht gut besprochen worden.


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()