W.G. Sebald - Austerlitz

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  • Austerlitz von W.G. Sebald


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    Klappentext:
    Wer ist Jacques Austerlitz? Der rätselhafte Fremde, "ein damals, im siebenundsechziger Jahr, beinahe jugendlich wirkender Mann mit blondem, seltsam gewelltem Haar, wie ich es sonst nur gesehen habe an dem deutschen Helden Siegfried in Langs Nibelungenfilm", begegnet dem Erzähler immer wieder, unerwartet und an den ungewöhnlichsten Orten: am Bahnhof, am Handschuhmarkt, im Industriequartier ...
    Schritt für Schritt enthüllt sich bei diesen Treffen die Lebensgeschichte des einsamen, schwermütigen Wanderers Austerlitz, der kein Engländer ist, aber seit vielen Jahren in London lebt. In den vierziger Jahren kam er als jüdisches Flüchtlingskind nach Wales und wuchs in einem Dorfpfarrhaus auf bei einem älteren Prediger und dessen Frau. Als er nach vielen Jahren seine wahre Herkunft und seinen wahren Namen erfährt, weiß er, warum er sich als Fremder unter den Menschen fühlt ...


    Meine Meinung:
    Also, für mich war dieses Buch leider überhaupt gar nichts. Trotzdem habe ich es gelesen.
    Als erstes sind mir diese unglaublich langen und verschachtelten Sätze aufgefallen, die mich aber nicht gestört haben. Sie sind halt nur sehr auffällig.
    Nach den ersten 50 Seiten habe ich ernsthaft überlegt, ob ich einfach aufgeben soll und lieber etwas lesen soll, was mich mehr interessiert. Ich hatte zu diesen Zeitpunkt absolut keine Ahnung worauf der Autor hinaus will oder ob es auf den nächsten 350 Seiten aus meiner Sicht völlig sinnlos weitergeht.
    Danach wurde es aber doch noch etwas interessanter. Austerlitz begann herauszufinden, woher er stammt. Die Geschichten von Véra haben mir dabei am meisten gefallen. Danach wurde die Geschichte für mich jedoch wieder langweilig, aber ich habe noch bis zum Ende durchgehalten, da ich noch erfahren wollte, ob Austerlitz auch noch seinen Vater findet oder nicht.
    Nachdem ich dieses Buch beendet hatte, habe ich mich gefragt, ob es sich einfach um eine Geschichte handelt oder ob es sich um eine wahre Gegebenheit handelt, da dieser Roman wie eine Biografie geschrieben wurde. Es ist jedenfalls nicht die Lebensgeschichte des Autors.


    Ich habe die oben zu sehende SZ-Ausgabe gelesen:
    Sehr störend für den Lesefluss habe ich das Layout empfunden. Die Schrift war recht groß gewählt, so dass nicht viel in eine Zeile passt. Zudem war das ganze noch in einem Blocksatz abgedruckt, der unglaublich viel Platz zwischen den einzelnen Worten gelassen hat und auch der Zeilenabstand war ziemlich groß. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich im gesamten Buch nur vier Absätze gefunden.


    1ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Da muss ich sofort reagieren! Natürlich respektiere ich die verschiedenen Meinungen zu Büchern. Da will ich als "Kontrapunkt mal meine Rezi reinsetzen.


    Zum Inhalt:


    Der nicht weiter benannte “Ich –Erzähler” begegnet in den 60iger Jahren in Belgien Jacques Austerlitz, dem er in den folgenden Jahrzehnten immer wieder über den Weg laufen wird. Dieser rückt immer mehr in den Vordergrund der Geschichte und enthüllt uns nach und nach seine Lebensgeschichte. Geboren um 1934, aufgewachsen in einer walisischen, recht kommunikationsarmen Pfarrersfamilie, entdeckt er bei Schulprüfungen - und erst nach dem Tod seiner „Mutter“ und dem Abgleiten des „Vaters“ in den Wahnsinn - , dass sein wahrer Name nicht Dafydd Elias, sondern eben Jacques Austerlitz ist. Doch niemand ist da, ihn über seine wahre Herkunft aufzuklären und so bleibt er in den kommenden Lebensjahrzehnten wie „ohne Wurzeln und Heimat“ und in einer „Abgesondertheit“, bis er, der spätere Professor für Architekturgeschichte, erst Anfang der 90iger Jahre eines Tages in einem Londoner Bahnhof ein „Déjà-Vu“ Erlebnis hat und er plötzlich erinnert, wie er also 1938 als Vierjähriger mit einem kleinen Rucksack in einem Kindertransport aus Prag hier landete und von seiner Gastfamilie abgeholt worden ist. Nun macht er sich auf die Spuren seiner wahren Eltern und bricht nach Prag auf, wo er tatsächlich durch Archive die ehemalige Adresse findet und nun seine greise Kinderfrau wieder findet. Die Reise zu den Ursprüngen wird ihn noch weiter führen und bringt ihn in der eigenen Vita direkt mit den Gräueln der Naziherrschaft in Berührung...



    Ein paar Anmerkungen:


    Diese Erzählung ist eine mir ganz neu erscheinende Mischung zwischen Roman, präzisen Beschreibungen (z.B. der Bauten, Bahnhöfe etc.), fast tagebuchähnlichen Bemerkungen und auch schwarz-weiß Photos sowie Skizzen, die das Realistische des Buches unterstreichen. Es liegt klar auf der Hand, dass Sebald viel recherchiert hat für dieses Buch. Diese Gründlichkeit mag erklären, dass er in seiner Schaffenskraft „nur“ 4/5 Romane geschrieben hat?!


    In einem großen Teil seines Lebens wird der unglaublichen Wissensanhäufung bei Austerlitz über die verschiedensten Aspekte der Architektur eine Verweigerung an Erinnerung gegenübergestellt. Bezeichnend für diese umfassende Periode der Wurzellosigkeit in seinem Leben sind - ich zitiere typische Begriffe aus dem Roman – das Gefühl der „Heimatlosigkeit“, die „Vereinzelung“, die „Verlorenheit“, das „Verstoßensein“ usw. Als Frage zu diesem Thema könnte man für Austerlitz vielleicht formulieren: Wie kann man aus der Fremde bei sich ankommen?
    Erst im Laufe des Buches wird langsam klar, dass der „Krieg und die Vertreibung“ in diesem Leben allgegenwärtig waren und sind. Darin: in der Frage der Identität, des Krieges und des Umganges mit Erinnerung scheinen wesentliche Themen aus Sebalds Leben selber hoch zu kommen: er verließ im Aufruhr gegen das Nachkriegsdeutschland und seinen Umgang mit der Vergangenheit Deutschland und lebte dann in England.


    Die Erinnerung an das geschichtlich Geschehene wird zur Aufgabe, die Austerlitz in gewisser Weise dem „Ich-Erzähler“, und Sebald indirekt uns, anvertraut.


    Von Beginn an fiel mir die sehr schöne, präzise, aber auch „anstrengende“, oft in indirekter Rede geschriebene Sprache Sebalds auf. Das Buch ist quasi ohne Absatz verfasst und man findet schwer eine „Atempause“.
    Es gibt ebenfalls einige sehr gute Bemerkungen und Beobachtungen über die Sprache und deren Verlust.
    Besonders beeindruckt hat mich die Verwandtschaft, Parallelität zwischen beschriebener Landschaft, bzw. Beschreibungen von Bauten (insbesondere Bahnhöfe, Festungen, auch die neue französische Nationalbibliothek) UND der inneren Seelenlandschaft, Verfasstheit. Da wird das Äußere zum Spiegel für innere Gegebenheiten.


    Das war mein „erster“, aber sicherlich nicht mein letzter Sebald!


    Keine „leichte“ Lektüre für zwischendurch, aber rundum empfehlenswert für die an oben angedeuteten Themen Interessierten!!!


    W.G.Sebald, * 18. Mai 1944 in Wertach, Allgäu; † 14. Dezember 2001 in Norfolk, England bei einem Autounfall


    5ratten und MEINE sONDEREMPFEHLUNG§

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