Olivier Rolin - Meroe

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 1.751 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Aldawen.

  • Hallo,


    kennt jemand den französischen Autor Olivier Rolin ? Von seinem Roman "Meroe" bin ich sehr beeindruckt.


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    Im Zuge mit der Beschäftigung mit J. M. G. Le Clézios Roman „Onitsha“ stieß auf auf Olivier Rolin „Meroe“ und bin sehr froh, diesen Roman gelesen zu haben. Während der Lektüre schreitet man in die faszinierende Geschichte des Sudans. Der Roman vermittelt schöne Gedanken, es wird philosophiert. Außerdem vermittelt das Buch sanfte Wellen von Melancholie, handelt es doch vom Scheitern in der Welt, von verpassten Gelegenheiten, vom sog. „zu spät“, im rechten Moment abwesend zu sein, von Zufällen die eintreten, dadurch sich bewegende Wendungen in der Historie und im individuellem Bereich ergeben.


    „SOS- Rufe , die im Äther verpuffen, vergebliche Flaschenpost. Ein Zufall hilft, oder auch nicht.“


    Wir lesen aus der Perspektive des Erzählers, der sich in einem Hotelzimmer in Khartum an rückbleibende Ereignisse erinnert, die ihm persönlich sehr Nahe gehen. Daraus kristallisieren sich drei Handlungsebenen. Er denkt zurück an Alfa, seine große Liebe, die ihn in Paris im Jardin du Luxembourg anpricht, die er zwar verloren hat, aber immer noch sehr intensiv herbeisehnt, so intensiv, dass er seine Gefühle und auch Alfas Stimme auf andere Frauen projeziert. Wir haben es also mit jemanden zu tun, der sich die Vergangenheit in die Gegenwart holen will. Trotzdem weiß er


    „Man kann die Intensität der Liebe nicht messen....werder der Liebe noch des Entsetzens, des Leidens, nicht einmal der Literatur...“ Wenn man sagt, man habe ein Buch mehr geliebt als alle anderen so ist das „dummes Zeug“. „Es ist nicht EIN Buch, sondern das Gewitterdonnern der Literatur, das einem von Zeit zu Zeit einen Blitz in den Pelz jagt....“


    „Was erinnert an eine Frau, die man geliebt hat? Ein Negativabdruck. Ein paar Erinnerungen, die um den Punkt herumflirren, wo sie sich auflösen. Wie die gleißende Materie am Rande eines schwarzen Lochs, von dem alles Licht geschluckt wird...“


    Herrlich in den Roman integriert werden die geschichtlichen Ereignisse um den britischen Generalmajor und Generalgouverneur von Charles Gordon, der im Jahre 1885 während des dortigen Mahdi-Aufstandes kurz bevor helfende englische Truppen eintrafen, geköpft worden war, (es handelt sich um die genannte „Gordon Relief Expedition“ unter der Führung von Garnet Joseph Wolsey). Die Truppen kamen zu spät und Gordon scheiterte.


    Die dritte Handlungsebene sind die Geschehnisse um die Archäologen der. Heinrich Vollender. In einem Gepräch mit dem Spezialisten für christliche Altertümer im Sudan ergeben sich interessante geschichtsphilosophische Überlegungen. Natürlich wird auch von der Fazination gesprochen, warum Vollender ausgerechnet in den Sudan gekommen ist. Vollenders Fazination am Sudan liegt darin, dass die alten Kulturen sich im heißen Wüstensand wie eine Konserve gehalten haben im Gegensatz zur DDR, die einfach verschwunden ist, und Ruinen zurücklässt „von denen die Archäologen kommender Jahrhunderte nicht einmal eine Spur davon auffinden werden. Das Gespräch mit Vollender gipfelt in Überlegungen des historischen und individuellen „zu spät“. Natürlich kennt Vollender die Ereignisse um Carles Gordon, erzählt aber auch von Flauberts „Lehrjahre des Gefühls“, in dem eine Frau nach sehr vielen Jahren zu einem Mann zurückkehrt. Der Mann liebt sie zwar noch, die Frau schneidet aber eine Strähne aus ihrem Haar. Es ist einfach „zu spät“.


    Die Ausflüg in die sudanesische Geschichte finde ich äußerst faszinierend. Im mittelalterlichen Sudan, gemeint ist hier die Kultur von Makuria, die Kultur, die die Epoche der Meroe abgelöst hat, war die griechische Sprache vorhanden. Gewissermaßen ist Makuria ein Ableger von Byzanz, der aber aufgrund seiner angeschirmten Lage (Wüste) so ziemlich auf sich selbst gestellt war und von der Welt der Kulturen, die um das Mittelmeer herum existiert haben, ausgegrenzt war. Die Fazination liegt eben genau darin, dass die christliche Welt auch in den Wüsten des Sudan Spuren hinterlassen haben. Das war mir auch neu. Die Geschichte Ägyptens ist mir zwar vertraut, im Sudan eröffnete sich für mich eine neue Welt.

    „Bis zu Anfang des 14. Jahrhunderts gibt es in Makuria, bis zu Anfang des 16. in Aloa schwarze Könige, die sich für den Kaiser von Byzanz halten, sich als Basileus ansprechen lassen und auf Griechisch zu ihrem gekreuzigten Gott beten.“


    Darüber kann ich nur staunen.


    Der Roman steht unter dem Motto eines Zitates von Rimbaud, aus dem Brief an seine Mutter, 20.02. 1891:

    „Man altert hier sehr schnell, wie überhaupt im Sudan.“


    Bevor der erste Teil des Buches beginnt, erzählt Olivier Rolin zur Einstimmung einiges über den Sudan. Es handelt sich nicht um ein typisches Vorwort, sondern es gehört schon zum Roman, darin wir erfahren, das „Bilal el Sudan“ das „Land der Schwarzen“ bedeutet , das größte Land Afrikas. Es werden die zahlreichen Länder aneinandergereiht, die am Sudan angrenzen. Erwähnt wird auch Wadi Halfa, „die Grenzstation zu Ägypten, wo Flaubert, Maxime du Camp zufolge, die Eingebung von Name und Vorname der Emma Bovary hatte.“ Dann auch wieder Infos zur Geschichte. 1820 eroberte Khedif Mohammed das Land (ägyptische Kolonisierung) und dann fällt erstmals der Name von Charles Gordon.,


    „den man auch den 'Chinesen' nannte, weil er zuvor eine Armee von Glücksrittern gegen die T'ai -ping ins Feld geführt hatte...“


    Zur Einstimmmung in den Sudan, sind solche historischen Einwürfe oder auch bestimmte Mentalitäten der Sudanesen sehr willkommen. So fällt ein sudanesisches Sprichwort, Allah, der nicht gerade für seinen Humor bekannt sei, sei nach der Erschaffung des Sudans in ein unstillbares Gelächter ausgebrochen, und Gordon schrieb in sein Tagebuch (1884); „...It's a beautiful country for trying experiments with your patience.“ Das British Empire währte bis 1955, heute eine islamische Militärdiktatur. Im ersten Buchteil, Kap.2 schreibt Rolin sehr spitz:

    „ Allenthalben beginnt das Geplärre des Alleinigen Gottes, und mit ihm der Sturzangriff Seiner Untertanen, der Mücken. Wenn sie nicht wären und die bewaffneten Patrouillen, die jetzt die Straßen besetzen, wäre dies die schöne Tageszeit: kühl und melancholisch.“


    In Olivier Rolin's Roman erspürt man die Liebe zum Sudan, auch wenn er (s.o. im Zitat) Kritik an der islamischen Milkitärdiktatur übt. Der Roman ist ein exemplares Beispiel für phantasievolles Erzählens und fordert dem Leser immer wieder zum Nachdenken heraus. Wie schon gesagt, es ist ein Roman voll schöner Sätze, voll schöner Gedanken.

    „Die Nacht fällt vom Himmel, drückt auf den malvenfarbenen Fluss, wie grüne Raketen steigen die Minarette aus den hohen schwarzen Gräsern.“


    5ratten


    Liebe Grüße
    mombour

  • Hallo mombour,


    Dein Beitrag hat mich dazu gebracht, das Buch bei amazon zu bestellen. Es ist dort jetzt nur noch in zwei Restexemplaren verfügbar, gebunden für 4,99 Euro. Eine Neuauflage wird es nicht geben. Auch deshalb danke für die Empfehlung.


    Liebe Grüße,
    mohan


  • Es ist dort jetzt nur noch in zwei Restexemplaren verfügbar, gebunden für 4,99 Euro. Eine Neuauflage wird es nicht geben.


    Ein exemplarisches Beispiel dafür, wie erstklassige Literatur aus den Regalen der Buchhandlungen verschwindet, :sauer: weil die Nachfrage (offenbar) sehr gering war. :entsetzt: Auch ein gutes Beispiel dafür, dass man jenseits üblicher Bestsellerlisten und jenseits gewohnter Klassikerautoren und Weltliteraturlisten hervorragende Literatur finden kann.
    Also, Augen auf ! :zwinker:


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • mombours Kommentar hier und schon zuvor während einer Lesenacht (war es, glaube ich), hatten mich dazu gebracht, dieses Buch umgehend anzuschaffen. Dafür war der Handlungsort Sudan durchaus das wichtigste Argument.


    Tatsächlich gelingen Rolin zwei Dinge sehr gut. Das eine ist die Geschichte von Gordons Niederlage gegen den anrückenden Mahdi, eine Niederlage, die das britische Empire natürlich nicht auf sich sitzen lassen konnte, und die einige Jahre später durch die Eroberung des Sudans durch Kitchener „korrigiert“ wurde. Wie Rolin selbst in seinem Nachwort sagt, zeichnet er kein biographisch korrektes Bild von Gordon, sondern eher ein persönliches, das ihm die Widersprüche in dieser Person erklärt und sich zudem in die Erzählung einfügt. Da aber die historischen Rahmenlinien stimmen, geht das für mich auch völlig in Ordnung. Das zweite, was Rolin sehr deutlich werden läßt, ist seine Faszination für das Land und seine Bewohner, nicht jedoch für das gegenwärtige Regime. Diese Unterscheidung ist ihm wichtig und auch völlig legitim. Tatsächlich erinnerten mich manche seiner Beschreibungen an Eindrücke, wie sie der große sudanesische Autor Tajjib Salich z. B. in Zeit der Nordwanderung festgehalten hat.


    In diesen beiden Aspekten wie auch in den Ausgriffen auf die untergegangene christlich-orthodoxe Kultur im mittelalterlichen Sudan hat der Roman für mich auch seine stärksten Seiten. Die eingewobene Geschichte um den sicher nicht zufällig so heißenden deutschen Archäologen Vollender war – auch wenn sie mich nicht gleichermaßen überzeugt hat – doch im Gesamtkontext wichtig. Sie bildete das moderne Gegenstück, den Spiegel, um das historische „zu spät“, das so oft den Gang der Weltgeschichte beeinflußt hat, aus anderer Perspektive zu zeigen. Im Vergleich dazu fiel mir die dritte Erzähllinie um den Erzähler und seine frühere Liebe Alfa doch eher auf die Nerven, was vor allem mit seinem merkwürdigen Verständnis dessen zu tun hat, was eine Beziehung ist oder ausmacht. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß er Alfa nicht als eigenständigen Menschen für voll nahm, und ob das eher ein Problem eines verqueren Überlegenheitsgefühls als Mann gegenüber einer Frau oder ihrer Herkunft oder beides war, dessen bin ich mir nicht sicher. Aber der unterschwellige Ton, der seine Reflexionen über die Zeit mit Alfa begleitet, hatte für mich wenig von Reue, obwohl sich aus den Schilderungen für mich eher herauslesen ließ, daß Alfa unter ihm und weniger umgekehrt gelitten hat. Die von mombour angesprochene, durchaus vorhandene Melancholie wirkt daher eher wie Selbstmitleid, und das kann ich nicht leiden.


    Nichtsdestotrotz ist der Roman insgesamt lesenswert, was vor allem an der sprachlichen Qualität liegt. Ich mag es durchaus, wenn mir ein Autor zutraut, Sätzen auch über eine halbe Seite oder mehr zu folgen. Dabei findet Rolin eine Vielzahl ausdrucksstarker Bilder, ohne daß die Darstellung überladen oder „gewollt poetisch“ daherkommt.


    4ratten


    Schönen Gruß
    Aldawen