T.C. Boyle - Riven Rock

Es gibt 12 Antworten in diesem Thema, welches 3.548 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kirsten.

  • Inhalt


    Stanley McCormick, Erbe eines gigantischen Vermögens aus dem Mähdrescherimperium seines Vaters, ist 31 Jahre alt und frisch verheiratet, als er 1904 wegen geistiger Verwirrtheit und gewalttätiger Ausfälle besonders gegenüber Frauen in eine Nervenheilanstalt eingeliefert wird. Bald darauf bezieht er zusammen mit seinen Pflegern und einem Psychiater einen der Landsitze der McCormicks - Riven Rock.


    Über vierzig Jahre seines Lebens verbringt er dort, hat viele schlechte, aber auch einige gute Phasen, die Hoffnung auf Heilung versprechen. Während draussen der erste Weltkrieg tobt, die Prohibition und das Frauenwahlrecht eingeführt werden und die behandelnden Ärzte kommen und gehen lebt er eingesperrt und über lange Zeit völlig isoliert von Frauen in seiner eigenen Welt.


    Währenddessen muss seine junge Frau mit der Trennung von ihrem Mann fertig werden und ihren eigenen Weg gehen, immer voller Hoffnung, dass Stanley eines Tages wieder ganz gesund wird.
    Sein Pfleger O'Kane ist ausser ihr der Einzige, der diese Hoffnung teilt, doch hat er mit Frauen und Alkohol selber genug Probleme.


    Meine Meinung


    Dies war das erste Buch, dass ich von T. C. Boyle gelesen habe und ab jetzt hat er einen Fan mehr.
    Es ist in einer wunderbar bildhaften Sprache geschrieben und die Charaktere hatte ich von den ersten Seiten an so lebendig vor meinen Augen wie noch selten bei einem Buch. Die eigentlich sehr traurige Geschichte wird teilweise wirklich humorvoll erzählt und keine einzige Seite lang kam Langeweile auf.
    Gut gemacht waren auch die Rückblicke auf Stanleys Kindheit und Jugend und die erste Zeit mit seiner Frau, so konnte man wenigstens ansatzweise begreifen, wie es zu einer so schweren Persönlichkeitsstörung kommen konnte.
    Lt. Klappentext beruht das Buch auf einer realen Geschichte, in wieweit es aber authentisch ist wird leider nicht gesagt. Zumindest gibt es die Landmaschinenmarke "McCormick" auch heute noch.


    Interessantes Detail am Rande: das für das Cover verwendete Foto ist ein Portät von Stanley McCormick und seiner Frau, aufgenommen 1904.


    Von mir gibt es
    4ratten

  • Hallo WannaBe,


    ich liebe dieses Buch. Es ist ein Boyle, der bei vielen seiner Verehrer/innen gar nicht so sonderlich beliebt ist.


    Ich fand die Figur Stanley McCormicks auf eine sehr einmalige Weise ergreifend. Ich denke an die Szene in seiner Hochzeitsnacht, die er komplett am Schreibtisch verbringt. Das ist so traurig und zugleich so unheimlich sympathisch.
    Es gibt viele Szenen wie diese, die mir ganz plastisch im Gedächtnis geblieben sind, etwa das erste Tennismatch zwischen Stanley und seiner künftigen Frau oder die Jagd auf den "groundhog", die in einer vollständigen Verwüstung des Gartens endet.


    Was ich an dieser Geschichte über alles liebe, ist diese grandiose und dabei gar nicht pathetische Darstellung von Freundschaft, sowohl zwischen O'Kane und Stanley als auch zwischen Katherine und Stanley. T.C. Boyle at his best.


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    Herzlich, B.

    Einmal editiert, zuletzt von Bartlebooth ()

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "WannaBe"

    Lt. Klappentext beruht das Buch auf einer realen Geschichte, in wieweit es aber authentisch ist wird leider nicht gesagt. Zumindest gibt es die Landmaschinenmarke "McCormick" auch heute noch.


    Katherine Dexter McCormick (1875 - 1967), Biologin, Frauenrechtlerin. Studium am MIT. Ohne sie - kann man wohl sagen - gäbe es die Pille nicht. Stanleys Frau und Erbin.


    Aber deswegen werde ich trotzdem keinen T.C. Boyle mehr anrühren ... :sauer:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Anscheinend liebt oder hasst man T. C. Boyle, das hab ich jetzt schon mehrmals gehört :smile:


    Zitat von "Bartlebooth "

    Es ist ein Boyle, der bei vielen seiner Verehrer/innen gar nicht so sonderlich beliebt ist.


    Da es ja mein erstes Buch von ihm ist, kann ich noch keine Vergleiche ziehen. Ich fand es jedenfalls ganz wunderbar.
    Mir werden sicher auch viele Szenen in Erinnerung bleiben, besonders ergreifend fand ich gegen Ende den letzten Ausflug, als Stanley dem Hund nachjagt und von O'Kane in letzter Sekunde festgehalten wird. Die ganze Verzweiflung von Stanleys Lage wird einem da nochmal vor Augen geführt, das war tieftraurig.



    Zitat von "Sandhofer "

    Katherine Dexter McCormick (1875 - 1967), Biologin, Frauenrechtlerin. Studium am MIT. Ohne sie - kann man wohl sagen - gäbe es die Pille nicht. Stanleys Frau und Erbin.


    Aber deswegen werde ich trotzdem keinen T.C. Boyle mehr anrühren ...


    Mrs. Dexter McCormick spendete einen Teil des Verkaufserlöses von Riven Rock an Dr. Gregory Pincus, der tatsächlich in den fünfziger Jahren die Pille erfunden hat. Dr. Pincus war mir zwar ein Begriff, aber seine Beziehung zum McCormick Imperium und den Frauenrechtlerinnen war mir neu. Lesen bildet :breitgrins:


    Was genau an Boyle hat Dich denn so vergrault?

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "WannaBe"

    Was genau an Boyle hat Dich denn so vergrault?


    Ich kenne ja nur sein América. (Bzw. hab's nach ca. 1/3 entnervt weggeworfen ... ) Abgesehen davon, dass die Person, die der deutschen Version diesen Titel gegeben hat, wegen akuter Unfähigkeit entlassen gehört: Ich lese lieber Wilder, Steinbeck, Faulkner und allenfalls noch Hemingway als diesen Epigonen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "sandhofer"

    Ich lese lieber Wilder, Steinbeck, Faulkner und allenfalls noch Hemingway als diesen Epigonen.


    Och, sandhofer, du klingst wie ein vergrätzter alter Mann. Boyle ist nicht einfach ein Epigone, weder von Hemingway noch von Steinbeck. Klar ist er Realist, aber er ist erkennbar jünger und steckt mit seinen Charakteren ganz unübersehbar in unserer Zeit, was Hemingway und Co. nicht tun.
    Aber ich nehme deinen nun folgenden Eintrag gleich vorweg: Ja, ich glaube auch, dass Boyle so radikal zeitbezogen ist, dass man ihn wahrscheinlich in 50 Jahren nicht mehr lesen wird (zumindest nicht die 5 Bücher, die ich bisher von ihm kenne). Aber Boyle ist auch einer, der von der Wissenschaft in 100 Jahren wieder ausgegraben wird und zwar genau wegen seiner feinfühligen Psychologie und seinen differenzierten und genauen Charakter- und Zeitbeschreibungen.


    "Tortilla Curtain" (América) ist ihm einfach ein bisschen ausgerutscht, ich habe das im entsprechenden Thread ja schon einmal versucht zu beschreiben. Aber glaub mir, Boyle ist bei weitem nicht immer so holzschnittartig.


    Herzlich, B.

  • Schneller Einwurf bzgl. Boyle - lesen oder lieber nicht:


    Zitat von "Bartlebooth"

    Aber ich nehme deinen nun folgenden Eintrag gleich vorweg: Ja, ich glaube auch, dass Boyle so radikal zeitbezogen ist, dass man ihn wahrscheinlich in 50 Jahren nicht mehr lesen wird


    Gut vorstellbar. Was ich persönlich an Boyle mag, sind vor allem die Inhalte der Kurzgeschichten und Romane. Ich mag einfach diese skurilen Themen und die findet man bei Wilder, Steinbeck, Faulkner und Hemingway eher nicht (das ist natürlich nur eine Vermutung, bis jetzt hab ich von den letzten dreien nur ein paar Kurzgeschichten gelesen.)


    Zu Riven Rock: Soweit ich mich erinner kann ist das Buch stellenweise ziemlich grauslich oder? Es ist eher nicht unbedingt einer meiner Favoriten, ich glaube das macht ca.: 3ratten


    LG,


    Ragle

  • Ich fand ja auch América gut, so verwundert es nicht, dass ich mich auch für "Riven Rock" erwärmen kann.
    Hier meine Rezi:


    Riven Rock - ein Herrenhaus in Kalifornien, schick und modern ausgestatten, mit einem großen Park und .. Gittern an Fenstern. Es gehört Stanley McCormick, dem Erben eines steinreichen Mähmachinenfabrikanten, es ist sein Haus und sein Gefängnis.
    Boyles Roman hat drei große Teile, benannt nach den Ärzten, die Stanley behandeln: vom Erforscher der Sexualität der Affen Hamilton bis zum Freudianer Kempf. Stanley hat ein Problem mit Frauen, ein großes Problem, das erst richtig hervorbricht als er die schöne Katherine Dexter heiratet und ihn schließlich hinter die Mauern Riven Rocks befördert.
    Boyle hat in seinen Roman eine ganze Reihe an Protagonisten gepackt: natürlich das "Ehepaar" McCormick, Stanley mit seinem Bündel an Traumen, die Sufragette, Frauenrechtlerin und Wissenschaftlerin Katherine. Was macht eine solch starke früh emanzipierte Frau (der Roman spielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts), wenn sie merkt, dass ihr großer, starker Märchenprinz seinen ehelichen Pflichten nicht nachkommt, wenn sie ihn schließlich Jahre und Jahrzehnte nicht sehen darf?
    Unter den Pflegern hervorgehoben wird die Gestalt Eddie O'Kanes- er hat und kann all das, was Stanley so immense Probleme bereitet: er heiratet (zweimal), hat Liebschaften, lebt seine Triebe aus. Und träumt vom großen Geld, das ihm Stanley bei seiner Heilung geben wird, das er mit Orangenhainen in Kalifornien spielend vermehren wird. Unerfüllte Begierden, die ihn dem Alkohol auch in Zeiten der Prohibition immer mehr in die Arme treiben.
    Auch Eddie hat eine weibliche Gegenspielerin: die temperamentvolle Italienerin Giovanella, eine Frau, die weiß was sie will und wie sie es bekommt.


    Boyle ist ein witziger, nachdenklich stimmender, schön-trauriger Roman mit facettenreichen und vielschichtigen Charakteren gelungen. Er zeichnet gleichzeitig ein Bild Amerikas um die Jahrhundertwende bis in die Zwanziger-, Dreissigerjahre - die Entwicklung und Kontroverse um die Psychoanalyse spielt da eine große Rolle. Es ist kein ereignisreicher Roman, er wird getragen von vielen Rückblenden, die Stanleys und Katherines Leben bis zum endgültigen Zusammenbruch des Gatten erzählen. Geplatzte Träume ziehen sich durch die Seiten.
    Wie genau Boyle das Psychogramm eines geistig Kranken gelungen ist, kann ich aus fachlicher Sicht nicht beurteilen, es las sich für mich stimmig und ohne in Klischees abzurutschen. Boyletypisch gibt es ein paar skurrile "Schocksituationen" - ich denke da an die letzte Szene im ersten Teil: Stanley und der Affe.
    Wunderschöne sprachliche Bilder machen das Buch zu einem flott zu lesenden Vergnügen!


    4ratten (und eine halbe)


    Katia

  • Ich mag T.C. Boyle nicht. Für meinen Geschmack ist er zu abgehoben und zu abstrakt in vielen Sachen und ich bin auch kein Freund von so überzogenen Storys, falls ihr wisst, was ich meine. Hinzu kommt seine für mich sehr widersprüchliche Lebensart, aber das mal nur am Rande.


    Der Punkt ist, dass ich den Mann nach "Wassermusik" eigentlich aufgegeben hatte. Das Buch war nicht übel, aber Mungo Parks Reisebericht hat mir trotzdem besser gefallen und, wie oben schon erwähnt, mir war "Wassermusik" zu überzogen. Nun les ich ja immer zwei Bücher, weil es jedem Autor erlaubt ist, mal einen "Ausrutscher" zu haben, und prompt bringt mich Boyle in Schwulitäten. Mein zweites Buch von ihm war "Riven Rock" und ich kann mich den positiven Aussagen hier nur anschließen. Dieses Buch hat mich dermaßen überrascht und erstaunt, dass ich mir tatsächlich auch "Dr. Sex" auf die Wunschliste gesetzt habe, obwohl ich mir auch davon nicht viel erwarte.


    Sei's wie's sei: Boyle hat es tatsächlich geschafft, dass ich mich intensiver mit ihm beschäftige, obwohl er eigentlich nach dem ersten Buch abgehakt war. "Wadd hadd der für 'ne fiese Charakter." :zwinker:


    Auch ich kann also Riven Rock ruhigen Gewissens weiter empfehlen. Es ist eine sehr einfühlsame und doch überhaupt nicht kitschige Geschichte, mit vorsichtigem menschlichen Humor über ein ernstes Thema. Sehr sensibel erzählt.

    Ein Leben lang lesen ist nicht genug!<br /><br />Top 3:<br />1. &quot;Die Brautprinzessin&quot; von William Goldman<br />2. &quot;Männer&quot; von Dietrich Schwanitz<br />3. &quot;1984&quot; von George Orwell


  • Der Punkt ist, dass ich den Mann nach "Wassermusik" eigentlich aufgegeben hatte. Das Buch war nicht übel, aber Mungo Parks Reisebericht hat mir trotzdem besser gefallen und, wie oben schon erwähnt, mir war "Wassermusik" zu überzogen.


    Nun ja, Boyles Absicht war ja nicht, Mungo Parks Erkundungsreisen historisch möglichst korrekt nachzuerzählen, daher ist der Vergleich auch nicht sinnvoll. Ich kenne von Boyle bislang Wassermusik, Grün ist die Hoffnung und Talk Talk und muß sagen, daß Wassermusik von denen mein liebstes Buch ist. Es ist über weite Strecken wirklich witzig (ich kann jedenfalls drüber lachen), an manchen Stellen allerdings auch ziemlich eklig, und die Geschichte reißt mich mit wie die Wasser des Niger am Ende die Reste der zweiten Reise. Natürlich kann man sagen, daß die drei Hauptstränge in Art und Anlage völlig überzogen sind, aber gerade daraus, wie sie im Detail zusammenhängen und zum Schluß zusammenfinden, bezogen sie für mich ihren Reiz und haben mir gut gefallen. Hm, eigentlich könnte ich es mal wieder lesen und wo doch gerade das Elemente-Lesewochenende ansteht ... :gruebel:


    Schönen Gruß,
    Aldawen


  • Hm, eigentlich könnte ich es mal wieder lesen ...
    Schönen Gruß,
    Aldawen


    ... was nicht ganz so dumm wäre. Aber ich für meinen Teil habs ja mal wieder vertauscht, als ich im Aufräum-Wahn meine Regale in Ordnung gebracht habe. Man sollte keine Bücher tauschen. Also - man sollte welche bekommen, aber man sollte keine hergeben :zwinker: - nie weiß ich, ob ich das Buch nicht doch noch mal brauche :elch:


    Da werd ich älter und auch reifer
    und mit mir wächst der Arbeitseifer,
    doch Bücher, die mir ungewogen,
    sind bereits einfach ausgezogen.


    :breitgrins:

    Ein Leben lang lesen ist nicht genug!<br /><br />Top 3:<br />1. &quot;Die Brautprinzessin&quot; von William Goldman<br />2. &quot;Männer&quot; von Dietrich Schwanitz<br />3. &quot;1984&quot; von George Orwell

  • Ich hab das Buch in meinem Tauschticket-Regal, weil mich schon das Cover überhaupt nicht anspricht (war in großer geschenkter Bücherkiste) - vielleicht sollte ich es erstmal wieder rausnehmen? Liest sich ja eigentlich nicht schlecht, was ihr da schreibt...

    Bücher kaufen und Bücher lesen sind zwei völlig verschiedene Hobbys.

  • Meine Meinung
    Ich tue mich mit den Büchern von T.C. Boyle immer ein wenig schwer, aber ich lese sie trotzdem immer wieder und das bis zum Ende. Auch bei diesem Buch hatte ich meine Schwierigkeiten. Auf der einen Seite fand ich die Geschichte interessant, auf der anderen Seite hatte sie deutliche Längen. Wahrscheinlich ist das aber so, wenn man sein Leben in einer sehr begrenzten Umgebung verbringt und nur wenige ausgewählte Menschen sehen darf. Von daher haben die Längen schon zur Geschichte gepasst.


    Außerdem hatte ich immer das Gefühl, dass der Autor nicht alles erzählt hat. Gerade bei Katherine hatte ich mehrmals das Gefühl, dass T.C. Boyle eine Geschichte aufbaute, diese aber nie zu ende erzählt hat. Das war ein wenig unbefriedigend, hat aber wiederum zur Geschichte gepasst. Denn wie sollte sich unter diesen Umständen eine Geschichte logisch und positiv entwickeln?


    Aber trotz der vielen positiven Aspekte hinterläßt Riven Rock bei mir nur einen mittelmäßigen Eindruck.
    3ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.