Orhan Pamuk: Das Museum der Unschuld

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  • Orhan Pamuk: Das Museum der Unschuld. 18 CDs, ungekürzte Lesung von Ulrich Noethen.


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    Kurzbeschreibung von Amazon:
    Als Kemal begreift, wie sehr er Füsun liebt, ist es zu spät: Sie hat einen anderen Mann geheiratet. Kemal besucht sie jahrelang unter fadenscheinigen Vorwänden und versucht, sie zurückzugewinnen. Bei seinen Besuchen entwendet er kleine wertlose Gegenstände, um sich daraus sein ganz persönliches Museum einer unerfüllten Liebe zu erschaffen. Ulrich Noethen begibt sich als warmherziger und feinfühliger Führer mit uns auf einen Rundgang durch dieses Museum der Unschuld und lässt aus den Geschichten der Erinnerungsstücke einen ganzen Kosmos entstehen.


    Meine Kritik
    Das ist ein interessantes Buch, welches sich für eine Leserunde bestens eignet. Interessant deshalb, weil es mich zwiespältig zurücklässt. Die professionelle Kritik war äußerst positiv (in FAZ, SZ, ZEIT, NZZ), während nur die FR und Frau Löffler im DLR sich negativ geäußert haben. Versuchen wir uns diesem Buch zu nähern:


    1. Inhalt
    Dieses Buch ist vor allem eine Liebesgeschichte, aber auch eine Geschichte eines Sammlers sowie eher nebenbei eine Sozialstudie des Sexualverhaltens in der Türkei. Frau Löffler wirft Pamuk vor, er könne sich nicht entscheiden. Da ist was Wahres dran. Es ist halt nicht die ganz große Liebesgeschichte wie sie in diesem Jahr von Siegfried Lenz veröffentlicht wurde. Es hätte eine ganz großartige Museums- und Sammlergeschichte werden können, aber leider bringt Pamuk seine Gedanken hierzu erst ganz am Ende des Buches unter. Das sehr gute Ende versöhnt für so manche lange Strecke, in der FR wird Pamuk gar mit Stifter verglichen, was etwas übertrieben wirkt, aber stellenweise nicht verkehrt ist. Der Erzähler bemitleidet sich über lange Strecken selber und immer wieder gleiche Szenen werden dann auch für den Leser und Zuhörer zum "Lesefron".


    2. Sprache
    Pamuk wählt eine nüchterne unprätentiöse Sprache. Ein Kapitel sticht heraus. Es heißt "Manchmal". In diesem nicht kurzen Kapitel beginnt jeder Satz mit dem Wort "manchmal". Jeder Satz. Und dieses Kapitel entfaltet eine große literarische Kraft, die durch das Hörbuch sicher noch stärker transportiert wird als beim Selbststudium. Nach den ersten 10 Sätzen denkt man noch, was denn dieser Kunstgriff soll, spätestens bei Satz 25 (und es folgen viele weitere, ich habe sie aber nicht gezählt) ist man überzeugt, dass dies gekonnt gemacht ist.


    Pamuk schreibt ganz anders als es Tellkamp gerade tut. Eine einfache Sprache, durchaus immer wieder mit Metaphern behaftet, wird gewählt. Ob sie das Lebensgefühl in einer europäischen Gesellschaft richtig erfasst, lässt sich heute noch nicht beantworten. Zumindest ist die Sprache zeit-authentisch, unserer Zeit angemessen.


    Im Detail ärgerte ich mich aber auch über Pamuk, beispielsweise wenn er davon schreibt, dass der Erzähler einen Löffel mitnimmt, an dem der Geruch der Exfreundin haftet. An Löffeln haftet nun mal kein Geruch. Gerade die Beschreibung der Gegenstände entwickelt wenig "Erotik" und daher ist es eben nicht der ultimative Museumsroman; erst gegen Ende hin ändert sich das Bild. Perec wäre hier als einer der Meister zu nennen. Pamuk wählt (bewusst?) einen anderen Weg, das mag daran liegen, dass er eben noch andere Geschichten (siehe oben) erzählen will. Löffler schreibt, er sei daran letzlich gescheitert. Das halte ich in dieser Kürze für falsch. Dieses Buch ist lesens- und hörenswert, aber Weltliteratur, die bleibt, fühlt sich beim Lesen und Hören doch noch anders an.


    3. Vorleser
    Noethen als Vorleser erinnert von der Tonlage her an Pamuk, wenn dieser vollkommen akzentfrei (was er nicht tut) Englisch sprechen würde. Ich finde das optimal besetzt, einem Autor kann man nicht näher sein, der nüchternen Sprache kommt das entgegen.


    4. Dann war da noch...
    ... der Bau eines realen Museums durch Pamuk mit den im Roman beschriebenen Gegenständen, die die fiktiven Figuren seines Romans angefasst und benutzt haben. 2010 soll es wohl fertig sein, oder ist das auch nur eine Zeitungsente, die zur Vermarktung des Buches dient. Ich glaube nicht. Eine wahrlich faszinierende Idee, doch Pamuk ist nicht Proust (zu dem alle Welt hinpilgern würde). Ein solches Museum lässt den Besucher noch zwiespältiger als das Buch zurück: Besucht er dann die Welt der 70er der Türkei oder sind hier Requisiten eines Buches ausgestellt? Requisiten haben aber nun mal nicht den Geist von Originalen in sich und lassen den Museumsbesucher gelangweilt zurück, auch wenn die Gegenständen von anderen unbekannten Personen benutzt worden sind. Die mehr als 4000 gesammelten Zigarettenkippen möchte ich jedenfalls nicht betrachten. Im Buch gibt Pamuk jedoch einige Hinweise auf die über 5000 (realen) Museen, die der Erzähler besucht hat. Dank Pamuk besucht man in Paris beim nächsten Mal nicht nur den Louvre.


    4ratten


    Gruß, Thomas

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