Alexander Solschenizyn - Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch

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  • Hallo,


    ich habe heute morgen auch erst von seinem Tod im Radio gehört. Um ehrlich zu sein, ich dachte er wäre schon vor einiger Zeit gestorben. :redface:


    @Die Lidscha: Ja das Buch war in der DDR verboten, wie so weit ich weiß alle seine Werke. Ich weiß dass ich mal eines bei meinem Opa entdeckt hatte als ich noch klein war. Einmal und dann nicht mehr, er hat es ziemlich schnell weggeräumt. Er dachte sicher "Kindermund tut Wahrheit kund" auch wenn ich das damals noch gar nicht einschätzen konnte. (oder gerade deshalb)


    Ich werde es mir wohl auch mal besorgen und aus gegebenem Anlass lesen.


    Liebe Grüße
    schokotimmi


  • Hallo,


    ich habe heute morgen auch erst von seinem Tod im Radio gehört. Um ehrlich zu sein, ich dachte er wäre schon vor einiger Zeit gestorben. :redface:


    Bist du mit Reich-Ranicki befreundet? Er schreibt in der heutigen FAZ: Die Nachricht vom Tod des A. S. hat manche meiner Freunde überrascht. Sie haben geglaubt, er sei längst tot.


    Schöne Grüße,
    Thomas

  • Hallo Ihr,


    nachdem ich erfahren habe, dass Alexander Solschenizyn am 03. August 2008 verstorben ist, hielt ich es für eine gute Idee, meine erste Rezi für den SLW-Wettbewerb ihm zu widmen.


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    „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“ von Alexander Solschenizyn


    Aleksandr Issajewitsch Solschenizyn wurde am 11. Dezember 1918 im russischen Kislowodsk geboren. Er studierte Mathematik und Physik.
    Während des Zweiten Weltkrieges diente er in der Roten Armee als Artillerieoffizier und geriet in deutsche Kriegsgefangenschaft.
    Kurz vor Kriegsende 1945 wurde er wegen kritischer, politischer Äußerungen verhaftet und verbrachte zunächst acht Jahre im sowjetischen Arbeitslager, bevor er 1953 in die „ewige Verbannung“ nach Sibieren geschickt wurde. Nach Stalins Tod 1956 erfolgte seine Rehabilitation.
    Seine Erfahrungen mit dem stalinistischen Lagersystem verarbeitete er in seinem Roman „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“, der starke autobiografische Züge
    trägt. Die Veröffentlichung 1962 erregte der starkes Aufsehen und brachte ihm Weltruhm ein.
    Es folgten weitere Bücher, die ebenfalls eine autobiografische Abrechnung mit dem Stalinismus waren. Sein Buch „Der erste Kreis der Hölle“ durfte in der UdSSR nicht publiziert werden und er geriet zunehmend in Konflikt mit dem Sowjet-Regime. 1969 erfolgte sein Ausschluss aus dem sowjetischen Schriftstellerverband und als er 1970 den Nobelpreis für Literatur erhielt, wurde ihm die Ausreiseerlaubnis zur Entgegennahme des Preises verweigert, so dass die Verleihung in seiner Abwesenheit erfolgen mußte. Sein Buch „Archipel Gulag“, eine dokumentarische Darstellung über politische Verfolgung in der UdSSR von 1918 bis 1956, wurde 1973 in Paris publiziert und erregte große internationale Aufmerksamkeit.
    1974 wurde er erneut verhaftet und ausgebürgert. Er lebte zunächst mit seiner Familie in Zürich in der Schweiz und ging 1976 in den USA. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR kehrte er 1994 in die Heimat zurück und ließ sich in Moskau nieder.
    Am 03. August 2008 ist er in Moskau verstorben.


    Alexander Solschenizyn beschreibt in seinem Roman einen willkürlich ausgesuchten Tag im Leben des Iwan Denissowitsch Schuchow, der nach einer absurden Anklage wegen Hochverrats – er wurde im Laufe des Krieges als Rotarmist von den Deutschen gefangen genommen – zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt wurde und seit acht Jahren sein Leben als „Häftling Nummer S 854“ in einem sowjetischen Gulag fristet. Der immer gleiche und und von der Lagerleitung streng reglementierten Lageralltag beginnt mit dem Wecksignal am frühen Morgen und endet am Abend, wenn Schuchow einschläft. In den dazwischen liegenden Stunden versucht er, listig und klug, sein Überleben zu sichern und seine Lage etwas angenehmer zu gestalten. Das ganzes Handeln und Denken des immer hungrigen Häftlings dreht sich hauptsächlich um das Essen und darum, für sich möglichst eine Extraportion rauszuschlagen. Dazu kommt die Sorge um warme Kleidung, da bei seiner Arbeit im Freien klirrender Frost mit bis zu 40 Grad Minus herrscht. Trotzdem versucht er seine Arbeit anständig zu erledigen, damit er am Abend stolz und zufrieden sein kann. Hinzu kommt die allgegenwärtige Angst vor der Willkür der Bewacher, sowie die Gedanken an die Familie und die Befürchtung, diese nicht mehr lebend wiederzusehen und natürlich, der Gedanke an den Tod.
    Zweimal im Jahr darf er einen Brief nach Hause schreiben, aber selbst da muß er mit Repressalien der Bewacher rechnen.


    Alexander Solschenizyn schildert in seinem Buch in einfachen Worten den tristen und menschenunwürdigen Lageralltag unter Stalin, den er selber erlebt hat.
    Es ist ein willkürlich ausgesuchter Tag im Leben des ebenfalls willkürlich ausgesuchten Häftlings Nummer „S 854“. Ihn zeichnet nichts besonderes aus, nur die Tatsache, dass sein Schicksal Millionen von Menschen in der UdSSR teilten.
    Das von Stalin ins Leben gerufene System gehörte ein Vierteljahrhundert zum täglichen Leben fast aller Sowjetbürger. Es gab kaum eine Familie, aus der nicht mindestens ein Verwandter in einem Lager war.
    Ungeschönt wird die Wirklichkeit beschrieben, die in der UdSSR lange Zeit Realität war.
    Über diese Tatsache durfte lange Zeit nicht gesprochen werden.


    Ohne das Grauen und die Unmenschlichkeit auch nur mit einer Zeile zu beschreiben, entlarvt er in seinem Roman das stalistische Lagersystem, in dem der Alltag der Menschen von Terror, Tod und Zwangsarbeit gezeichnet ist.
    Der Alltag wird in einfachen, sachlichen Worten geschildert, der Autor will kein Mitleid erregen, so wie auch der Protagonist nicht in Selbstmitleid versinkt. Die Wertlosigkeit des Individuums , das Dasein als Nummer wird ganz nüchtern geschildert, ein ganz normaler Tag, ganz normale Gedanken in einem Lageralltag.
    Die Vorstellung, dass Millionen Menschen Tag für Tag jahrelang solche Tage verleben mußten, macht betroffen und sprachlos.
    Das Buch kommt völlig ohne Effekthascherei aus, es ist ein leises Buch und gerade deshalb ist es so beeindruckend.


    Ich gebe dem Buch ohne Bedenken


    5ratten



    Liebe Grüße


    gretchen

  • Danke für die schöne Rezi, die Du da verfasst hast, gretchen.
    Alles, was Du geschrieben hast, weckt mein Interesse an dem Buch und schon kommt es auf meine Wunschliste.


    Bisher bin ich um Solschenizyn immer irgendwie herumgekommen, obwohl ich mir seine Werke in der Bücherei immer wieder ansehe. Herangetraut habe ich mich bis jetzt noch nicht. Das wird sich aber demnächst ändern.


    Liebe Grüße, Sue.

  • Ich habe es nun auch gelesen. Meine russische TB-Ausgabe enthält neben "Ein Tag..." noch die Erzählung "Matrjonas Hof", diese habe ich zuerst gelesen und ich war hin und weg, so schön fand ich die.


    "Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch" fand ich schwer zu lesen. Einmal ist da die Sprache - sehr schön!, aber nicht besonders modern (immerhin in den 60ern geschrieben). Mit manchen Begriffen konnte ich nichts anfangen, die habe ich entweder nie gekannt oder nach all der Zeit wieder vergessen. Besonders schwierig fand ich den Gefängnis-Slang. Gut, dass es hinten im Buch ein Glossar gibt. Trotzdem - wunderbar erzählt!


    Außerdem ist das Buch ja nun wirklich keine "leichte Lektüre", die Handlung lässt einen immer wieder schlucken. Die beschriebenen Zustände sind entwürdigend, da kann man nur froh sein, dass man das alles nicht selbst erlebt hat. Nicht wenige meiner Verwandten sind im Krieg oder kurz danach in ähnlichen Lagern gewesen, obwohl sie nichts verbrochen hatten, außer eben "deutsch" zu sein. Das macht "Ein Tag..." für mich zu einem besonderen Buch.


    Inzwischen zählt die Erzählung übrigens zur Pflichtlektüre in den russischen Schulen, wenn ich richtig informiert bin.


    5ratten


    ***
    Aeria

  • Zum Inhalt steht in diesem Thread schon ja einiges, das muß ich also nicht wiederholen.


    Ich habe es jetzt direkt im Anschluß an Imre Kertész Roman eines Schicksallosen gelesen, wodurch mir besonders deutlich wurde, wie wenig sich solche Lager unterscheiden, egal, wie die herrschende Ideologie heißt und welches Unrechtsregime sie einrichtet. Was hier als zusätzliche Erschwernis greift, ist natürlich das extrem kalte Klima, gegen das sich zu schützen eine zusätzliche Herausforderung darstellt. Aber darüber hinaus überwiegend ie Gemeinsamkeiten: Zählappelle, stundenlanges Herumstehenlassen für nichts und wieder nichts, mangelnde Ernährung, harte körperliche Arbeit usw. usf.


    Schuchow hat sich im Laufe der Zeit einige Überlebensstrategien angeeignet, die ihm zu einem zusätzlichen Napf Suppe hier, einer Zigarette dort verhelfen. Kennt man die Nischen und Möglichkeiten, dann kann man sich solche Vorteile herausarbeiten. Ähnliches gilt für die verlangte Arbeit. Schuchow will das, was er tut, zwar ordentlich tun, aber das heißt noch lange nicht, daß er sich um alles drängelt. Auch hier werden die kleinen Lücken des Systems von den Häftlingen gut ausgenutzt.


    Natürlich gehen diese Umstände aufs Gemüt, zu starken Emotionen scheint hier niemand fähig, nicht einmal zu Haß (auf die Bewacher, das System, wen oder was auch immer), obwohl dieser ja nachvollziehbar wäre. Andererseits ist klar, daß ein solches Gefühl überhaupt nichts bringt, außer die eigene Machtlosigkeit zu betonen. Sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren ist daher sicher vernünftig. Trotzdem ist es für mich immer wieder ein Wunder, daß Menschen dergleichen überhaupt überleben, aber dies zeigt eben auch ein unglaubliches Maß an Anpassungsfähigkeit und Überlebenswillen.


    All dies schildert Solschenizyn in einer schnörkellosen Sprache, ohne Pathos, ohne Jammer, einfach als nüchternen, trockenen Bericht, aber gerade das macht es so eindringlich.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Schöne Beschreibungen von euch und wieder was für die bekannte Liste :redface:

    Liebe Grüße JaneEyre

    Bücher haben Ehrgefühl. Wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück.

    Theodor Fontane

  • Meine Meinung
    Ein Tag wie jeder andere auch. Schuchow und seine Kameraden versuchen, zu überleben. Das klingt banal, aber das ist es nicht. Denn die Umstände und die Aufseher machen es den Insassen alles andere als einfach. Man darf nicht zu viel nachdenken, dann fällt einem dieses eintönige Leben leichter. Aber wenn man nicht nachdenkt und immer auf der Hut ist, passieren Fehler oder es entgehen einem Gelegenheiten.


    Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch kommt ohne große Worte aus. Der Erzählter beschreibt die Dinge so, wie sie nun mal sind. Man denkt nicht weiter als bis zum nächsten Appell, zum nächsten Arbeitseinsatz oder zum nächsten Essen. An Privates denkt man nicht, will man nicht denken. Denn dann würde einem wieder bewusst werden, was man verloren hat.
    5ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.