Emmanuel Carrère - Schneetreiben

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    Originaltitel: La Classe de neige


    Der zehnjährige Nicolas ist der Kleinste in seiner Klasse und froh, wenn er der Aufmerksamkeit seiner Mitschüler entgehen kann. Sein Vater hat ihm zum Beispiel mit Erzählungen über das blutige Schicksal verschwundener Kinder (ihnen werden nämlich die Organe entfernt) eine tiefe Unsicherheit eingeprägt und so ist es wenig verwunderlich, dass Nicolas sich vor der Klassenfahrt fürchtet. Dadurch, dass er nicht mit den anderen im Bus ins Schullandheim in die Berge fährt, sondern vom Vater gebracht wird, verstärkt sich seine Außenseiterposition noch. Noch in der ersten Nacht erklärt der Anführer der Mitschüler Nicolas, dass er ihn beschützen würde – wenn Nicolas ihm dafür einen Blick auf die Waren seines Vaters werfen lassen würde, der als Vertreter für medizinische Geräte und Prothesen arbeitet. Doch dann verlässt die Geschichte den Pfad des „Außenseiter und seine Mitschüler“-Plots und wird immer mit zu einer Betrachtung von Nicolas Seelenleben.


    Der Klappentext schafft das Kunststück zwar eigentlich nicht zu viel zu verraten, aber dabei soviel anzudeuten, dass ich zunächst der Meinung war, er wäre sowohl falsch als auch verräterisch zugleich. Das könnte aber auch daran liegen, dass ich mir fast sicher bin, die Verfilmung des Buches irgendwann einmal gesehen zu haben, falls dem wirklich so war, hat sie mir jedenfalls gut gefallen und ich würde sie weiterempfehlen. ( Klassenfahrt )


    Hauptfigur Nicolas tut einem auf der einen Seite leid, aber andererseits ist er auch eher unsympathisch, ein Kind, bei dem man nachvollziehen kann, warum die anderen Kinder nicht seine Freunde sind. Nicolas hat eine ziemlich morbide Phantasie, mit der er sich ständig irgendwelche schrecklichen Geschehnisse und Todesfälle ausmalt: Sein Vater hat einen tödlichen Unfall, sein Bruder wird ermordet, er selber erfriert,… Dadurch fühlt er sich auf alles vorbereitet und kann sich, wenn nur Harmloses geschieht, in Sicherheit fühlen. Wenn er diese Geschichten dann allerdings seiner Umgebung und sich selbst als Wahrheit verkauft, will man ihn kräftig durchschütteln, auch wenn einem bewusst ist, dass er nur seinen persönlichen Kampf gegen Verlassenheit und Einsamkeit führt. Nicolas sehnt sich so sehr nach menschlicher Wärme und Nähe, dass alles Mögliche tut, um ein bisschen Zuneigung abzubekommen.


    Das Grauen liegt in „Schneetreiben“ nicht da, wo man es zunächst vermutet, in der offensichtlichen Handlung, sondern darin, dass die Zerstörung, die diesem Geschehen folgt, weitere unschuldige Opfer fordert. Als Leser ahnt man zwar, dass das Buch nicht gut enden wird, hofft aber bis zuletzt noch, dass sich die ganze Sache nur als Hirngespinst von Nicolas entpuppen wird – das wäre in diesem Fall nämlich trotz Horrorphantasie besser als die wahrscheinlichere Wahrheit.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus: