Orhan Pamuk - Schnee

Es gibt 26 Antworten in diesem Thema, welches 10.145 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von finsbury.

  • Hallo allerseits
    @ marilu


    Warum bestellst Du das Buch nicht über das Bundesamt für politische Bildung? Unsere Politiker erachten das Buch als so wichtig für unsere Bildung, dass sie den Kauf unterstützen und wir somit nur 4Euro bezahlen müssen!


    http://www.bpb.de/publikationen/LUG6H4,0,Schnee.html


    Mir war das Angebot gar nicht bewusst! Vielen Dank für den Hinweis! :winken: Die Bestellung ist schon losgeschickt. Mal sehen, wann es ankommt.

    Ich werde kein&nbsp;Geld hinterlassen. Ich werde keinen Aufwand und Luxus hinterlassen. Aber ich möchte ein engagiertes Leben hinterlassen.<br />(Martin Luther King)

  • Ich habe das Buch fast zu Ende gelesen und ich finde es nicht gut. Beschreibt Orhan Pamuk eine typische türkische Gesellschaft? Wenn ja, graust es mich. Wie seltsam sich die Leute verhalten. Ka und Ipek sind dabei, wie ein Mensch umgebracht wird. Ka und Ipek verlassen das Lokal, " Ipek ging nach Hause" (sinngemäß) überhaupt ist Ipek Kas Dreh- und Angelpunkt, der Leser erfährt, dass sie schön ist, ein paar Seiten später, dass sie schön ist, dann schläft er endlich mit ihr, und sie ist noch schöner. Mehr erfährt man über dieses Sahneschnittchen nicht. Dann ist da noch die kleine Schwester von Ipek, die ist auch schön und außerdem will sie sich lieber von ihrem Leben trennen als von ihrem Kopftuch. Die Problematik Kopftuch auf oder Kopftuch ab zieht sich über mehr als hundert Seiten. Kopftuch ist auch wichtiger als Leben von Islamistenchef Lapislazuli, auch diese Auseinandersetzung geht über viele Seiten. Dann wird noch fleißig geselbstmordatentatet, verdroschen und geweint und das Militär ballert rum. Wahrscheinlich fehlt mir was, um dieses Buch ausreichend zu würdigen.

  • Da ich erst seit ein paar Tagen dabei bin, komme ich für einen richtigen Dialog zu spät (ich las in einem anderen Thread Deine Bemerkung). Ich las das Buch wohl zur selben Zeit wie elahub und war sehr beeindruckt von der Vielfältigkeit, mit der man das Buch angehen kann. Da gibt es soziale, politische, religiöse Perspektiven und ich fand vieles einfach sehr interessant.
    Doch bei der journalistischen Hervorhebung der politischen Aspekte hat man eventuell nicht immer gesehen, wie sehr dieses Buch auch literarisch echt was zu bieten hat. Die Querverbindungen zu Autoren wie Dostojevski und Kafka z.B. scheinen mir wirklich offensichtlich. Sicherlich ist es kein leichter Roman oder ein schneller Genuss, aber das Lesen dieses Buches hat mich echt bereichert. Seitdem spitze ich die Ohren, wenn von Pamuk die Rede ist!

    Gruß, tom leo<br /><br />Lese gerade: <br />Léonid Andreïev - Le gouffre<br />Franz Kafka - Brief an den Vater<br />Ludmila Ulitzkaja - Sonjetschka

  • Hallo,
    ich übetrage mein Kommentar aus meinem Lesetagebuch, gelesen habe ich Schnee im Sommer 2007 (vor meiner Literaturschock-Zeit). Und ich habe mich wirklich schwer getan mit diesem Buch...


    Es ist erstaunlich, was Pamuk alles in diesem Roman vereint, in den Diskussionen um Religionsfragen und Politik lässt er jede Seite zu Wort kommen, getarnt als Recherche des Journalisten Ka. Auf der anderen Seite steht der Dichter Ka, der die eigenen Gefühle der Einsamkeit, des isoliert seins und geliebt werden wollens über all das stellt. Schöne Bilder, dichte Atmosphäre, aber auch immer wieder Politik. Die radikalen Ansichten sind mir absolut fremd, meine Kenntnisse der türkischen Geschichte offensichtlich mangelhaft, und das zusammen erschwert die Lektüre sehr.


    So richtig verstanden habe ich das Buch nicht, aber vielleicht war das auch gar nicht Sinn und Zweck. Warum sonst steht am Ende der Kommentar: "Keiner kann uns aus der Ferne verstehen."?


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Nun endlich lese ich den Roman von Pamuk ungeteilt und am Stück. Ich hatte zwar schon an Neujahr damit angefangen und fand den Roman auch sehr anregend, aber es war noch nicht kalt genug, also habe ich ein paar Krimis dazwischengeschoben. :zwinker:


    Aber jetzt hat der Schnee auch meine Region im Griff und nun begebe ich mich auf literarische Reise in das verschneite Kars, eine Stadt im Nordosten der Türkei, besiedelt von vielfältigen Volksvertretern, darunter Armeniern und Kurden. Hierhin reist der Schriftsteller Ka, sonst in Frankfurt wohnend, mit dem heimlichen Wunsch, seine Jugendliebe Ipek, die inzwischen wieder solo ist, zu finden und für sich zu gewinnen, offiziell aber, um die Lokalwahlen zu beobachten und über die Selbstmordfälle unter sogenannten Turban-Mädchen, jungen frommen Frauen, die entgegen der offiziellen Verordnung auch in Schulen und Universitäten Kopftuch tragen, zu recherchieren.


    Intensiv wird die Atmosphäre in der landschaftlich und nun durch den Schnee erst recht abgeschiedenen Stadt geschildert und das Aufeinanderprallen der einerseits laizistischen (Trennung von Staat und Religion) geprägten Ordnungsmacht und der armen religiös geprägten Bevölkerung in den heruntergekommenen Vierteln der Stadt.


    Ein Hochschulprofessor ist gerade von einem religiösen Fanatiker ermordet worden, was von Ka und Ipek beobachtet wurde. Ka muss sich nun als Zeuge mit der örtlichen Polizei auseinandersetzen, die gleichzeitig seinen ehemaligen Jugendfreund, der auch der Verflossene von Ipek ist und sich nun als Islamist bekennt, verprügelt und bedroht. Fehler werden auf beiden Seiten gemacht und man gut nachvollziehen, wie sich die Situation zuspitzt.


    Ich bin gespannt, wie es weitergeht

  • Inzwischen habe ich den Roman knapp zur Hälfte gelesen. Er sitzt mir ein bisschen quer, weil mir das Grundproblem (falls es das ist) fremd ist. Der Held Ka, leidet darunter, dass er zwar selbst areligiös ist und einer gutsituierten bürgerlichen Familie entstammt, aber zu einem Volk gehört, dessen Großteil (insbesondere im östlichen Anatolien) in Armut und Unwissenheit, aber tiefer Religiosität lebt. Dies führt bei ihm zu Schuldkomplexen und irrationalen Verhaltensweisen im Laufe der Handlung, die durchaus spannend und zugleich komplex ist.
    Mal sehen, wie es weitergeht ... .

  • Nun bin ich fertig mit der Lektüre.


    Ein zum Teil verstörender Roman, sehr kunstvoll komponiert, mit für mich etwas zu hohen Anteilen an Liebesgefühlen - teilweise erinnerte mich die Darstellung schon an den Band "Die Entflohene" aus Prousts Suche nach der verlorenen Zeit, durch den ich mich durchquälte, weil es nur um die Gefühle des verlassenen Protagonisten ging.
    Daneben wird der Roman aber auch beherrscht von einer Darstellung der seelischen Konflikte, die in einem Land auftreten, das zerrissen ist zwischen dem Wunsch nach Anschluss an den "Westen" und eigenen sozialen und religiösen Traditionen. Das war auch nicht immer einfach für mich nachzuvollziehen, jedoch wurde mir auch klar gemacht, wie leicht man aus seiner Perspektive Dinge missversteht bzw. ablehnt. Das Letztere tue ich zwar immer noch, versuche mir aber dabei der Arroganz des "Westens" bewusst zu sein.


    Das ist auch die abschließende Aussage einer wichtigen Nebenperson der Handlung auf den Plan des Erzählers, die Ereignisse als Roman zu verfassen:


    Zitat von Abschlusskapitel


    "Wenn Sie mich in einem Roman vorkommen lassen, der in Kars spielt, dann möchte ich dem Leser sagen, er soll nichts von dem glauben, was Sie über mich, über uns alle geschrieben haben. Keiner kann uns aus der Ferne verstehen."
    "Es glaubt sowieso keiner so einem Roman." [entgegnet der Erzähler]
    "Doch, sie werden es glauben", sagte er erregt. "Um sich selbst klug, überlegen und human zu finden, werden sie glauben wollen, dass wir lächerlich und nett sind und dass sie uns so verstehen und sympathisch finden können. Aber wenn Sie das, was ich jetzt sage, schreiben, bleibt bei ihnen wenigstens ein Zweifel zurück."


    Das hat er geschafft!