Martin Mosebach - Westend

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    Frankfurt am Main nach dem Krieg. Eduard Has wächst als Spross einer reichen Familie von Geschäftsleuten wohlbehütet auf, tritt in die im Familienjargon nur "Verwaltung" genannte Gesellschaft ein, die er nach dem Tod der Mutter gemeinsam mit deren Cousin leitet, lernt sich in der Welt der Kunst und Architektur zurechtzufinden und gründet unter Anleitung eines Schweizer Kunstexperten eine Gemäldesammlung, bevor er schließlich dessen Frau heiratet und mit ihr eine Tochter bekommt.


    Nicht weit entfernt leben die Schwestern Labonté, deren Neffe mit Eduard zur Schule ging und schon mit achtzehn Vater wurde, bevor er nach einem Bootsunfall spurlos verschwand und für tot gehalten wurde. Sein Sohn Alfred verliert früh die Mutter und wächst bei den beiden Großtanten auf, die nie geheiratet haben und in ihrer Gründerzeitvilla den Geist des Vorkriegsbürgertums aufrechterhalten.


    Dem Klappentext nach stellt man sich als Leser auf eine fundiert im historischen Kontext eingebettete Familiengeschichte ein, doch das ist nur ein Teilaspekt des Buches, in dem es auch in detaillierter Weise um Kunstsammeln und moderne Architektur, das Verschwinden des Althergebrachten und das Entstehen von völlig Neuem geht. Eduard Has nimmt sich eine Geliebte unter seinem Stand, die Frau eines Schrotthändlers (der allerdings mit seinen Bergen von altem Plunder gut zu Geld gekommen ist). In wichtigen Nebenrollen treten Figuren quer durch die Schichten auf: eine zwergenwüchsige, klatschsüchtige und bösartige Putzfrau, die gerne in den Mülltonnen ihrer Arbeitgeber wühlt, samt ihrem monströs großen, aber geistig zurückgebliebenen Sohn, das Hausmädchen der Labonté-Tanten, ein österreichisch-ungarischer Architekt voller bahnbrechender neuer Ideen, die allmächtige Sekretärin der "Verwaltung", die im verborgenen alle Fäden zieht.


    Zunächst scheint das Konzept aufzugehen, die Exkurse in die Welt der Kunst stehen den Berichten über die Protagonisten in ausgewogenem Maße gegenüber, wenngleich der Stil von Beginn an recht ausufernd ist und sich eine wortreiche Beschreibung von Menschen, Architektur, Straßen und Seelenzuständen an die andere reiht. Dabei wechselt quasi ständig der Fokus, nahtlos schließt sich eine Perspektive an die nächste, unterteilt sind die über 800 Seiten von nur sieben Kapiteln. Leerzeilen oder andere Einschnitte im Fließtext fehlen völlig, was die Konzentration irgendwann ziemlich schwächt.


    Schließlich nehmen die weitschweifigen Schilderungen von architektonischen Neuerungen, der Welt der Kunst und dem oft schwer verständlichen "Innenleben" der meist kühl und künstlich wirkenden Figuren so überhand, dass die anfängliche Freude über die wortreichen und durchaus gelungenen Beschreibungen einer gewissen Genervtheit weicht, zumal sich auch Wiederholungen von bildhafter Sprache einstellen. Irgendwann glaubte ich schreien zu müssen, wenn noch ein einziges Mal die hellgraue Blechkugel über der Mansarde von Has' Geliebter erwähnt würde.


    Die Figuren wurden mir immer unsympathischer, und da mir die Sprache immer gekünstelter vorkam, habe ich die Lektüre etwa 80 Seiten vor Schluss tatsächlich noch abgebrochen.


    2ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen